Direkt zum Hauptbereich

Portugal - Entlang dem Douro, una ruta muy duro


14.-25.4.2022, ca. 470 km





Tag 59

Heute geht es nach Portugal! Wir sausen von der Meseta hinunter ins Flusstal, eine jauchzende Abfahrt, viele Kurven, herrliche Ausblicke. Und endlich werfen wir auch mal wieder einen Blick auf den Duero, seit wir ihn zuletzt in Zamora gesehen haben. So tief unten liegt der Fluss, dass man ihn auf der Hochebene kaum zu Gesicht bekommt. Heute verspricht unser Radweg endlich das, was wir uns unter einer "Flussradwanderung" vorstellen, nämlich dem gemütlichen Dahingleiten auf einer Strasse oder einem Radweg am Flussufer, statt den vielen Höhenmetern der letzten Tage. Hätten wir gewusst, wie der Tag endet... Aber ich greife vor. Wir überqueren den Duero, der ab nun Douro heisst, auf einer Staumauer und rollen nach Portugal. Ein kurzer Anstieg bringt uns auf eine verkehrsarme Hauptstrasse, auf der wir weiter sanft bergab rollen, durch Olivenhaine, Weinberge, prächtige Blumen und blühende Bäume. Wie man sich so einen entspannten Radurlaub in Portugal halt vorstellt. In Barca d'Alva überqueren wir den Douro erneut und essen eine Kleinigkeit in einer Bar. Selbst die unfreundliche und unmotivierte Bedienung kann unsere Freude über das neue Land nicht trüben. Für uns folgt nun das Herzstück der Ruta del Duero, auf die wir uns sehr gefreut haben. Der Radweg folgt einer stillgelegten Bahnlinie direkt neben dem Fluss durch die enge Schlucht, keine Strassen weit und breit, und völlig flach. Doch die Ernüchterung folgt am Dorfrand: wo ich mir eine Art Via Verde wie in Spanien vorgestellt habe, ist nur eine überwucherte Bahntrasse zu finden, daneben ein schmaler, offensichtlich kaum begangener Trampelpfad. Mist! Doch sowohl unsere Navis als auch der GPX Track der Ruta del Duero insistieren, dass dies der richtige Weg ist. Wir überlegen kurz. Durch die neue Zeitzone haben wir bei Grenzübertritt eine Stunde gewonnen, es ist also erst früher Nachmittag. Die Strecke entlang des Flusses ist etwa 17 km lang - zur Not kommen wir spät in der (dummerweise bereits gebuchten) Jugendherberge an, falls wir teilweise schieben müssen, doch es sollte ja nur gerade aus gehen. Wir fühlen uns abenteuerlich und fahren los. Zunächst lässt sich der Trampelpfad auch noch fahren, auch wenn wir durch die Büsche preschen und uns die stacheligen Pflanzen die Schienbeine zerkratzen und ab und zu auch die Ohren watschen. Bald aber verschwindet der Trampelpfad komplett, und wir schieben die Räder zwischen den Gleisen über die morschen Bahnschwellen. Das holpert ganz gewaltig und lässt sich definitiv nicht mehr fahren. Doch auch auf den Gleisen nimmt die Natur überhand. Zistrosen, Ginster, Dornen, hüfthohe Blumen. Eigentlich wunderschön, überall summt es. Aber es piekst uns auch in die Beine, und wir fürchten, die Bienen und Wespen zu verärgern mit unserer Guerilla-Aktion. Es wird immer schlimmer. Wir hoffen auf Besserung, doch nach einem knappen Kilometer müssen wir kapitulieren - ohne Machete oder noch besser einer montierten Motorsense vor dem Vorderrad geht es hier nicht weiter. Wir entdecken auf dem Navi einen Feldweg, der etwas oberhalb der ehemaligen Bahnlinie ein paar Kilometer weiter führt. Unter hohem Schweissverlust (mittlerweile ist es ziemlich heiss geworden) schieben wir die Räder den steilen Hang hinauf auf den Weg, dem wir nochmals ein paar hundert Meter entlanghoppeln, doch dann sehen wir, wie auch diese Fahrspur sich nach ein paar weiteren hundert Metern in Wohlgefallen auflöst. Wir fragen (mit Händen und Füssen, da wir ja beide kein Portugiesisch können) einen Bauern, wie wir nach Vila Nova kommen. Er weist uns zurück nach Barca und dann mit einer unmissverständlichen Geste bergauf. Scheisse! 




