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Nach Wellington und zum Ende der Nordinsel





Paekakariki, 20.12.24

Tag 40

Ich geniesse mein herrliches Motelzimmer bis zum Check-Out, dann mache ich den Supermarkt unsicher. Eigentlich verläuft der Te Araroa in den nächsten Tagen immer in der Zivilisation, und im Prinzip bräuchte ich gar kein Essen mitschleppen. Aber mein Körper schreit nach Vitaminen und frischem Grünzeug, und so verlasse ich den Laden mit Cherrytomaten, einer Avocado, Paprika, frischem Koriander und einer Flasche Limettensaft. Dazu ein Beerenkörbchen, ungesundem Süsskram und einer Mini-Rotweinflasche. Tja. Man kann sich den Rucksack und das Leben natürlich auch anders schwer machen, aber ich freue mich sehr auf die Leckereien und kann es kaum erwarten, an den Strand zu kommen für mein Hammer Picknick. Denn ja, heute verläuft der Trail wieder (und für lange Zeit das letzte Mal) am Tasmanischen Meer entlang. Zunächst spaziere ich aber ein paar Kilometer dem Waikanae River entlang bis zur Mündung. Jogger, Velofahrer und Reiter sind auch unterwegs. Überraschend treffe ich Lucie wieder, und heute auf dem flachen Abschnitt kann ich sogar mit ihr Schritt halten. Wir unterhalten uns lange über die Auswirkungen des Trails auf unsere psychische Gesundheit. Das Schöne am Weitwandern ist die sofortige Verbindung, die es mit vielen Mitwanderern schafft. Ich habe mich in letzter Zeit ja öfter mal über doofe Hiker beschert, aber darüber vergessen, wie viele tolle und tiefgründige Gespräche ich schon hatte mit Menschen, die ich erst wenige Tage, manchmal erst wenige Stunden kenne. Lucie hat bei einem Bekannten übernachtet und trägt heute nur einen Tagesrucksack, dafür aber einen glitzerigen Cowboyhut. Der Hut ist ein Te Araroa Wanderhut und vollgekritzelt mit Unterschriften und Hashtags. Er hat sein eigenes Instagram Profil (the_tramping_hat) und wird unter den Hikern immer weiter gegeben. Ein Wanderhut eben 😉. Nun ist er für ein paar Tage bei Lucie gelandet. Unsere Wege trennen sich am Strand, Lucie hat Hunger und ich will noch etwas weiter. Doch dann beginnt es zu regnen, und statt meinem fancy Picknick unter den nun herrlich blühenden Pohutukawa Bäumen, steuere ich eine Taco Bar an und bestelle mir eine Quesadilla. Und weil es nun giesst, und gerade die