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Über den Wolken am Waiau Pass

 



 

27.1.-2.2., Nelson Lakes Nationalpark 

Tag 64

Heute morgen geniesse ich noch mal mein Zimmer, eine heisse Dusche, und ein leckeres Frühstück in der Lodge. Draussen regnet es immer noch, aber während ich meinen Kram zusammenpacke und den wieder mal prall gefüllten Rucksack auf den Rücken schwinge (Hilfe, ist der wieder schwer...), kommt endlich die Sonne raus. Es geht ein eisiger Wind draussen, gar nicht so sommerlich. Nach wenigen Minuten erreiche ich den Lake Roititi und geniesse die volle Aussicht auf die Route von heute. Die ersten drei Stunden geht's dem See entlang, danach das Tal hoch in Richtung Mount Travers. Morgen überquere ich dann den Travers Saddle, aber heute geht's gemütlich und ziemlich flach los. Erst nach ein paar Stunden wellt der Weg etwas, und ein paar Hängebrücken machen es noch recht spannend. Mittlerweile ist mir warm und die Sonne scheint richtig. Trotzdem reicht's mir nach 20 km und ich finde eine schöne Wiese am Upper Travers River für mein Zelt. Am ersten Tag ist der Rucksack immer so schwer, da muss ich abends erst mal ordentlich futtern, damit das Gewicht erträglich wird. Heute gibts koreanische Ramen Nudeln mit Thai-Style-Thunfisch, Erbsen und Miso-Suppenpaste. Einmal quer durch Fernost, sozusagen 😜. Morgen über den Pass muss ich jetzt jedenfalls schon ein halbes Kilo weniger schleppen 🤗🤤. Ich schlafe schon fast, als es vor dem Zelt raschelt. Dann ist es wieder ganz still. Ich öffne ein müdes Auge. Meine Mülltüte ist unter dem Zelt raus gerutscht und der Windschutz umgefallen. Der Wind, denke ich, zupfe alles wieder unters Vorzelt, beschwere alles mit dem Kocher und schlafe weiter. Gefühlt 30 Sekunden später schon wieder. Ich öffne jetzt beide Augen. Der Kocher liegt auf der Seite und ich sehe gerade noch, wie Mülltüte und Windschutz wie von Geisterhand aus dem Zelt wandern. "Hey!" brülle ich. "Kraaaa!" zetert es draussen und ein paar kräftige Krallen rennen davon. Ein Weka! Frecher Siech. Ich habe keine mehr gesehen seit dem Queen Charlotte Track und dachte die gibt's nur an der Küste. Offenbar nicht, und diebisch sind sie hier auch. Glücklicherweise lässt das Weka alles fallen vor Schreck und ich sichere meine Sachen besser, bevor ich endlich einschlafe. 

St. Arnaud - Travers River, 21 km

 

 

