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Das Abenteuer Te Araroa beginnt... mit einem laaaaangen Strandspaziergang



11. November 

Der Wetterbericht tönt nicht sehr prickelnd für meinen ersten Wandertag auf dem Te Araroa, es ist Regen angesagt. Und tatsächlich schüttet es los, kaum dass der Reisebus Kerikeri verlässt. Mein Busfahrer heisst Barry und ist ein echtes Original aus der Region, er plaudert ununterbrochen und erzählt uns alles Mögliche über den abgelegenen Norden Neuseeland, so ist die knapp sechsstündige Reise trotz Nieselregen sehr unterhaltsam. Neben mir sitzt noch ein anderer Wanderer, der ebenfalls auf den Te Araroa startet: Logan aus Wellington.

Kurz vor 14 Uhr erreichen wir das nördlichste Ende von Neuseeland (welches per Strasse erreichbar ist). Während der Fahrt haben wir viel über die spirituelle Bedeutung dieses Ortes erfahren. Es ist ein Ort des Abschieds, aber auch der Wiedergeburt, was irgendwie sehr schön zu meiner Reise passt, die eigentlich erst hier richtig beginnt. Barry gibt uns einen Maori-Segen für unseren Hikoi (Reise) auf den Weg. Nach dem obligatorischen Foto am Wegweiser und einem letzten Gruss an die Seelen der Verstorbenen laufen ich los. Gleich hinter dem Leuchtturm geht der Weg über die Klippen hinunter an den ersten Strand, Te Werahi beach. Der Abstieg ist fantastisch schön, und sogar die Sonne kommt jetzt ein bisschen raus. Unterwegs treffe ich ein junges amerikanisches Pärchen, Stonehenge und Pebbles (das sind Trail Namen 😉). Sie sind ebenfalls auf dem Te Araroa unterwegs und per Autostopp hierher gelangt. 

Wir verweilen nicht allzu lange, denn die Flut steigt und bald werden die Strände mühsam zu begehen, weil der harte Sand unter dem Wasser verschwindet. Schon am Ende des ersten Strandes merken wir den Unterschied zwischen weichem und harten Sand. Es gibt auch eine erste Flussdurchquerung, wobei diese nur knöcheltief ist. Das Wasser fühlt sich sehr warm an. Nun geht es in die Dünen, die rot, orange und pink leuchten. Der steile Aufstieg ist schweisstreibend, nun bin ich froh, ist es kein heisser Sommertag. Um jede Ecke verändert sich das Landschaftsbild, nun wachsen Palmen, bunte Lupinen und andere Pflanzen, die ich nicht kenne. Endlich kommt der Abstieg zum zweiten Strand, dem Twilight Beach, und nun freue ich mich langsam auf den Zeltplatz. Der liegt aber noch eine zähe Stunde über den weichen Sand weg. Endlich kommt die Treppe in Sicht, die hinauf zum Micro Camp führt. Hier stehen schon etwa 12 andere Zelte, alles Te Araroa Wanderer. Es gibt ein Plumpsklo, eine Regenwassertonne und einen Unterstand. Aber vor allem einen wunderschönen Sonnenuntergang über dem Tasmanischen Meer. Es wird nicht viele davon geben, da der Te Araroa meistens an der Ostküste verläuft. Darum geniessen wir alle das prächtige Farbenspiel. Dann kommen die Mücken und jagen uns in die Zelte. Ich versuche noch, eine Fotoauswahl zu machen, aber bin von Reizen überflutet und finde alle super. Das war ein wirklich wunderschöner erster Tag.

Cape Reinga - Twilight Beach, 13 km



12. November

Obwohl ich eigentlich erschöpft bin, schlafe ich nicht sehr gut. Ich muss mich erst wieder ans Leben im Zelt gewöhnen, und ausserdem hab ich versehentlich Mücken ins Zelt gelassen. Morgens um drei raschelt irgendwo ein Tier herum und ich bange um mein Futter. Der Zeltplatz ist berüchtigt für ein besonders gefrässiges Opossum. 

