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Schlammschlacht im den Wäldern Northlands

 


 

Tag 6

Raetea Summit, 744m, 16.11.2024


Frisch geduscht laufe ich morgens um acht zur Strasse vor, um die ersten 7 km Schnellstrasse zu stöppeln. Doch ich muss nicht mal den Daumen raus halten, schon hält jemand an und fragt, ob ich mit will. Royanne ist ein Trail Angel und chauffiert hier regelmässig Wanderer auf der gefährlichen Strasse, bis der Te Araroa auf eine weniger stark befahrene Landstrasse abbiegt. Sie hat auch schon Greta an Bord, eine neuseeländische Wanderin. Greta und ich laufen die nächsten paar Kilometer gemeinsam. Das ist sehr praktisch, denn Greta ist Biologin, sie kann mir jede Pflanze und jeden Vogel benennen. Natürlich krame ich sofort mein Handy raus und spiele ihr meinen Telefonvogel vor. Es ist ein Tui, klarer Fall. Den habe ich sogar schon mal gesehen. Tuis können alle möglichen Melodien singen. Wir sehen auch ein paar Eisvögel, die ich später sogar auf Kamera bannen kann, wenn auch etwas unscharf. Wunderschöne Vögel! Auch mehrere Fasane scheuchen wir auf. Und natürlich Kühe, massenhaft junge Kühe, die uns neugierig anstarren. Auch eine tote Kuh, die mitten im Feld liegt, Füsse in der Luft, sehen wir. Etwas morbide... Wir machen die erste Pause auf einem Maori-Friedhof, dann laufe ich alleine weiter. Die Strasse führt durch Felder, einzelne Höfe und Häuser, oft mit hübschen Gärten und Blumen. Gegen Mittag bin ich schon bei den Hare Krishnas, die Wanderer im Garten zelten lassen. Alle, die ich kenne, wollen heute hier schlafen und dann morgen den berüchtigten Raetea Forest in einem Tag bezwingen. Der Wald ist berühmt für seine schlammigen Wege, die offizielle Wanderzeit für die 18 km ist 9 Stunden, der Wanderführer empfiehlt 10 bis 15 Stunden. Es sind auch etwa 1000 Höhenmeter. Das ist mir zu viel für einen Tag, und ausserdem möchte ich gerne eine Nacht in diesem Wald verbringen, der mir trotz seines schlechten Rufes magisch erscheint. Mittendrin gibt es eine Möglichkeit zu zelten, und ich denke mir dass ich das noch bis am Abend schaffen kann. Also laufe ich weiter, zunächst noch harmlos auf einem Jeep Track. Man ahnt schon den feuchten Regenwald, riesige Farnbäume leuchten hellgrün am Weg. Auf dem Sattel geht's dann definitiv nur noch zu Fuss weiter, ab in den tiefen Wald. Anfangs ist der Weg gar nicht schlimm und ich geniesse die Magie des tropfenden und glänzenden Waldes. Überall hängen Lianen, die Baumstämme sind mit aller Art Moos bedeckt, und auf den grossen Bäumen wachsen viele kleine Schmarotzerpflanzen. Palmen und Farne überall. Die Vögel singen, die Zikaden zirpen. Doch bald wird es still und der Schlamm beginnt. Zunächst versuche ich, die Schuhe sauber zu halten, doch das gelingt keine 5 Minuten. Danach setze ich mir als nächstes Ziel, nicht mit dem Arsch im Matsch zu landen, doch leider muss ich auch dieses (zugegeben naive) Ziel aufgeben. Der Schlamm ist nicht umgehbar, unberechenbar und sehr, sehr rutschig. Nur mittels Wanderstöcke gelingt es mir, einigermassen die Balance zu halten. Mit der Zeit werde ich besser darin, den Schlamm zu lesen und meine Füsse nur dorthin zu setzen, wo meine Stöcke nicht knietief versinken. Doch manchmal bleibt mir keine Wahl und ich bete zum Maori- Waldgott Tane, dass er mich bitte nicht noch weiter einsinken lässt, und mir meine Schuhe nicht auszieht. Obwohl ich manchmal mit aller Kraft kämpfen muss, um meinen Fuss wieder rauszukriegen, schaffe ich es immer kurz bevor die Verzweiflungstränen kommen. So geht das stundenlang. Was die ersten 10 Minuten noch Spass gemacht hat, wird schnell zum Kampf Frau gegen Schlamm. Ich bin sicher, dieser Schlamm hat schon ganze Wanderer verschluckt. Ich bin schon ziemlich kaputt, den zu allem geht es bergauf und bergab, immer auf der Krete, über jeden Hügel zuoberst drüber. Zwischen dem Schlamm immer mal ein paar Meter schöner Waldweg, wo man ordentlich vorwärts kommt. Dennoch schaffe ich keinen Kilometer pro Stunde. Und dann rutsche ich plötzlich unkontrolliert bergab und stürze auf meinen Trekkingstock. Der steckt so tief im Schlamm, dass ich ihn nicht mehr raus kriege, bevor ich und der Rucksack mit voller Wucht auf den armen Stock knallen. Knacks, abenand. Nein! Das ist jetzt richtig doof. Ich brauche zwei Trekkingstöcke um mein Zelt aufzustellen, und mit nur einem Stock durch den Wald ist voll Mist. Ich muss ein bisschen durchatmen bis ich das Glück im Unglück erkenne. Immerhin hab ich mir nichts gebrochen. Nun geht's halt noch langsamer vorwärts. Stunden später, es ist halb sieben, erreiche ich endlich den Gipfel des Raetea und nehme einen kleinen Seitenweg zum Zeltplatz, eine winzige Wiese neben einem Funkturm. Ein Zelt steht schon da. Jamie aus England leiht mir sein Messer, um im Wald nach einem Stock zu suchen, doch ich finde nur morsche Äste die gleich zerbröseln. Aber mit etwas Panzerband (hat Frau natürlich immer dabei) kriege ich den kaputten Stock einigermassen in Form für eine Zeltstange. Jetzt schnell noch waschen - doch es gibt kein Wasser hier oben, das mühsam hochgebuckelte Trinkwasser brauche ich zum Kochen und Trinken. Also zurück in den Wald und mit dem nassen Moos halbwegs sauber wischen. Naja. Ich gehe ziemlich dreckig ins Bett heute. Die Aussicht und Abendstimmung hoch über dem Wald ist jedoch wunderschön. Aber es wird schnell kalt hier. Im letzten Tageslicht taucht noch ein Wanderer auf, Ari aus Singapur. Er ist auch von oben bis unten eingesaut und ziemlich kaputt. Jamie schläft schon. Ich koche noch einen heissen Tee bevor ich mich zitternd in den Schlafsack zurückziehe. Es ist sehr klamm hier oben, und sehr windig. Ich schlafe schlussendlich in allen Kleidern die ich dabei habe, inklusive Regenjacke. Irgendwann ist mir dann doch warm. Uff was für ein Tag.