Tag 65

Ich schlafe super an meinem schönen Zeltplatz. Morgens erwache ich sehr früh, es ist noch fast dunkel. Leider hängen auch die Wolken tief und während ich frühstücke, beginnt es zu nieseln. Es hört zum Glück auf, bevor ich aufbreche, aber das Zelt ist halt nass, doof. Schon nach wenigen Minuten erreiche ich Kilometer 2000 auf dem Te Araroa. Natürlich bin ich nicht so weit gelaufen, aber es ist dennoch ein wichtiger Meilenstein: nun sind es nur noch 1000 Kilometer bis nach Bluff. Und ich habe noch ziemlich genau 2 Monate Zeit dafür, das sollte reichen. Bald bin ich bei der ersten Hütte, nun geht's langsam bergauf. Tiefe Schluchten und Wasserfälle sind die Abwechslung vom immer steiler werdenden Waldweg. Erst bei der Upper Travers Hütte komme ich an die Baumgrenze und habe endlich Aussicht. Die Bergwiesen sind zwar anders als bei uns, doch irgendwie trotzdem vertraut. Es hat plötzlich Blumen überall, und es fehlen nur noch die Murmeltiere, dann wär's fast wie daheim. Der Weg wird noch steiler, mein Rucksack drückt immer noch sehr schwer. Warum nur muss ich immer viel zu viel Futter mitschleppen? Denn es ist eindeutig der Foodbeutel, der eine Tonne wiegt, der Rest wäre nicht so schwer. Seufz. Mit Ach und Krach quäle ich mich auf den Travers Saddle. Es sind immerhin über 1000 Höhenmeter. Oben ist jedoch alle Anstrengung vergessen, die Aussicht ist top und die Sonne strahlt jetzt vom Himmel. Fotosession! Grace und ich fotografieren uns gegenseitig, dann suchen wir das Handynetz, welches es hier irgendwo gibt. Bingo, zwei Balken Funknetz! Schnell den Wetterbericht runterladen (es sieht leider nicht gut aus ab morgen) und diesen Blog hier aktualisieren, dem Schatz ein Smiley schicken und weiter geht's. Tausend Meter Abstieg, direttissima, wir sind ja in Neuseeland, wie könnte es anders sein. Meine Knie jaulen bald, und auch die Arme zittern, denn ich arbeite viel mit den Stöcken, um nicht den Berg runter zu purzeln. Endlich bin ich unten, und nun geht's nur noch eineinhalb Stunden auf und ab bis zur nächsten Hütte. Die West Sabine Hut ist voll belegt und die Zeltplätze schon gut besetzt, aber ich finde noch einen schönen Platz am Fluss, wo die Sandmücken schon gierig auf mich warten. Was freuen sie sich über meinen blutten Hintern, als ich mich im Rekordtempo im Fluss wasche. Puh! Anstrengend, diese Berge. Aber schön sind sie! Spät abends treffen noch ein paar müde Wanderer ein, die einen Abstecher über die Angelus Ridge gemacht haben, einer Variante mit noch besserer Aussicht. Sie schwärmen und ich bin ein bisschen neidisch... Eine davon ist Katie, mit der ich ein paar Tage in den Tararuas gewandert bin. Schön, wieder mal ein vertrautes Gesicht zu sehen.

Travers River - West Sabine Hut, 20 km

 

 

