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Castilla y Leon (Teil II), La Rjoja und Navarra: Die Pilgerautobahn und der Weinbrunnen






3.-15.5.2022, ca. 750 km

Tag 78

Der Tag beginnt idyllisch mitten im Kuhgebimmel. Der Stier auf der Weide spürt den Frühling und zeigt den grinsenden Pilgern am Weiderand, wie die herzigen Kälblein gemacht werden. Leider drücke ich jedesmal zu spät auf die Kamera... Dafür geniesse ich die ersten 20 km eine schön lange Abfahrt entlang dem Rio Valcarce. Für mich ein Spass, für die Pilger kein besonders schöner Abschnitt, denn für sie geht's immer der Hauptstrasse entlang bergauf, daneben lärmt die Autobahn durch das ansonsten urchige Tal. Bald sause ich durch einen Tunnel hinaus aus den Bergen und in die Weinberge von Castilla y Leon. Der hiesige Wein schmeckt zwar lecker, macht mir heute aber bitz Kopfschmerzen. Als ich dann noch die nächste Bergkette am Horizont auftauchen sehe, und feststelle, dass die noch höher ist als die letzte, mache ich früh Schluss heute. Durchs ziemlich hässliche Ponferrada radle ich durch und halte im urchigen Bergdorf Molinaseca an. Morgen geht's wieder hoch hinaus.

La Herreria - Molinaseca, 49 km




Tag 79

Ein harter Tag. Der lange Aufstieg zum Cruz de Ferro, dem höchsten Punkt des Camino Frances, fällt mir heute doppelt schwer. Traditionell lassen Pilger auf dem Berg beim berühmten "Eisenkreuz" einen Stein liegen, den sie aus der Heimat mitgebracht haben, und der symbolisch für die mitgetragenen Sorgen steht, die man dort liegen lässt. Der Berg von Steinen ist gigantisch. Ich trage auch symbolisch einen Stein mit hoch, aber meine Sorgen lassen sich nicht einfach auf einem Steinhaufen deponieren, sie fahren fröhlich wieder mit mir bergab. Doch die grandiose Berglandschaft geniesse ich sehr. Es herrscht kaum Verkehr auf der Strasse und alles ist sehr friedlich. Nachmittags erreiche ich Astorga und besichtige den von Gaudi gebauten Bischofspalast. Die bunten Fenster und arabisch anmutenden Bögen sind sehr speziell, ich hätte allerdings nicht auf Gaudi getippt.

Molinaseca - San Justo, 56 km



Tag 80

Eigentlich wäre die Route heute schön flach und einfach. Das Wetter passt auch, der Camino ist meistens eine gut fahrbare Schotterpiste oder kaum befahrene Landstrasse, und am Nachmittag tauchen am Horizont die verschneiten Gipfel der kantabrischen Berge auf. Aber ich bin wohl mit dem falschen Fuss aufgestanden heute und habe schlechte Laune. Das zieht dann immer wie magisch irgendwelche Dumpfbacken-Pilger an (meist ältere Männer), die meinen, sie müssen mich mit einem höhnischen "hopp hopp", "allez", "animo!" oder was auch immer anbrüllen, oder sonst einer lächerlichen Anfeuerungs-Geste "beglücken". Wirklich gut gemeint sind diese Gesten nicht, denn ich weiss, dass sie das nur vor Publikum tun, bei einem Mann nicht machen würden (was mir andere Radfahrer bestätigen), und ich bin mir sicher, sie hätten es auch nicht gerne, wenn ich sie mit demselben Spruch auf jedem Mini-Hügel begrüssen würde, als ob sie kurz vor dem Abserbeln wären. Einer will mich sogar anschieben, und ich muss ihn regelrecht anfauchen, dass er mir nicht ans Velo fasst. Ich bin doch nicht auf der Tour de France! Normalerweise kann ich das gut ignorieren oder zurück witzeln. Heute sind die Idioten aber wirklich in Massen unterwegs. Ich habe kein Problem damit, wenn mir jeder "Buen camino!" wünscht oder mit einem Strahlen im Gesicht die 👍 zeigt (das machen hauptsächlich die Koreaner). Aber heute wünsche ich irgendwie bald alle Pilger ins Nirvana. Bin froh, als ich abends Julia und Dino wieder treffe, ein deutsches Radler-Pärchen, die ich bereits in Arzua getroffen habe und welche auch auf dem "Heimweg" sind. Zusammen kurven wir die letzten Kilometer nach Leon.