Frustriert hoppeln wir zurück. Wir sind bereits 45 km gefahren heute, haben nun über eine Stunde sinnlos Energie verschwendet, und nun sollen wir noch einen Umweg von 60 (statt 17) km und 1100 (statt 300) Höhenmeter fahren. Eine andere Straße gibt es nicht. Das darf doch nicht wahr sein! Wir sind zerkratzt, verschwitzt, durstig und frustriert, aber alles Toben und Heulen hilft nicht weiter. In der brütenden Nachmittagshitze stampfen wir die ganzen Höhenmeter, die wir am Morgen so freudig verloren haben, wieder bergauf. Immerhin, die Landschaft ist traumhaft schön und es hat kaum Verkehr. Trotzdem fluche ich vor mich hin wie ein Rohrspatz bis wir endlich wieder auf der Hochebene ankommen. Eine kühle Cola und ein paar Kekse tun der Moral gut. 



Doch wir müssen noch durch viele Seitentäler des Douro, und die letzten 40 km ziehen sich dahin. Mein Hintern fühlt sich an wie Hackfleisch, die Beine tun weh, aber ich falle in eine Art Trance und kurble einfach weiter. Eine wunderschöne Abendstimmung liegt über der bergigen Landschaft, und als die Sonne am Horizont versinkt, beginnen wir den letzten Anstieg nach Vila Nova. Es ist dunkel, als wir das Ortsschild passieren, und wir sacken um kurz vor neun im erstbesten Restaurant zum Abendessen auf die Terrasse (in den Innenraum wagen wir uns nicht mehr, wir stinken ziemlich streng). Das Essen schmeckt super (Schnitzel mit Pommes) und das Bier ist groß. Kurz vor dem Dessert zieht noch die Gründonnerstag-Prozession mit Jesus, Maria und vielen Kerzen vorbei, die Lichter im Restaurant werden gelöscht, den Kaffee schlürfen wir im Halbdunkel. Die Dorfbewohner starren uns genauso neugierig an wie wir sie. Kurz danach fallen wir endlich ins Bett in der netten Jugendherberge (die gottseidank bis Mitternacht geöffnet ist). What a day. Alles tut weh, aber wir haben es geschafft!
Vilvestre - Vila Nova de Foz Coa, 102 km



Tag 60

Wir kommen eher langsam in die Gänge heute, nach dem strengen Tag gestern. Ein Waschsalon ist unser erstes Ziel, danach kurbeln wir in der Mittagshitze über den ersten Berg. Die Terrassen der Weinberge werden hier mit den Baggern geschaffen, es sieht etwas nach Kahlschlag aus, aber die Aussicht ist dennoch schön. Auf der ersten Abfahrt kommen wir in ein Dorf, dessen einzige Sehenswürdigkeit gemäß unseren Karten ein Pranger ist (abgesehen von der obligatorischen Bar natürlich 😁). Aber wie sieht so ein Pranger überhaupt aus? Oder ist das ein Scherz auf Open Street Map? Wir finden nur eine hübsche Kapelle mit einem Kreuz und einem Brunnen davor. Da auch heute wieder viele Höhenmeter anstehen, verweilen wir nicht ewig, sondern radeln weiter. Es wird ein durstigen Tag, die Sonne brennt und es sind bestimmt 30 Grad. Sommer, juhuu! Zum Glück gibt es in jedem Dorf ein Brünneli. Wobei mir manchmal ein kühler Weißwein-Brunnen lieber wäre... Ein lauwarmer Roter täte es zur Not auch. Leider ist der einzige Weinbrunnen, von dem ich Kenntnis habe, auf dem Camino Frances, weit weg von hier...