Am Morgen herrscht super Wetter und wegen der Gezeiten gibt es keinen Grund, sehr früh aufzubrechen. Wir haben gestern alle gemerkt, wie mühsam der Strand mit weichem Sand ist, und heute kommen wir auf den berühmten Ninety Mile Beach. Warum er so heisst, ist unklar, denn der Strand ist nur etwa 80 Kilometer lang. Zunächst aber geht es noch ein paar Kilometer über die Klippen. Es fühlt sich fast mediterran an hier. Dann, nach etwa einer Stunde, kommt der steile Abstieg an den langen Strand, auf dem wir die nächsten drei Tage lang laufen. Zunächst ist es herrlich, der Sand ist hart und es geht flott voran. In der Mitte der heutigen Etappe liegt eine kleine Insel vor dem Strand, ein wichtiger Anhaltspunkt, denn ansonsten sieht alles gleich aus. Doch die Insel ist trügerisch: sie wirkt eigentlich nicht weit weg, kommt aber dennoch kaum näher. Als ich sie endlich passiere, bin ich mehr als reif für eine Pause, der Magen knurrt. Ich suche mir ein windgeschütztes Plätzchen zwischen den Dünen und prompt wird es heiss, die Sonne brennt. Sonnenschirm auspacken! Den restlichen Nachmittag nehme ich den Schirm nicht mehr runter, denn obwohl es im Wind erträglich warm ist, merkt man regelrecht, wie einem die Sonne hier röstet. Da hilft auch Sonnencreme nicht mehr allzu viel...

Der Nachmittag zieht sich wie Kaugummi in die Länge. Unser Ziel, Maunganui Bluff, ist kaum sichtbar, da der Wind die Gischt und den Sand über den Strand jagt, das Bild wirkt wie verschmiert. So bleibt nur der regelmässige Blick aufs Handy in die Karten-App, wie weit es noch ist. Zum baden ist das Meer viel zu wild, und die Bäche, die aus den Dünen ins Meer fliessen, sind nur knöcheltief. Prima zum Füsse kühlen, aber ich habe sonst schon überall Sand und will ihn nicht auch noch in den Unterhosen. Die letzten sieben Kilometer werden ein mentaler Kampf, denn die Füsse tun sehr weh. Aber ich weiss dass ich es kann. Endlich, gegen fünf Uhr, bin ich da, und heute bin ich nicht mal die Letzte. Zelt aufbauen, etwas Katzenwäsche und dann endlich entspannen und dehnen. Heute fällt der schöne Sonnenuntergang aus, dafür unterhalte ich mich etwas mehr mit meinen Mitwanderern aus aller Welt.

Twilight Beach - Maunganui Bluff, 28 km



13. November

Mitten in der Nacht schrecke ich noch, weil es neben meinem Zelt plötzlich laut schnaubt. Dann ein Stampfen, so nahe an meinem Kopf, dass der Boden vibriert. Es gibt eigentlich keine gefährlichen Tiere in Neuseeland, was ist das also? Vorsichtig gucke ich unter der Zeltplane raus. Im fahlen Mondschein stehen da ein halbes Dutzend Pferde und fressen das schön grüne Gras neben meinem Zelt. Wildpferde! Sie wurden irgendwann mal von den Briten als Geschenk für die Maori mitgebracht, welche mit den Tieren nichts anzufangen wussten und sie frei liessen. Ich hoffe, die Rösser stolpern im Dunkeln nicht über mein Zelt. Am Morgen fühle ich mich erstaunlich fit, die Füsse schmerzen nicht mehr. Dafür ist heute morgen der Sand noch ziemlich nass und weich, die Flut ist gerade erst durch. Die ersten zwei Stunden eiere ich wie eine Betrunkene über den Strand auf der Suche nach der optimalen Spur. Ab und zu kommt auch ein Sweeper (eine Welle, die weit hoch auf den Strand rauscht) und zwingt mich zu hastigem Rückzug. Ich möchte meine Schuhe lieber trocken halten. Danach wird es einfacher, die Ebbe macht den Strand riesig und ich habe freie Bahn für die nächsten 30 km. So weit ist es bis zum nächsten Zeltplatz. Der Tag vergeht fast ereignislos, ein paar tote Rochen, ein galoppierendes Wildpferd und ein halbes Hörbuch sind die spannendsten Highlights. Ansonsten ist es ein grauer Tag, mit einem bisschen Sprühregen. Da das Ziel heute mit blossem Auge nicht erkennbar ist, ist das Weitergehen noch anstrengender, es ist ein Mindgame. Das Bild des Strandes brennt sich in die Retina ein. Irgendwann ist es geschafft, der letzte Kilometer zum Campingplatz ist der längste des Tages. Doch dort warten heisse Duschen (herrlich!) und etwas Zivilisation (WLAN 😂). Von meinem Surfer-Zeltnachbarn schnorre ich ein Bier und telefoniere mit Sven, der beim zweiten Kaffee sitzt. Heaven on earth. Danach sitze ich mit den anderen Wanderern zusammen beim Kochen und Schwatzen. Kurz bevor es dunkel wird, schaffen wir sogar noch ein Gruppenfoto. 