Tag 66

Als ich nachts aufstehen muss, um zu pinkeln, werde ich mit einem Wahnsinns Sternenhimmel belohnt. Doch leider ziehen im Morgengrauen die Wolken zu und es ist grau. Heute soll es ziemlich stark regnen, aber mit etwas Glück erst am Nachmittag. Ich möchte bis dann eigentlich schon über dem Waiau Pass sein. Doch erst mal muss ich drei Stunden hoch bis zur Blue Lake Hütte, das sind auch schon anstrengende 600 Höhenmeter. Der Weg führt dem wilden Sabine River entlang, welcher offenbar bei einigen Unwettern in den letzten Jahren kräftig gewütet hat. Tote Baumstämme liegen kreuz und quer, riesige Schuttmassen blockieren das Tal. So führt der Wanderweg in einem überaus anstrengenden Fitnessparcour auf und ab, immer steil 30 Meter hoch, dann wieder runter. Bald schwitze ich, obwohl es kühl ist. Riesige, moosige Boulder blockieren das Tal, es ist fast wie im Magic Wood. Ein zutraulicher Robin (Schwarzkehlchen?) belagert den Wanderweg und will mir was erzählen. Ein magischer Weg. Doch nun beginnt es zu nieseln, erst kaum der Rede wert, dann immer heftiger. Bald brauche ich alle Regenkleider und werde trotzdem nass, denn das klarschnasse hohe Gras und Gebüsch am Weg drückt das Regenwasser wie eine Autowaschanlage durch die Goretexkleider, die keine Chance hat gegen diese "Bürsten". Die Wolken hängen so tief, man sieht kaum mehr etwas. Endlich erreiche ich die Blue Lake Hütte. Der berühmte Blue Lake wirkt eher grün heute, und die Hütte ist schon gut gefüllt. Ich treffe Vanessa und Lukas wieder, und ein paar andere bekannte Gesichter aus St Arnaud. Die meisten sind seit gestern hier und machen einen Ruhetag wegen dem Regen. Allerdings muss man diese Hütte buchen und Aufschlag bezahlen, denn sie liegt auf dem ebenfalls sehr beliebten Travers-Sabine-Circuit. Daher waren auch die letzten beiden Hütten so voll. Keiner der Wanderer hier hat gebucht, und wenn die von der letzten Hütte noch alle auftauchen, wird es eng. Und vermutlich gibt's dann Dramen heute, da keiner draussen im Zelt schlafen will. Das muss ich nicht haben, auch wenn es gemütlich ist mit dem Feuer im Ofen. Daher esse ich nur schnell ein paar Wraps bevor ich weiterlaufe, ganz optimistisch, dass der Regen, der eigentlich erst am Abend kommen sollte, dafür dann ausfällt. Doch es kommt nicht nach meinem Wunschdenken. Im dichten Nebel und Regen von der Seite steige ich auf zum Lake Constance und balanciere auf einem schmalen Pfad hoch über dem See. Auch dieser See wäre schön blau, doch ich sehe ihn kaum, geschweige denn seine Farbe. Hinter dem See geht's dann richtig los auf den Anstieg zum Pass. Mittlerweile ist es halb drei, ich bin völlig durchnässt. Ich steige ein paar Meter auf, doch der Weg ist so steil und die klarschnasse Regenhose klebt mir bei jedem Schritt an den Beinen. Nein, das ist mir echt zu blöd. Ich gehe zurück zur letzten flachen Wiese und stelle dort mein Zelt auf. Netterweise hat hier schon jemand eine kleine Schutzmauer gegen den Wind gebaut, ich bin nicht die erste, die hier lagert. Es dauert eine halbe Stunde, bis ich endlich trocken im Zelt drin sitze, die klatschnassen Sachen tropfen im Vorzelt alles voll. Das wird ekelhaft morgen, wenn ich das wieder anziehen muss 🫣. Keine Chance, hier was trocken zu kriegen, aber zum Glück sind mein Schlafsack und meine warmen Schlafklamotten wasserdicht verpackt. So sitze ich um halb vier halt schon im Pijama im Bett und lese endlich, endlich den Thriller fertig, den ich schon dreimal in der Onleihe neu ausleihen musste. Egal wie spannend das Buch ist, meistens bin ich abends so müde, dass mir mitten in einer Verfolgungsjagd die Augen zufallen. Über den GPS Notfallsender hole ich mir den aktuellsten Wetterbericht. Immerhin, in der Nacht soll es aufhören und morgen scheint die Sonne wieder. So geniesse ich den Regennachmittag im Zelt, auch mal schön.

West Sabine Hut - Lake Constance, 13 km

 

 