Kaitaia -Raetea, ca 24 km (plus 7 km Autostopp)


Tag 7

Mangamuka Stream, 17.11.2024



Ich lasse es gemütlich angehen, unterhalte mich eine Weile mit Ari, bevor ich gegen neun Uhr die schlammverkrusteten, nassen Socken und Schuhe anziehe (wäh). Der Abstieg vom Raetea Summit ist tatsächlich fast schlammfrei und so geniesse ich die erste Stunde der heutigen Wanderung, der Wald ist märchenhaft, wenn man nicht konstant auf den Boden starren muss. Ich sehe ein paar riesige Bäume, die ich für Kauri halte, welche wohl jedoch Kerekere(?) sind, wie ich später erfahre. Auch das unterschiedliche Moos und kleinste Blüten entdecke ich. 12 Kilometer sind es bis zum nächsten Zeltplatz, eigentlich nicht weit. Wenn es so bleibt, wird das ein Kindersp... Oh. Der Schlamm ist zurück. Mist. Und so geht's weiter wie gestern, auf und ab über die Hügel und durch jede Schlammpfütze. Ich versuche, es positiv zu sehen. Schliesslich kriege ich hier nicht nur gratis Fango-Packung, sondern auch noch ein Full-Body-Workout, ganz ohne Fitnessstudio. Und es ist nicht nur voller Körpereinsatz gefragt. Ich trainiere hier jede Menge Soft Skills. Beispielsweise vorausschauend denken (nicht immer ist der verführerisch grosse Baumstamm über den Schlamm der beste Weg). Sinnlose Projekte rechtzeitig abbrechen (gaanz gaanz vorsichtig den Baumstamm wieder zurückbalancieren, rückwärts, versteht sich, gut für die andere Hirnhälfte). Kreativität (wenn ich mich an dieser Liane abseile, komme ich auch mit einem Stock bis nach unten ohne Hosenbodenrutsch). Ich hoffe, das zählt fürs nächste Jahresgespräch. (Mindestens eine/r meiner Chefs liest hier mit 😂).

Nach einer Weile stelle ich einen unangenehmen Geruch fest. Weil ich ja die einzige weit und breit bin, denke ich mir, das ist einfach mein Gestank, aber dann entdecke ich die Hufspuren und Kot auf dem Weg. Ziegen! Ich müffle also doch noch nicht so schlimm. Auch Ziegen wurden irgendwann ausgewildert und sind jetzt eine Plage. Bald höre ich sie im Gebüsch. Leider treiben sie sich eine Weile vor mir her, und stinken alles voll. Doch bald bin ich wieder alleine im Wald. Der Nachmittag zieht sich, es beginnt leicht zu regnen. Der Abstieg ist sehr steil und rutschig. Endlich übersteige ich einen Viehzaun und denke mir, das war's jetzt mit Wald und Schlamm, aber es geht noch eine Stunde weiter so. Dann, mit einem abgrundtiefen Seufzer der Erleichterung, verlasse ich endlich den Wald und stehe auf einer Kuhweide. Fast wäre ich niedergekniet vor Freude. Über weglose Kuhweiden navigieren kann ich, fast wie daheim. Lustigerweise verirren sich auf dieser Kuhweide die meisten Wanderer, weil der Weg und die Markierung praktisch unsichtbar ist und man einfach nach Sicht und Karte navigiert. Beim ersten Bach werfe ich den Rucksack ab und wasche Schuhe, Socken und Beine. Die letzten paar Kilometer geht's dann auf Schotter zum Camp für heute. Es ist nicht mehr als eine Wiese von einem Bauern, mit Kompostklo und Bach daneben, aber mehr braucht es eigentlich nicht. Heute bin ich ausnahmsweise eine der ersten, und kann mir den Platz aussuchen. Es ist kurz vor sechs Uhr, als das Zelt endlich steht, die Trekkingstöcke halbwegs repariert. Erst eine Stunde später tröpfeln die ersten, die ich kenne ein. Die meisten schaffen es gerade noch vor Dunkelheit, doch die letzten kommen erst um Mitternacht an. Was für eine Tortur! Aber wir haben es alle geschafft. Puh! Der Campingplatz ist so voll, dass man kaum mehr durchkommt, 20 Zelte oder mehr stehen hier. Nachts wird geschnarcht und es fühlt sich ein bisschen an wie Festival.

Raetea Summit - Mangamuka Stream, 13 km


Tag 8

Blackbridge Road Campsite, 18.11.2024


Heute früh regt sich das Camp nur langsam. Alle sind erschöpft, aber froh, es geschafft zu haben. Beim Frühstück tauschen wir unsere Horror Stories vom Matsch aus. 

