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Grenzwertig-Tour - Der Südosten. Teil 3: Val Poschiavo, Valmalenco und Val Mora

 


 

14. Juli 2022. Die nächste Etappe starte ich auf dem Berninapass. Heute gehts mit der Bahn auf den Bernina - ab hier weiter zu Fuss rund um den Piz Palü.


 Beim Ospizio Bernina steige ich aus und laufe erst mal eine Weile dem weissblauen Lago Bianco entlang, vor mir die Gletscher des Piz Palü. Was für ein Unterschied zu letztem Jahr, als ich hier im grössten Gewittersturm vorbeikam! Herrliches Wetter heute, und auf über 2000m ist die Hitze auch ganz erträglich. Da es schon spät ist, gehe ich nicht mehr weit. Bei der Alp Grüm geniesse ich ein Feierabendbier und eine tolle Aussicht auf den kitschblauen Lagh da Palü. Dann suche ich mir weiter unten bei Cavaglia ein Zeltplatz, in der Nähe eines hübschen kleinen Wasserfalls. Hier hat es natürlich überall Kühe, aber mit etwas Glück bleibt mein Plätzchen kuhfrei heute Nacht - das Gras ist schon abgefressen, die Kuhfladen alt. Ich treffe noch einen anderen Weitwanderer, ebenfalls auf der Suche nach einem Biwakplatz. Er ist von Männedorf hierher gelaufen. Da es schon fast dunkel ist, geht er bald weiter, bei mir ist nämlich nicht genug Platz für seine Hängematte. Bernina-Hospiz - Cavaglia, 9 km


 





15. Juli 2022. Es ist einfach ein Fluch mit den Kühen - auf ihre Neugier ist Verlass. Und so ist es auch kein Wunder, dass das Kuhgebimmel immer näher kommt, als es hell wird. Um sechs stehen sie vor meinem Zelt, viel zu früh für meinen Geschmack. Aber sie haben auch ihre Kälblein mitgebracht und dann verstehen sie ja manchmal keinen Spass, also lasse ich das Frühstück aus und packe schnellstmöglich zusammen. 


 

Etwas weiter unten, beim Gletschergarten, finde ich dann einen gemütlichen Picknicktisch für meinen Nescafé (seufz). Ich schaue mir die Gletschermühlen noch an, bevor ich dem Höhenweg Richtung Passo Confinale in Angriff nehme. Heute ist es leider schon früh sehr heiss und ich schleppe mich im 🐌Tempo dahin. Zum Glück geht es anfangs noch durch den Wald, und die Heidelbeeren versüssen mir den Weg. 



 

Doch einmal über der Baumgrenze macht sich die Hitze und die kurze Nacht bemerkbar, ich komme kaum vom Fleck. Wie Kaugummi dehnt sich der Weg und die Zeit, so dass es später Nachmittag wird bis ich oben bin. 


 




Hier weht endlich ein kühler Wind von den Gletschern vor mir. Was für eine Aussicht! Da mache ich endlich mal richtig Pause und geniesse die Rückseite des Piz Palü. Der Abstieg geht dann ganz leicht, über die hübsche Alp Gembré, wo gerade die Ziegen gemolken werden. Bald bin ich am oberen Stausee und schaue auf den unteren Stausee und das Valmalenco hinunter. Zwischen den Seen hat es einen schönen Picknickplatz mit Zaun - ruhige Nacht garantiert, keine Kühe! Ich schlafe noch bei Tageslicht ein, so müde bin ich. Cavaglia - Lago Campo Moro, 23 km


 


16. Juli 2022. Was für eine erholsame Nacht im Vergleich zur letzten! Der Parkplatz neben meinem Picknicktisch ist herrlich still bis um halb acht - dann tauchen die ersten italienischen Wandergruppen auf und es ist vorbei mit der Ruhe. Innerhalb einer Stunde füllt sich der Platz, Zeit zum Aufbrechen. 


