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Ein Grat im Himmel - durch die Richmond Range

 


Titelbild

 

18.-25. Januar, Richmond Range

Tag 55

Heute früh (viel zu früh... 😓) holt mich Helen ab, die für die Wanderer ein Taxidienst anbietet. Ansonsten müsste ich auf oder neben der Strasse nach Pelorus Bridge laufen und danach noch 15 Kilometer Schotterpiste bis zum Parkplatz, wo der Wanderweg beginnt. Unterwegs sehe ich meine Mitwanderer, die alle tapfer die Strasse laufen, und bin froh, spare ich mir die 35 Kilometer in Staub und Hitze. Die paar Kilometer gestern haben mir schon gereicht. Ich habe auch etwas Kopfschmerzen, das könnte aber auch vom Wein kommen, den wir gestern Abend getrunken haben zu den Muscheln. Hätte wohl noch etwas mehr Wasser runterschütten sollen vor dem Ausgang. Um neun erreichen wir jedenfalls den Wanderparkplatz und ich laufe los. Mein Rucksack ist sehr schwer und unhandlich, da ich nicht alles essen im Hauptfach unterbringen konnte. Und die Sandmücken sind auch schon da. Also laufen, nur das hilft gegen die Biester. Der Weg führt heute hauptsächlich dem emeraldgrünen Pelorus River entlang. Mal direkt am Wasser, mal hoch über den Felswänden, und meistens im kühlen Wald. Viele alte Rimubäume stehen hier noch, und auch viel Moos und Farne. Der Weg ist trocken, aber dennoch anstrengend, denn es geht auf und ab, in kurzen, steilen Stiegen, auch ein bisschen Kraxeln ist angesagt (Baumstämme und steile Felsstufen). Am Mittag erreiche ich die erste Hütte und beschliesse, hier kurz zu baden, weil gerade niemand da ist. Zack, raus aus den Klamotten und ins kalte Wasser. Brrr! Aber es ist heiss in der Sonne, da geht's zum Glück mit dem kalten, aber schön klaren, grünen Wasser. Doch schon haben mich die Sandmücken entdeckt und schwärmen mir ums Gesicht. Ein paar atme ich versehentlich ein beim Versuch, sie zu vertreiben. Schnell raus, in Rekordzeit wieder anziehen und Mückenschutz aufsprayen! Natürlich schaffe ich es nicht ganz, ein paar Stiche krieg ich ab. Aber war's dennoch wert. Noch zwei Stunden ist es nun zu meiner heutigen Etappenhütte, über mehrere tolle Hängebrücken. Dort bin ich die erste und kann mir mein Bett aussuchen. Die rote Middy Hut liegt malerisch am Fluss auf einer Lichtung im Wald. Drinnen ist es leider affig heiss, denn die Hütte ist aus Wellblech und lüften lässt es sich schlecht, ohne dass tausend Sandmücken und Moskitos reinkommen. Gegen Abend wird sie sicher abkühlen. Ich gehe auch mal schwimmen, bevor alles voller Wanderer wimmelt. Tatsächlich tauchen bald nachdem ich meine langärmligen Sachen angezogen habe, die ersten Jungs auf. Die entscheiden sich ziemlich schnell fürs Zelt angesichts des Brutkasten. Später kommt auch noch ein französisches Paar. Die Hütte hat nur sechs Betten, aber weil drei freiwillig zelten, ist es gar nicht so eng wie befürchtet. Ich bin sehr zufrieden mit dem ersten Tag in den Richmonds. Zweimal gebadet! 🤩

Havelock - Middy Hut, 15 km (+35 km Hiker Taxi)

 