Die heutige Etappe ist einfach, alles auf Strassen oder Schotterpiste. Ich laufe zunächst alleine los, entlang des gesperrten Highway, doch meistens in Sichtweite von einem Schuppel anderer Wanderer. Zum Glück herrscht nicht viel Verkehr, doch ein paar Baustellen-Trucks und Holzlaster donnern trotzdem vorbei, und es hat nicht viel Seitenstreifen. Gut ist es nicht weit bis zum Highlight des Tages: die Mangamuka Dairy. Eine neuseeländische Dairy ist ein kleiner Tante Emma Laden mit Imbiss. Sie verkaufen das Wichtigste zum überleben und nebenbei noch Kaffee, Burger etc. Ich bestelle gleich beides, dazu noch eine Limo und eine Kiwi (fürs Gewissen). Alles wird in Windeseile verputzt, vermutlich kaue ich nur dreimal oder so... 😭. So richtiges Essen schmeckt halt schon anders. Ein paar interessante Kunden hat die Dairy auch (abgesehen von stinkenden Wanderern). Zwei Jungs, die ich vorhin schon von weitem gesehen habe, tauchen mit Blut verschmiertem Toyota Prius auf, an dem vorne und hinten auf den Windschutzscheiben ein totes Opossum baumelt. Sie haben sie am Strassenrand aufgesammelt. Frischer Roadkill für die Hunde, erzählen sie uns. Eine ältere Frau verlässt die Dairy schreiend und fluchend, setzt sich in ihr Auto und fährt schlingernd davon. Wir hoffen sie erwischt keine Wanderer am Strassenrand. Eine junge Maori-Frau mit wunderschönen Gesichtstatoo fragt uns über unsere Wanderung aus. Dann geht's weiter, die Landschaft sieht aus, als ob gleich die Hobbits auftauchen. Heute hole ich endlich mal die Mädels ein, die heute auch alle gemeinsam wandern. Wir sind alle am gleichen Tag gestartet: Holly aus Australien, Ilsa aus Lettland, Sips und Steff aus Manchester, Svenja aus Tuttlingen und ich. Meistens sind sie schneller als ich, aber heute kann ich mithalten, vermutlich weil sie auch alle noch etwas müde sind von gestern. So geht der Nachmittag auf Schotterpisten schnell vorbei, da ich mich mit allen in Ruhe unterhalten kann. Das nächste Mini-Highlight kurz vor dem Ziel ist ein riesiger Kauri Stumpf, der hier mal stand, und den man gefällt hat. Abends erreichen wir unseren Zeltplatz, und wieder stehen 20 Zelte da. Auch die Sandmücken freuen sich schon über so viel Frischfleisch... 

Mangamuka - Blackbridge Road, 23 km


Tag 9

Puketi Recreation Area Campsite, 19.11.2024


Nachts geht's hoch her auf dem Zeltplatz - die Possums haben eine wilde Party zwischen unseren Zelten, kreischen, schnattern und fauchen bis in die frühen Morgenstunden. Und natürlich schnarchen die Wanderer (die, welche nicht über die Possums fluchen). Ich schlafe schlecht und brauche lange, bis ich am Morgen alles gepackt habe. Heute steht eine der schönsten Etappen in Northland an, der Wanderweg führt durch die Mangapukahukahu Schlucht (keine Panik, ich musste den Namen auch per copy paste einfügen 😉). Wir wandern ein paar Kilometer direkt im Fluss, da es keine Wege gibt. Zunächst steige ich steil hinab in die Schlucht, mit unfreiwilliger Rutschbahn. Doch heute kann ich meine Schuhe prima putzen im Fluss. Die Wat-Wanderung ist herrlich. Es ist noch früh am Morgen, die Sonne kommt gerade über den Berg und die Schlucht schimmert in braun-grün-gelben Farben. Das Wasser ist nämlich stark tanninhaltig und erinnert mich an Schottland. Es ist frisch, aber das kalte Wasser kühlt meine Mückenstiche herrlich. Ich habe noch nicht viel darüber geschrieben, weil es mich ziemlich fertig macht, und ich versuche, das zu verdrängen, aber die winzigen Sandmücken und Moskitos hier sind grauenhaft. Jeden Abend, kaum neigt sich die Sonne dem Horizont zu, tauchen sie in Scharen auf und stürzen sich auf jeden Fleck nackte Haut. Nachts summen sie in meinem Vorzelt, und die juckenden Stiche halten mich vom Schlaf ab. Mein Schweizer Antibrumm ist ein Witz, und ich habe keine Salbe dabei. Es zehrt ganz schön an den Kräften. Aber anyway. Die Schlucht ist der Hammer. Ich geniesse jeden Meter, obwohl das Wasser teilweise ganz schön tief ist. Ich hoffe inständig, dass ich nicht bis zur Unterhose ins Wasser muss, aber es stellt sich raus dass ich ein paar Millimeter zu kurz geraten bin, damit dieser Wunsch in Erfüllung geht.  Ach, Mami, deine Gene... 🥲