Tag 67

Es regnet die ganze Nacht und auch am Morgen noch. Der Garmin-Wettermann ist wohl auch ein Optimist. Ich schlürfe meinen Kaffee gaaanz langsam, um den Aufbruch hinauszuzögern. Dicker Nebel hängt um mein Zelt. Endlich hört es auf zu regnen und ich breche das klitschnasse Zelt ab. Die ersten Wanderer von der Blue Lake Hütte laufen schon an mir vorbei. Endlich habe ich meine grausig nassen Sachen angezogen oder verpackt. Es geht steil bergauf, quasi senkrecht eine Grasnarbe zwischen losem Schotter noch. Manchmal zickzackt der Weg ein bisschen in den losen Schotter hinein, bevor er wieder zurück zur lehmigen, rutschigen Grasnarbe umkehrt. In einer solchen Kurve erlebe ich den grössten Schreck dieser Tour. Ich setze gerade den zweiten Fuss auf den Schotter, als sich der Stein unter meinem Fuss bewegt. Soweit nichts Anormales, alles ist sehr instabil hier. Aber dann höre ich ein Rieseln und Steine kullern ÜBER mir. Eine Fläche von etwa 2 Meter Länge und 1.5 Meter Breite des Schotterfelds über mir bewegt sich talwärts, genau auf mich zu, als hätte ich mit diesem einen Stein eine Lawine in Gang gesetzt. Schon ist mein erster Schuh begraben. Mit ungeahnten Kräften mache ich zwei gigantische Sätze zurück zur Grasnarbe. Hinter mir bewegt sich der Hang im Zeitlupentempo noch einen halben Meter talwärts, dann hört es auf und alles ist wieder still. Dem Himmel sei Dank, für mich und für die Wanderer hinter mir. Freaky! Auf jeden Fall bleibe ich auf der nassen rutschigen Grasnarbe, bis es nicht mehr geht. Irgendwann muss ich das Schotterfeld überqueren und laufe wie auf rohen Eiern rüber. Diesmal bewegt sich der Berg nicht mehr, Dankeschön. Es braucht trotzdem noch eine steile Stunde im Schotter "guseln" bis endlich der Pass in Sicht ist. Der Nebel lichtet sich für einen Moment, ich sehe die riesigen Schuttmassen und die anderen Wanderer unter mir, ein paar zackige Gipfel mit Schneeresten tauchen auf. Nur eine halbe Sekunde lang sieht man kurz noch den Lake Constance, aber die Sonne reicht noch nicht für ein leuchtendes Blau. Ich keuche weiter, die letzten Schritte. Der Waiau Pass ist mit 1870m der zweithöchste Punkt des Te Araroa und der schwierigste Pass. Oben überschreite ich die schmale Scharte mit einem lauten "Wow!" Denn auf der anderen Seite herrscht viel besseres Wetter - oben. Und unten glänzt ein leuchtendes Nebelmeer vom Feinsten. Was für eine Belohnung! Auch die anderen Wanderer sind ganz sprachlos. Hinter mir kommt Katie den Berg hoch und jauchzt vor Freude. Die Amerikanerin hat noch nie ein Nebelmeer gesehen. Ich versuche, mich zu erinnern, was es für ein Gefühl war, als ich es zum ersten mal sah, aber ich war noch ein Kind. Wir sitzen alle andächtig da, mampfen einen Riegel und fotografieren uns und die Aussicht. Durango (das ist wirklich sein richtiger Name) erzählt eine Sage der Klingit Indianer über das Nebelmeer. Doch dann schlägt die Stimmung um, es wird kalt und alle fürchten den Abstieg, denn es geht über Felsen hinunter und klettern ist angesagt. Das finde ich zwar weniger schlimm als den grausigen