Ein zweiter langer Anstieg beschäftigt uns in der Nachmittagshitze, glücklicherweise geht ein leichter Wind. Die Abfahrt danach ist umso herrlicher. Die Straße kurvt sanft bergab durch die Weinberge, Olivenhaine und Mandelbäume. Leider trennen uns noch ein paar kleine Hügel von unserem Ziel, und plötzlich herrscht viel Verkehr. Es scheint als dass am Karfreitagnachmittag alles ins lange Osterwochenende in die Weinberge fährt. Endlich erklimmen wir den letzten Berg und sausen nach São João hinunter. Auf dem Campingplatz finden wir ein schönes Plätzchen und bei einem kühlen Bier auf der pittoresken Plaza relaxen wir ins Osterwochenende.
Vila Nova de Foz Coa - São João da Pesqueira, 47 km




Tag 61

Heute geht's wieder hinunter an den Fluss (das wird langsam langweilig, aber ich muss es trotzdem immer wieder erwähnen). Nach einem leichten Frühstück auf dem Campingplatz und einem zweiten Frühstück im Café sausen wir bald die ersten 10 km hinunter durch die Weinberge, mit Aussicht auf den Douro. Die Weingüter werden immer nobler, richtige Schlösser sind das, und die Eingangstore so riesig als läge Versailles dahinter. Unten am Duero folgen wir für sage und schreibe 20 km einer flunderflachen Strasse, leider mit viel Verkehr und wenig Platz für Radfahrer. Es ist sehr heiß und hat wenig Schatten. An einem kleinen Kiesstrand kühlen wir die Füsse im Douro und finden dabei hübsche Muscheln und Glasperlen. Wie die wohl hier her gekommen sind? Kurz vor Régua bestaunen wir die Millimeter-Arbeit der Kapitäne der Flusskreuzfahrtschiffe, wie sie durch die Douro-Schleuse zirkeln. Unter den riesigen Brücken, bevor sich die Straße verzweigt, kommt der Verkehr fast zum erliegen, so eng und voll ist es. Ein Kätzchen schläft trotzdem selig inmitten röhrender Töffmotoren. Nach einem kühlen Getränk schicken wir uns in das Unvermeidliche - wir müssen wieder hoch aufs Plateau. Eine unglaublich steile Straße führt uns hinauf nach Lamego. Obwohl wir die kleinste der Straßen hinauf gewählt haben, herrscht irre viel Verkehr auf dem schmalen Strässchen. Crazy! Außerdem ist es heiß und ich leide ziemlich. Meine Laune ist im Keller, als wir vermeintlich oben sind, dann noch Extra Höhenmeter durch die Stadt und hinten raus zum Campingplatz machen. Am Schluss schiebe ich nur noch und pfuttere vor mich hin.




Endlich angekommen! Ein kühles Bier hilft gegen die Schmerzen, und wir lernen viele nette Leute kennen. Unser Zelt steht an einem herrlichen Fleck, der Campingplatz ist toll, ruhig und entspannt. Zum Abendessen bestellen wir Pizza und leckeren Douro-Wein. Morgen mache ich ein paar Fotos von der Aussicht, versprochen. Heute bin ich einfach nur kaputt.
São João da Pesqueira - Lamego, 56 km



Tag 62

Wohlverdienter Ruhetag! Wir schlendern ein bisschen durch Lamego, besuchen das berühmte Santuario. Natürlich müssen wir dazu viele Treppen steigen, wie sich das so gehört für einen Ruhetag. Dafür essen wir was Leckeres vor der Kathedrale, ansonsten verbringen wir den Tag mit süssem Nichtstun (oder anders gesagt: Wäsche und Haare waschen, Velo flicken, Karten studieren, Blog schreiben... Sooo viel zu tun!)



Tag 63

Wir wollen heute versuchen, dem Osterverkehr zu entfliehen und kehren daher dem Douro vorerst den Rücken zu. Es geht in die Berge. Bald verlassen wir die Hauptstraße und keuchen steil auf einer schmalen Landstrasse in die Höhe. Nach einer Weile lässt der Verkehr endlich nach und wir genießen die Natur. Riesige Felsen so rund und glatt wie Murmeln liegen in den Gärten der Häuser, auf den Feldern und im Wald - ja, hier hat es wieder hohe Bäume, ein richtiger Wald. Unser Weg ist jetzt nur noch eine Sandpiste und führt hinaus aus dem Wald auf die karge Hochebene, wo nur noch der Ginster, Erika und die Windräder existieren. Bald sind wir auf über 1000 Meter und genießen ein Picknick am See, bevor wir weiter steigen. Ich weiß, ich wiederhole mich, aber die portugiesischen Strassen sind unglaublich steil. Was auf unserer Landkarte als Nebenstraße eingetragen ist, entpuppt sich als Kopfsteinpflaster-Strasse, die in eine holprige Schotterpiste übergeht. Die letzten Höhenmeter schiebe ich im Zickzack bergauf. Oben bietet sich eine fantastische Aussicht auf die Berge, die Windräder drehen, überall diese herrlichen Felsen. Bergab geht es ebenso steil, die Bremsen jaulen. Die Piste wird immer abenteuerlicher, bald ist es nur noch ein Wanderweg und eine kleine Furt kommt auch noch, doch wir haben ziemlich Spass. Endlich kommt ein Dorf, es hat sogar eine Bar! Die Feldmusik hat sich hier ein nettes Klub-Lokal für Jung und Alt eingerichtet. Ein paar sind am Töggele, andere schauen gebannt eine Telenovela, es gibt Kaffee und Kuchen, was wir natürlich das Beste finden. Perfekt! Danach läuft es wie geschmiert, bald sind wir wieder unten am Douro. Hier ist die Landschaft nun richtig tropisch, alles quietschgrün, überall herrliche Blumengärten. Sogar der Verkehr hält sich in Grenzen. Bei einem Wasserfall hat es ein paar Picknickbänke, eine Toilette und Trinkwasser, der perfekte Zeltplatz. Um die Ecke kriegen wir in einer Bar sogar noch ein Glas Wein und etwas zu essen. Life is good!
Lamego - Cascata Cinfães, 57 km



