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Die letzten Tage auf der Via Alpina




Wanderlust 2021, Woche 38-39: 
Als ich vom Refuge Maljasset in Richtung Italien aufbreche, ist es eisig kalt, das Tal liegt noch im Schatten. Rauhreif liegt auf den Wiesen, und ich trage Handschuhe und Mütze, als ich zum Col de Mary aufsteige.

Maljasset



Bald komme ich an einem Schild vorbei, welches mich über Herdenschutzhunde informiert. Daneben hängt ein laminierter Zettel mit Portrait-Fotos der vier hier diensthabenden Patous (so heisst die Rasse dieser riesigen, weissen Hunde) mit einer liebevollen Notiz der hiesigen Hirtinnen und Hirten, man möge doch die Hunde beim Namen rufen, dann würden sie einem schneller als "Freund, nicht Feind" erkennen. Ich lerne also die Namen der Wauzis auswendig: Maya, Pistache, Zappa und Bébé. Wirklich, einer dieser riesigen, weissen Höllenhunde heisst "Bébé". Es ist eine gute Übung für mein unterfordertes Hirn - während ich zum Pass hochstapfe, repetiere ich die Namen und Merkmale der Hunde leise vor mich hin. 



Der Col de Mary, mit seinen 2637 m kein Winzling, ist dennoch einer der sanftesten, flachsten Pässe der ganzen Via Alpina. Daher höre und sehe ich diesmal die riesige Schafherde von Weitem. Sie ziehen etwa hundert Meter über mir den Hang entlang ins Tal. Vorneweg sehe ich einen der Hunde trotten, wie ein lustloser Führer. Ich tippe auf Maya oder Pistache und bin gerade dabei, mit der Handykamera reinzuzoomen, um dieses hübsche Bild einzufangen, als ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnehme. Da kommt Zappa angetrabt, der grösste der Viecher, und bellt und grollt in Richtung Tal. Er hat mich auf jeden Fall gewittert, aber entweder ist er blind, oder er hat einen extremen Tunnelblick, denn er bellt den Wanderweg etwa 10 m hinter mir an. Ich stecke jetzt rasch das Handy weg und schleiche rückwärts in die andere Richtung. Entweder hat er mich tatsächlich nicht gesehen, oder dies ist die "höfliche" Art der Patous, mir Angst einzujagen, aber mir nicht in die Augen zu schauen, wie ich es ja auch nicht tun sollte. Nun, ich bin froh, ist diese "Begegnung" friedlich abgelaufen. 


Schafherde (die Hunde sind schon um die Ecke)

Aufstieg zum Col de Mary




Gegen Mittag erreiche ich den Col de Mary. Auf dem Pass steht ein kleines Holzkästchen mit einem Via-Alpina-Schild drauf, und ich steuere schon freudig darauf zu, in der Hoffnung, darin vielleicht einen Gipfelschnaps oder sonst was Motivierendes zu finden, doch es enthält nur ein altes, billiges Gipfelheft, seit Jahren vollgekritzelt, daneben eine Corona-Schutzmaske, einen einzelnen Schuh, sowie noch mehr Abfall. Irgendwie bin ich mega enttäuscht. Wer bitte schmeisst hier seinen Abfall rein? Dafür geniesse ich mein Mittagessen auf dem Pass, eine Seltenheit, denn meist war es in letzter Zeit dafür zu kalt oder zu windig. Auch heute geht eine leichte Bise, aber der Himmel ist stahlblau und total wolkenlos, eine Seltenheit. Viele markante Felstürme recken sich gegen den Himmel.


Auf diesem Bild verstecken sich ziemlich viele Murmelis


Im Abstieg sehe ich wieder Hunderte von Murmeltieren über die Wiesen flitzen. Mein Ziel ist der Zeltplatz beim Rifugio Campo Base. Camper können in der Hütte für 20 Euro ein viergängiges Abendmenü essen, was ich natürlich gerne in Anspruch nehme. So schone ich meine Vorräte und geniesse wieder einmal ausgezeichnetes italienisches Essen. Das Refugio ist voller Kletterer, und an den Wänden hängen überall die Topos der Kletterrouten. 

Rifugio Campo Base mit Torre Castello

Leckeres Abendessen im Rifugio

Am nächsten Morgen nehme ich es gemütlich und breche erst nach zehn Uhr auf. Zuerst geht es sanft bergauf durch den Herbstwald, dann an den Quellen der Maira vorbei, ein wunderschöner Fleck. Der Weg steigt weiter im Wald hoch zum ersten Pass, als ich oben ankomme, geniesse ich eine herrliche Aussicht.

Chiappera mit Torre Castello



Maira-Quelle




Es ist kein sehr hoher oder anstrengender Pass, aber heute bin ich irgendwie eine lahme Ente, und der Nachmittag ist bereits weit fortgeschritten. Ich könnte absteigen ins nächste Tal und dort in ein Refugio gehen, welches auf der Webseite eher wie ein teures Boutique Hotel statt eine Berghütte aussieht. Darauf habe ich keine Lust und steige im allerschönsten Abendlicht auf zum Passo della Gardetta. 