Tag 56

Die heutige Etappe geht gleich mit einem Kracher los mit einer wackeligen Hängebrücke und einem dreistündigen Anstieg durch den Wald. Zum Glück ist es noch nicht so warm. Der Bergwald ist auch heute wieder sehr schön, und die Vögel äusserst zutraulich, so kann ich sogar einige mit dem Handy fotografieren. Die Zikaden singen wieder richtig laut hier, bald übertönen sie den Fluss. Bei der ersten Hütte hat es endlich ein bisschen Aussicht, die ich während meinem zweiten Frühstück geniesse. Danach wird es anstrengend, denn der Weg führt über Stock und Stein, durch Matsch (zum Glück nur 1/5 auf der Raetea Skala) und über viele umgestürzte Bäume. Eigentlich gehe ich auf einem Bergrücken, aber es geht andauernd auf und ab, und nun wird es auch warm. Dafür sind die Vögel einfach herzig, sie posieren richtiggehend. Der Fantail macht das immer, allerdings nie lange genug zum fotografieren, aber hier hält er mal ein paar Sekunden still, und die anderen Piepmätze (deren Namen ich nicht weiss) machen es ihm nach. Schön! Das verkürzt die Zeit. Plötzlich komme ich aus dem Wald und habe mal für ein paar Minuten Aussicht und sogar Handynetz. Man sieht bis ans Meer runter nach Nelson. Auf der anderen Seite sehe ich die Berge, die ich in der nächsten Woche überqueren werde. Doch dann verschluckt mich der Wald wieder und es geht steil bergab zur Browning Hütte. Hier ist erst ein Wanderer, Nash. Die anderen von letzter Nacht sind alle noch eine Hütte weiter, sprich: die nächste Hütte ist bestimmt voll, also bleibe ich hier. Ist ja auch schon halb fünf. Schnell hüpfe ich noch in den Bach - eiskalt, aber erfrischend. Und bald ist eh fertig mit Baden, wenn wir auf den Bergen oben schlafen. Das wird dann schön müffelig in den Hütten... 🫣. Später taucht noch ein ganzer Schuppel Wanderer auf, doch die meisten zelten. So sind wir nur zu fünft in einer 8-Betten Hütte, mit sehr bequemen Matratzen. Die neuseeländischen Navy-Guys feuern draussen, vielleicht hilft es ja gegen die Sandmücken? Die waren sehr zurückhaltend bis zur Dämmerung, aber jetzt ist es wieder eine Plage. Wer hat diese Biester erfunden? Sie taugen zu nichts, ausser einem den Abend versauen... Ich stelle mich mal ein bisschen in den Rauch vom Feuer. Müffel ahoi! 😂

Middy Hut - Browning hut, 17 km

 

Tag 57

Heute schaffe ich es um halb acht aus der Hütte, Fortschritt! Zunächst steil bergab, erreiche ich schon bald die Hacket Hütte. Danach führt der Weg direkt am Hacket Creek entlang, Acht mal muss ich den Fluss überqueren, und zwar ohne Brücken. Wir sind jetzt nämlich auf einem Alpine Track, da gibt's die wohl nicht mehr so oft. Meistens hat es grosse, manchmal auch nur kleine Felsen, um trockenen Fusses rüber zu kommen. Aber der Fluss hat ordentlich Zug, abrutschen könnte also dumm laufen und mit einem eisigen Vollbad enden. Lieber konzentriert von Stein zu Stein hüpfen. Fünfmal geht es gut, beim sechsten mal würden die Kletterer sagen: Zwergentod beim vorletzten Haken. Hier heisst es, der Zwerg geht halt baden. Beziehungsweise der rechte Schuh vom Zwerg. Bei der letzten Überquerung atme ich dann auch einen Schritt zu früh auf und rutsche - Murphys Law - mit dem linken Schuh ins Wasser beim letzten Hopser. Tja. Ich habe das Gefühl von nassen Füssen schon fast etwas vermisst. Dafür gönne ich mir halt jetzt schon das zweite Frühstück, während die Socken in der Sonne dampfen. Danach kommt ein endlos langer und teilweise sehr steiler Aufstieg zur Starveall Hütte. Der gesamte Aufstieg ist noch im Wald, es hat nur wenig Aussicht. Bei der Starveall Hütte öffnet sich endlich der Blick, ich habe die Baumgrenze erreicht und geniesse eine tolle Aussicht auf die Berge, die wir in den nächsten Tagen überqueren werden. Nach der Mittagspause steige ich weiter auf, nun wird es wirklich alpin, ein richtiger Bergweg. Schön! Darauf habe ich mich seit einer Ewigkeit gefreut. Und der Blick bis ans Meer, fantastisch! Das tut der Motivation gut, denn es sind immer noch sehr viel Höhenmeter. Ganze 1450 insgesamt heute. Mein Rucksack ist immer noch ziemlich schwer, denn nun muss ich auch noch genug Wasser mitschleppen. Für die nächsten paar Tage gibt's nur bei den Hütten Wasser aus der Regentonne. Gegen halb sechs erreiche ich die Slaty Hütte, erschöpft aber hocherfreut. Heute bin ich weiter gekommen als erhofft. Und es bleibt auch noch genug Zeit, mit allen ein bisschen zu schwatzen. Wir sind nur zu sechst, drei Franzosen und ein deutsches Paar, später taucht noch ein junger Deutscher auf, der seine Hängematte draussen aufhängt (die Hütte hat nur 6 Betten). Die Leute kenne ich noch nicht, sie sind aber sehr sympathisch alle. Ich hoffe, ich kann noch eine Weile mit dieser Truppe wandern. Morgen stehen dann richtige Berge an. Frühe Tagwache und ein langer Tag!