Tag 64

Heute müssen wir entscheiden, auf welcher Seite des Douro wir weiter fahren. An der Douro Bar gestern war man sich einig, die Südseite habe weniger Verkehr. Hügel hat es so oder so, also bleiben wir am linken Flussufer. Der Verkehr reißt aber auch hier nicht ab, und leider sind die portugiesischen Straßen sehr schmal, es gibt nur selten einen Seitenstreifen. Den Autos und Lastern bleibt wenig Platz zum Überholen, nicht lustig für uns. Landschaftlich bleibt es zwar schön, aber die Aussicht zeigt auch brutal auf, dass uns kein flacher Tag bevorsteht. Die Straße führt abwechselnd hoch in eine Stadt, dann wieder runter zum Douro an einen Hafen oder Brücke. Repeat. In Citadela (hoch oben) finden wir ein leckeres Mittagessen, bevor wir die weitere Route planen. Egal wie wir es drehen und wenden, Porto liegt noch viele Höhenmeter entfernt, obwohl es kaum mehr 50 km sind. Schweren Herzens sausen wir wieder runter und überqueren den Douro. Auf der Nordseite rauscht der Verkehr erst recht, aber immerhin kommen wir eine Weile gut voran. Allerdings ist der Strand, an dem wir zelten wollten, eine Baustelle, und im einzigen Hotel weit und breit geht keiner ans Telefon, die Tür ist zugesperrt. Grmpf! Ich bin mittlerweile ziemlich fertig mit den Nerven und den Kräften. Es gibt noch einen Campingplatz, allerdings wieder ganz unten am Douro. Er sieht jedoch gross aus, auf der Karte sehen wir sowohl Restaurant als auch einen Laden eingezeichnet. Wir sausen also runter zum Fluss. Der Campingplatz existiert tatsächlich, aber es gibt weder Bar noch sonst was zu Essen. Nur ein Snack- und Getränkeautomat, natürlich ohne Bier. Der Zeltplatz ist ein ausgestorbener Dauer-Camper-Platz, auf der Zeltwiese hat man kürzlich alle Bäume kahlgeschlagen, und irgendwie ist alles doof. Ich bin heute meinen 3000. Kilometer gefahren und wollte wenigstens etwas zu Feiern haben! Stattdessen heule ich am Douro bei Leitungswasser und Stechmücken und verfluche das fahrradfeindliche Portugal, seine vielen Autofahrer und die mangelnde Infrastruktur für den Langsamverkehr. Sven ist ein unglaublicher Schatz und radelt nochmals zurück ins letzte Dorf für zwei Bier, Chips und eine Flasche Douro-Wein. Zum Abendessen genießen wir unsere Notfall-Menüs, zwei Trekkingmahlzeiten aus der Tüte, die schmecken ganz lecker mit dem Wein. Schlussendlich rege ich mich wieder ab und geniesse den friedlichen Abend am fast tropisch wirkenden Douro, fernab der Straße. Morgen sind wir in Porto!
Cascata Cinfães - Campidouro, 61 km



