Direkt zum Hauptbereich

Whisky Trail, part 1: West Highland Way

 


2. September 2022, Milngavie. 

Hier startet der West Highland Way - und wie! Mit einem Start-Torbogen, einem Start-Monument, und... Nein, keinem Dudelsackspieler, sondern einem Geigenspieler, der enthusiastisch "Hava nagila hava" spielt 😉. Eine ältere einheimische Dame, die mich am Monument beim Startphoto beobachtet, läuft die ersten Meter mit mir, der Weg führt direkt durch den Stadtpark. "Ganz alleine?", fragt sie neugierig. "Für den Moment, ja", lächle ich - denn aus meinem Vorortszug, der mich von Glasgow Queen Street hierher brachte, sind mindestens noch ein halbes Dutzend andere Wanderer gekommen. Einer läuft bereits stramm voraus, zwei junge Männer müssen noch ein Sixpacks Tennent's in ihren Rucksäcken verstauen, und zwei Schweizer Mädels posieren vor einem zuckersüssen, rosaroten Café in der Hauptstrasse von Milngavie für ihr Instagram Account. Mal schauen, wie lange ich es alleine aushalte 😜. 
 



 Der West Highland Way führt eine ganze Weile durch einen hübschen Stadtpark, der bald in ein Naturschutzgebiet übergeht. Am Ende des ersten kleinen Lochs wandere ich an einer alternativen Hüttensiedlung vorbei, die vor über 100 Jahren von einem Fahrradclub gegründet wurde und später allerlei Rebellen beherbergte - Suffragetten, Freiwillige des spanischen Bürgerkriegs, Gründer diverser Kletter- und Bergclubs. 
 

Der Weg führt ziemlich flach und einfach durch die mittlerweile sehr ländliche Gegend. Die zahlreichen Brombeeren sind noch etwas sauer und mir ist ein bisschen langweilig. 
 


 

 
Nach mehreren Stunden gemütlichem Wandern mache ich einen Abstecher zur Glengoyne Distillery. Die angebotenen Whisky-Touren dauern leider ziemlich lange und eine Degustation ist ohne Tour nicht möglich. Aber die Dame im Shop lässt sich erweichen und gibt mir ein Probiererli vom 10jährigen - einem leckeren "Anfänger" Whisky, da er ziemlich öpfelig, vanillig und lieblich schmeckt. Den gibt's zum Glück in kleinen Flaschen und mein Rucksack ist ein bisschen schwerer, als ich die Distillery verlasse. Dafür habe ich erfolgreich den ersten Regenguss dieser Tour beim Whiskystudieren ausgesessen. Ich verabreiche mir selber einen "Clever-Wandern-Award" und marschiere zurück zum West Highland Way. 
 


 
 

Im Pub kurz danach macht man aber gerade zu, aber da sie eh nur Dosenbier haben (was mich ein bisschen entsetzt), gehe ich weiter. Mittlerweile tun mir die Füsse weh von dem einfachen, aber pickelharten Schotterweg. Dieser führt nun schnurgerade entlang einer alten Bahnlinie durch die Schafweiden. Gatter auf, Gatter zu - mindestens 20 Gatter zähle ich, dann höre ich auf damit. Falls ich mal nicht schlafen kann, werde ich statt Schafen die Gatter auf dem West Highland Way zählen. Eigentlich dachte ich, dass ich auf der leichten ersten Etappe viel weiter komme, doch meine Füsse schreien nach Gnade. Die Schuhe, mit denen ich fünf Monate auf der Via Alpina fast keine Probleme hatte, zwacken heute fürchterlich. Hoffentlich ist das morgen besser! Nach 20 km finde ich einen herzigen Bauernhof-Camping, mit Scheune zum Kochen und rumsitzen. Es sind nur Wanderer da. Nach einem leckeren Couscous freue ich mich jetzt sehr auf den Schlafsack. Milngavie - Drymen, 20 km

 