San Justo de la Vega - Leon, 54 km



Tag 81

Ruhetag in Leon. Ich besuche die eindrucksvolle Kathedrale von Leon, deren bunte Glasfenster und gotische Spitzbögen sehr beeindruckend sind. Ein angenehmer Audioguide macht auch den (typisch teuren) Eintritt absolut wert. Die Basilika und das königliche Pantheon fallen dagegen fast ein bisschen flach. Den Nachmittag verbringe ich mit Wäsche waschen und Karten wälzen. Morgen geht's weiter Richtung Pyrenäen.



Tag 82

In der nigelnagelneuen Jugendherberge von Leon schlafe ich herrlich lange, da endlich auch mal die Wände und Zimmertüren gut isoliert sind, so dass mich meine krakeelenden Mitbewohner nicht wecken wie üblich. Daher fahre ich später los als erhofft, dafür sehr entspannt und gut ausgeschlafen. Am Stadtrand nehme ich noch einen Kaffee und der Barbesitzer schenkt mir eine schöne grosse Jakobsmuschel, als er hört, dass ich schon fast ganz Spanien umrundet habe. Prima! In ein paar Tagen komme ich nämlich am berühmten Weinbrunnen vorbei, und dort trinkt man diesen typischerweise aus einer Muschel. Die alte vom Zorro ist nämlich ziemlich staubig und hat vor allem Löcher. Der heutige Tag ist im Prinzip ziemlich langweilig, sehr flach und geradeaus. Ich bin daher ehrgeizig und versuche, die 175 km bis Burgos in 2 Tagen zu schaffen. Es rollt prima, auch wenn es etwas dauert, bis ich von den dicht befahrenen Strassen rund um Leon auf eine behäbige kleine Landstrasse einbiege. Am Horizont sehe ich die verschneiten kantabrischen Berge und vielleicht sogar die Picos de Europa. Etwas Sehnsucht kommt auf, doch nach langem hin und her in den letzten Tagen habe ich beschlossen, auf direktem Weg in die Pyrenäen zu fahren. Die Picos müssen warten. Daher sause ich nun mit über 20 km/h durch die Ebene nach Osten. Erst gegen Abend bremst mich der Gegenwind aus. In Carrion de los Condes finde ich einen schönen Zeltplatz und geniesse den lauen Sommerabend.

Leon - Carrion de los Condes, 99 km




Tag 83

Schon als ich am Morgen aus dem Zelt krieche, geht eine steife Brise, und ich ahne schon, dass es heute nicht mehr so schön rollen wird wie gestern. Den ganzen Tag habe ich Gegenwind, und die Landschaft bietet kaum Abwechslung, geschweige denn einen Windbrecher. Praktisch topfeben geht es durch die Weizenfelder und Äcker von Castilla y Leon. Das Radeln ist extrem zäh heute. Daheim auf meinem Laptop klebt ein Sticker "Gegenwind formt den Charakter". Tja, aber welchen Charakter? Den weinerlichen? Den jammernden? Den gelangweilten? Den selbstmitleidigen? All diese tollen Charakterzüge werden heute gestärkt, soviel ist sicher. Ich versuche, mich mit Hörbücher, Podcasts und Musik abzulenken. Gegen Ende des Tages kommt endlich wieder etwas Kontur in die Landschaft, tafelbergartige Hügel erheben sich, und der Camino macht keine Faxen: fadegrad geht's hoch und wieder runter. Alle Höhenmeter des Tages auf den letzten 10 km, das ist fies. Die Windräder drehen munter weiter, ich komme kaum mehr vom Fleck, aber schön ist es hier wieder. Ich schreibe Burgos ab für heute und nehme mir ein Zimmer in einem kleinen Dorf kurz vor der Stadt.