Tag 65

Wir kämpfen die letzten 30 km nach Porto. Weil es auf unserem superduper Camping nichts zu essen gibt, müssen wir halt unterwegs noch zweimal anhalten, für leckere Bifinhos und Käsekuchen. Sven, vernünftig, bestellt eine Cola dazu, ich ein Glas Wein (zur Entspannung vor dem hektischen Stadtverkehr). Die Cola kostet doppelt so viel wie der Wein, ich bin halt ein Sparfüchslein 😆. Der Aufstieg in die Stadt ist die Hölle mit dem Fahrrad, auf Kopfsteinpflaster geht es fast senkrecht hoch und die gesamte Stadt scheint immer genau auch dort abzubiegen, wo wir langfahren. Zur Ehrenrettung der Portugiesen muss man sagen, dass sie wenigstens viel Geduld im Verkehr (und im Stau) haben, und kurz vor dem Hotel erscheint sogar ein magischer Velostreifen. Wir machen erst einmal Siesta in unserer gemütlichen Pension. Den Nachmittag wollen wir noch das schöne Wetter am Meer genießen, bevor der Regen kommt. Die Fahrräder lassen wir aber stehen und versuchen es mit ÖV. Es dauert eine ganze Weile, bis wir ein Ticket gelöst haben am Automaten, danach bringt uns die Metro entspannt nach Matosinhos. Bald stehen wir am riesigen Strand und stecken die Füsse in den Sand und wenig später in den eisigen Atlantik. Yay! Wir schauen noch eine Weile den Surfern zu und spazieren zum Castello, doch der Wind ist stark und kalt, so dass wir bald umkehren. Sven findet 20 Euro im Stacheldraht hängen, die der heftige Wind wohl jemandem im Strandcafe beim Bezahlen aus der Hand gerissen hat, und lädt mich - ganz spontan - zum Apero ein. Zum Glück gibt's tolle Strandbars, wo man auch drinnen sitzen kann. Nach einem Bier mit leckeren Randen-Nachos und Guacamole suchen wir ein bezahlbares und idiotensicheres Fischrestaurant (ich fühle mich überfordert, wenn ich den Fisch aus der Auslage und nach Gewicht bestellen muss...). In Matosinhos soll es schliesslich den besten Fisch von Porto geben. Bei 100fom werden wir fündig. Unsere Meeresfrüchte-Platte ist ein Traum, der Vinho verde dazu schmeckt lecker und der Portwein zum Dessert ist sehr großzügig bemessen. Gut haben wir die Velos stehen lassen... Die Metro schaukelt uns vollgefressen, angeschickert und zufrieden zurück nach Lapa im Norden von Porto, wo wir uns für ein paar Tage eingemietet haben.
Campidouro - Porto, 30 km