3. September 2022. Das Ziel für heute ist: nicht nass werden. Das wird ein Challenge, denn es sind über 20mm Regen angesagt. Der erste Guss soll um acht kommen, also stehe ich schweren Herzens früh auf und baue das Zelt ab, solange alles noch schön trocken ist. Das gelingt ziemlich gut, und während der erste Nieselregen fällt, frühstücke ich gemütlich in der Scheune, während die meisten noch im Zelt liegen. Ein anderes Schweizer Wandergirl ist auch früh dran, und sie kommt mir sehr bekannt vor. Die habe ich doch schon auf dem TGV und im Eurostar gesehen! Cool! Endlich bin ich parat und laufe los, es regnet nicht, aber windet ziemlich fest. Zunächst geht's über Schafweiden, dann durch die Hecken in den Wald. 



 


Das ist leider kein sehr schöner Wald, viel Kahlschlag - aber dafür sehe ich bald schon den Loch Lomond. Das Wetter ist trüb. Wegen mangelnder Aussicht lasse ich den Conic Hill aus und laufe direkt nach Balmaha, wo ich - mit den ersten Regentropfen - ein Café finde und ein leckeres Mittagessen mampfe, bevor es weitergeht. 

 



 

Den ganzen Nachmittag laufe ich nun dem Loch Lomond entlang, mal wunderschön direkt am Strand, mal eher nervig auf dem Fahrsträsschen. Meistens geht es durch den Wald, was mich ziemlich gut vor den häufigen Regenschauern schützt. Trotzdem, ganz ohne Schirm und Regenjacke geht's nicht. Der See verschwindet auch eher im Grau statt blau. Dafür ist der Wald magisch, uralte Eichen, viel Moos, ein richtiger Harry-Potter-Wald. Passend dazu ein Harry Potter Hörbuch rein, und die Kilometer purzeln, zwar langsam, aber stetig. Mir tun immer noch die Füsse weh, aber nicht mehr so wie gestern.


 


 



Am Loch Lomond ist das Wildzelten verboten (weil Nationalpark), und sowieso hätte ich heute gerne ein Dach über dem Kopf. In der Nacht soll der Hauptanteil des Regens fallen. Die Jugendherberge lässt mich kein Bett online reservieren, also bleibt es spannend bis zum Schluss. Als ich endlich, im Nieselregen, an der Jugi ankomme, bin ich so glücklich, dass es noch ein Hostel-Bett hat, ich könnte dem Typ an der Rezeption um den Hals fallen. Statt dessen lasse ich mich in Sachen einheimisches Bier beraten und lasse mir sein Lieblingsbier aufschwatzen. Es schmeckt herrlich! Drymen - Rowardennan, 25 km


 
 


4. September 2022. Als ich im Morgengrauen erwache (der Schlafsaal hat sich noch ordentlich gefüllt gestern Abend, und natürlich wird auch bei den Mädels kunstvoll geschnarcht), trommelt der Regen aufs Dach. Daher drehe ich mich nochmals um und schlurfe als Letzte zum Frühstück - alle Wandervögel sind schon ausgeflogen. Kurz vor zehn schüttet es immer noch, aber der Check-out in Jugendherbergen ist noch so gnadenlos wie vor 20 Jahren, also mach ich mich wasserfest und stapfe los. It's raining cats and dogs, habe ich mal im Englisch Unterricht gelernt, wobei das noch höflich ausgedrückt ist. Naja, in einem Anflug von Pessimismus habe ich meine Regenjacke daheim noch imprägniert, was sich jetzt auszahlt. 