losen Schotter, bin aber zur Abwechslung mal froh, in einer Gruppe zu wandern. Die jungen Neuseeländer und Amis rennen voraus und klettern wie Geckos die Wand hinunter. Wir Frauen und Durango lassen uns ein bisschen mehr Zeit. Aber der Fels ist rauh, hat super Grip und ganz viele Griffe. Ich packe die Stöcke weg und beginne die Kletterei nach unten. Es geht eigentlich ganz gut, der Rucksack ist nicht mehr so schwer und viele Griffe sind schon trocken. Katie ist ein bisschen mulmig, dies ist ihr erster Fernwanderweg. Sie und Durango beobachten mich und klettern mir dann hinterher. Durango zeigt Katie wo sie die Füsse hinstellen soll. Ich habe das Gefühl, da bahnt sich eine Liebesgeschichte an, aber wer weiss... Der Te Araroa ist noch lang. Nach etwa 100 Meter Kletterei geht's auf einem normalen, wenn auch steilen Weg abwärts. Unter mir öffnet sich eine schöne Wiese (in der Schweiz stünde hier eine Alphütte), ein türkisblauer Wildbach fliesst hindurch. Idyllisch! Doch der Weg verlangt, dass ich diesen eisigen Wildbach mehrmals überquere, das ist weniger lustig. Weiter unten ergiesst sich der Bach in drei Wasserfällen ins Tal hinunter. Weitere Bäche fliessen dazu, alle wollen durchwatet werden. Man merkt dass wir nicht mehr auf dem touristischen Travers Sabine Circuit sind, wo es überall Brücken gab. Hier ist wieder der wilde Te Araroa, wo wir Wanderer uns selbst und unseren nassen Füssen überlassen sind. Auf einem flachen Felsen breite ich meine nassen Sachen zum Trocknen aus, während ich meinen Mittags-Wrap bastle und esse. Danach geht's weiter, entlang des Wairoa Uwha River, mal links, mal rechts. Ich gehe immer mit den Schuhen und Socken durch, denn der Bach ist mittlerweile ziemlich gross und reissend. Heute werden die Füsse wohl nicht mehr trocken vor dem Schlafengehen. Nach ein paar Stunden weitet sich das Tal, der Wildbach hat nun Platz zum Mäandern, und breitet sich mit Freude in drei, vier Zweige über die ganze Talsohle aus. Die Wegemacher haben hier einfach alle 500m einen Pfosten ins Kiesbett gerammt und jeder sucht sich seinen Weg selbst. Manchmal geht's flott voran, dann wieder ist dreimal Flussfurten angesagt. Dafür ist das Wasser jetzt nur noch knöcheltief und schon ein bisschen wärmer. Bis zur Strasse werden wir nun mehrheitlich diesem sowie noch einem anderen Fluss folgen, über 60 km lang. Heute marschiere ich noch bis um halb sieben, dann lasse ich mich erschöpft ins Gras an einem kleinen Nebenarm des Wairoa Uwha River fallen. In 0.5 Sekunden sind Millionen von Sandmücken da und umschwärmen mich. Schnell hüpfe ich ins Wasser für eine Katzenwäsche, dann sofort in die stichfesten Regenkleider, inklusive Mütze und Handschuhe. Diese Viecher sind hier einfach brutal. Doch so langsam gewöhne ich mich daran, einfach keinen Flecken Haut zu zeigen, sobald ich stillstehe, oder aber das Mückenspray schon griffbereit zu halten, wenn ich den Rucksack abstellen. Aber die Stiche sind immer noch schmerzhaft... Abends werde ich dafür mit einer schönen Abendstimmung und einem fantastischen Sternenhimmel belohnt.