Tag 66-68

Wir verbringen ein paar gemütliche, regenreiche Tage in Porto. Schon nach kurzer Zeit entfaltet die Stadt ihren Charme, wir vergessen unseren ersten Eindruck, dass es hier nur laut, voll, eng, steil und verfallen, allenfalls sogar etwas zwielichtig ist. Wir sind aber einstimmig der Meinung, dass man hier das Fahrrad besser stehen lässt, will man sich nicht kreuzunglücklich machen. Zu Fuss lassen sich die steilen Strassen und Treppen, die engen Gassen und Kopfsteinpflaster eindeutig leichter erkunden. Ausserdem gibt es viel zu sehen und zu fotografieren. Am Donnerstag schlendern wir zunächst in Richtung Centro Historico, nachdem wir uns beim ersten Regenschauer mit billigen Regenschirmen ausgestattet haben. Die können wir jedoch bald wieder einstecken. In der Altstadt bestaunen wir die typischen schmalen, mit Kacheln verzierten Häuser. Es hat ein paar wahre Schmuckstücke, doch oft steht nur noch die Fassade, das Dach ist eingefallen und die Fenster leere Löcher. Vor der berühmten Buchhandlung Lello hat es eine Menschenschlange, die sich die ganze Strasse entlangzieht, also gehen wir weiter zum hübsch gekachelten Karmelitenkloster (ohne Schlange) und besichtigen die Kirche, die Katakomben, die Innenräume des ehemaligen Klosters und das "hidden house", welches zwischen Kirche, Kloster und angegliedertem Spital eingeklemmt und nur ein paar Meter breit ist. Nach so viel Kultur brauchen wir eine Erholungspause im Park. Die Bäume hier wachsen sehr interessant, wie Elefantenfüsse, aber mit Ahornblättern und lustigen, kastanienähnlichen "Igeli"-Samen. Spass mit Statuen haben wir auch. Von einer Terrasse geniessen wir einen ersten Blick hinunter auf den Douro und das berühmte Ribeira-Viertel, bevor wir durch die steilen Treppen absteigen. Der Charme der Stadt liegt definitiv in ihrer steilen Hanglage am Fluss und ihren Farben, aber auch in ihrem fortgeschrittenen Status des Zerfalls. Moos und Blumen spriessen aus den Mauern, es gibt auch viel hippe Street Art an den moderigen Wänden. Unten am Douro rumpelt das nostalgische Strassenbähnchen vorbei, und auf dem Quai von Ribeira stehen die Bars und Restaurants dicht an dicht. Wir finden ein freies Plätzchen und lassen uns in der Sonne braten bei ein paar leckeren Crepes (erst nachher kommt uns in den Sinn, dass unsere billigen China-Schirme auch als Sonnenschirme taugen). Danach nehmen wir die flache Fussgängerpassage der Eisenbogenbrücke Ponte Luis 1 über den Douro und strolchen auf der andern Seite an den Kellern aller berühmten Portwein-Marken vorbei. Die alten Portwein-Barken gondeln heute eher als Werbebanner auf dem Douro auf und ab, aber das ergibt natürlich schöne Bilder. Statt einer Bootstour wollen wir aber lieber das edle Getränk an Land degustieren, und hier ist der richtige Ort dafür. Port-Degustation a gogo. Wir entscheiden uns für eine Bar mit einem guten Strassenmusiker in Hörweite und lassen uns von ruby, tawny, rosy (den Rest hab ich vergessen) Port den Nachmittag versüssen. Da der Portwein die Beine so schwer macht, der Blick vom oberen Teil der Brücke aber spektakulär sein muss, hat man - cleveres Touri-Marketing - eine Gondel von der Portwein-Meile zur Brücke hoch gebaut. Die Gondel ist allerdings so teuer, dass wir dafür noch viel Portwein trinken könnten, und den Aufstieg auf die Brücke lieber zu Fuss machen. Der kleine Leidensweg zur Brücke hoch wird belohnt mit sehr cooler Street Art. Und ja, die Aussicht ist fantastisch, sollte man nicht verpassen. Vor allem, wenn eine schwarze Gewitterwand vom Atlantik her rollt, der Wind plötzlich heftig bläst und wir fast im Laufschritt über die Brücke eilen, um vor dem Regen wieder in den schützenden Gassen der Altstadt zu sein. Bald regnet es in Strömen, wir flüchten in die Kathedrale, steigen auf den Turm und studieren die vielen Heiligen der Stadt. Der gute alte Jakob ist auch hier omnipräsent. Abends trinken wir ein leckeres Bier in einer Bar ohne Touristen und landen danach zufällig in einer stilechten mexikanischen Taqueria, wo wir uns an Tacos, Quesadillas und Alfambras sattessen. Frijoles gibts leider keine, dafür scharfe Sauce und einen Tequila aufs Haus. Wir machen uns etwas torkelnd auf den Heimweg, es regnet immer heftiger. Eine weitere Bar lockt uns ins Trockene für einen weiteren Portwein, bevor wir völlig kaputt in unsere Pension stolpern. 



