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Castilla-La Mancha: Wo die wilden Hasen hoppeln








8.-14.3.22, ca. 400 km

Tag 22

Ziel für heute: das Meer! Aus Valencia rauszukommen ist ein Klacks, tolle Fahrradwege führen mich direkt an die Küste und zu den Stränden der Stadt. Allerdings sind diese Strände nicht gerade der Brüller. Mit Veloweg ist bald fertig lustig, es geht auf kleinen Landstraßen weiter, die leider sehr stark befahren sind. Obwohl ich mitten durch ein Naturschutzgebiet fahre, sehe ich wenig davon, und auch das Meer ist kaum sichtbar. Ein paar überschwemmte Felder bieten hübsche Spiegelbild-Fotos mit staksenden Reihern, die leider recht scheu sind. Highlight des Tages sind zwei Schildkröten im trüben Kanal, die jedoch abtauchen, bevor ich die Kamera griffbereit habe. Danach radle ich durch hässliche, total zugebaute Küstensiedlungen, die zwar ausgestorben wirken, aber offensichtlich viel Verkehr produzieren. Es ist wie befürchtet: zwar lässt es sich leichter radeln an der Küste, weil flach und temperaturmässig angenehmer, aber schön ist es nicht besonders, und ruhig schon gar nicht. Ich übernachte auf einem Campingplatz zwischen Wohnwagen voller Holländern und Belgier und vermisse die Berge.
Valencia - Gandia, 77 km



Tag 23

Ich starte heute spät, denn ich kann mich nicht entscheiden wohin als Nächstes. An der Küste bleiben oder zurück in die Berge? Schlussendlich fahre ich in Richtung Berge, doch die ersten paar Stunden sind schrecklich, massig Verkehr, endlose Industriegebiete oder verschmutzte Orangenplantagen, Müll überall. Danach geht's ewig der Autobahn entlang, erst gegen Abend finde ich ein paar ruhige Feldwege, die jedoch oft abrupt enden an einem Zaun oder an einer Schnellstraße, über die ich nicht drüber komme. Doch die Berge rücken näher und abends finde ich einen ruhigen Wohnwagen-Stellplatz mit netten Leuten, die gleich mit ihrem Hammer angelaufen kommen, um meine Heringe einzuschlagen.
Gandia - El Palomar, 49 km



Tag 24

Zu Beginn des Tages muss ich nochmals ein paar Kilometer neben der Autobahn fahren, was zwar ärgerlich ist, aber dafür lerne ich dort den einheimischen Radfahrer Miguel kennen, der mich effizient und sicher durch die Stadt Ontynient lotst und mich auf die richtige Strasse schickt - nämlich diejenige mit der Straßensperrung und somit kaum Verkehr. Er fragt natürlich gleich, ob ich den Camino fahre, und erzählt von seinen eigenen Radreisen auf den vielen Caminos in Spanien. Kurz danach radle ich fast verkehrsfrei auf die Hochebene. Hunderte von flauschigen Kaninchen hoppeln vor mir aus dem Gebüsch über die Strasse - ich erschrecke jedes Mal, schaffe aber kein Foto aus der Nähe. Jedenfalls nicht von lebendigen Tieren - die vielen plattgefahrenen Fellnasen auf der Strasse brechen mir dafür fast das Herz 💔.
Da ich heute wieder mal auf einem Camino unterwegs bin - dem Camino del Sureste - übernachte ich in Caudete im Albergue de Pelegrinos. Die Pilgerherberge befindet sich auf dem höchsten Punkt der Stadt, der ehemaligen Eremitenklause, und bietet eine herrliche Aussicht auf die Ebene, die ich durchquert habe. Allerdings sind die Straßen so steil, dass ich den Zorro schieben muss und schwitzend mit hängender Zunge oben ankomme. Da ist es natürlich nicht hilfreich, dass man hier als Erstes bei den Pilgern die Temperatur misst wegen Corona... 😏. Aber ich habe Glück und rutsche grade noch unter der Fiebermarke durch. 😁 Auch hier dauert es eine ganze Weile bis ich "eingecheckt" bin, aber es ist uh herzig wie sich der ältere Herr der hiesigen Camino-Vereinigung bemüht um mich. Später kommt noch ein zweiter Mann hinzu, um mir die Dusche, den Schlüssel, die Lichtschalter und die Heizung zu erklären, unglaublich hilfsbereit alle (mir ist der ganze Zirkus schon fast peinlich). Ich habe mich in den letzten Jahren sehr gegen dieses Jakobsweg-Pilgern gesträubt, obwohl mir das viele Leute empfohlen haben, denn ich fand, das sei viel zu sehr Kommerz und Trend. Mag sein, dass es auf gewisse Caminos auch zutrifft, aber es gibt so viele Caminos, und die meisten davon sind praktisch unbekannt. Dennoch existiert überall diese liebevoll aufgebaute Infrastruktur, von lokalen Camino-Vereinen gepflegt, mit richtig viel Herzblut. Mit Kommerz hat das nicht viel zu tun. Ich bin positiv überrascht und werde langsam aber sicher zum Fan von unbekannten Pilgerwegen (die sich übrigens tip-top mit dem Fahrrad radeln lassen, wenn man etwas breitere Reifen hat).
El Palomar - Caudete, 62 km