Immerhin, Sidney ist noch einen Kopf kürzer als ich, aber sie hat einen Joker, ihr Ehemann Trevor (etwa 1.90m), trägt sie durch die tiefen Stellen. Zum Glück ist Sommer hier, alles trocknet schnell wieder.

Der Flusswatweg endet abrupt an der Vereinigung zweier Flüsse und bildet einen grossen, tiefen Pool. Die anderen Mädels sind schon am Nacktbaden auf der anderen Seite. Aber wie sind sie da rüber gekommen? Es ist zu tief zum durchwaten, und schwimmen mit Rucksack scheint mir etwas übertrieben, sicher hätte das im Trail Guide gestanden. Holly, Gabrielle und ich beschliessen, über die Klippen zu klettern, was mit trockenen Kletterschuhen, ohne Rucksack und einem Leap of Faith in der Mitte (etwa 1.5 Meter) nicht so schwer wäre (Sarkasmus hier...). Irgendwie schaffen wir es auch mit nassen Turnschuhen, schweren Rucksäcken und ohne braune Hosen. Petr hilft mir mit dem Rucksack von oben. Stellt sich raus dass wir einen Trail Marker übersehen haben, und 5 Meter über uns ein perfekter Weg ist... 🙈. Irgendwie schaffen es alle rüber. Ab hier führt ein Weg dem Fluss entlang, ein wunderschöner Single Trail, aber mit stetigem auf und ab, über/unter umgefallenen Bäumen, etc., ist es ziemlich anstrengend. Ausserdem werden hier Fallen aufgestellt, um invasive Raubtiere zu dezimieren, welche (mehrheitlich) von Australien eingeschleppt wurden und die hiesigen Vögel bedrohen. Insbesondere der Nationalvogel, der Kiwi, ist bedroht, aber auch andere Vogelarten, welche entweder nicht fliegen können, oder Bodenbrüter sind. Am schlimmsten sind die Possums, und in vielen Fallen hängen sie auch in den Fallen drin. Das ist kein schöner Anblick und der Geruch ist ziemlich brechreizerregend. Einige Fallen enthalten nur noch Fellfetzen, manche Tiere konnten sich wohl befreien, liegen dann aber mit raushängenden Gedärmen tot auf dem Wanderweg. Eklig und auch ziemlich Mitleid erregend. Natürlich liebe ich Neuseelands Vögel, aber das scheint mir doch sehr brutal. Es ist aber der einzige Dämpfer des Tages, ansonsten ist die heutige Etappe wirklich der Hammer. Allerdings sehr anstrengend und weit. Zum Mittagessen habe ich noch längst nicht die Hälfte geschafft. Der Weg verlässt den Fluss und steigt über gefühlt tausend Treppen hinauf in den Puketi Forest, wo die berühmten, bedrohten Kauri Bäume stehen. Anfangs freue ich mich über die schöne Treppe (kein Matsch!), doch die Stufen führen fadegrad in den Himmel, so scheint es. Puh! Ich keuche aus dem letzten Loch. Alle überholen mich, sogar die unsportlichsten Wanderer ziehen an mir vorbei, als würde ich stillstehen. Meine Beine sind wie Blei heute, ich bin erschöpft. Es wäre Zeit für einen Ruhetag, aber das dauert noch zwei Tage... Doch die Kauri Bäume sind wunderschön. Uralte Baumriesen, wie Dinosaurier stehen sie da im Busch. Sie müssen hunderte, wenn nicht tausend Jahre alt sein, denn sie wachsen sehr langsam, und einige sind gewaltig dick. Doch sie sind bedroht von einem Pilz, der ihre Wurzel angreift, darum auch die schönen Treppen und Holzwege im Kauri-Wald. Und darum müssen wir auch alle immer unsere Schuhe putzen und desinfizieren, bevor wir einen Wald mit Kauri betreten bzw. verlassen. Ich geniesse die magische Stimmung zwischen den Baumriesen. Doch dann endet der Wanderweg und ich muss noch 10 Kilometer auf einer Schotterpiste gehen bis zum nächsten Campingplatz. Das zehrt an den Nerven und schmerzt in den Füssen. Die weichen Waldwege waren schon viel angenehmer zu gehen. Aber mit etwas Unterhaltung mit Jacob, einem anderen Wanderer, und ein bisschen Hörbuch, gehen auch die letzten zweieinhalb Stunden vorbei. Abends sind wir wieder alle beisammen auf einem offiziellen Waldcamping, sogar mit kalter Dusche. Luxus! 😉