Browning Hut - Slaty Hut, 16 km

 

Tag 58

Heute steht eine der Königsetappen des Te Araroa an. Drei Gipfel überqueren wir auf einer langen Gratwanderung: den Old Man, Little Rintoul und Mount Rintoul. Für Alpen-Wanderer fühlen sie sich nicht sehr hoch an, der Rintoul ist mit 1730m der höchste Gipfel hier. Aber in Neuseeland fühlt sich alles über 1000 Meter schon ziemlich alpin an, und bei 1500m schon fast hochalpin. Jedenfalls starten wir alle sechs extra früh um sieben Uhr auf unsere auf 10 Stunden Wanderung. Das Morgenlicht ist richtig intensiv, und nach wenigen Minuten stehen wir auf dem breiten Grat, dem wir bis heute Abend folgen. Die 360 Grad Rundumsicht entlockt allen ein "Wow!", die Berge schimmern bläulich über dem leichten Morgennebel. Mit vielen Fotopausen laufen wir los in Richtung Old Man. Die Aussicht ist einfach der Hammer. Bis zur Nordinsel kann man sehen, und nach Süden alle Berge, die wir in den nächsten Wochen überqueren werden. Die ganz hohen, verschneiten Gipfel der Südalpen, wie etwa der Aoraki (Mount Cook), sind jedoch noch nicht sichtbar. Heute schaffe ich es also endlich mal auf den Altmann, hehe 😉. Daheim musste ich ja schon 2x auf den letzten Metern umdrehen, weil ich mich nicht traute. Dieser Old Man hier ist zwar steil und ein bisschen weglos, aber problemlos begehbar. Muss natürlich gleich eine Nachricht mit Beweisfoto in die Alpstein Wandergruppe schicken 😉. Auf dem Abstieg wird der Grat dann plötzlich doch noch ein bisschen haarig. Daheim fände ich das spannend zu gehen, hier mit dem schweren Rucksack wird natürlich gleich noch ein bisschen mehr Adrenalin ausgeschüttet. Denn leider haben wir heute keine Wasserquelle unterwegs, ausser wir steigen in der Hälfte der Etappe noch 30 Minuten steil ab und 40 wieder auf, um bei einer Hütte die Flaschen zu füllen. Bei einer 10 Stunden Etappe will keiner noch eine extra Runde drehen, also schleppen wir alle 3 Liter Wasser mit. Seufz. Jetzt, wo der schwere Futtersack endlich ein bisschen leichter wird... Apropos futtern. Ich lasse die anderen Wanderer ziehen und nehme mein zweites Frühstück zu mir. So ein Hobbit muss ja regelmässig essen. Was bin ich froh, eine schwere Gurke mitgeschleppt zu haben. Sie ist wirklich Gold wert bei all dem trockenen Zeugs, das ich in mich rein stopfe. Täglich gibt's Wrap mit Käse, Erdnussbutter, Trockenfrüchten und Nüssen. Und ein Biss von der magischen Gurke. Heute ist das Wetter einfach nur top, stahlblauer Himmel. Die Sonne verbrennt mich natürlich schön, auch wenn ich mehrfach Sonnencreme auftrage. Gegen Mittag erreiche ich den Little Rintoul. Auf einem endlos steilen Anstieg durch Wald, dann groben Schotter und scharfkantigen Steinen geht's hinauf zum Gipfelgrat des Little Rintoul. Dort ist wieder ein bisschen Handeinsatz und Schwindelfreiheit gefragt, aber ich finde ein schönes Plätzchen für das Zmittag (nochmals denselben Wrap). Der Abstieg ist dann das pure Grauen, eine senkrechte Rutschpartie im losen Fels. Fenetre d'Arpette lässt grüssen. Diesmal glücklicherweise ohne Sturz, aber auch hier ist einfach alles nur eine Zitterpartie von der weniger lustigen Art. Eine Stunde lang quäle ich mich auf den Sattel runter, bis es endlich wieder bergauf geht. Ja, ich, die normalerweise bergauflaufen hasst, bin richtig froh, dass es wieder bergauf geht. Der Aufstieg zum grossen Rintoul ist nämlich einfach, halt auch wieder huere steil. Der Schweiss strömt, doch der Wind verdunstet alles, auch mein Trinkwasser geht langsam zur Neige. Endlich oben! Was für ein Ausblick. Noch einmal geniesse ich den Blick aufs Meer, bevor ich mich an den letzten Abstieg des Tages mache. Dieser macht viel mehr Spass, denn der Weg besteht aus feinem Kies, auf dem man super runtersurfen kann. Nur die letzten paar Höhenmeter im Wald sind dann noch mal megasteil und bringen die Knie zum schlottern. Unten bei der Hütte sind alle schon am dehnen, und es ist dermassen sonnig und warm, dass ich heute mein Zelt aufstelle. Die Hütte ist schon ziemlich voll. Puh was für ein anstrengender und schöner Tag. So schöne Berge, und Blumen! Ausserdem haben wir nun die Hälfte der Richmonds geschafft. 🤩