Tag 25

Dichter Nebel liegt über Caudete, als ich die Stadt nach einem leckeren Frühstück in einer Bar verlasse. Ich folge ein paar Kilometer dem Jakobsweg. Es geht durch Brokkoli- und Artischockenfelder. Das Haupt-Unterhaltungsprogramm sind jedoch die hunderten von Häsli, die auf den Feldern sitzen. Hören sie, wie der Zorro angerasselt kommt, stellen sie die Ohren auf und hoppeln dann wie wild über die Strasse in ihre Löcher. Meistens sehr ich nur ihre weissen Stummelschwänzchen in der braunen Landschaft vor mir weg hoppeln. Sehr unterhaltsam. Die Landschaft ist ansonsten eher flach und wenig spektakulär, aber die Mandelbäume blühen immer noch in voller Pracht.
Praktisch nur auf Schotter und Feldwegen geht es heute über 80 km nach Hellin. Unzählige Weinberge und Olivenhaine bis zum Horizont. Am Ende des Tages steht der Total-Km-Stand genau auf 1234 km. Passt prima zu der symmetrischen Landschaft heute.
Caudete - Hellin, 85 km



Tag 26

Eigentlich eine kurze Etappe, aber der brutale Gegenwind lässt mich bereits nach 38 km die Segel streichen. Heute gibt's leider keine Alternative zur Hauptstraße, und es ist Wochenende, der Verkehr entsprechend hoch. Ich radle stetig im Schneckentempo bergauf in Richtung der Berge und freue mich auf die kommenden Tage, wo es endlich wieder in die Felsen und Schluchten geht.
Hellin - Elche de la Sierra, 38 km




Tag 27

Ich bin ein bisschen gerädert nach einer lauten Nacht (die Spanier essen ja sehr spät und sitzen gerne bis nach Mitternacht im Hotelrestaurant und lärmen rum). Heute "früh" um neun gibt's dafür noch kein Frühstück an der Bar gegenüber, weil die Köchin verschlafen hat. Zum Biertrinken und Rumkrakeelen ist es offenbar aber nicht zu früh... Seufz. Naja, irgendwann kriege ich mein Bocadillo mit Omelette und Kaffee und radle gestärkt los. Heute komme ich endlich wieder richtig in die Berge, die Sierra de Alcaraz wartet auf mich. Auf über 1100m hoch geht es heute, und ich sehe wieder Steinböcke. Cool!
Elche de la Sierra - Riopar, 41 km



Tag 28

Nachts regnet es heftig, doch heute morgen nieselt es zum Glück nur noch leicht, als ich aufbreche. Der Wind ist allerdings heftig - glücklicherweise zunächst in meinem Rücken. So muss ich nur wenig treten bis zum ersten Pass, und auf der Abfahrt sause ich plötzlich an einem Schild vorbei - ANDALUCIA! Vollbremse und Foto machen, wow! Nur ein Monat und ich bin bereits in der südlichsten Provinz Spaniens (die zugegebenermassen sehr gross ist). Die Freude ist gross. Allerdings drehen sich sowohl Wind als auch meine Fahrtrichtung, und nun bläst es mich fast rückwärts. Unglaublich starke Böen heute! Ich radle in den Naturpark Sierra de Cazorlas, der bei gutem Wetter sicher wunderschön wäre. Leider wird das Wetter immer trüber, ein gelbbrauner Nebel legt sich immer dichter über die Landschaft. Saharastaub! Die Fotos sind leider nicht sehr toll heute. Nach über 1000 Höhenmetern bin ich endlich oben und sause hinunter nach Segura de la Sierra.




Segura de la Sierra ist ein richtig hübsches, weisses, andalusisches Dörfchen, mit Burg und Stadtmauer, es klebt an einem steilen Hang. Sogar ein paar Überbleibsel der Araber hat es noch, nämlich die alten Hammam-Bäder. Schade, sind diese nicht mehr in Betrieb, ein heisses Dampfbad käme mir jetzt gerade recht. Es ist nämlich sehr kalt, und der gelbbraune Nebel wärmt auch nicht gerade. Gut, habe ich heute wieder ein Zimmer mit Heizung. Nach einem kleine Rundgang durchs Dorf setze ich dann auch mein halb erfrorenes Füdli vor diese Heizung und mache es mir gemütlich. Andalusien hab ich mir irgendwie wärmer und sonniger vorgestellt....

Riopar - Segura de la Sierra, 53 km



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