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Grenzwertig-Tour - Der Südosten. Teil 1: vom Rheintal ins Engadin

 


Grenzwertig-Tour, Teil II: Der Südosten. 
Eine Reise entlang der wilden Schweizer Grenze - vom Rheintal bis nach Lugano

Tag 1 - 29. Juni 2022.
Diesen Sommer plane ich, den Süden der Schweizer Grenze zu erwandern. Da ich ja letztes Jahr bereits auf der Via Alpina oft der Grenze folgte, suche ich mir diesmal wenn möglich eine neue Route. Den Anfang mache ich mit dem Velo, denn es ist mir zu gewittrig auf dem Rätikoner Höhenweg (abgesehen davon wurde ich da ja schon letztes Jahr nass, einmal ist genug). Heute gehts erst mal wieder runter nach Oberriet, dann an den Rhein. Was für ein Unterschied zur letzten Grenzwertig-Tour! Im März 2021 lag noch Schnee, heute trieft mir der Schweiss vor Hitze. Ich hätte die Badehose einpacken sollen. Es ist unendlich schwül. Unten am Rhein sehe ich Störche auf den Kiesbänken. Ob es wohl die Kollegen von den spanischen Störchen der Extremadura sind? In Ruggell gönne ich mir einen grossen Becher Zitronensorbet, bevor ich weiterflitze nach Balzers. Immerhin, das Rheintal unterstützt mich mit Rückenwind. Dann aber kommt ein giftiger Anstieg über den Luzisteig, glücklicherweise kurz. Oben biege ich von der stark befahrenen Strasse ab auf den Mountainbike-Weg ins Heididorf. Kurz ein Foto, dann eine herrliche Abfahrt nach Maienfeld. Mit extra Schwung und Rückenwind sause ich noch bis Landquart, bevor ich für heute Schluss mache. Niederteufen - Landquart, 80 km (mit dem Zorro).
 
 
 


 

30. Juni 2022. Tag 2 beginnt mit Verschlafen meinerseits - doch das hat auch sein Gutes. Ich beschliesse, die Etappe rückwärts zu fahren, weil bergab. Also bringt die Bahn den Zorro und mich bis Klosters, und wir hoppeln noch bis Monbiel, bevor wir umdrehen und talwärts sausen. Bis hierhin fährt nämlich das Postauto, und ab hier werde ich dann wandern. Ein schöner Fleck, mit vielen süssen Erdbeeren! 
 

 

Ab Klosters geht es auf dem wunderschönen Rätikoner Radweg fast konstant bergab bis Landquart. Und das fast durchgehend auf einer super Gravelpiste fernab vom Verkehr, immer entlang der wilden Landquart. Der Wind bläst mich fast rückwärts den Berg hoch, aber der Fluss kühlt das Tal schön ab, so dass ich die paar giftigen Gegenstiege gut meistere. Heute ist es nämlich wieder gewittrig und extrem schwül. Ich mache nicht viele Fotos, ausser von ein paar herzigen Llamas, denn es flitzt so schön. Aber die Route ist toll, kann ich nur empfehlen - aber Achtung, bergauf ist es steil! Monbiel/Klosters - Landquart, 40 km (mit dem Zorro).
 


 
 2. Juli 2022. Heute geht es zu Fuss weiter. Am Mittag bin ich wieder in Monbiel und starte Richtung Berghaus Vereina. Das ist ein bisschen frustrierend, denn da fährt auch ein Alpentaxi hoch. Aber ich Selbstkasteirin will ja laufen. Zum Glück muss ich nicht auf der Strasse laufen, es geht ein schöner Bergwanderweg zuerst der Landquart entlang, wo alle am Bräteln sind, dann durch den steilen Bergwald hoch Richtung Vereina. Das Highlight: zuckersüsse Erdbeeren überall. Aber es ist unglaublich schwül und heiss. Ich bin überhaupt nicht mehr fit, der schwere Rucksack drückt, der Schweiss läuft in Strömen. Wieso tue ich mir das eigentlich an? Endlich verlasse ich den Wald, doch nun brennt mir die Sonne auf den Kopf. Bis jetzt finde ich die Landschaft auch noch nicht berauschend, ihr merkt es - ich bin etwas stinkig. Endlich, gegen vier Uhr, erreiche ich das Berggasthaus und gönne mir ein kühles Bier und einen erfrischenden Salat. Schon besser. Gut gestärkt geht es weiter ins Val Vernela. Die Sonne steht jetzt tiefer und brennt nicht mehr so, die Farben leuchten. Ein schönes Tal, Wasser fliesst überall und in allen Blautönen. Gegen halb sieben erreiche ich den malerischen Chessisee und stelle mein Zelt auf. Ein anderes Pärchen ist auch da und baut ein neonoranges Zelt auf. Es hat Platz genug und ich stürze mich noch in die Badewanne (a.k.a. der See 😂). Herrlich die Abkühlung! Der See ist genau richtig, kühl aber nicht kalt. Danach geniesse ich einfach die herrliche Abendstimmung und das Alpenglühen. 🌄🌄🌄 Klosters -Monbiel - Chessisee (2359m), 16 km
 

 