 









Bis Mittag bleibe ich trotz Dauerregen trocken, dann lässt der Regen endlich nach, nur noch ein paar gelegentliche Schauer lassen den Regenschirm regelmässig zum Einsatz kommen. Es muss sehr stark geregnet haben nachts, denn viele Wasserfälle rauschen über den Weg, das für Schottland typische torfbraune Wasser sprudelt überall und zwingt mich zu ein paar nicht vorhergesehenen Hüpfern und Balance-Akten über geflutete Wege. Bis Inversnaid nehme ich "the high road", obwohl ja Runrig (meine grosse Liebe der 90er Jahre) ganz klar singen, dass man the "low road" nehmen soll, um als erster in Schottland anzukommen, an die bonnie bonnie banks of Loch Lomond. Gut bin ich keine zwanzig mehr und weiss es besser 😜. Auf der high road komme ich gut voran, geniesse den herrlichen schottischen Regenwald (OK, das habe ich von einer Infotafel), und es gibt sogar einen Regenbogen. Nach einem Picknick neben dem rauschenden Wasserfall von Inversnaid geht es weiter. Nun gibt's nur noch "the low road", ein matschiger, felsiger Wurzelpfad direkt am Seeufer, viel auf und ab, teilweise recht hohe Tritte. Eigentlich sehr schön, nur geht's halt langsam voran. Aber erstmals seit drei Tagen ist mir nicht langweilig, und während sich die anderen Wanderer quälen, bin ich eigentlich rundum happy mit dem Weg. Angeblich warnen alle Wanderführer vor diesem Abschnitt als dem schwierigsten des ganzen West Highland Way. Ich frag mich in solchen Momenten immer, wieviel davon Suggestion ist. Mehrere Leute (die mich, wohl gemerkt, alle überholen), fragen mich, ob ich es auch so schrecklich fände, und ich versuche, nicht der Oberwanderstreber zu sein und zuzugeben, wie gut es mir gefällt. 


 









Die Sonne scheint, der schottische Regenwald ist fantastisch. Allerdings gibt es tatsächlich ein paar gewaltigen Wermutstropfen: auf dem schönen Loch Lomond kurven nervige Jetskis, die einen Höllenlärm machen. Und dann sind da die schottischen Ungeheuer. Die schlimmsten Raubtiere der Highlands sind nicht Nessie oder irgendwelche entflohenen Harry-Potter-Drachen, sondern ein infernales Duo namens Midge & Tick. Die schottischen Midges sind fiese Winzmücken, die einem attackieren, sobald man stehen bleibt. Sie greifen zielsicher Ohren, Augen, Knöchel und Ausschnitt an. Was jegliche Fotopausen zur Qual macht (richtige Pausen mache ich keine mehr). Aber immerhin kannst du vor denen noch davon laufen. Die Zecken (ticks) sind allerdings auch eine Herausforderung. Der Weg führt des öfteren durch Farn, hunderte von Metern weit, und der Farn ist höher als ich. Da sitzen die Zecken auf den hübschen Farnspitzen und hängen sich an meinen Nacken, Haare, Schultern - genau da, wo ich nicht hinkomme und bald alles unheilvoll juckt. 


 


Stelle ich meinen Rucksack mal kurz ab, kann ich nach 30 Sekunden ein Dutzend Zecken von ihm abwischen, es ist mir ein Rätsel, wie die so schnell krabbeln können. Der sonnige und eigentlich wandertechnisch sehr schöne Nachmittag zieht sich daher in die Länge, den Wildzelten scheint mir bei diesen fast biblischen Plagen ein Unding. Also powerwalke ich weiter bis zum nächsten Campingplatz in Inverarnan, wo es eine Bar (mit Midge-Proof Türen), eine gesicherte Küche und ein Bad mit grossen Spiegeln gibt, vor denen ich mich - zusammen mit einem anderen West Highland Way-Wandermädel - von Zecken befreie. Das Zelt stelle ich in Rekordzeit auf, bevor ich mich zu einem Pint in die Bar flüchte. Rowardennan - Inverarnan, 25 km

 