Carrion de los Condes - Tardajos, 82 km



Tag 84

Eine wunderschöne Morgenstimmung, fotografiert von meinem Hotelzimmer aus, wird - zum Glück zu dem Zeitpunkt unwissentlich - das schönste Foto des Tages. Die kurze Fahrt nach Burgos ist ganz erträglich, da der Camino schön um die zahlreichen Autobahnen rumgeführt wird, und dann hat's tolle Fahrradwege durch die Studentenstadt. Leider bin ich von der Kathedrale etwas enttäuscht. Vielleicht bin ich immer noch geblendet von der wunderschönen, schlichten gotischen Kathedrale von Leon. Diese hier wirkt überladen, "vom Barock versaut" (ich komme wenig draus, so viel ist klar). Außerdem ist der Audioguide hier eine Katastrophe, am liebsten würde ich sowohl den Programmierer als auch den Historiker, die sowas kreieren, ordentlich eine klatschen. Immerhin finde ich in einem Sportladen eine neue Gaskartusche und verlasse die Stadt um den Mittag rum. Leider sehe ich den restlichen Tag vor allem eines: viele, viele Lastwagen. Der Camino führt mal wieder entlang einer Nationalstraße. Normalerweise kein Problem, wenn in 1 km Abstand die Autobahn verläuft, da ist die Strasse leer - aber hier gibt's noch keine Autobahn, und so kämpfe ich mich mit tausend Brummis aus aller Welt über den Puerto de la Pedraja und viele weitere Hügel. Immerhin, die flache Landschaft ist passé, die Meseta hat wieder Kontur. Das ist zwar im Aufstieg anstrengend, aber die Abfahrten sind genial. Und die Brummifahrer sind sehr rücksichtsvoll und grüssen freundlich. Ich fühle mich ein bisschen wie in Lateinamerika. Das Wetter passt auch dazu, es sind annähernd 30 Grad. Und am Horizont tauchen wieder Berge auf! 🤩

Tardajos - Santo Domingo de la Calzada, 88 km




Tag 85

Ab Santo Domingo de la Calzada ist die Autobahn fertig gebaut, was bedeutet, dass ich auf der alten Nationalstrasse parallel dazu praktisch verkehrsfrei fahren kann. Das ist schon ein grosser Fortschritt zum gestrigen Brummi-Debakel, auch wenn es immer noch zu laut ist. Auf einer riesigen Trucker-Servicestation esse ich ein leckeres zweites Frühstück.
Heute fahre ich durch La Rioja. Das kennen wahrscheinlich die meisten von euch, zumindest als Weinsorte. Daher überrascht es nicht, dass ich heute, abgesehen von der Autobahn, hauptsächlich Weinberge und riesige Bodegas sehe. Was mich allerdings überrascht, ist die Grösse von La Rioja. Oder besser, die Winzigkeit. In einem Tag (mit heftigen Gegenwind und daher eine kurze Etappe!) bin ich schon fast durch. In wenigen Kilometern bin ich bereits in Navarra. Ob der ganze Rioja wirklich aus La Rioja kommt? Abends rolle ich erschöpft in Logroño ein. Ein paar spezielle Wandgemälde gibt es hier... Kurz danach überquere ich den Ebro zum zweiten Mal auf dieser Reise. Hier riecht es sehr viel besser als das letzte Mal, und es ist etwa 25 Grad wärmer als bei der ersten Überquerung 😂.
Nun geniesse ich den lauen Sommerabend auf dem lauschigen Campingplatz am Fluss.