 

Der Abstieg nach Francsia ist gemütlich und schattig, es geht unter riesigen Felsen hindurch ins Tal. Leider stelle ich dann fest dass der Bus in Francsia nur abends fährt und ich noch weiter talabwärts auf der Strasse (inklusive Tunnels) laufen muss 😒. Aber auch das geht vorbei, obwohl es immer heisser wird und der Asphalt unter meinen Füssen glüht. Am Mittag bin ich in Tornadri, und kann nicht mehr weiter in der Hitze. Dieses Jahr gibt's keine continued footsteps, beschliesse ich spontan, und nehme hier den Bus bis Chiesa, wo ich Ende Juli dann vom Sentiero Roma runterkomme. Lago Campo Moro - Tornadri, 11 km


 

Tornadri, ich hetze auf den Dorfplatz, drei Minuten bis der Bus fährt. Die Sonne brennt. Da fällt mir auf, dass ich keine Euros mitgenommen habe 🤦. Der Busfahrer will weder Kreditkarte noch Schweizer Franken und einen Bankomat gibt's hier auch nicht. Mega-Fail, Kathrin, der Schweizer Grenze lang ohne Euros... aber die Italiener beweisen einfach mal wieder, dass sie nett und unkompliziert sind. Der Busfahrer nimmt mich mit bis Chiesa, da muss ich eh umsteigen, soll der Kollege schauen. Aber auch der Kollege hat kein Kartenlesegerät, meint aber, unten in Sondrio am Schalter dann... Doch der Schalter dort ist zu. Busfahrer: 🤷‍♀️🙌. Ich: 🫣🙏🤗 Ich fahre zurück in die Schweiz zum Bernina, über Tirano und das wunderschöne Val Poschiavo. Doch heute brauche ich eine Dusche und fahre daher weiter bis Morteratsch, zum schönsten Campingplatz der Schweiz (soweit ich weiss...). Der ist natürlich am Samstagabend im Juli proppenvoll, aber immer noch wunderbar. Morgen geht's zurück zum Bernina!


 

17. Juli 2022. Der Campingplatz in Morteratsch liegt lange im Schatten, es ist kalt am plätschernden Bach. Ich bleibe zu lange liegen... as usual. Am Schluss muss ich wieder rennen, um das Postauto zur Diavolezza noch zu erwischen, und vergesse mein Handtüechli 😢. Ab der Talstation Diavolezza geht es zu Fuss weiter Richtung Livigno. Der Weg ist einfach und gemütlich, ich drehe mich immer wieder um für das herrliche Panorama auf die Bernina-Gruppe und die Diavolezza. 


 

Als ich gerade mal wieder am Fotografieren bin, zieht plötzlich jemand hinten am Rucksack. "Jemand" ist eine neugierige junge Kuh, die es auf meinen "Bisilompe" abgesehen hat, der hinten am Rucksack bambelt. (Wenn du nicht weisst, was ein Bisilompe ist, google mal "pee rag", am besten in zusammen mit dem Stichwort "backpacking", damit keine unanständigen Sachen erscheinen 😉). Die Kuh findet den Lumpen jedenfalls lecker. Ich allerdings finde Kuhsabber nicht so toll und schimpfe mit ihr. Sie guckt betüpft und schaut betreten weg, während ich ein Polizeifoto von der gefrässigen Diebin mache. 


 

Auf der Alp Stretta gibt's kühle Getränke und ein Sonnenschirm gegen die Hitze - herrlich. Auch auf über 2400 Meter ist es ganz schön warm. Was für ein krasser Unterschied zum Sommer 2021! Nun ist es nicht mehr weit bis zum Passo del Fieno, der wieder nach Italien führt. 


 



Auf der anderen Seite geht es steil hinunter zur Passstrasse über die Fuorcla di Livigno. Langsam stöckle ich bergab, denn abgesehen von ein paar hohen Stufen ist der Weg total von den Mountainbikern zerfurcht. An der Strasse habe ich zwei Optionen: noch über 12 km auf dem Radweg neben der lärmigen Strasse nach Livigno laufen oder den Bus nehmen. Ich nehme den Bus und gönne mir dafür noch ein Zielbier. 😉 Bernina Diavolezza - Livigno, 10 km

Abends nehme ich das Postauto zurück ins Münstertal (wobei ich den Anschluss verpasse und stöppeln muss, aber das klappt wunderbar). Dort steht bald mein Zelt auf dem Campingplatz Mulegn - ab morgen geht's weiter Richtung Zernez.


 


18. Juli 2022. Heute gönne ich mir ein paar richtige Kaffees, wo ich gerade in der Zivilisation bin. Den ersten gibt's gleich am Campingplatz in Müstair, dann laufe ich los, zunächst auf dem Jakobsweg nach Sta. Maria. Prompt treffe ich zwei Pilgerinnen (diese 🐚 am Rucksack sind schon ein praktisches Erkennungsmerkmal). Sie wollen vorerst mal bis Sedrun, und dann natürlich nach Santiago. Der Bündner Jakobsweg (oder "Via Son Giachen", wie er hier heisst) tönt nach einer spannenden Route, die auf meine ToDo-Liste kommt. In Sta. Maria gibt's den zweiten Cappuccino, und ein paar leckere Backwaren, bevor ich wieder in die Berge laufe. 