5. September 2022. Der Tag beginnt im Morgengrauen, denn es beginnt um etwa fünf Uhr früh zu regnen und stürmen. Die Zeltwiese war bereits matschig, als ich gestern das Zelt aufgestellt hatte, und nun steigt das Wasser alarmierend schnell, die Zeltwand flattert heftig. Bald schwimmt meine Luftmatratze sozusagen im Zelt und ich versuche verzweifelt, alles, was keinesfalls nass werden darf, auf der Isomatte (= Floss) zu halten. Der Regen prasselt aufs Zelt, und es donnert unheilvoll (und das alles vor sechs Uhr und lang vor dem ersten Kaffee 🤬☕⛈️). Ich bin ziemlich grumpy. Immerhin, ein Frosch, dem das Donnerwetter auch zu viel wird, rettet sich quakend unter mein Vorzelt und macht es sich auf meinen stinkigen Flip Flops gemütlich. Unterhaltung ist also garantiert, während ich darauf warte, dass der Regen nachlässt und die Bar öffnet für Frühstück und Kaffee. Dort sitze ich dann bei Bacon & Egg roll bis das Wetter endlich freundlicher wird. Bevor ich weiterziehe, kaufe ich mir allerdings noch das Fashion Item Nr. 1 der schottischen Highlands: das Headnet, ein Winzmücken-sicherer Kopfschutz. Sehr nützlich und stylish, das ultimative Hikertrash-Must-Have. 



 

Endlich kommt die Sonne raus und im Nu wird's tropisch schwül, Zeit zum Wandern und Schwitzen. Glücklicherweise sind die Midges unfähig, selbst einer Schnecke wie mir gefährlich zu werden, solange ich mich auch nur ein bisschen bewege. So wandere ich auf einem alten Militärweg ziemlich friedlich nach Tyndrum. Obwohl der West Highland Way extrem beliebt ist und ähnlich viele Wanderer hat wie ein beliebter Camino, wandere ich dennoch stundenlang friedlich und allein durch die Landschaft. 

 







Nun bin ich definitiv in den Highlands, die blanken grünen Berge wecken Erinnerungen aus meiner Jugend (ich war in meinen Twens ein totaler Scotland-Aficionado). Der Weg führt heute immer noch etwa zur Hälfte durch den Wald, wo alles tropft und glitzert, die Pilze spriessen überall. Ansonsten wandere ich über Schafweiden, durch Kahlschlag, entlang von Landstrassen, vorbei an alten Friedhöfen und zutraulichen Rotkehlchen. Das Wasser der zahlreichen Bäche ist torfbraun, und als ich irgendwann mal Wasser filtern muss (weil hier nicht wie daheim jeder Bauernhof einen Brunnen hat), sieht mein Trinkwasser aus wie... sagen wie mal, schlecht gebrauten Tee. Es schmeckt aber herrlich! 


 







In Tyndrum angekommen, kommen die Midges pünktlich zurück Apero-Stunde wieder raus, so dass ich froh um die langen Hosen und das Headnet bin. Meine Zeltnachbarn sind von Estland und finden die Midges "cute", also herzig, nichts im Vergleich zu ihrem Heimatland. Ich bin fassungslos. Ein älterer, erfahrener schottischer Wanderer sagt mir dann aber beim abendlichen Suppenkochen in Full-Body-Armour, das sei schon ziemlich Hardcore hier. Er ist allerdings aus den Lowlands und sagt von sich selbst, er sei ein "wuss" (= Weichling). Ich selber kann schlecht beurteilen, wie schlimm es wirklich ist, und - klar, Bibliothekarin - recherchiere daher das Mückenproblem. Und siehe da, es gibt einen Midge Report für Schottland, kein Witz! Ich befinde mich derzeit in einer Gegend auf Stufe 2 ("mostly midge free"), was ich für triefenden Sarkasmus halte, wandere aber stetig auf eine Zone mit Stufe 4 zu ("That’s no mist, that’s midges!"). You got to bei kidding! Aber eigentlich kein Wunder - morgen komme ich zum Rannoch Moor, dem grössten Sumpf von Schottland. Wenn ihr nicht wisst, wo das ist, empfehle ich den Film "Trainspotting". Ich sag nur: ich lasse mich nicht an irgendwelche Gleise fesseln. The fun continues! Inverarnan - Tyndrum, 23 km


