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Aragon: Leere Berge und stille Strassen





27.2. - 7.3.2022, ca. 400 km

Tag 13

Heute geht's weiter auf der Via Verde de la Terra Alta, vorbei an verlassenen und eingestürzten Bahnhöfen, die etwas das Gefühl vermitteln, durch eine Ghost Town zu fahren. Oder wohl eher Ghost Land. Die ehemalige Bahnlinie umfährt alle Dörfer grosszügig, da diese immer malerisch auf einem Hügel liegen. Tolle Fotomotive! Aber ich bin froh, muss ich nicht in jedes Dorf hochkurbeln. Also radle ich auf alten Bahndämmen und Brücken fast flach durch Olivenhaine und Mandelbäume. Ich verlasse Catalunya und radle nach Aragon. Das imposante Küstengebirge liegt nun hinter mir, ich radle auf einem Altiplano, endlose Weite, der Horizont scheint endelos. Ganz flach ist es aber trotzdem nicht, ich radle über zahlreiche Äquadukte und Tunnels. Der letzte Tunnel des Tages ist der längste, über 2 km, pfeilgerade und zapfenduster. Das winzige weisse Pünktchen Licht am anderen Ende will nicht näher kommen, bald fühlt es sich an, als ob Zeit und Raum sich endlos ausdehnen. Der Weg ist nur noch geschottert, es hoppelt und der Staub wirbelt vor meinem Fahrradlicht, welches sich tapfer durch das Nichts kämpft. Endlich wird das Licht am Ende des Tunnels größer und bald stehe ich erleichtert wieder in der Sonne. Da es abends immer noch sehr kalt wird, nehme ich ein Zimmer in Alcañiz. Auf der Suche nach etwas Essbarem muss ich dann doch noch auf den Berg hoch in die Altstadt, doch diese ist sehr hübsch und sehenswert. Und ich bin schon wieder auf einem Jakobsweg - dem Camino Aragones vielleicht? Jedenfalls gönne ich mir heute Abend eine "Pizza Aragon" mit einem leckeren Bier der hiesigen Brauerei.



Horta de Sant Juan - Alcañiz, 57 km

Tag 14

Ich muss unbedingt einen Velomech finden, der mir die Gangschaltung neu einstellt, denn nach dem ruppigen Start auf den Pisten von Catalunya fliegt mir die Kette andauernd raus. Am Stadtrand werde ich fündig. Der Laden sieht unscheinbar und nicht vielversprechend aus, aber eine Frau berät mich kompetent und sachlich, meine Gangschaltung ist antik, aber sie will mal schauen, was sich noch richten lässt. Wenige Minuten später (und nur 10 Euro ärmer) bin ich wieder unterwegs,. und es schaltet sich fast wie neu. Herrlich! 
Die heutige Etappe ist mal wieder mehrheitlich Offroad und dementsprechend staubig. Die Landschaft von Bajo Aragon wirkt sehr trocken und ist geprägt von Olivenhainen, wohlduftenden Mandelbäumen und der Schweinezucht (das ist olfaktorisch nicht so prickelnd, aber der spanische Schinken schmeckt dafür sehr lecker....). Die Farben Olive und Beige sind vorherrschend, dazwischen ein paar bunte Felsbänder und Staub in allen Braun- und Orangetönen. Der Frühling ist hier noch sehr zögerlich unterwegs, aber ich mag die Landschaft sehr, sie erinntert mich an Südamerika und ich werde ein bisschen wehmütig.



Alcañiz - Alcorisa, 41 km

Tag 15

Der erste steile Anstieg des Tages wird versüßt durch Wildlife - junge iberische  Steinböcke und über den Felsen segelnde Geier sind ein toller Start in den Tag. Die Landschaft fasziniert mich, es hat viele bunte Felsen und Sandbänke am Straßenrand. Ich folge mal wieder einer "gut fahrbaren" Schotterpiste. Hach, das Internet ist so ein elendes verlogenes Miststück. Ich schiebe ziemlich viel und brauche für die 10 km zweieinhalb Stunden. Zu Fuss wäre ich fast so schnell gewesen. Immerhin entlohnt die Landschaft für die Mühe. Obwohl alles verlassen aussieht, leben hier Bauern und trotzen den widrigen Bedingungen. Ich habe schon am Mittag kein Wasser mehr (schlechte Planung meinerseits, zugegeben, denn es ist sehr warm heute), und nun fahre ich auch noch durch ein Tal, welches voller Tierknochen ist. Creepy! Ich mache Pause, nuckle durstig an einer Tomate und  freue mich regelrecht auf die Teerstrasse. 