Blackbridge Road - Puketi Forest, 23 km


Tag 10

Kerikeri, 20.11.2024


Heute ist der letzte Wandertag vor dem Ruhetag in Kerikeri, einer Kleinstadt in etwa 25 km Entfernung. Ich gehe davon aus, dass wir fast alles auf Strassen oder Schotterpiste laufen heute, und bin daher positiv überrascht, als wir nach wenigen Kilometern auf eine schönen Wanderweg entlang eines Baches einbiegen. Zwar sind wir heute nicht mehr wirklich in der Wildnis unterwegs, sondern eher zwischen Weiden, Feldern und Höfen, aber dies ist einer der angenehmsten Wandertage, was den Trail angeht. Er ist super gepflegt, abwechslungsreich und vor allem weg von den pickelharten, für die Füsse brutalen Strassen. Kurz nach Aufbruch passieren wir die 200km-Marke, cool! 



Danach sehe ich die anderen nur noch, wenn sie Pause machen, aber das stört mich nicht. Es gibt so viel zu sehen. Ginster und Farnbäume säumen den Wegrand, aber auch Fingerhut und Manukabüsche. Neugierige Stiere starren von den Weiden. Ich klettere über unzählige Viehzäune, über die in Neuseeland typischen Stiles. Solide Gattertreppen, aber anstrengend, um sich hochzuhieven. Irgendwann überholt mich jemand und behauptet, ich hätte meine warmen Leggins und Merinoshirt vergessen, und dass Pitr sie hat. Panisch durchsuche ich meinen Rucksack, tatsächlich fehlt mein Pijama und auch das WC-Papier (weiss grad nicht, was ich schlimmer vermissen würde...). Also warte ich am Strassenrand, mittlerweile mit Schirm, da es leicht regnet, auf Pitr aus Tschechien. Nun zeigt sich einer der positiven Aspekte, dass wir so viele sind, und schon fast eine riesige Trail-Familie: jeder kennt die paar wenigen Klamotten der anderen und weiss sofort, wer was liegen gelassen hat. Pitr hat meine Sachen in der Dusche gefunden, wo ich mich heute früh umgezogen habe. War halt noch vor dem ersten Kaffee... Erleichtert, wieder vereint mit meinem Karsumpel, laufe ich weiter. Wieder zieht sich der Nachmittag in die Länge, ich mache viele Pausen am Ufer des Flusses, der immer grösser wird. Kurz vor Kerikeri stürzt der Fluss über eine riesige Klippe eine Stufe hinunter und bildet die berühmten Rainbow Falls. Ich laufe direkt daran vorbei. Für einen Schwumm ist es schon etwas spät, aber ein kühlendes Fussbad liegt noch drin, bevor ich die letzten Kilometer in die Stadt und mein Motelzimmer in Angriff nehme. Dort gibt es sogar einen heissen Whirlpool. Ich werfe nur meinen Rucksack ab, streife mir die Schuhe von den Füssen und platsch, sitze ich drin. Ah, herrlich! Endlich die strapazierten Muskeln und Gelenke massieren... 