Am Freitag starten wir langsam in den Tag, draussen schiffts. Schliesslich haben wir jetzt eine Kaffeemaschine, kein Grund um aus dem Haus zu rennen. Da es heute hauptsächlich regnen soll, recherchieren wir sehenswerte Museen, doch nichts packt uns wirklich. Schlussendlich entscheiden wir uns für einen Besuch im Decathlon (Kulturbanausen we are). Der fällt nicht besonders ergiebig aus, dafür stolpern wir per Zufall in eine coole Markthalle wo es supergesunde frischgepresste Säfte gibt und auch ein leckeres vegetarisches Mittagessen uns anlacht (Quiche, Salat, Couscous und O-Saft). Ich verspreche Sven, dass wir dafür am Abend endlich traditionelle Francesinhas essen gehen, etwas, welches wir schon am ersten Tag in Portugal auf dem Menü gesehen aber noch nie probiert haben. Im Bodyshop, wo ich eigentlich nur mein Lieblingsshampoo auffüllen wollte, bekomme ich ein unverhofftes Edelweiss-Handpeeling von einem männlichen, sehr effizienten Verkäufer (ich bin etwas überrumpelt, weil das sonst immer Frauen sind, die kann ich irgendwie leichter abschütteln). Sven amüsiert sich köstlich, und ich danach auch. Da es schon wieder zu regnen beginnt und die Temperaturen heute gar nicht freundlich sind, suchen wir doch noch ein Museum, wo wir uns für ein paar Stunden vertun können. So halbbatzig können wir uns für "World of Discoveries" begeistern, dort angekommen ist jedoch alles voller Familien und kreischender Kinder, dafür ist der Spass dann doch zu teuer. Gegenüber hat es das Transportmuseum, eine Ausstellung über die königlichen Karossen, nicht gerade der Brüller. Die temporäre Ausstellung über Banksy wäre sicher toll, ist aber leider ausverkauft. Die andere temporäre Ausstellung über Frida Kahlo vermag uns allerdings zu begeistern, und wie! Zwar sehen wir kein einziges Gemälde von ihr (es gibt nicht sehr viele, und die meisten dürfen Mexiko nicht verlassen), dafür eine interaktive Biographie-Show, die man schwer in Worte fassen kann. Künstler haben hier ihr Leben in 3D, im virtuellem Raum, mit künstlicher Intelligenz und einer Multivisionsshow in einem Kellergewölbe an die Wände projiziert (mein Lieblingskunstwerk kann jedoch nur mit einer VR-Brille und Kopfhörern genossen werden, ich falle fast vom Hocker, als ich mit Fridas Bett durch ihre Heimatstadt und in die Wüste Mexikos schwebe, wo die Melonen vom Himmel fallen). Wir sind schwer begeistert. Zum Verdauen ziehen wir uns in eine Craft Beer Bar am Douro-Ufer zurück, wo wir portugiesische IPAs und Stouts probieren, Frida Kahlos Bilder googeln und über Bier und die Welt philosophieren. Wenige Schritte weiter gibt es ein typisches Restaurant, wo wir endlich die Fleisch-Dekadenz Francesinha degoustieren (welche eine Art Lasagne bilden aus Schinken, Wurst, mindestens einem Steak, Toastbrot, geschmolzenem Käse, Ei, das ganze Ensemble schwimmt in einer scharfen Sosse). Ganz nach dem Motto "Fleisch ist auch Gemüse". Es schmeckt sehr lecker, doch es ist sooo unglaublich sättigend, dass uns fast schlecht wird. Aber wir kämpfen uns tapfer durch, wir schaffen sogar die Pommes, die wir in unserem Übermut dazubestellt haben. Der Spaziergang zurück ins Hotel ist fast eine Wohltat danach, mit vielen erleichternden Rülpsern kämpfen wir bergauf, wobei wir diesmal etwas vernünftiger sind und noch ein paar Stationen mit der Metro fahren. 




Am Samstag ist Svens Urlaub leider bereits vorbei, wir frühstücken noch gemeinsam, bevor er sich auf den Weg zum Flughafen macht. Ich geniesse einen gemütlichen Samstag mit Schreiben, Kaffee trinken, etwas Gesundes essen und nachher gehe ich noch zum Coiffeur. Die Haare nerven mich seit Wochen, Zeit für die Frühlingsfrisur!
Morgen geht es weiter in Richtung Santiago de Compostela, wieder auf einem Pilgerweg, diesmal dem Camino Portugues de la Costa. 