Maunganui Bluff - Hukatere Campground, 31 km


14. November

Heute fällt das loslaufen schwerer als gestern und ich bin fast die letzte, die aufbricht. Es ist erstaunlich, wie viele Muskeln man in den Beinen und Füssen hat, die schmerzen können. Einmal warmgelaufen, geht's jedoch die ersten 10 km flott voran, danach wird es sehr eintönig und ich muss um jeden Kilometer kämpfen. Heute ist ein windiger (Rückenwind, zum Glück) und regnerischer Tag. Da die Wolken von hinten kommen, erwischt mich jeder Guss eiskalt, aber meistens ist es vorbei, bis ich den Schirm ordentlich aufgespannt und windsicher am Rucksack montiert habe. Ich lenke mich von den brennenden Fussohlen ab mit jeder Auffälligkeit am Strand. Schöne Muscheln hat es viele. Coole Muster im Sand, von Wind und Wellen geformt. Etwa auf der Hälfte der Strecke hat es Strand-Surfer (keine Ahnung wie man die Seifenkisten mit Segel nennt). Noch weiter unten, wo es eine Zufahrt zum Strand hat, drehen ein paar Typen Wheelies am Strand mit ihren 4x4 und zeichnen lustige Kreise im Sand. Wer endlich mal seine "Fast and the Furious" Fantasien ausleben will: this is the place. Oder auch Mad Max, wenn ich mir so manche Karre ansehe. Es geht aber auch mit einem Toyota Corolla, wenn man genug Schwung über die tiefsandige Einfahrtsrampe nimmt 😂. Einer versucht mit seinem Jeep die Dünen gerade hoch zu jagen und setzt hübsch oben auf, alle Räder in der Luft. Ich bleibe nicht stehen, um zu gucken, wie er da wieder raus kommt. Und ich bin etwas sexistisch, wenn ich "er" schreibe, der Fahrer ist nicht erkennbar, aber irgendetwas sagt mir, dass hier viel Männlichkeit bewiesen werden muss. Bilder gibt's keine, ich wollte sie nicht noch mehr anstacheln. Obwohl der Strand bei Ebbe sicher 100 Meter breit ist, haben es manche nicht so im Griff mit Abstand halten von Fussgängern. Anyway, es unterhält mich ein paar Kilometer lang. Doch der Tag wird unendlich lang, alle anderen haben mich überholt, ich komme nicht vom Fleck, scheint es. Die Füsse krampfen trotz regelmässiger Pausen. Endlich ist das Ziel in Sicht, die ersten Häuser von Ahipara. Kurz vor dem Ausstieg aus diesem endlosen Strand passiere ich die 100-km-Marke. Wow! 100 Kilometer in dreieinhalb Tagen, das habe ich definitiv noch nie geschafft (und ich glaube ich werde es auch so schnell nicht wieder...).

Erschöpft torkle ich in die Jugendherberge und bestelle zwei (jawohl, zwei) Bier. Sie sind schliesslich sehr klein... 😜. Dann habe ich "nur noch" geduscht, gedehnt, Wäsche gewaschen, gegessen und bin ermattet ins Bett gesunken. Wow. 90 mile beach geschafft!