Margarita Happy Hour beginnt, bleibe ich fast drei Stunden hier sitzen. Über den flachen Strand kann man schliesslich auch nach einem Bier und zwei Margaritas noch wanken. Leider habe ich komplett vergessen, auf die Gezeiten zu achten und muss am Nachmittag bei Flut durch die eisigen Wellen platschen (so geht Ausnüchtern auch schnell), statt auf trockenem hartem Sand. Erst gegen Abend kommt die Sonne raus und der Strand weitet sich endlich zu einem angenehm begehbaren Wanderweg. Nun präsentiert sich die Kapiti Coast und Kapiti Island im schönsten Sommerlook. Endlich erreiche ich den Campingplatz in Paekakariki, wo ich völlig verdattert in eine riesige Bubble von Te Araroa Wanderern hineinlaufe. So viele Ultraleichtzelte auf einem Haufen habe ich seit 90 Mile Beach nicht mehr gesehen. Es scheint als hätten fast alle Wanderer in der letzten Woche die Tararuas übersprungen und es wird viel geredet und gerechtfertigt, wieso es viel zu gefährlich sei, dort zu wandern bei dem Wetter. Fearmongering, nennt man das im Hiker Slang, zu deutsch wohl am ehesten: Angstmacherei.
Ich mische mich nicht ein, schlussendlich muss das jeder für sich entscheiden. Aber es ist klar, dass einige so enttäuscht sind, dass sie es nicht gewagt haben, dass sie nun versuchen, diejenigen als tollkühn und verantwortungslos darzustellen, die sich dennoch getraut haben, in die Tararuas vorzustossen. Wieder andere geben ehrlich zu, dass sie zu schlechte Ausrüstung dabei haben oder schlichtweg keine Lust auf Kälte und Regen. Das finde ich auch völlig legitim. Dennoch merke ich mal wieder, dass diese grossen Wanderer-Bubbles eine rechte Eigendynamik entwickeln, was Gruppendruck und Meinungsmache angeht. Natürlich machen nicht alle mit, und ich bin froh, dass auch ein paar andere gerne alleine wandern und selber entscheiden, wie sie ihre Route gestalten. Ich freue mich auch sehr, Marco, Tom und Levi wiederzusehen. Dennoch ist mir das zu viel Socializing hier, und ich verziehe mich bald mit meinem Schluck Rotwein in mein Zelt. Die Pohutukawa Bäume, der neuseeländische Weihnachtsbaum, blühen auf dem ganzen Zeltplatz feuerrot, die Telefonvögel "klingeln" bis spät in die Nacht hinein und der Regen rauscht aufs Zeltdach. Es ist zwar gemütlich in meiner Dyneema Hütte, aber schlafen tue ich nicht wirklich gut.