Puketi Forest - Kerikeri, 26 km


Tag 11

Kerikeri, 21.11.2024


Ruhetag! Aber wie es so läuft mit den Ruhetagen auf solchen Reisen, sind diese gefüllt mit Haushalts-Tasks und sonstigen Besorgungen. Zum Glück kann ich direkt zum Check out in mein neues Zimmer wechseln, ein kleines Cabin mit Balkon und allem Drum und Dran. Luxus pur! Das Wandtattoo ist natürlich passend 😜. 

Als erstes brauche ich einen neuen Trekkingstock und Gaskartusche. Ausserdem eine Ersatz-Unterhose (meine jetzige hat schon so viele Löcher an so ungünstigen Orten, es ist sogar auf dem Trail nicht mehr akzeptabel). Bessere Elektrolyten als die aus dem Supermarkt. Und ganz wichtig: irgend ein Mittel gegen die verdammten 💩 Mücken, was wirkt, und eine Salbe, für die Stiche, die ich schon habe (die auch wirkt). Ich gehe sonst die Wände hoch. Was ich gestern Abend noch im Supermarkt gekauft habe, scheint eher sowas wie ein Wasserspray gegen ein Grossfeuer. Also ziehe ich los, zuerst in den hiesigen Sportladen. Dort finde ich zwar Sportunterwäsche und Elektrolyten, aber keine Outdoor-Sachen, denn wir sind ja hier noch immer im Far North. Nix da mit fancy Outdoor-Läden à la Transa, wie in Auckland. Hier braucht man(n) Knarren, Fischerruten und Gummistiefel. Also nichts wie ab zum "Hunting and Fishing", dem neuseeländischen Pendant zum Gun Shop. Dort werde ich nicht nur super beraten und gut unterhalten (die Verkäuferin erzählt mir ihre Leidensgeschichte mit den Sandmücken auf so lustige Art, wir biegen uns beide vor Lachen), ich finde auch alles auf meiner Liste. Perfekt! Drei Daumen hoch für Hunting and Fishing 👍🏻👍🏻👍🏻. Ich darf auch ihre Umziehkabinen nutzen, um mich in mein fesches Waschtag-Outfit zu werfen: Regenrock, Regenjacke und Schuhe, sonst nichts. Alles andere muss in die Waschmaschine. Im Waschsalon bin ich die einzige Weisse und komme mir sehr schäbig vor, denn ich habe kein Waschmittel (irgendwie dachte ich, das sei, wie in Spanien, inbegriffen...). Also kratze ich aus allen Maschinen aus dem Pulverfach die Reste zusammen, die andere verschüttet haben. Eine Maori-Oma mit Boxerhund hat so viel Mitleid mit mir, sie schenkt mir 12 Tumbler-Minuten, und ich fühle mich gerade noch ein bisschen schäbiger. Aber die 12 Minuten reichen für meine Outdoorklamotten und ich bin ihr sehr dankbar. Strahlend und sauber betrete ich den  Burger Fiasko für ein spätes Mittagessen. Auf dem Rückweg ins Hotel treffe ich noch mehrere Mitwanderer, alle ebenfalls mit grossen Einkaufstüten. Ich spare mir die nächste Resupply (Versorgungseinkauf) bis Paihia, denn ich habe noch genug zu essen. Den Nachmittag geniesse ich meinen herrlichen Balkon im Garten/Wald, lege die geschundenen Füsse hoch und schreibe fleissig Blog, sortiere Fotos und kommuniziere mit der Welt und meinen Trailkameraden. Jon, die schwarze Motelkatze, legt sich ungefragt auf meinen Schoss und lässt sich stundenlang kraulen. Paradies! 