Lake Constance - Waiau Uwha River, 17 km

 

 

Tag 68

Heute verschlafe ich, die ersten Wanderer kommen schon vorbei, da bin ich noch am Kaffee kochen. Bis ich endlich abmarschiere, ist es schon fast halb neun. Spät für Weitwanderer... Wobei ich das Gefühl habe, dass es vor allem die Leute in den Hütten sind, die immer früher aufbrechen, um auch bereits am frühen Nachmittag anzukommen und sich ein Bett zu sichern. Die schlafen dann abends schon um halb acht und stehen noch im Dunkeln auf. Ich habe mich ja gut daran gewöhnt, mit der Sonne aufzustehen, aber um halb acht schon schlafen, wenn es noch fast zwei Stunden hell ist, kann ich einfach nicht. Daher ist mir mittlerweile mein Zelt lieber, auch wenn das Einpacken und Aufbrechen länger dauert. Anyway, heute ist eigentlich eine sehr einfache Etappe. Nach etwa einer Stunde komme ich auf eine MTB-Route, und wir folgen ihr für den Rest des Tages. Es ist nur ein Jeeptrack im Gras, aber natürlich läuft sich das viel schneller als über Stock und Stein. Wieder muss ich etwa 20 Flüsse überqueren, viele kleine Zuflüsse, aber auch ein paar grössere. Bisher bereit mir keiner Schwierigkeit oder Angst. Allerdings ist das Wetter auch prima, entgegen der Vorhersage. Die Sonne knallt und es gibt wenig Schatten. Das Tal weitet sich noch mehr. Es ist ein bisschen wie im wilden Westen. Ich stelle mir vor wie die ersten Siedler hierher kamen und was sie wohl dachten ob diesem riesigen Weideland. Wir kommen auch an so einer Farm, einem Homestead, vorbei. Offenbar haben sie heute Pferde hier, wenn man nach dem Mist urteilen kann 😉 - sehen tue ich weder Mensch noch Tier, nur ein einsames Haus. Viele Schmetterlinge und Blumen zieren den Wegrand, und einmal finde ich sogar Stachelbeeren. Frische Vitamine, wow! Ich laufe alleine, aber die Pausen verbringe ich meistens mit anderen Leuten. Ich unterhalte mich mit Marie, einer andern Französin, die in meinem Alter ist. Wir verstehen uns prima. Später begegne ich auch Lukas und Vanessa wieder. Am Nachmittag verlassen wir den Wairoa Uwha River und folgen dem Henry River, dann dem Anne River flussaufwärts. Die meisten bleiben in der Anne Hütte, aber ich will noch ein paar Stunden wandern, damit es morgen nicht so weit zur Strasse ist. Noch 25 Kilometer! Dann bin ich am Highway und kann nach Hanmer Springs stöppeln, wo es endlich wieder etwas anderes als Couscous oder Stocki gibt (ich kann es nicht mehr sehen...). Und heisse Quellen! Heute Abend zelte ich am Anne River kurz vor dem letzten Pass dieser Etappe. Die Sandmücken sind hier auch verfressen. Oh wie freue ich mich auf Zivilisation! Ein schönes Abendrot rundet einen tollen Wandertag ab.