Hukatere - Ahipara, 32 km


15. November

Das Wetter ist heute grausig, massive Regenfälle sind angesagt und bereits nachts schüttet es heftig. Ich bin äusserst dankbar um mein Hostelbett und lausche dem Rauschen draussen. Es tönt als wäre man unter der Dusche. Daher geniesse ich jede Minute bis zum Check out drinnen und breche dann nur widerwillig auf in den Regen. Ich habe zwar nicht vor, heute viel zu laufen, denn auf den nächsten etwa 25 km führt der Te Araroa einer stark befahrenen Strasse entlang, ohne Seitenstreifen. Das ist leider nicht unüblich hier, denn Neuseeland ist ein Autoland, ähnlich wie die USA. Nur Wanderer und arme Leute gehen zu Fuss, Radfahrer gibt es kaum und der öffentliche Verkehr ist ein Trauerspiel. Auf der Strecke, die ich heute wandern sollte, gibt's beispielsweise nur 1 Bus pro Woche, mitten am Vormittag. Keine Ahnung wem das nutzt. Dafür ist angeblich Autostopp sehr einfach, und das werde ich heute austesten. Zuerst aber muss ich vor an die Hauptstrasse laufen. Auch hier ähneln die neuseeländischen Dörfer sehr den USA. Es gibt kein richtiges Zentrum, dei Towns sind riesig und zersiedelt, denn jeder hat sein Häuschen - kleine Holzhäuschen, die wohl weder Erdbeben noch ernsthaftem Sturm standhalten, aber billig sind. Wobei die meisten bunt gestrichen sind und schöne Gärten haben. Die Region Northland ist arm, die Arbeitslosenquote enorm hoch, mit allen sozialen Problemen, die das mit sich bringt. Dennoch sind die Menschen unglaublich freundlich, alle grüssen mich mit einem riesigen Smile und winken, grüssen mit "Kia ora". Angeblich ist der Anteil der Maori-Bevölkerung in Neuseeland etwa 10%, aber hier oben sind es viel mehr. Ich habe den Eindruck, hier bin ich als Weisse definitiv in der Unterzahl. Das schlägt sich auch in der Sprache nieder, denn obwohl alle englisch reden, streuen sie in jedem zweiten Satz Maori-Wörter ein, und ich muss sehr häufig bei den einfachsten Sätzen nachfragen. Täglich lerne ich ein paar neue Wörter. 

Anyway. Nach etwa einem Kilometer entlang von Einfamilienhäusern erreiche ich die Kreuzung, wo es ein Café mit angeblich dem besten Kaffee der Region gibt. Ausserdem nutze ich heute die Gelegenheit für ein deftiges Frühstück. Es gibt super Kaffee und Eggs Benedikt mit Spargel. Hach. Ich lecke fast den Teller aus. Danach stelle ich mich an die Strasse (natürlich erst mal auf die falsche Seite, bis das erste Auto kommt) und halte den Daumen raus. Obwohl es regnet, ich definitiv wie ein nasser Hund rieche und einen grossen, triefenden, sandigen Rucksack anhabe, hält schon das zweite Auto an. Wohin? Zum Pack'n'Save in Kaitaia, für den Einkauf. Prima, da muss ich sowieso auch hin. Das junge Maori-Pärchen fragt mich über die Schweiz aus, wo sie unbedingt mal hinwollen. Kurz darauf kurven wir auf den riesigen Parkplatz des Pack'n'Save. Der Laden ist riesig, eine Art Aldi oder Lidl, aber viel grösser. Überforderung total. Gut habe ich heute nicht mehr viel vor. Nach einer Stunde Einkaufswagenschieben hab ich es geschafft. Draussen checke ich noch mal meine Mails. Der Airbnb Host hat leider nicht geantwortet, mittlerweile ist es Nachmittag. Also cancle ich und laufe zum hiesigen Hostel. Dort sind leider alle Schlafsaalbetten ausgebucht, also nehme ich mir ein teures Zimmer im Motel. Immerhin habe ich dann vielleicht meine Ruhe. Danach laufe ich zur Touri Info und Bibliothek, wo ich mein Te Araroa Starter Pack in Empfang nehme (eigentlich nicht viel mehr als ein Sticker und ein Anhänger für den Rucksack). Ich verweile noch einen Moment in der Bibliothek, die eine sehr schöne Eingangshalle mit Maori-Schnitzereien hat. Und Bibliotheca-Selfchecks. OK, nichts wie raus hier, bevor ich einen Rückfall ins Büroleben habe 🫣😂. Auf dem Rückweg ins Hostel (was natürlich auch wieder 1.5km in die andere Richtung liegt), gönne ich mir noch ein Bier im Mussel Rock, bevor es morgen wieder in die Wildnis geht. Als nächstes stehen die magischen Wälder von Northland an. Der Schlamm soll knöcheltief sein, ich lasse mich überraschen. Möglicherweise habe ich erst in ein paar Tagen wieder Netz, also sorgt euch nicht. Ich geniesse die nächsten vier Tage Waldschlammbaden und Digital detox 😉🌴.



Mehr zu meinem Te Araroa Thruhike

Wo ich gerade bin (Karte und tägliche Berichte mit Bildern):

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