 
6. September 2022. Ich erwache wieder früh, packe zusammen und wandere gleich als erstes mal ins Dorf fürs Frühstück, denn hier gibt's ein vielversprechendes "Real Food Café", das tönt doch besser als Porridge und Nescafé in der ungemütlichen Kochecke des Campingplatzes. Das schottische Frühstück ist echt lecker (ich wage mich erstmals an Blackpudding, und sogar die lokale Wurst schmeckt mir), und ich bleibe länger sitzen als geplant. 


 

Als ich endlich loswandere, ist der Himmel definitiv in Aprilwetter-Stimmung, alle 30 Minuten ist ein Kleiderwechsel angesagt. Der West Highland Way folgt immer noch einer alten Militärstrasse, das Wandern ist leicht und die Gedanken können wandern. Das wechselhafte Wetter ergibt ein paar sehr schöne Stimmungsbilder. Trotz regelmässigen kurzen Schauer ist es warm und schwül. 


 




In Bridge of Orchy brauche ich dringend eine Pause und geniesse ein leckeres hiesiges Bier. 


Eigentlich wollte ich noch bis ins Rannoch Moor wandern heute, doch gegen Abend kommt ein heftiger Regen und ich rette mich in die Bar eines hübschen Country Inns. Zimmer haben sie leider keine mehr, aber bei einem (OK, zwei) Glas Wein lassen sich zweieinhalb Stunden Starkregen gut aussitzen. Hinter dem Hotel im Wald finde ich einen halbwegs trockenen Zeltplatz, aber die Midges sind so aggressiv, dass ich mich sofort ins Zelt stürze und dieses auch nicht mehr verlasse. Tyndrum - Inveroran, 18 km


 

 


7. September 2022. Als ich aufwache, scheint schon die Sonne aufs Zelt und die Midges tanzen unter meinen Vorzelt. Es tönt wie ganz feiner Nieselregen, wenn Tausende dieser Viecher gegen das Aussenzelt prallen. Creepy! Ich habe aber mittlerweile schon Übung, bereits im Zelt die ganze Vollmontur (Regenjacke, Headnet, lange Hosen) zu montieren, bevor ich es wage, den Zeltreissverschluss zu öffnen. Das Abbauen geht auch schon entschieden schneller als normalerweise vor dem ersten Kaffee. Zum Glück hat die schicke Country Lodge erkannt, dass die mittellosen Zeltler durchaus Hunger haben auf Bacon and Egg rolls und Kaffee, und im alten Schuppen neben dem Hotel eine kleine Frühstücksbar eröffnet. Ich verzichte ebenfalls mit Freuden auf meinen Porridge und geniesse lieber ein herzhaftes Frühstück, auch wenn ich dabei auf und ab marschieren muss (denn im Sitzen wird man gefressen, bevor man selber auch nur einen Bissen runterkriegt). 


Das Motto heute lautet also " I Like to move it move it". Die Midges sind mittlerweile auch schneller geworden, und ich muss mich anstrengen beim Wandern, um ihnen davonzulaufen (das hasse ich, beim Wandern halte ich es gerne mit Balu der Bär und probiere es mit Gemütlichkeit). So wird für mich die eigentlich schöne Durchquerung des Rannoch Moor zur Qual, entweder muss ich das blöde Headnet aufsetzen (womit man nichts sieht und fest schwitzt) oder ich muss einfach hetzen. So ein Seich! Dazu kommt auch noch regelmässig ein Regenguss. Ich denke dann immer, "jaja, das hört gleich wieder auf", bis ich ordentlich nass bin, schlussendlich doch klein beigebe und anhalte (MIDGES!), um die Regensachen anzuziehen. Dann laufe ich 30 Sekunden, und es hört auf zu regnen. 🤬🤬🤬





 




Endlich erreiche ich das King's House, ein luxuriöses Inn mitten im geschichtsträchtigen Glencoe, und da gerade die Sonne scheint und ein leichter Wind geht (der Todfeind der Midges), mache ich eine Pause auf der Bierterrasse. Das Ale schmeckt super, und schnell werden es zwei. Der Hunger meldet sich auch, ich konnte ja kaum was essen bisher, also setze ich mich rein und bestelle einen leckeren Venison Burger. 