Waiau Uwha River - Anne River, 27 km

 

 

Tag 69 

Auch am Morgen gibt's ein schönes Farbspiel am Himmel, zwar kündigt sich ein bewölkter Tag an, aber im Moment sieht alles aus wie gemalt. Ich versuche, früh loszukommen, denn die Stadt ruft. Trotzdem holen mich Lukas und Vanessa kurz vor dem Anne Saddle ein, wo wir zwar keine Aussicht haben (der Pass ist nicht sehr hoch), dafür endlich mal ein schönes Schild zum posieren 😉. Theoretisch geht's ab hier nur noch bergab, dem Boyle River entlang, doch der Weg findet noch etwa 500 Höhenmeter auf und ab. Sehr anstrengende 27 km bis zum Boyle Outdoor Center. Der Tag zieht sich in die Länge wie Kaugummi. Ich habe überhaupt keine Lust mehr auf meine Snacks, will nur noch ankommen, aber ich habe keine Energie mehr. Irgendwann sitze ich am Wegrand, total von den Mücken zerstochen, und würge meine letzten Wraps runter. Ich könnte sie gleich wieder auskotzen, aber ich brauche die Kalorien. Zu allem Übel wähle ich mehrfach (absichtlich) den Pferdeweg statt den Wanderweg, da dieser flacher ist und nicht so schrecklich Wurzelstolperpfad, doch er führt oft in für mich unpassierbare, tiefe Stellen im Flussbett. Also wieder zurück auf den hügeligen Wanderweg. Heute habe ich überhaupt keine Lust mehr auf den Te Araroa. Ich will jetzt ein Bier, Salat und ein schönes weiches Bett. Als ich wieder einmal verzweifelt am Wegrand sitze und nach Energie ringe, holt mich Marie ein, setzt sich zu mir und packt ihr Vape aus. Sie schleppt extra ein Solarpanel mit, um die Vape-Zigi zu laden, dazu fast ein Liter Vape Flüssigkeit. Das schien mir gestern noch bescheuert, heute beneide ich sie total. Sie kann nämlich jetzt in aller Ruhe ihrer Sucht frönen, statt wie ich die letzten Gummibärchen, das einzige was ich noch essen mag, aus der Fresstüte zu kramen, die Sandmücken davon wegkratzen und sie einzeln in den Mund zu stecken. Eine Zigarette wäre jetzt echt angebracht. Zum Glück ist die andere Marie, die wirklich noch echte Zigaretten raucht, schon lange voraus. (Ja die Französinnen rauchen alle, voll Klischee...) Marie erzählt mir von ihrem spannenden Lebenslauf, ihrem Liebeskummer und ihrer Katze, während wir weiter humpeln (ja ich habe seit Monaten mal wieder eine Blase und diesmal eine richtig grosse, schmerzhafte). So vergehen die letzten drei Stunden irgendwie und um kurz nach fünf sind wir endlich, endlich am Parkplatz beim State Highway. Nun scheint auch voll die Sonne und wir haben wahnsinnig Glück. Etwa 5 Minuten müssen wir warten, in der Zeit kommen nur wenig Autos, das dritte hält an. Paula, eine sehr energische Mittfünfzigerin, nimmt uns mit. Ihr Sohn ist letztes Jahr den Te Araroa gelaufen, sie kennt unser Leid (und ist auf unseren Gestank vorbereitet). Auf der Südinsel führt der Te Araroa mitten durch die Wildnis und selten durch grössere Ortschaften. Hier in Boyle gibt zwar einen Campingplatz und angeblich auch irgendwo Pizza, aber für einen Laden, und richtige Zivilisation müssen wir fast 60 Kilometer stöppeln nach Hanmer Springs. Das ist auch kein grosser Ort, aber touristische Infrastruktur hat's hier, dank einem Thermalbad. Darauf hatte ich mich tagelang gefreut, bis ich gestern erfahren habe, dass es eher ein Familien-Spassbad ist anstatt erholsames Wellnessen. Noch ein Schlag ins Genick meiner Motivation. Doch die Fahrt ist wunderschön, und Paula macht sogar extra die 10 Kilometer Umweg nach Hanmer Springs, das nicht am State Highway liegt. Die Neuseeländer sind schon echte Schätze. Sie lässt uns direkt beim Hostel raus, wo Marie auch gleich ein Bett findet. Ich will aber ein Zimmer und die sind alle belegt. Also noch ein bisschen herumlaufen und die paar Motels mit "vacancy" Schilder abklappern. Mittlerweile bin ich bereit, ziemlich viel Geld zu bezahlen, solange es nur schnell geht. Die anderen sitzen schon lange beim Bier und schreiben im Whatsapp Chat wo wir bleiben. Endlich finde ich ein Zimmer, knalle den Rucksack rein, wasche mir schnell Gesicht und Hände, dann humple ich so schnell ich kann zum Pub. Die Franzosen sind schon bei der zweiten Flasche Wein und haben schon einen sitzen, es wird lustig. Die Deutschen mussten über eine Stunde warten zum stöppeln und waren nur wenig vor mir da, dafür sind sie geduscht. Das erste Bier verdampft im Nu, die Dinner Reservation wird noch mal verschoben, ich hole mir ein zweites Bier und die Franzosen eine neue Flasche Wein. Sie haben auch das Restaurant ausgesucht. Loulou, Nic und Marie sind extreme Food snobs - Klischee, sag ich ja, aber mit ihnen isst man gut und die Weinbestellung übernehmen sie auch. Es gibt Fleisch vom hot stone, ich gönne mir ein Stück Venison. Wenn man schon mal Wild aus Neuseeland essen kann, dann hier. Dazu gibt's Salat, Wein und viel Gelächter. Die Kreditkarte heult und ich sage ihr, sie soll bloss die Klappe halten, denn sie musste die ganze letzte Woche nicht raus aus den Tiefen meines Rucksacks. Sogar das Dessert und der Espresso sind gut. Später landen wir noch im Irish Pub, aber nun reicht's mir, ich torkle zurück in mein Motel und koche mir einen Topf Tee. Nach einem kurzen Gespräch mit Sven falle ich fast komatös ins weiche Bett. Manchmal werden Tagträume ja doch wahr... 😉

Anne River - Boyle River (- Hanmer Springs), 30 km (+ ca. 70km Autostopp) 

 

Tag 70

Ruhetag in Hanmer Springs. Ausschlafen, duschen, Wäsche waschen, einkaufen. Und natürlich essen, essen, essen....

 

 


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