Slaty Hut - Rintoul Hut, 15 km

 

Tag 59

Puh was bin ich fertig. Heute war irgendwie anstrengender als gestern, denn der grösste Teil des Weges verlief im Wald. Nur am Morgen war Abwechslung dabei. Der Wanderweg steigt steil auf zum Purple Top und bietet nochmals Aussicht aufs Meer und auf den Rintoul. Dann sinken wir ab in den Wald und bleiben dort für den Rest des Tages. Ab und zu gibt's noch eine Aussicht auf einem Grat, aber grösstenteils starre ich heute auf Bäume und Wurzeln. Viele von ihnen sind schwarz verklebt vom Nektar eines Insekts, welches wiederum Millionen von Wespen anzieht. Es sieht aus wie Schimmel. Die Wespen stören mich nicht, denn sie interessieren sich kaum für Wanderer, aber es ist ein konstantes Summen um einem herum, und der Wald ist äusserst trocken und wirkt teilweise fast tot von dem vielen schwarzen Zeug. Und mein Weg, der eigentlich vom Purple Top nur bergab führen sollte zum Wairoa River, hat so viele lästige, steile und unnötige Gegenstiege, dass ich irgendwann ganz entnervt bin. Auch der "Bergsee" entpuppt sich als flacher Tümpel im Wald, nicht wirklich einladend. Ich bade trotzdem, weil es so heiss ist und ich eh stinke, aber so wirklich befriedigend ist erst das Bad am Abend im eiskalten Fluss. Als ich endlich die Hütte erreiche, bin ich ziemlich kaputt und frustriert, trotz schönem, blauem Pool im Wairoa River. Es wimmelt von Sandmücken, Wespen und Hummeln bei der Hütte, und das gemütliche Chillen wird zum wilden Um-sich-schlagen. Drinnen in der Hütte ist es sehr warm und eng, aber leider auch einiges gemütlicher als draussen. In der Hütte tönt's als würde es regnen, aber das sind all die Insekten, die gegen das Fenster "tröpfeln". Naja. Kann ja nicht jeder Tag ein Hit sein... Immerhin ist das Wetter immer noch super, und erst am Samstag kommt der grosse Regen.