Tag 69

Ich verlasse Porto auf einem der wenigen Velostreifen und rolle schon bald wieder über die Strandpromenade in Matoshinos. Heute ist bedeutend mehr los als am Mittwoch, das Wasser wimmelt von Surfern und der Quai ist voller Spaziergänger und Pilger. Es findet ein Surf-Wettbewerb statt, mit Tribüne, Fernsehteam und Speaker. Ich schaue eine Weile zu, dann wende ich mich definitiv nach Norden. Ab jetzt ist die Navigation für eine ganze Weile ziemlich einfach: Meer zur Linken. That's it. Heute bläst ein sanfter Rückenwind, die Sonne scheint, der Weg ist flach. Der Atlantik ist tiefblau und kracht und tost den ganzen Tag in meinen Ohren. Herrlich! Ämel für den Moment, vermutlich nervt mich der Sand und der Lärm des Meeres dann bald ... 😏
Durch die schicken Vororte von Porto rollt es wie geschmiert. Dann geht der Jakobsweg auf hübsch angelegte Boardwalks in die Dünen. Leider steht dort zu 90% ein grosses, fettes Veloverbot, obwohl dies auch die offizielle Eurovelo-1-Route ist. Ein paarmal ignoriere ich die Verbotstafeln, doch es hat einfach zu viele Leute heute (es ist Sonntag). Wo das Radeln erlaubt ist, hat es plötzlich Stufen über die Klippen, den Zorro muss ich schleppen. Aber schön blühen tut's überall. Da ich nicht oft auf die Dünenwege darf, muss ich viele Kilometer auf der Landstrasse hoppeln und sehe das Meer gar nicht. Das wäre nicht so schlimm, es läuft ja nicht weg, aber diese kleinen Strassen sind alle aus Kopfsteinpflaster. Das hoppelt und ruckelt ganz furchtbar, mein Füdli, Nacken und Handgelenke schreien bald nach Gnade. Auch der Zorro klappert wie eine alte Schrottkiste. In Vila do Conde finde ich noch mal ein paar Kilometer Radweg, vorbei an Palästen, Schiffen und Windmühlen aus vergangenen Zeiten. Dann geht's zurück aufs Kopfsteinpflaster, seufz. Nach 60 km mache ich Schluss, obwohl ich noch nicht mal so sehr müde bin, ich fürchte nur, ich kriege den Parkinson von der Ruckelei hier. Die Portugiesen sind wirklich Fan von Kopfsteinpflaster! Auf dem Campingplatz von Faõ steht mein Zelt im Nu. Während ich meine Siebensachen zum Duschen zusammensuche, kommt die Campingkatze vorbei, ignoriert mich gekonnt, buddelt steincool ein Loch keine zwei Meter von meinem Zelt und setzt einen riesigen Kack in den Sand. Thanks a bunch, mate! 😑🤢💩
Zum Abendessen finde ich ein super Restaurant und geniesse leckere Meeresfrüchte. Es wird sicher keine Reste fürs Campingkätzli geben 😤.
Porto - Faõ, 61 km




Tag 70

Böllerschüsse wecken mich viel zu früh. Was ist denn heute los? Nach einem gemütlichen Kaffee in der Sonne vor meinem Zelt rolle ich weiter nach Norden. Im Dorf sehe ich die Feldmusik am Trommeln und Marschieren. Das war dann wohl der frühe Weckdienst... Der heutige Tag ist vermutlich mein letzter Tag in Portugal, und das Land wirft nochmals mit Schönheit um sich, damit es auch ja einen guten Eindruck hinterlässt. Allerdings auch ein Panoptikum von herausfordernden Strassenbelägen, wie es nur Portugal kann. Zunächst sause ich über die hübsche Promenade von Esposende, geniesse einen Meia da Leite und Pao de nata beim kleinen Dorfladen und folge der Kolonne von Pilgern. Der Camino führt heute in die Hügel durch die Dörfer. Ich ahne es: alles Kopfsteinpflaster. Nach ein paar Kilometern kommt ein schöner Abschnitt durch den Wald entlang eines kleinen Fluss, herrlich grün, alles voller Farn. Allerdings bald nur noch eine wilde Wurzelpiste... Also schieben. Wenigstens ist es nicht weit über die Brücke zur Strasse. Dort verlasse ich den Jakobsweg und bleibe auf der Landstrasse, die einen piekfeinen neuen Asphaltbelag und riesigen Seitenstreifen hat. In Viana do Castelo darf ich endlich auf den Strandweg und flitze mit Rückenwind durch die Dünen. Wunderschön! Alte Windmühlen zieren die Küste, und ich gehe auf Muschelsuche in den seichten Felsen. Dann geht's plötzlich nicht mehr weiter, und ich zerre den Zorro über einen steilen Felsenweg in voller Blütenpracht hoch ins nächste Dorf. Dort finde ich nochmals eine tolle Landstrasse und sause bis kurz vor Caminho. Am Strand geniesse ich ein kühles Bier und trudle im gemütlichen Campingplatz unter den Pinien ein. Dort treffe ich Alex, einen anderen Velofahrer, mit dem ich mich gut unterhalte, und geniesse den letzten Abend in Portugal. Es ist übrigens nationaler Feiertag, darum die Böller...
Faõ - Caminha, 56 km




Kommentare