Waikanae - Paekakariki, 21 km


Porirua, 21.12.24

Tag 41

Die neuseeländische Sonne ist wirklich super - wenn sie scheint, trocknet alles superschnell, auch das nasse Zelt. Trotzdem stresse ich nicht rum und geniesse eine leckere Frühstückstortilla mit frischen Beeren und Erdnussbutter. Dann breche ich auf zu den letzten Kilometern Strand bis ans Ende des Dorfes Paekakariki. Viele Hündeler sind heute früh unterwegs und ich unterhalte mich mit einer älteren Dame von der Südinsel, die seit einem Jahr im Campervan mit Hund ihr Land bereist. Der Hund jagt unterdessen freudig über den Strand und lässt sich von den Möven veräppeln. Ganz traurig geht er am Ende des Strandes an die Leine, um in die berühmte Bäckerei zu gehen. Auch ich sage etwas traurig Tschüss zum Strand. Der nächste Beachwalk auf dem Te Araroa kommt erst ganz unten auf der Südinsel, kurz vor Bluff, im März. In der Bäckerei gibt's ein leckeres Sandwich und super Kaffee. Auch Tom ist schon da. Wir laufen derzeit etwa gleich schnell, da er sich gleich an dem Tag, als wir uns kennengelernt haben (im Moturimu Whare), den Fuss verknackst hat und bis gestern pausieren musste. Nun läuft er ganz langsam und vorsichtig, also etwa mein Tempo 🤣. Nach Paekakariki geht's hinauf auf den Escarpment Track, der an der Steilküste hoch über der Bahnlinie und Strasse entlang führt und regelrecht am Hang klebt. Die Aussicht ist super, und in der Sonne komme ich endlich mal wieder ordentlich ins Schwitzen. Doch dann treffe ich Tom wieder, der verzweifelt am Boden sitzt: schon wieder den Fuss verknackst! Er ist total geknickt, will aber um keinen Preis Hilfe annehmen. Immerhin hat er hier Handy-Empfang, aber bis zum nächsten Bahnhof sind es noch mehrere Kilometer. Er hofft, in einer Stunde geht es wieder. Das ist wohl illusorisch, aber das muss ich ihm jetzt nicht auch noch sagen, das weiss er schon selber. Nachdenklich gehe ich weiter. Selbst eine kleine Verletzung kann bei so einer langen Wanderung das Aus bedeuten. Ich hoffe, mir passiert das nicht... Am nächsten Bahnhof ist der Escarpment Track zu Ende und die nächsten 15 Kilometer führt der Wanderweg neben der Schnellstrasse entlang. Den Lärm für vier Stunden spare ich mir und nehme den Zug bis Porirua. Nur 10 Minuten warten, ist das cool. Das altmodische Bähnli hat noch einen richtigen Ticket-Kontrolleur, der Papierfahrkarten verkauft, nur Bares ist Wahres. Aber es geht flott voran und nach einer Viertelstunde bin ich fast am Ziel für heute. Noch schnell in den Supermarkt fürs Abendessen und Feierabendbier, dann noch ein paar Kilometer durch den Park zum Campingplatz. Der ist jedoch wie ausgestorben und sieht ziemlich versifft aus. Die Rezeption ist nicht besetzt, ein altmodisches Telefon klingelt minutenlang, bis sich die Besitzer endlich lustlos melden. Eigentlich hätte ich gerne eine Hütte, denn es ist Regen angesagt. Doch die sind angeblich alle besetzt, und überhaupt kommt heute niemand mehr vorbei, um mich einzuweisen. Ich soll online zahlen und mich selber zurechtfinden, Zeltwiese sei nicht zu übersehen. So viel Motivation habe ich ja schon lange nicht mehr erlebt... Auf dem Zeltplatz stehen schon ein paar Wandererzelte, und ich schaffe es auch, meine Hundehütte aufzustellen, bevor das erste Gewitter kommt. Das Feierabendbier trinke ich im Zelt, während draussen der Regen aufs Dach prasselt. Immerhin bleibt alles einigermassen trocken. Juhuuu, morgen bin ich endlich in Wellington in meinem Appartement!