 

Als ich fertig bin, regnet es in Strömen, also warte ich ab. Irgendwann ist es fast acht Uhr abends, jetzt brauche ich auch nicht mehr loslaufen. Schnell das Zelt hinter dem Hotel aufgestellt, neben mir macht eine Gruppe Holländerinnen, die ebenfalls neben mir im Pub sassen, dasselbe. Ich bin schon um neun am Pfuuse und hätte wohl auch herrlich durchgeschlafen, wenn nicht um kurz vor Mitternacht noch ein paar angesäuselte Weitwanderer aus dem Inn stolpern und krakeelend im Dunkeln versuchen, ihre Zelte nicht direkt in den Sumpf zu stellen. Unglücklicherweise finden sie, dass direkt (und ich meine, einen halben Meter) neben meinem Zelt noch ein super Platz ist für ihre drei Zelte, und ich stecke mir grummelig die Oropax rein, während sie lautstark mit Zeltstangen und Heringen rumklappern, bevor sie endlich kichernd und schnarchend auf ihre Gummimatten fallen. Inveroran - Glencoe, 17 km


8. September 2022. Der Morgen startet nass, und so koche ich mir mehrere Kaffees und Tees im Zelt, bevor ich während einer kurzen Regenpause dann rasch alles einpacken kann. 


 

Leider beginnt es nach wenigen Minuten schon wieder zu regnen und es hört auch bis am Mittag nicht mehr wirklich auf. Das ist lästig, denn es ist dazu auch noch warm und windstill, das heisst, die Midges fliegen wie wild. Zu allem Überfluss geht's heute auch noch ordentlich bergauf, über einen richtigen Pass, so dass ich wieder zu langsam bin, um den Mücken zu entkommen, und in meinen Regensachen furchtbar schwitze. Es fallen hässliche Fluchwörter. 


 



Eine endlose Kolonne von nassen Wanderern kämpft sich die Devils Staircaise, so heisst der berüchtigte Aufstieg zum Pass, hinauf (wobei ich ja finde, wenn das der Teufel gebaut hat, dann war er unglaublich nett - herrlich kleine und flache Stufen sind das, im Vergleich zu manchen Alpenpässen). Dennoch dauert es, bis ich oben bin. Dort geht endlich der langersehnte Wind und die Wolken lichten sich. Ich erhasche einen ersten Blick auf die höchsten Munros von Schottland (ein Munro ist ein schottischer Berg, der höher als 3000 Fuss ist, also gut 900 m hoch). Der Ben Nevis, der höchste Brite, ist gerade in den Wolken, aber ein paar andere (mit furchtbar komplizierten gälischen Namen) gucken raus. Schön! 


 



Das Panorama kann ich noch lange geniessen, bevor es hinuntergeht in eine Art Fjord nach Kinlochleven. Das Kraftwerk und die alten Aluminium-Werke geben dem Ort einen speziellen Charme. Beim Blackwater Hostel stelle ich mein Zelt auf. Ein heftiger Wind trocknet alles im Nu, doch sobald ich mich mit einem kühlen Loch Ossian-Bier an einen Picknicktisch setze, hört der Wind auf und der lästige Mückentanz geht wieder los. Ich verziehe mich in mein Zelt, allerdings folgen mir in den drei Sekunden, die ich brauche, um den Reissverschluss auf- und zuzuziehen, mindestens 200 dieser Sauviecher, und schwirren munter an Kopf - und Fussende des Zeltes, während ich wild um mich schlage. Hrmpf! Schlussendlich gebe ich auf und marschiere zum Supermarkt, um mir endlich eine Chemiekeule gegen die Plage zu besorgen. Die wirkt zwar nur beschränkt, aber immerhin. 