Rintoul hut - Mid Wairoa hut, 17 km

 

Tag 60

Der heutige Tag beginnt mit einer richtigen Ohrfeige. Während ich gerade mit den Französinnen die Hütte putze, kommt plötzlich die ältere Dame, die mit ihrer Freundin vor der Hütte gezeltet hat, völlig aufgebracht zur Hütte gestapft. In der Hand hält sie Eierschalen, die sie uns wütend unter die Nase hält. "Wer von euch war das? Die lagen unten am Fluss heute morgen. Was soll das?" Wir schauen uns alle ratlos an, denn niemand von uns hat Eier dabei. "Das ist nicht von uns", beginnt Loulou, doch die Frau dreht jetzt vollkommen durch. Mit Schwung schmeisst sie uns die Eierschalen vor die Nase und empört sich immer mehr. Sauerei sei das, sie wisse dass wir das waren, sie hasst Wanderer, die Abfall rumliegen lassen, ob wir denn gar keine Ahnung hätten, dass das die Mäuse anziehe ... Irgendwann unterbreche ich sie, weil mir auch langsam der Blutdruck steigt. Was das soll mit dieser haltlosen Anschuldigung, dass wir immer unsere Abfälle, und auch die von Fremden mit einpacken, sogar wenn wir sie 10 Tage mittragen müssen. Dass sie mir die blöden Eierschalen geben soll, ich werde sie mitnehmen zusammen mit den anderen Abfällen, die in der Hütte "liegen geblieben" sind. Die Dame wird jetzt ein bisschen rot und will mir die Eierschalen dann doch nicht geben. Vermutlich denkt sie immer noch, dass wir es waren, denn sie pfuttert noch leise vor sich hin. Ich knalle ihr die Türe vor der Nase zu. Die Französinnen sind total geschockt ob dieser Attacke aus dem Nichts, und ich zittere vor Wut. "Warum macht die das mit uns?", fragt Marie. Gute Frage. Marie vermutet, weil sie so jung sind. Offenbar hat die Dame nicht mit Widerstand gerechnet. Vielleicht hat sie auch mein Alter verschätzt? Oder weil wir Frauen sind, und man uns leichter anschreien kann? Aber vielleicht ist es einfach, weil wir Ausländer sind, und daher logischerweise die Wurzel allen Übels, wie überall. Oder sie hat ein bisschen den Hass auf Te Araroa Wanderer, warum auch immer, und wollte Dampf ablassen. Jedenfalls dauert es eine Weile, bis ich mich beruhigt habe und die dumme Trulla abmarschiert ist. Die anderen sind auch schon eine Weile weg. Als ich um acht Uhr aufbreche, bin ich wieder mit Abstand die Letzte. Der erste Abschnitt ist eine fünfstündige Flusswanderung entlang des Wairoa River. Der Weg ist eher ein Geissenpfad, schmal und ausgesetzt klebt er mal rechts, mal links über den Felswänden der Schlucht. Unten bildet der Fluss tiefblaue Pools, verlockend zum reinspringen. Aber noch ist es zu früh zum Baden, Konzentration ist gefragt, denn Ausrutschen gilt nicht. Bald packe ich die Stöcke weg, da ich meine Hände brauche zum festhalten. Regelmässig muss ich