Paekakariki - Porirua, 15 km (+ ca. 15 Bahnfahrt)


Wellington, 22.12.24

Tag 42

Puh, nasse Nacht. Es gewittert und regnet heftig bis in die frühen Morgenstunden. Ich schlafe nicht super, da ich Angst habe, dass mein Zelt wieder mal geflutet wird, wie bereits in Spanien und Graubünden letzten Sommer. Und natürlich gluckert es irgendwann wieder unter der Luftmatratze. Aber mehr als feucht wird es nicht, vielleicht habe ich doch noch daheim die meisten Löcher geflickt und die Zeltunterlage tut ihren Dienst. Dennoch bin ich ziemlich grumpy heute morgen, vor allem da ein paar andere Te Araroa Wanderer gestern noch ein Cabin erhalten haben, ich aber nicht. Alle meine Sachen sind feucht und schwer. Um halb acht verlasse ich den unglückseligen Campingplatz in Richtung Wellington. Zunächst geht's 750 Treppenstufen auf den Colonial Knob. Dort oben hängt aber der Nebel so dicht, dass ich kaum 20 Meter weit sehe, was für eine Belohnung. Auf eine Art hat Wellington im Fall auch gute Chancen auf weisse Weihnachten... 😏. Im Abstieg geht's durch den Wald mit so schönen Serpentinen, dass ich langsam misstrauisch werde. Wieso hat man hier so viele Kurven eingebaut? Das ist ja für Neuseeland völlig untypisch. Des Rätsels Lösung überholt mich bald in Scharen: für die Senioren-E-Biker. Das ist nämlich ein Downhill Track für ältere Semester. Und weil Sonntag ist, kommen sie ab zehn Uhr in Scharen. Meine Grumpyness kennt mittlerweile keine Grenzen mehr. Irgendwann erinnere ich mich an die feine Avocado in meinem Rucksack und sitze im feuchten Matsch, geniesse meinen leckeren Wrap und lasse die Supersportler vorbeiziehen. Auf den nächsten paar Strassenkilometer bin ich wieder unter dem Nebel, in einem schönen Tal, welches mich an Kalifornien erinnert (nur war es dort wärmer). Viele schicke Landhäuser und Pferdekoppeln säumen die Strasse. Hier wohnen die wohlhabenden Wellingtonians, vermute ich. Oder zumindest stehen hier ihre Pferde. Noch ein letzter Hügel gilt es zu bezwingen vor der Hauptstadt. Eigentlich führt der Te Araroa hoch über der Stadt auf dem Skyline Track über die kahlen Gipfel und bietet fantastische Aussicht auf die Bucht von Wellington. Doch die Gipfel sind heute alle in den Wolken und der Wind bläst so fest, dass es mich fast umhaut. Da ich bis am 28.12. hier bin, ergibt sich bestimmt noch ein schönerer Tag dafür. Für heute steige ich ab und steuere die S-Bahn in Johnsonville an. Die bringt mich speditiv ins Zentrum, wo ich überrascht feststelle, dass trotz Sonntag alle Läden geöffnet sind. Vielleicht Weihnachtsverkauf? Auf jeden Fall finde ich noch neue Schuhe und Regenhosen, bevor ich in mein Studio einziehe. Nun sitze ich beim ersten Bier in Wellington und feiere auch ein bisschen Wochenende. Noch ein gemütlicher Spaziergang trennt mich vom Südende der Nordinsel, und ansonsten ist jetzt nur noch Kultur und Erholung angesagt. Und endlich mal wieder richtig kochen, denn die habe eine Küche! Mit leerem Rucksack gehe ich zum Supermarkt, randvoll gefüllt mit feinen Sachen komme ich zurück. Risotto, Spargeln, Lachs, Pilze, ein hiesiger Cabernet Sauvignon... Natürlich war ich hungrig und muss das alles jetzt essen bis nach Weihnachten. Aber ich freue mich auf dieses Festessen (bzw. es gibt mindestens drei Festessen, wenn ich mir den Berg so anschaue 😂).