Santa Domingo de la Calzada - Logroño, 50 km




Tag 86

Heute ist es soweit. Der grosse Tag. Seit Wochen freue ich mich drauf. Das Highlight des Camino Frances wird heute meinen Radeltag beglücken und beenden (denn danach sollte ich vermutlich nicht mehr fahren): der legendäre Wein-Brunnen! Bis dahin sind es aber noch 50 heisse Kilometer. Gleich bei der Stadtausfahrt komme ich an einem verlockenden Schild vorbei: die Faustino-Bodega (einer meiner Lieblingsweine) will mich verführen mit Shop, Degustation, etc., gleich beim nächsten Kreisel links abbiegen bitte. Doch ich fahre mit heldenhafter Selbstbeherrschung an der Ausfahrt vorbei - denn ich habe schließlich heute ein Date mit der Bodega Irache (das ist die Bodega, welche den Pilgern das Weinbrünneli als Werbegag an den Camino gebaut hat). Schon nach wenigen Kilometern verlasse ich La Rioja und fahre nach Navarra, wo man eine sehr komische Sprache spricht, die mit keiner anderen europäischen Sprache verwandt ist: Euskara oder baskisch. Sehr interessante Angelegenheit, könnt ihr bei Wikipedia selber nachlesen! Die Sonne brennt heute gnadenlos und ich bin fast froh um den Gegenwind, der mich den ganzen Tag einigermaßen kühlt. Alle paar Kilometer kommt zum Glück ein Dorfbrunnen, denn ich saufe heute Wasser wie ein Kamel. In der Beziehung ist der Camino einfach toll. Allerdings ist das Wasser, welches ich nicht umgehend runterstürze, innert Minuten "seichwarm". Schatten gibt es wenig, mein Thermometer zeigt Temperaturen an, die meine normale Körpertemperatur deutlich übersteigen, und hügelig ist es auch. Als ich bei einer Bushaltestelle kurz im Schatten durchatme, hängt dort eine etwas seltsame Vermisstenanzeige für einen Hund. "Verschwunden, wiegt 7 Kilo", dazu eine Telefonnummer. Also echt, wenn mich mein Herrchen nur über mein Gewicht definiert, würde ich auch misstrauisch und bei erstbester Gelegenheit verschwinden...
Endlich, gegen Ende des Nachmittags, erreiche ich das Kloster und das Weingut Irache. "Fuente de vino" ist gross angeschrieben, vermutlich zu gross, denn die Ernüchterung (haha) kommt gleich um die Ecke. Ein paar traurige Pilger versuchen verzweifelt, dem Weinbrunnen noch ein paar Tropfen zu entlocken, doch er ist leer. NEIN! 🤬😤😭 Doch weinen und fluchen nützt nichts, am Brunnen fliesst nur noch Wasser. Ein kleines Schild daneben macht darauf aufmerksam, dass täglich "nur" 100 Liter Wein fliessen, und die Pilger sollen doch bitte verantwortungsvoll trinken, blablabla. Ich bin natürlich sauer. Wer hat den ganzen Wein gesoffen, hä? Aber ich bleibe tapfer, denn der Brunnen hat eine live Webcam, und sowohl Sven als auch Ruth schauen daheim zu, wie ich etwas bedröppelt in die Webcam winke und versuche, für ein Foto wenigstens ein paar Tropfen Wein rauszuquetschen. Lustige Screenshots gibt's, die sie mir natürlich gleich schicken. So bin ich mit der Enttäuschung wenigstens nicht allein. Im nächsten Supermarkt kaufe ich mir einen Faustino zu meinem Abendessen, hopple zum nächsten Zeltplatz und genieße einen kühlen, leeren Pool und ein eiskaltes baskisches Bier, bevor ich meinen Wein zu leckeren Auberginen-Ravioli auf dem Gaskocher geniesse.