Doch auch dort geht es heftig bergauf, aber immerhin hoppelt es nicht so fest. Endlich erreiche ich den ersten Pass. Hier erfahre ich, dass ich mich auf der "Silent Route" befinde, was ich nur bestätigen kann. Es hat kaum Verkehr auf dieser Straße, obwohl sie unglaublich schön ist. Vermutlich sieht's am Wochenende anders aus... 
Ich blicke in die endlose Tafelberg-Landschaft hinaus und sause dann hinunter in den Canyon des Rio Guadalope. Die Strasse steigt wieder an, doch ich merke es kaum, denn ich radle durch eine spektakuläre Felslandschaft namens Organos de Montoro. Die Geier kreisen über den Felsen. Ich bin mittlerweile sehr, sehr durstig und müde und hoffe, dass die Geier das nicht wissen. 
Noch ein Pass, noch eine Abfahrt, noch ein letzter, steiler Anstieg. Die Strasse führt durch eine wunderschöne Gegend, doch ich bin geschafft. Irgendwo sprudelt ein Bächlein über die Strasse und ich fülle meine Trinkflasche in der Hoffnung, dass das kein Abwasser ist. Es schmeckt herrlich! Der letzte Aufstieg nach Villarluengo zieht sich, doch dann erblicke ich endlich das Bergdorf auf der Klippe. Traumhafte Lage! Doch kaum ist die Sonne hinter dem Berg verschwunden, wird es abrupt eisig kalt. In meiner Pension gibt's zum Glück Heizung.



Alcorisa - Villarluengo, 52 km

Tag 16

Nur mit Mühe reisse ich mich von dem hübschen Fleck Villarluengo los. Nach dem ausgiebigen Studium der Karte, der Höhenlinien und des Wetterberichts verlasse ich den European Divide Trail und radle weiter nach Südosten auf der Silent Route, einer einsamen und wirklich stillen Strasse durch die "Leeren Berge" (Montañas Vacias). Diesen Spitznamen hat sich diese Region wegen der Landflucht und der kargen, hohen Berge verdient. Es sind vermutlich die höchsten Pässe meiner Reise. Ausserdem ist meine Strasse gerade wegen Bauarbeiten gesperrt. Mit dem Fahrrad komme ich trotzdem durch, ein paar nette Bauarbeiter hieven mir den Zorro samt Gepäck über die aufgebaggerte Brücke. Nun habe ich die wunderbare Schlucht für mich alleine 🥰. Allerdings geht ein heftiger kalter Wind, der mich fast in die Schlucht befördert und den Zorro ordentlich ausbremst. Ein weiterer Grund, wieso ich diese Route statt die noch einsamere MTB-Piste wähle, ist das Wetter. In zwei Tagen soll eine mächtige Kaltfront kommen, und diese Berge sind einerseits ziemlich hoch (über 2000 Meter) und werden auch "Sibirien von Spanien" genannt. Also etwa das La Brévine der Schweiz. Es sind 20 cm Schnee angesagt und Temperaturen unter Null für eine Woche. Aber heute soll es eigentlich noch sonnig und warm sein. Eigentlich. Der eisige Wind und die grauen Wolken prophezeien aber Anderes. Das ist nicht gut, denn heute stehen 1700 Höhenmeter an, und mindestens drei Pässe, die hier Puerta heissen. Der höchste ist 1700m hoch. Das ist im März auch in Aragon noch winterlich, ich fahre durch Skigebiete, sehe jedoch nur noch winzige Schneereste. Kaum beginnt der Aufstieg ernsthaft, wird der Himmel schwarz, plötzlich regnet und graupelt es. Die Landschaft verändert sich, erinnert mich mittlerweile eher an Nevada und "the lonliest road of America", nur dass dieser spanische Highway definitiv einsamer ist. Wunderschön. Ich liebe solche Landschaften! Das Wetter ist allerdings auch eine Herausforderung, nicht nur die vielen Höhenmeter. Im strömenden Eisregen (der erst auf Mitternacht angesagt war) komme ich in Allapuz an und suche mein Hotel, welches auf keiner Karte existiert und als Adresse nur "km 42, Allapuz" aufführt. Ein vernünftiges 4G-Netz für Mr Google finde ich auch nicht. Irgendwann taucht ein Auto in dem verlassenen Dorf auf und ich werfe mich praktisch vor den Karren und winke verzweifelt. Die liebe Frau hat Mitleid mit mir und fährt voraus zum Hotel, welches 1 km außerhalb liegt (an der Straße am Schild "km 42", das wäre nicht so schwer gewesen...). Die heisse Dusche und das extrem proteinreiche Abendessen vor dem lodernden Kamin schmecken super. 