Porirua - Johnsonville (Wellington), 20 km



Wellington, 23.-24.12.24

Tag 43-44

Nachdem ich am 23.12. einen absoluten Faulenzertag einlege (der Schrittzähler kommt nur auf knapp 2000 Schritte - ich war noch mal im Supermarkt, im Outdoor Laden und im Pub um die Ecke), nehme ich am Heiligabend die restlichen Kilometer von Johnsonville nach Downtown Wellington in Angriff. Schliesslich ist heute ein strahlend blauer Himmel und der Skywalk wird sicher superschön heute. Bus Nr. 1 bietet sozusagen eine Stadtrundfahrt vorbei am hässlichen Beehive (Neuseelands Parlament) und bringt mich direkt zum Trailhead. Ich steige zackig auf den Mt. Kaukau. Mit ultraleichtem Rucksack macht das Berge besteigen viel mehr Spass. Ich habe natürlich alles in meinem Appartement gelassen, ausser einem leckeren Picknick (Avocado und richtiges Vollkornbrot 😍), Wasser und meinen Regensachen. Trotz blauem Himmel misstraue ich dem neuseeländischen Wetter mittlerweile genauso wie die Einheimischen. Man weiss einfach nie... Doch ich habe Glück, es ist sommerlich warm, aber dank Wind nicht zu heiss. Auf dem Kaukau geniesse ich eine fantastische Aussicht hinunter auf die Hauptstadt und die Bucht, wo ich die riesigen Interislander Fähren beobachten kann, die mehrmals täglich auf die Südinsel fahren. Ein bisschen sehnsüchtig macht es schon. Die meisten Wanderer, die ich in den letzten Wochen getroffen habe, fahren heute oder morgen mit der Fähre nach Süden, um vor dem grossen Weihnachtsferienrummel in die Berge zu kommen. Aber es gibt keinen Grund für mich, traurig zu sein deswegen, denn ich habe einen noch besseren Plan: Ferien mit dem Schatz und im Campervan! Schon am nächsten Sonntag geht's los, wenn Sven in Auckland landet. Ich kann also gar nicht lange rumbummeln und deshalb steige ich bald auf dem Skywalk ab in Richtung Stadt. Ich möchte hiermit übrigens der Stadtverwaltung vorschlagen, diesen Wanderweg umzubenennen von "Wellington Skywalk" in "Dead Possum Alley". Das tönt doch viel cooler und entspricht eher der Realität, denn entlang des Skywalk sind so viele Fallen, in denen tote Possums baumeln, man wähnt sich tatsächlich in einem schrägen Western. Früher hat man die Gangster am Stadtrand aufgehängt, um Fremde zu warnen, was ihnen blüht. Hier wird man mit toten Possums begrüsst, die leicht im Wind bambeln, ein Festmahl für die Fliegen. Ein sympathischer Gruss der Hauptstadt an wandernde JAFOs? Aber ich habe euch ja noch gar nicht erzählt, was JAFOs sind: "Just another fucking Aucklander" 🙊. Das zeigt ziemlich deutlich, wie beliebt die Aucklander im restlichen Neuseeland sind. Öppe so wie die Zürcher bei uns 😉. Sorry Züri.
Anyway. Der Wanderweg führt nun durch die Vorstadt, bleibt aber mehrheitlich im Grünen und in Parks, sogar durch eine kleine Schlucht mitten in der Stadt. Wellington ist - typisch neuseeländisch - eine weitverzettelte Stadt aus 99% Einfamilienhäusern mit Garten und viel Grün. Nur im CBD (Central Business District) gibt's Wolkenkratzer und wenig Grün. Ausserdem ist Wellington hügelig, ich keuche ein paar sehr steile Quartierstrassen hoch, wo man gute Handbremsen braucht zum Parkieren auf der Strasse. Gegen Abend erreiche ich den botanischen Garten. Hübsche Rosen, ein paar Skulpturen und junge Kauribäume zieren meinen Weg durch den Park, aber eigentlich will ich jetzt nicht mehr wandern, sondern ein Feierabendbier. Zur Feier des Tages nehme ich daher die Standseilbahn runter ins Zentrum, ein Postkartenmotiv der Stadt und eine sehr coole Fahrt durch Regenbogenbeleuchtung im Tunnel. Ich glaube ich schick' das mal dem Appenzeller Bähnli für den Ruckhaldentunnel. Unten angekommen, beschliesse ich, noch vor zur Waterfront zu laufen und dort ein Weihnachtsbier zu trinken, weil es ein so schöner Sommerabend ist. Ausserdem haben die Touri-Bars dort noch offen, während meine Stammkneipe schon die Läden runtergelassen hat für die Feiertage. Tja. Für den Luxus zahle ich umgerechnet über 10 Franken für ein lumpiges Mini-Pint. Jaja, selber schuld. Ich versuche, es zu geniessen, während um mich herum nur Hipster und Touris sitzen. Die Location ist schon schön... Aber als die Sonne weg ist, ziehe ich mich zurück in mein kleines Reich und geniesse wieder meine zwei Herdplatten und viel Gemüse.