Gegen Abend hole ich mir eine Pizza und geniesse den Abend in meinem schönen, ruhigen Zimmer. Top Ruhetag! 😍


Tag 12

Paihia, 22.11.2024


Ich schlafe so herrlich, dass ich heute früh den Wecker abstelle und alle Pläne, früh aufzubrechen, über Bord werfe. Mein Zimmer ist soooo schön! Ich geniesse es bis fast zum Check out und laufe erst um halb zehn los. Zunächst suche ich eine Abkürzung aus Kerikeri hinaus, denn der Te Araroa macht hier einen ewig langen Bogen um die Stadt herum zu einem historischen Steinhaus, welches angeblich das älteste Haus in Neuseeland ist. Naja, unser zu Hause ist älter... Ich spaziere also durch hübsche Einfamilienhaus-Siedlungen, vieles steht zum Verkauf. Kerikeri und der ganze, immmerwarme Norden ist beliebt als Seniorenresidenz, sozusagen das Florida von Neuseeland. Lustige Briefkästen haben sie hier, denn es gibt keine Vorschriften dazu. Jeder kann sich austoben mit kreativen Ideen. Die ersten paar Kilometer führt über eine Strasse, die Autos kommen schnell. Ich freue mich, als ich endlich auf den Wald einbiegen kann, dem ich den Rest des Tages folge. Doch da ist kein Wald mehr. Totaler Kahlschlag, alles abgeholt. Die Landschaft sieht traurig aus, auch wenn an gewissen Hängen wieder aufgeforstet wird. Es wird ein heisser Tag, die Sonne brennt vom Himmel, und der Weg ist staubig. Holzlaster wirbeln noch mehr Staub auf, dank Sonnencreme und Mückenschutz klebt auch alles richtig gut und ich bin bald paniert. Dennoch ist es eine einfache Etappe und schon um vier Uhr erreiche ich die Waitangi Treaty Grounds im Norden von Paihia, wo ich vor knapp 2 Wochen schon mal war. Im Supermarkt treffe ich die ganze Meute wieder. Es ist der letzte richtige Supermarkt für etwa 200 Kilometer, dazwischen gibt's nur Dairies oder kleine Cafés. Mit schwerem Rucksack nehme ich die letzten 5 km am Strand von Paihia entlang bis zum Campingplatz, der etwas ausserhalb liegt. Die letzten Kilometer sind landschaftlich die schönsten des Tages. Entweder wandere ich direkt am Strand oder auf den Klippen, oder es hat einen schönen Weg über dem Meer. Auch wenn die Füsse schon langsam wieder schmerzen, geniesse ich die tolle Abendstimmung. Im Top Ten Holiday Park stelle ich mein Zelt neben Jacob auf, direkt am Wasser, bzw Strand (es ist gerade Ebbe). Dann geniesse ich die Annehmlichkeiten eines richtigen Campingplatz: heisse Duschen, WLAN und Steckdosen, Picknicktische und eine richtige Küche. Und Abfallentsorgung! In den letzten Tagen habe ich meine Abfälle oft 4 Tage mitgeschleppt. Und ich konnte sogar ein kaltes Bier vom Supermarkt mitbringen, das geniesse ich, während meine Nudeln einweichen. 

Kerikeri - Paihia, 25 km


Mehr zu meinem Te Araroa Thruhike

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