Da an selber draussen kochen und essen nicht zu denken ist, suche ich ein Pub und geniesse einen herrlich entspannten Abend bei Fish and Chips. Meine Tischnachbarin, eine junge Engländerin namens Jersey, ist ebenfalls auf dem West Highland Way mit Zelt unterwegs, wandert auch öfter und wir kommen ins Gespräch. Plötzlich schaut sie auf ihr Handy, guckt schockiert und sagt: "Die Queen ist gestorben!" Wir sind beide baff. Obwohl die alte Dame natürlich sterblich ist wie wir alle, scheint es doch unglaublich, dass sie zu unseren Lebzeiten noch sterben sollte. Seit 70 Jahren sitzt die Queen auf dem Thron! Im Pub rund herum ändert sich nichts, am Grossbildschirm läuft Fussball und den Schotten scheint das egal zu sein. Naja, die Nachricht ist noch jung. Ich trinke noch ein Pint zu Ehren von Elisabeth und mache mich dann auf den Heimweg in mein nasses Zelt (denn natürlich hat's schon wieder geregnet zwischenzeitlich). Auf dem Heimweg laufen mir zwei Rehe über den Weg, mitten im Dorf. Sie sind gar nicht scheu und schlendern über die Strassen, als kämen sie auch gerade vom Pub. Jööö... 🥰


 



9. September 2022. Der Himmel ist dunkelgrau und die Midges schwirren, als ich die Zeltwiese verlasse. Das Allerbeste an so populären Wanderrouten ist die kulinarische Versorgung - so muss ich auch heute keinen faden Porridge kochen sondern kann mir beim Foodtruck im Dorf eine leckere breakfast roll mit Cappuccino holen. Das ist gut für meine Nerven, denn zunächst geht's ordentlich bergauf und die Midges plagen mich, da ich zu langsam bin. 


 

Endlich erreiche ich die Baumgrenze und atme auf - hier geht ein leichter Wind und der Weg führt fast flach den Glen (= Tal) hinauf. Nach ein paar leichten Regenschauern klart es endlich auf und die Sonne drückt durch. Der Rest des Tages ist schnell erzählt - ich wandere noch etwa 20 km sanft talabwärts, dann talabwärts auf einer alten Militärstrasse. Mit dem Mountainbike wäre es ein Traum. Zu Fuss ein bisschen monoton nach ein paar Stunden, aber ich bin mitten in den schottischen Bergen und somit eigentlich ganz zufrieden. Irgendwann haben mich alle überholt ausser die lustigen Holländerinnen und zwei nette Senioren aus Cornwall, die mich auf der Zielgeraden begleiten. 


 





Die meisten Wanderer rennen heute durch bis Fort William, dann machen sie wahrscheinlich Party bis zum Morgengrauen und fliegen oder fahren am nächsten Tag heim. Der West Highland Way führt allerdings direkt am Fuss des höchsten Berges von Grossbritannien vorbei, dem Ben Nevis (1345m). Auf den letzten Kilometern liegt er direkt vor meiner Nase, verführerisch nah. Mit dem "Hügel" habe ich sowieso noch eine Rechnung offen - meinen ersten Besteigungsversuch vor über 15 Jahren musste ich abbrechen, wegen Regen und Schnee. Aber morgen sollte das Wetter perfekt sein. Daher schlage ich mein Zelt für zwei Nächte im Glen Nevis Campingplatz auf. Morgen ist Gipfeltag! Kinlochleven - Glen Nevis, 24 km


 
 

10. September 2022. Eigentlich hatte ich vor, früh aufzustehen, aber auf dem Zeltplatz kehrt lange keine Ruhe ein nachts, und erstmals ist es so kalt, dass ich meine Daunenjacke brauche zum Schlafen. Daher warte ich, bis das Frühstückskaffee aufmacht und die ersten Sonnenstrahlen den Zeltplatz zum Dampfen bringen. So geht es erst um zehn los - Prime time zum Wandern, wie es scheint. Eine endlose Kolonne Wanderer, Bergsteiger, Trailrunner, Hündeler und Ahnungslose steigen mit mir auf. Zum Glück ist der Weg breit, allerdings hat es auch schon ordentlich Gegenverkehr. Ich bin immerhin heute mal nicht die Allerlangsamste. 