Villarluengo - Allapuz, 64 km

Tag 17

Heute ist der letzte sonnige Tag für eine Weile und die Einheimischen empfehlen mir wärmstens (haha), sofort nach Valencia ans Meer zu fahren, wo ich die Kaltfront bei knapp zweistelligen Temperaturen aussitzen kann. Das tönt nach einem vernünftigen Plan. Heute morgen breche ich bei strahlendem Sonnenschein, aber mit Rauhreif und 1 Grad auf. Es geht weiter durch die Montañas Vacias und hügelt prächtig, also bleibt mir warm. Die Kühe und Stiere sind schon draussen hier, trotz eisiger Temperaturen. Sie haben auch ein kuscheliges Fell. Nach der letzten Puerta kommt die lange Abfahrt hinunter nach Mora de Rubielos, einem hübschen mittelalterlichen Städtchen. Ich fahre noch etwas weiter und finde an einem Truckstop Motel ein günstiges Zimmer.



Allepuz - Venta del Aire, 58 km

Tag 18

Es hat die ganze Nacht heftig geregnet, doch nun ist es zwar kalt aber trocken und ein kräftiger Rückenwind bläst mich in Richtung Küste. Ich folge einer weiteren stillgelegten Bahnlinie, der Via Verde de Ojos Negros. Der rote Lehm, der die Landschaft so schön bunt macht und auch teilweise den Radweg bildet, wird allerdings rasch zu meinem und Zorros Erzfeind, denn nach dem Regen klebt das Zeug an den Rädern wie Leim und sammelt fleissig Kiesel auf, bis ich nach wenigen Metern abrupt zum Stehen komme. Rien ne va plus! Zorro wiegt eine Tonne mit den blockieren Rädern und ist total eingesaut. Ich in Kürze ebenfalls, bis ich den gröbsten Zement abgekratzt habe und nun etwas vorsichtiger weiterfahre (und einen großen Bogen um die roten Lehmpfützen mache). Der restliche Tag verläuft eher unspektakulär durch Olivenhaine und Windräder, eigentlich wäre es eine super Schussfahrt ans Meer, bei den eisigen Temperaturen bin ich jedoch bald durchgefroren und sitze abends über eine Stunde erleichtert in der (eigentlich viel zu kleinen) Badewanne im Hotel. 



Venta del Aire - Altura, 62 km

Tag 19

Die Via Verde de Ojos Negros ist nicht so spektakulär,  aber sie bringt mich flach und bequem nach Valencia. Bereits nach wenigen Kilometern radle ich plötzlich nicht mehr durch Olivenhaine sondern an schwer beladenen Orangen und Mandarinenbäumen vorbei. Viele Früchte liegen am Boden, so komme ich heute ohne Aufpreis zu meinen Vitaminen. Ansonsten geht es oft in Autobahn-Nähe in die Großstadt, nicht so prickelnd aber auch nicht überraschend. Ich sehe dennoch erstaunlich viel Wildlife: Eichhörnchen, Kaninchen und viele Vögel. Valencia ist sehr fahrradfreundlich, richtige Velo-Autobahnen führen mich direkt von der Via Verde ins Zentrum und vor mein Hotel. Ich mache hier ein paar Tage Pause, da viel Regen angesagt ist. An Kultur soll es hier ja nicht mangeln.



Altura - Valencia, 70 km

Tag 20 und 21

Sightseeing-Spaziergang im Regen durch Valencia. Ich besuche die Altstadt rund um die Plaza de la Reina, verzichte aber auf einen teuren Besuch der Kathedrale. Stattdessen spaziere ich durch die Gassen von El Carmen, besichtige die alte Markthalle, die Börsenhalle und die vielen Stadttore von Alt-Valencia. Irgendwie ist diese Stadt ein cooler Mix aus mittelalterlichem Charme und trendy Bohemian Chic. Und ausserordentlich fahrradfreundlich! Trotzdem bin ich heute zu Fuss unterwegs. Der Regen treibt mich sogar in ein Museum. Eigentlich wäre das Museum of Modern Art das Must-Go-To, aber ich kann damit nicht viel anfangen und gehe ins historische Museum. Nach ein paar Stunden traue ich mich wieder in den Regen raus und strolche durch den Stadtpark La Turia, ein stillgelegtes Flussbett, welches viele exotische Pflanzen beherbergt, aber auch die bekannten, modernen Calatrava-Gebäude, welche Valencia in jüngster Zeit als trendige Stadt bekannt gemacht haben. Im Park wird kräftig geballert mit Knallern und Feuerwerk - es ist das Einstimmen auf das Frühligsfest Las Fallas. Auch die riesigen Pappfiguren, die dann ausgestellt und verbrannt werden, sind bereits teilweise in der Stadt zu sehen, allerdings noch verhüllt in Plastik (offiziell geht es nächste Woche los - aber der Lärm muss enorm sein, daher lasse ich das bleiben und ziehe weiter). 



Am nächsten Tag verbringe ich viel Zeit im grossen Decathlon von Valencia und ersetze ein paar unpraktische Klamotten. Den Rest des Tages verbringe ich in meinem Hotelzimmer beim Bloggen, Wäschewaschen und anderen "Haushaltsarbeiten". Morgen soll endlich wieder die Sonne scheinen, und es geht weiter ans Meer!

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