Johnsonville - Wellington CBD, 17 km


Wellington, 25.-27.12.24

Tag 45

Weihnachten! Die Stadt wirkt still und ausgestorben. Ich muss den Wecker stellen für einen morgendlichen Videocall mit der Familie. Das automatische Sunrise-Aufwachen gelingt offenbar nicht mehr in der Stadt mit so nervigen Ablenkungen wie Netflixen bis in die frühen Morgenstunden 😭🤣. Innert 2 Tagen habe ich mir meine neu entdeckte innere Lerche versaut. Beim Videocall mit meiner Familie präsentiere ich stolz meine schwarzgeränderten Zehen (die werden nicht mehr sauber) und führe mein goldglänzendes Partydress vor (Rettungsdecken sind multifunktional). Und natürlich bewundere ich den Weihnachtsbaum, die Krippe und die halb fertige Millennium Falcon, die meine Neffen aus Lego zusammenbasteln. Dann wandere ich weiter Richtung Süden, immer noch mit leichtem Gepäck. Vorbei am riesigen Nationalmuseum und dem Schriftzug "Wellngton" (ich brauche eine Weile bis ich erkenne, dass das kein Tippfehler ist, sondern ein Selfie-Gag, man ist selber das i), geht's zur Oriental Bay, wo die einheimische Bevölkerung sich fröhlich mit Rentiergeweih und Santa Claus Mütze ins Wasser stürzt. Ich bin beeindruckt, denn obwohl es Sommer ist, trage ich meine Windjacke und finde es nur mässig warm. Das Wasser ist bestimmt eisig. Dafür werde ich angequatscht, ob ich ein Te Araroa Wanderer sei, und es stellt sich heraus, dass ich mit dem Entwickler der Trail App spreche. Ich fange natürlich sofort an, die vielen Bugs zu beschreiben, bis ich merke, dass der gute Mann am Weihnachtsmorgen vermutlich überhaupt keine Lust hat, zu hören, wo die App überall abstürzt, und sich hastig verabschiedet. People skills... Es ist einfach nicht meine Stärke.
Der Te Araroa geht nun steil bergauf zum Mount Victoria, einem weiteren Stadthügel. Immerhin wird mir warm. Die Strasse ist mit roten Blüten des Pohutukawa übersät, wie ein roter Teppich. Im Alexandra Park wähle ich nicht die Route über den Gipfel, sondern entlang ein paar vorher sorgfältig recherchierter Waypoints, um die berühmten Lord of the Rings Film locations zu sehen. Hier wurden Szenen mit den Hobbits und den Nazgul gedreht, ganz am Anfang vom ersten Teil, Die Gefährten. Man braucht natürlich viel Vorstellungskraft, vor allem, da mittlerweile die Sonne richtig scheint, und der Pinienwald einfach überhaupt nicht unheimlich wirkt. Nazgul? Ja, da muss ich meine Fantasie ordentlich ankurbeln. Aber ich habe die Filme so oft gesehen (natürlich in der Extended Version), dass ich meine, jeden Winkel dieser hohlen Gasse zu erkennen. Der eigentliche Spot, wo sich die Hobbits vor dem Nazgul verstecken, ist sogar angeschrieben und es hat eine Sitzbank mit dem berühmten Zitat von Samwise, "Wenn ich noch einen Schritt weiter gehe, dann bin ich so weit weg von daheim wie nie zuvor!". Lustigerweise trifft dieser Satz aktuell auch auf mich zu. Mit jedem Schritt, den ich nach Süden laufe, bin ich weiter von "daheim" entfernt als je zuvor, und vermutlich auch als je wieder in diesem Leben. Hier tummeln sich auch ziemlich viele Touristen, unverkennbar mit dem Führer "Lord of the Rings Filming locations" in der Hand. So komme ich auch zu einem Foto von mir im Hobbit Versteck, auch wenn man das niemals wiedererkennen würde ohne CGI. Abends in meinem Apartment bastle ich eine schönes Vergleichsfoto, wie es damals ausgesehen hat, und heute. Fast 25 Jahre ist es her seit die Filme gedreht wurden. Time to feel old.... 👵🏻. 