Logroño - Lizarra, 54 km



Tag 87

Gestern nacht hat es gewittert, und heute morgen ist alles feucht, trüb und sehr, sehr schwül. Dennoch fühlt es sich etwas weniger heiss an, als ich losfahre - bis zum ersten Hügel zumindest. Bald läuft der Schweiss wieder in Strömen. Heute ist mein letzter Tag auf dem Camino Frances. Es geht weiter durch Weizenfelder mit Klatschmohn, hübsche alte Dörfer und viele kleine Hügel. Gegen Nachmittag erreiche ich Pamplona, welches zwar ein tolles Netz an Velorouten hat, aber eben auch sehr viel Verkehr - und weil es auf vielen Hügeln liegt, fahre ich eine gefühlte Ewigkeit im Zickzack durch die Stadt. Ich halte nur kurz an bei er Citadelle, dann biege ich auf die Eurovelo 1 ab in Richtung Atlantik. Bald komme ich wieder auf eine Via Verde. Doch der Einstieg ist ein bisschen hart, denn die Wegführung ist garantiert nicht entlang einer stillgelegten Bahnlinie, eher einem stillgelegten Geissenpfad. Mit 13% Steigung geht es auf losem Schotter über die Hügel, während unter mir die Schnellstrasse mit gigantischem Seitenstreifen rauscht. Ich blicke etwas wehmütig nach unten, auf der stark befahrenen Piste ist es zwar ungemütlich laut, aber immerhin wurde diese Route in den Berg gefräst, während mein "Naturweg" mir viele Schiebepassagen spendiert kurz vor Feierabend (bergauf und bergab). Heute gönne ich mir mal wieder ein Hotelzimmer nach einem langen, harten Tag.

Lizarra - Irurtztun, 72 km



Tag 88

Heute überquere ich die letzten Ausläufer der Pyrenäen. Gleich hinter Irurtzun führt die Via Verde zwischen den "Zwei Schwestern" hindurch, zwei riesigen Felszähnen, die den Eingang zu einer Schlucht bewachen. Doch für die Txirrindulariak, pardon, die Radfahrer, gibt es einen Tunnel. Was für eine abartig komplizierte Sprache! Die Eurovelo 1, der ich bis an den Atlantik folge, führt mich nun in die Hügel und durch traditionelle, baskische Dörfer. Des öfteren höre ich nun die Leute miteinander baskisch reden und verstehe kein Wort. Die Dörfer haben auch einen ganz eigenen Charakter, der Baustil erinnert mich eher an den Jura oder die Alpen. Die typisch spanischen Steinhäuser sind verschwunden. Die Kühe haben wieder Kuhglocken. Fast schon ein bisschen wie daheim - ein bisschen wehmütig erkenne ich, dass sich die Landschaft verändert, ich fühle mich bereits nicht mehr, als wäre ich in Spanien. Ein sanfter Abschied des Baskenlands und ein ferner Willkommensgruss der Heimat, so fühlt es sich an. Denn ja, ich fahre bald nachhause, aus verschiedenen Gründen. Heute überquere ich den letzten, namenlosen Pass, mitten im Wald und ohne Aussicht, ab jetzt geht es praktisch nur noch bergab bis nach Hendaye. Doch in Sunbilla finde ich nochmals einen schönen Campingplatz, wo der Zorro und ich unter einer riesigen Eiche zelten dürfen. Morgen gleiten wir dann auf der letzten Via Verde dieser Reise sanft an den Atlantik.