 








Dennoch brauche ich 4 Stunden für den Aufstieg, der zwar nicht schwierig ist, aber eben trotz allem ein Bergweg. Endlose Serpentinen führen auf den Gipfel des Ben Nevis. Es wird immer kälter, unten im Tal war es noch gemütlich warm in der Sonne, auf 1000 Meter weht ein eisiger Wind und es fühlt sich an wie auf 3000 Meter, nur noch Steinwüste. Doch die Aussicht wird immer besser. Ich sehe den Loch Linnhe und bald das offene Meer, dahinter die Inseln der inneren Hebriden und die Berge von Skye. Rundherum die Berge der Highlands. Und das Wetter ist, abgesehen von den Temperaturen, perfekt! Endlich flacht der Weg aus, ich erreiche das Gipfelplateau und sehe nun auch, wie steil der Berg auf der anderen Seite abfällt. Unten in der Felswand sehe ich Kletterer. Hunderte von Menschen tummeln sich auf der kargen Felswüste, und die Briten stehen natürlich anständig Schlange vor dem offiziellen Gipfelmonument für ein Selfie. Ich verzichte, klettere rasch auf einen Steinhaufen, auf dem die Biwakschachtel der Bergrettung steht (die ist eh höher als der Selfie-Gipfel), mache ein Foto, und dann nichts wie ab in den Windschatten und alles anziehen was ich dabei habe (sogar Handschuhe!). Ich schätze, es sind noch etwa 5 Grad. Trotzdem, bevor ich absteige, erhebe ich das Glas (na gut, Plastikbecher) mit dem 18-jährigen Glengoyne, den ich am ersten Tag in der Distillery gekauft und durch halb Schottland geschleppt habe. Slainte! Auf den West Highland Way, auf die Highlands und die Königin, die Schottland ebenfalls geliebt hat - und die morgen ihre letzte Reise nach Süden antritt. Auch ich reise morgen weiter, allerdings in die andere Richtung, an den äussersten Rand von Schottland. Glen Nevis - Ben Nevis (und zurück), 20 km


 





11. September 2022. Das Ende des West Highland Way! Nach einer weiteren kühlen Nacht packe ich meine Sachen zusammen und wandere noch die letzten paar Kilometer bis zum Ende des West Highland Way in Fort William. Die offizielle Ziellinie liegt am Ende der Stadt, fast am Meer. Aber für ein Foto mache ich jetzt auch noch einen extra Kilometer 😉. 


 



In der Stadt ist noch nicht viel los um diese Zeit am Sonntag Morgen. In einem etwas lieblosen Ketten-Café gibt's ein vegetarisches schottisches Frühstück und Free Refill auf den Kaffee. Hier lässt es sich aushalten, bis mein Zug an die Westküste abfährt. Am Fernsehen beobachte ich, wie der Sarg der Königin Balmoral verlässt und im gemütlichen Tempo langsam die Ostküste runterfährt nach Edinburgh. Die Schotten mögen vielleicht nicht in Ehrfurcht versinken vor der Queen, aber sie holen ihre Traktoren von den Feldern und stellen sie als Ehrengarde an der Strasse auf, an der die Königin vorbeigefahren wird. Das finde ich jetzt fast rührender als Blumen und Flaggen! 😢 (Sorry für den schlechtesten Screenshot aller Zeiten, aber live gings zu schnell...)


 

 



Kommentare