 

Ich biege auf einen Schotterweg Richtung Val Mora ein. Früher war dies ein wichtiger Übergang nach Italien, heute gehört das wilde Hochtal den Bikern und Wanderern, wobei einige (wenige!) Biker leider nicht viel Rücksicht nehmen auf die Wanderer, schade! Es hat nämlich genug Platz für alle hier und ist eine tolle Gravel Route. Ich versuche, mich nicht fest aufzuregen über die vereinzelten, testosterongesteuerten Idioten (gelingt mir nur mässig), und einfach die tolle Landschaft zu geniessen (das wiederum gelingt mir prima). Das Tal wirkt gewaltig gross, und so verlassen wie der Yukon, obwohl es auch vereinzelt Kühe hat hier. Mir gefällt es sehr gut, und die Murmeli grüssen auch schön 🤗. Es ist brutal heiss (ich fürchte, ich wiederhole mich), und ich bin um die vielen Brünneli froh, an denen ich meine Wasserflaschen auffüllen kann. Ich glaube, ich trinke über 4 Liter Wasser heute. 


 




Es ist schon Abend, als ich die Alp Mora erreiche, wo man mir ein herrlich kühles Bier serviert. Ich frage nach einem guten Biwakplätzli, und die Sennerin gibt mir ein paar Tipps, wo es keine Kühe hat. Ich steige noch etwas auf bis zu einer Hochebene und finde einen schönen Platz. Das Kuhgebimmel ist weit weg, hoffentlich bleibt das so. Ich sehe in der Ferne ein Reh, sogar ein Edelweiss finde ich noch kurz vor Sonnenuntergang. Herrliche Abendstimmung während ich mein Vegicurry koche, und ich kann mir glatt vorstellen, wie hier Bär und Wolf rumstreunern. (Aktuell hat es keines von beiden, aber die Sennerin von der Alp Mora hat erzählt dass sie beides schon hier gesehen haben). Was für ein schönes Ausklingen des Tages! Müstair - Alp Mora, 22 km


 





19. Juli 2022. Eine herrliche Nacht in den Bergen! Die Kühe bleiben weit weg, es ist warm genug, dass ich bei offener Zelttüre den Sternenhimmel geniessen kann. Erst gegen Morgengrauen ziehen Wolken auf und feuchten alles ein. Doch die Sonne wandert früh über den Berg und erledigt das Kondenswasser so schnell, dass man fast zuschauen kann, wie es verdampft. Die Murmeli fangen an zu pfeifen, denn schon tauchen die ersten Wanderer auf, und ich reisse mich endlich auch los. Allerdings komme ich nur langsam voran, obwohl der Weg bis zur Buffalora fast flach ist. Es hat soooo viele Edelweiss hier, und eins schöner als das andere, ich fötele und filme wie wild. 


 

Schliesslich reisse ich mich los, doch als ich endlich meinen Rhythmus finde, zappelt vor mir eine winzige, noch blutjunge Kreuzotter über den Weg. Normalerweise fürchte ich mich zu Tode vor Schlangen, aber die ist wirklich fast herzig (Betonung auf "fast"). Ausserdem ist sie sehr fotogen, wie sie da durchs kurze Gras und die Edelweisse wedelt, ich kann sie sogar filmen. Danach gelingen mir immerhin ein paar Höhenmeter, zurück in den Nationalpark, bevor ich mich - schweissgebadet - wieder den Edelweissen und der schönen Aussicht auf den türkisblauen Livigno-Stausee widme.


 


 Es hat wieder viele Wanderer hier am Munt la Schera, wie überall im Nationalpark. Die meisten sind total überfordert von der Hitze, obwohl es kein schwerer weg ist. Eine Frau fragt mich verzweifelt, ob irgendwann Schatten kommt - ich muss sie leider enttäuschen. Doch mein Weg führt nun ins Tal und damit in den wilden (schattigen!) Bergwald. Zum Glück hat es wieder irgendwo einen Brunnen, denn auch heute "verdampft" mein Trinkwasser schneller als sonst. Bereits am frühen Nachmittag erreiche ich Punt la Drossa und nehme das Postauto bis Zernez - es ist einfach zu heiss, um auf, bzw. neben der Strasse ins Tal zu wandern. Ich freue mich auf die Dusche und eine halbwegs kühle Wohnung daheim. Nächste Woche geht es weiter in Italien, auf dem Sentiero Roma mit Chantal! Alp Mora - Zernez, 13 km



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