Irurtzun - Sunbilla, 61 km



Tag 89

Der letzte Radeltag für eine Weile! Heute geht's nur noch bergab. Teilweise schön, entlang der ehemaligen Bahnlinie, teilweise aber auch sehr nervig direkt neben der Autobahn (das wird schon langsam zur Gewohnheit hier), geht's dem Atlantik entgegen. Viel grün, hübsche Farne, aber auch ein bisschen langweilig mit der Zeit. Und sehr, sehr warm. Ausserdem leide ich heute furchtbar unter Heuschnupfen, meine Augen tränen und die Nase ist voll Rotz. Daher fahre ich halb blind und mit offenem Mund durch die Gegend, was die vielen Insekten toll finden. Zielsicher landen sie in meinem Rachen. Als ich mal wieder anhalte, weil ich niesen, schnoddern und ein paar Fliegen raushusten muss, fährt ein Trupp Rennvelofahrer vorbei und ruft "Hop hop!". Echt jetzt? Eigentlich bin ich Pazifistin, aber in solchen Momenten könnte ich glatt einen Stock zwischen deren Speichen werfen. Kurz vor der internationalen Brücke nach Frankreich gehe ich noch mal einkaufen - ein riesengrosser Fehler! Der Laden will offenbar französische Touristen mit "typisch spanischen" Produkten und billigem Alkohol anlocken, aber schlussendlich ist alles super teuer. Leider sehe ich auf meiner Karte nichts anderes. Immerhin esse ich heute Abend nochmals lecker Tortilla und Gazpacho. Dann fahre ich nach Frankreich hinüber und kurve auf einer schönen Promenade bis nach Hendaye. Bei einem Foodtruck trinke ich ein teures aber leckeres Bier und treffe ein paar nette Traveller, was mich etwas mit dem nicht so super Tag versöhnt. Die Strandpromenade von Hendaye ist voller Leute, im Meer tummeln sich hunderte von Menschen. Dennoch gibt es kaum Beizen, und ich muss sieben(!) Campingplätze abklappern, bis ich einen finde, der offen ist (viele öffnen erst im Juni) und dessen Rezeption noch nicht geschlossen hat. Ciao Spanien, wo um halb sechs gerade wieder Leben in die Bude kommt. Hier macht man wieder spätestens um fünf Uhr Feierabend. Ich rege mich natürlich wieder mal furchtbar über die faulen Franzosen mit ihrer Mini-Saison auf, aber dann wendet sich das Blatt, ich finde einen netten Platz und kriege sogar ein Hauszelt, wegen der angesagten Gewitter. Puh, Tag gerettet!
Morgen gibt's noch einen Ruhetag am Meer vor der langen Heimfahrt.

Sunbilla - Hendaye, 45 km



Tag 90

Ähm... Ich kann es natürlich nicht lassen. Anstatt einen heissen Sonntag am überlaufen Strand von Hendaye zu verbringen, radle ich lieber auf dem heissen, dicht befahrenen Küstenradweg in Richtung Norden. Die Küste ist auch recht hübsch, und der Wind kühlt meist genug, um einen Hitzeschlag zu vermeiden. Doch es ist Sonntag und alles strömt bei der Hitze ans Meer. Es ist tatsächlich eine Hitzewelle hier, diese Temperaturen sind im Mai nicht normal. Einmal zeigt mein Thermometer 45 Grad an. Schatten gibt es leider kaum. Aber eine eiskalte Badewanne zur linken 😂. Und so lande ich doch noch im Atlantik, der mich heute vor dem Kollaps rettet, und gar nicht soooo kalt ist. Leider zu kalt, um den Nachmittag darin auszusitzen. Also kurble ich weiter, mit einer hübschen Salzkruste auf T-Shirt und Velohose. Die "Velodyssée", die Atlantik-Veloroute, wurde von einem Sadisten angelegt - sie ist extrem hügelig. Ich mache bestimmt noch mal fast tausend Höhenmeter heute. In Biarritz, eigentlich ein mondänes Seebad, herrscht eine schreckliche Winz-Mücken-Plage, eine Art "No-See-Ums" macht die Stadt unsicher, schwarze Schwärme fallen über alles her, das sich unter 30 km/h bewegt. Alle schlagen wild um sich, und ich muss eine rote Ampel überfahren. Das ist lebensgefährlich, aber sonst werde ich wahnsinnig in der Mücken-Wolke. Krass! So etwas habe ich noch nie erlebt. Mir ist schleierhaft, wie die Leute hier Urlaub machen können. Endlich rollt es flach und zügig nach Bayonne. Hier geniesse ich nun ein wohlverdientes Feierabendbier unter einem dunklen Gewitterhimmel, bevor ich in den Zug nach Bordeaux steige, von wo aus es morgen mit dem TGV nachhause geht.

Hendaye - Bayonne, 43 km




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