durch den Fluss waten, die Füsse bleiben nicht lange trocken. Aber trotz aller Schwierigkeit liebe ich diesen Weg, was gibt es besseres an einem heissen Sommertag als eine kühle Flusswanderung. Gegen eins erreiche ich die leuchtorange Top Wairoa Hut. Dort haben Mitarbeiter des DOC, die gestern per Helikopter reinkamen, frische Früchte und eine Gurke deponiert. Ich schnappe mir gleich gierig zwei Pflaumen. Wow, wie gut das schmeckt! Ich geniesse jeden Biss der saftigen Früchte. Danach kämpfe ich mich weitere zwei Stunden an der prallen Sonne den Berg hoch zu einem namenlosen Pass. Die Landschaft hat sich nach der Hütte schlagartig verändert. Über der Baumgrenze stehe ich in einer von rotem Fels geprägten Landschaft, die stark an Mexiko oder Andalusien erinnert, und gar nicht neuseeländisch wirkt. Der Weg führt über rostrote Steinplatten durch trockene, gelbbraune Tussock-Wiesen. Eine schöne Landschaft! Auf dem Pass weht ein starker Wind und in der Ferne kann ich schon die Hütte sehen. Doch der Te Araroa macht noch einen riesigen Bogen, nimmt noch einen ordentlichen Berg und weiteren Pass mit. Wieso können wir nicht wenigstens einmal direkt absteigen, frage ich mich. Aber dafür hat es auf dem zweiten Pass noch Handynetz, also schnell ein Zimmer und Abendessen gebucht für Samstag in St. Arnaud. Yes! Pizza und Bier in greifbarer Nähe. Danach mache ich mich an den langen Abstieg. Mittlerweile ist es schon ziemlich spät und ich bin müde. Zweimal rutsche ich im feinen, roten Sand im steilen Abstieg aus und lande mit Wucht auf dem Arsch. Aua. Zum Glück federt der Rucksack das Steissbein ab. Die Hütte scheint noch ewig weit weg. Endlich komme ich an den oberen Arm des Motueka River und sehe ein super Pool, tiefblau, zum abkühlen. Wenige Meter danach dann ein flacher sandiger Zeltplatz. Ich brauche keine Sekunde für die Entscheidung. Schnell steht das Zelt und ich hüpfe ins Wasser. Ah, herrlich! Dieser Fluss ist gar nicht so eisig, einfach schön kühl. Natürlich hat es auch hier die Spassverderber Sandmücken, also sitze ich im Regenzeug vor meinem Zelt und koche meine Käsenudeln. Mittlerweile ist es schon fast acht Uhr, trotzdem kommen noch mehr als ein halbes Dutzend Wanderer vorbei. Ich bin ganz verdattert, aus welchem Loch die alle kommen um die Zeit, denn in den letzten Tagen war ich immer die letzte. Jedenfalls wird es in der Hunter Hütte sehr voll, bin ich froh um mein lauschiges Zeltplätzchen... Heute nehme ich mir Zeit, den tollen Sonnenuntergang zu bestaunen, sonst bin ich um die Zeit schon am schlafen. Superschöne Stimmung! Und während ich den Blog schreibe, kommen die Sterne raus. Ich schlafe mit Blick auf die Milchstrasse durchs Moskitonetz meines Zeltes ein. 