Auf dem nächsten Bank mit einem meiner Lieblings-Gandalfzitate, "not all those who wander are lost", lasse ich mich nieder für eine Pause. Nun führt der Weg am Zoo vorbei (ein paar lustige Lemuren hüpfen herum), und auf den nächsten Hügel, mit deutlich weniger Touristen als vorher. Keine Filmkulisse hier, aber dafür ein ungehinderter Blick auf die Cook Straight, und am Horizont verschwommen die Südinsel. Es ist nicht das erste mal, dass ich sie sehe, schon an der Kapiti Coast konnte man die Nordspitze der Südinsel sehen. Aber heute ist das Wetter prächtig und das Setting passt. Kurz danach bin ich in der Island Bay, am südlichsten Punkt des Te Araroa auf der Nordinsel. Nicht ein ausserordentliches Highlight, da ich so viele Kilometer ausgelassen habe, aber dennoch: nun werde ich nur noch wenige Kilometer auf der Nordinsel wandern, zusammen mit Sven, und wohl eher so nebenbei als Touri. Es ist sozusagen Halbzeit, wandertechnisch gesehen. Der harte Teil, die Südalpen, liegt noch vor mir. Zeit für den Notfall Appenzeller, den ich bisher zweimal in der Hand hatte, und beide Male dann doch nicht getrunken. Das erste Mal auf dem Raetea, doch dann brauchte ich erst mal einen heissen Tee und Schoggi und konnte danach den Schnaps nicht mehr finden. Er tauchte am nächsten Tag bei der Zahnbürste wieder auf 🤣. Das zweite Mal war in den Tararuas, als ich frustriert und bis auf die Knochen durchgefroren zur Nichols Hütte zurückkehren musste. Da hielt ich den Schnaps gefühlt ein paar Stunden in der Hand und dachte einerseits, dass dies genau die richtige Gelegenheit sei für einen Notfallschnaps, andererseits auch an all die alten Filme, wo der Held im eisigen Winter dann doch erfriert, weil er den Schnaps aufmacht, statt sich einfach in den warmen Bauch des toten Pferd/Bär/Tauntaun zu legen, und ich liess es bleiben und trank wieder Tee. Ja, in Krisensituationen kann ich vernünftig sein und habe kein Problem damit, dass Leonardo di Caprio über mich lachen würde. (Chef? Ich hoffe du liest noch mit? Für die Versicherung. 😉)
Aber heute ist ein strahlend schöner Tag und der Te Araroa endet passenderweise auf einem Kinderspielplatz, wo gekreischt wird dass die Ohren wackeln. Klarer Fall, Zeit für den Schnaps. 😝
Wellington CBD - Island Bay, 12 km


Tag 46-47

Am Boxing Day regnet es, Zeit für einen Museumsbesuch. Das denken sich natürlich tausende Menschen ebenfalls, und das Nationalmuseum Te Papa ist gestossen voll. Die Naturkunde-Abteilung muss ich bald verlassen, sonst bekomme ich Tinnitus ob dem Geschrei. Ich besuche aber die berühmte Gallipoli-Ausstellung und muss sagen, die überlebensgrossen Figuren, von Weta Workshop erstellt, sind extrem gut gemacht und so detailliert, dass es fast unheimlich wirkt. Jeder Schweisstropfen, jedes einzelne kleine Härchen auf den Händen der Figuren kann man sehen. Später im Weta Workshop erfahre ich, dass eine einzelne Augenbraue etwa 6-8 Stunden Arbeit sind. Über die Schlacht von Gallipoli aus dem ersten Weltkrieg wusste ich bisher noch nicht viel, kurz gesagt war das ein einziges Fiasko und sinnloses Verheizen von Menschenleben, und für die Neuseeländer ist Anzac Bay ein nationales Trauma. Dafür ist die Ausstellung sehr gut gemacht, der Krieg wird nicht verherrlicht und der Fokus liegt auf dem furchtbaren Alltag der Soldaten in den Schützengräben. Die restlichen Ausstellungen über die Besiedelung Neuseelands und des ganzen Pazifikraums schaue ich mir an nächsten Tag nochmals an. Absolut sehenswertes Museum! Nachmittags mache ich eine Tour durch die Weta Workshops, wo Filmkulissen für Herr der Ringe und zahlreiche andere Filme hergestellt werden. Sehr spannend! Leider darf man fast keine Fotos machen.


Tag 48

In einer ewig langen Busfahrt (mit Verspätung fast 12 Stunden) fahre ich von Wellington nach Auckland. Es ist kein Spass, auch wenn die Landschaft durchaus schön ist, denn ich muss 10 Stunden lang rückwärts fahren und es schaukelt extrem im hinteren Teil des Doppelstöckerbus, wo noch Platz frei war.
Abends erreichen wir endlich Manukau in der Nähe des Flughafens, wo ich ein Zimmer gebucht habe. Morgen früh um vier landet Sven!




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