3. Juli 2022. Guten Morgen! Bereits um fünf wird es hell, aber ich drehe mich nochmals um - es ist so herrlich ruhig. Kurz vor sieben muss ich dann wirklich raus, die Blase drückt. Ich wühle mich aus dem Schlafsack und bin baff: obwohl alles noch im Schatten liegt, stehen rund um den See mehrere Fotografen mit gigantischen Teleobjektiven und spannern in die frühmorgendliche Landschaft. Was sie wohl beobachten? Kein Steinbock oder Adler ist zu sehen, aber ich muss dringend Pipi und es gibt keine Büsche oder Felsen hier. Ziemlich frustriert galoppiere ich eine kleine Ewigkeit, um den Teleobjektiven nicht meinen schneeweissen Hintern zu präsentieren. Zurück im Zelt gibt es einen schaurig schlechten Nescafé und trockenen Energie-Riegel, bevor ich zusammenpacke. Mittlerweile ist die Sonne über den Berg und die Fotografen packen auch ein. Plötzlich steht einer von ihnen hinter mir und druckst herum - ob ich vielleicht ein Feuerzeug oder Zündhölzer hätte? Dummerweise habe ich beides nicht mehr dabei (ultralight, weisch), aber als ich höre, dass sie Kaffee (richtigen Kaffee!) kochen wollen, und mich auch einladen würden, werfe ich ihnen meinen Gaskocher praktisch hinterher. Sie haben eine Bialetti dabei! Ich bin im Himmel und geniesse den richtig guten, zweiten und dritten Kaffee, während wir plaudern. Die drei fotografieren wohl gern Spiegelbilder zum Sonnenauf- und -untergang, gestern Abend waren sie an den Jöriseen. Fröhlich und voller Koffein starte ich in Richtung Fuorcla Zadrell auf 2751 m. 


 

Der Weg wird fast unsichtbar, ich laufe mehrheitlich den Markierungen nach. Bald bin ich so hoch, dass die ersten Schneefelder auftauchen, aber hauptsächlich ist es eine Steinwüste. Der Weg existiert nicht mehr, ich hüpfe von Stein zu Stein und versuche, die Route nicht zu verlieren. Grundsätzlich mag ich solche Abschnitte, aber sie sind sehr anstrengend mit dem schweren Rucksack, vor allem, wenn es keine ausgetreten "Pfad" gibt und alle Steine sehr scharfkantig und viele davon instabil sind. Das regelmässige "Klonk", wenn sie sich unter meinem Fuss bewegen, hält das Adrenalin auf einem gewissen Pegel. Die Markierungen werden seltener, und inkonsistent - es gibt neue und alte Zeichen, Steinmännchen führen nochmals woanders hin. Keine leichte Sache. Endlich bin ich auf dem Pass. 


 



Hinten runter präsentiert sich zwar eine schöne Aussicht, allerdings auch weiterhin endlose Steinwüste mit verstreuten Markierungen mal links mal rechts - es geht also im gleichen Takt weiter, nur jetzt bergab. Und zwar steil. Ich fahre die Stöcke aus und versuche, den sichersten und besten Weg zu finden. Immer mal wieder kommt eine Wegspur für ein paar Meter, dann verschwindet sie wieder und die nächsten Markierung ist gefühlt 100 Meter rechts oder links meinem aktuellen Standort. Wer hat diese Route gelegt? Ich habe besoffene Steinböcke im Verdacht. Vor mir sehe ich ein Bild von Gian und Giachen, wie sie am Samstagabend nach der Zecherei hier oben im Vollmond die Farbkübel schwenken und im Suff mal links, mal rechts torkel-hopsen. Anders kann es nicht gewesen sein. Ich bin erschöpft, aber der Abstieg ist noch weit. Eine Pause ist notwendig, ich futtere mein restliches Brot und den ganzen Käse, der für 4 Tage reichen sollte. Ups. 

 

Danach folge ich einer Wegspur, die im Nichts endet, muss einen Kilometer zurück (bergauf!), beschliesse, dass das Quatsch ist und ich auch querfeldein auf die eh nicht existierende, richtige Route gehen kann. Das kommt super (Ironie), ich verfranse mich im Steilhang in den Erlenbüschen, die mir die Beine zerkratzen. Endlich, nach Stunden, erreiche ich den Talboden und es hat einen richtigen Weg. Als ich zurück blicke, sehe ich zwei Gletscher und zwei tosende Gletscherbäche, ein wahnsinnig schöner Anblick. Allein dafür hat sich die Tortour gelohnt, aber ich brauche noch einen Moment, bis ich die innere Wut auf diesen blöden Weg begrabe. Meine von mir selbst zusammengestiefelte Route ist zu hart für mich - zumindest so untrainiert, mit dem schweren Rucksack und den Trailrunner-Schuhen, die in dem Gelände wirklich ein Nachteil sind. Morgen werde ich soooo Muskelkater haben von dem langen Abstieg! 


 



Als ich wieder Netz habe, sehe ich auch noch, dass es morgen den ganzen Tag gewittert. Der Entscheid fällt leicht, ich laufe ins Tal nach Lavin. Ein kühles Getränk wäre jetzt noch cool, doch die erste Alp wirkt privat, die zweite ist wegen Steinschlag geschlossen. Ich habe es schon fast aufgegeben, doch die dritte Alp hat kühle Getränke im Brunnen und ein Kässeli daneben. Was für liebe Menschen! Flott geht's jetzt ins Unterengadin, vorbei an ein paar supercoolen Holzschnitten. Der Bär im Baum erinnert mich an eine lustige Episode im Sequoia-Nationalpark in den USA. Erschöpft aber happy erreiche ich den Bahnhof von Lavin. Jetzt erst mal daheim den Muskelkater kurieren und diese Route nochmals neu planen. Chessisee - Lavin, 15 km


 


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