Mid Wairoa Hut - Motueka River, 17 km

 

Tag 61

Am Morgen beginnt es zu tröpfeln, natürlich bevor ich parat bin und das Zelt trocken eingepackt habe. Naja, dann kann ich auch gleich sitzen bleiben und in Ruhe Kaffee trinken. Eigentlich sollte ich los, aber es ist so gemütlich im Zelt und ich habe so schön lange geschlafen, weil keiner schnarcht oder Lärm macht im Morgengrauen. Heute sind es wieder zehn Stunden. Eigentlich habe ich keine Lust auf die riesige Etappe, aber morgen kommt der Regen und wird möglicherweise die vielen Flüsse, die ich heute durchwaten soll, unpassierbar machen. Ich habe zwar noch genug zu essen dabei, aber einen Tag vor der Zivilisation (Dusche! Pizza! Bier!) in einer Hütte feststecken, möglicherweise zwei lange Tage, das tönt eher 💩 😮‍💨. Also quäle ich mich über die Berge. Auf und ab im lichten Wald geht der Weg heute, durch hübschen, aber rutschigen rot-grau-violetten Sand, tief hinab und steil wieder hinaus aus Flusstälern, welche die Natur gegraben und mir in den Weg gelegt hat. Bei der leuchtorangen Porters Hütte mache ich Mittagspause. Danach zieht es sich wie Kaugummi. Endlich, gegen sechs Uhr abends, überquere ich den letzten, heiklen Fluss, der heute Nacht oder morgen im Verlauf des Tages dermassen anschwellen könnte, dass man nicht mehr drüber kommt. Leider geht's auf der anderen Seite so steil bergauf, dass an zelten nicht zu denken ist. Erst gegen acht Uhr abends erreiche ich die Red Hills Hut. Die Hütte steht mitten in einem Hochmoor, lustigerweise hat sie kein Wasser. Aber ich finde ein Rinnsal für meine Wasserflasche und einen trockenen Fleck für mein Zelt. Nebelschwaden wabern um die Hütte. Es ist die letzte Nacht in der Richmond Range, und ich geniesse nochmals die Stille.

Motueka River - Red hills hut, 21 km

 

Tag 62

Ich erwache vom leichten Nieselregen und dem Geklapper der anderen Wanderer aus der Hütte, doch ich drehe mich einfach nochmals um. Heute muss ich nur noch 2 Stunden wandern bis zur Strasse, also kann ich ausschlafen und mir Zeit lassen. Erst gegen zehn Uhr breche ich auf. Ich folge nicht dem offiziellen Te Araroa, sondern einer Abkürzung auf einem ATV Track, den gefühlt 90% aller Wanderer benutzen. Er führt zur Abwechslung direkt, einfach und mit hübscher Aussicht ins Tal. Gebongt. Unten angekommen, beschwatze ich rasch einen jungen Wanderer, dass es leichter sei zu stöppeln, wenn er eine mittelalterliche Dame dabei hat. Der verdatterte junge Mann leistet keinen Widerstand und so strecke ich den Daumen raus. Zwar herrscht wenig Verkehr, aber das dritte Auto hält und kurz nach Mittag bin ich im Paradies, mit anderen Worten: St Arnaud, ein Kaff mit einer Tankstelle, Mini-Laden und einer Lodge. Hier versammelt sich die gesammelte Te Araroa Wandererschar zwischen den anstrengenden Richmond Ranges und dem nicht weniger anspruchsvollen Nelson Lakes Abschnitt des Te Araroa. Südlich von hier geht's schon wieder etwa 8 Tage durch die Wildnis. Aber erst mal zwei Nächte Pause. Ich lechze nach einem Bier, einer Dusche und irgendwas mit Gemüse. In der Reihenfolge. Alles geht in Erfüllung, sogar meine Kleider werden noch sauber vor dem Znacht. Ich treffe mich mit Lukas, Vanessa, Marie, Loulou und Nico zum Aperitif und Pizza essen. Mjam. Danach falle ich nur noch ins Bett. 😴🛌🏻

Red hills hut - St. Arnaud, 9 km (+12 km hitch)

 

Tag 63 

Ruhetag in St. Arnaud. 

Gestern habe ich nicht viel gemacht ausser fein essen und trinken. Und natürlich tausend Dinge (Haushaltskram) erledigen... Zelt flicken, Stöcke flicken, die Free-Food-Box im Hostel räubern, und dann noch an der Tankstelle einkaufen, was fehlt. Schlussendlich war der Tag wieder gut gefüllt. Heute geht's weiter nach Süden, in den Nelson Lakes Nationalpark. Handynetz ist definitiv wieder dürftig, also keine Sorge wenn sich nichts tut auf dem Polarsteps für ein paar Tage. Bis nächstes Wochenende sollte ich wieder in der Zivilisation sein, wenn das Wetter mitspielt.

 

 

 

 

 

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