Kurz vor dem Pass, unterhalb einer alten Bunkeranlage, finde ich ein hübsches Biwakplätzli und stelle mein Zelt auf. Nachts höre ich mehrfach Steinschlag in der Nähe und frage mich, ob wohl Steinböcke in der Nähe sind, doch trotz klarem Sternenhimmel und dem später aufgehenden Mond sehe ich nichts. 


Biwak unter den Bunkern des Passo della Gardetta

Mein Abendessen beim Biwakieren war in den letzten zwei Wochen konstant immer genau dasselbe.


Sternenhimmel aus dem Zelt fotografiert

Am Morgen inspiziere ich die Bunkeranlage, in die man recht weit hineingehen kann. Die Bunker sind auch tiptop im Schuss, der Boden und die Wände sind betoniert und sauber, man könnte hier drin easy den Schlafsack ausrollen, wenn man sich nicht fürchtet. Bald erreiche ich den Passo della Gardetta. Leider erzählt man mir erst später, dass ich hier nur ein paar Meter links hätte abbiegen müssen für eine fantastische Edelweiss-Wiese. Zu dem Zeitpunkt bin ich jedoch ahnungslos und laufe gleich weiter nach rechts, auf den den Passo di Rocca Brancia. Unterwegs sehe ich von weitem ein paar Steinböcke (und ein einziges, von Kühen zertrampeltes Edelweiss). 








Das letzte Edelweiss... Armes Blümchen, ganz zerknautscht!


Auf der anderen Seite steige ich auf einer alten Militärstrasse ab, die sich sehr gemächlich in endlosen Serpentinen ins Tal schlängelt. So dauert es eine kleine Ewigkeit, bis ich Pontebernardo erreiche. 










Doch obwohl das Dörfchen sehr schmuck daher kommt, bietet es mir wenig: der Posto Tappa und die einzige Bar sind geschlossen, und es gibt hier keinen Laden. Ich marschiere auf dem breiten Seitenstreifen der Hauptstrasse weiter ins nächste Dorf, nach Pietraporzio. Der dortige Campingplatz und die Pizzeria machen leider gerade Urlaub, aber der winzige Dorfladen hat offen und ich kann Brot, Käse, Guezli und Schokolade aufstocken. Danach gehe ich ins einzige Hotel im Dorf, welches mir ein sehr hübsches Zimmer inklusive Halbpension für den gleichen Preis wie das Posto Tappa anbietet. Das Abendessen ist sagenhaft fein und am Nebentisch sitzt ein deutsches Pärchen, welches eben (über mehrere Jahre verteilt) den GTA (Grande Traversata degli Alpi) in Ventimiglia beendet hat, nun zum parkierten Auto zurück gekehrt und in Feierlaune ist. Sie laden mich an ihren Tisch ein, und bei Wein, Grappa und Génépi lästern wir ab über die Tücken des GTA, der ja oft mit der Via Alpina zusammenfällt. Es wird ein sehr unterhaltsamer Abend und spart mir bestimmt viele hundert Franken auf der Couch eines verständnislosen Psychiaters, der ob meinem obskuren Gestammel von "da war kein Weg, nur Abgründe", "die Weissen Wanderer in Hundeform", "ist hier in den letzten 50 Jahren irgendjemand durchgekommen?", "tagelang im Nebel über die Pässe gestolpert", bestimmt die Krise geschoben hätte.


Pietraporzio und Ausblick auf die nächste Etappe

 
Am nächsten Morgen nehme ich die direkte Route durch die Berge nach Bagni di Vinadio, ohne dabei zurück auf die Via Alpina zu wandern. Es wird ein sehr mühsamer Aufstieg über eine steile Forststrasse, dann ein praktisch unsichtbarer Wanderweg zur Colletta Bernarda, der nur auf meinen Handy-Karten zu existieren scheint. Doch der "Weg" ist glücklicherweise nicht schwierig, einfach grade den Berg hoch, und herzige Murmelis sowie überreife Heidelbeeren versüssen mir die 1200 m Aufstieg.









Oben angekommen, ballen sich plötzlich dunkle Wolken zusammen - natürlich gerade, nachdem ich mich hingesetzt und mein Chäsbrötli ausgepackt habe. Ich kann noch knapp die tolle Aussicht über die Gipfel der nächsten Tage geniessen, da tropft es bereits eiskalt vom Himmel und ich steige rasch ab (so gut man halt 1200 Höhenmeter im Laufschritt absteigen kann). 





Glücklicherweise hört es bald auf zu regnen, und ich erreiche Bagni di Vinadio am späten Nachmittag und entscheide mich aufgrund der miserablen Wettervorhersage fürs Hotel. Vor dem Abendessen will ich aber noch die heissen Quellen geniessen, die es hier gibt. Ich finde erstaunlicherweise noch einen Mini-Dorfladen, doch leider schreit mein Hirn nach einem langen Wandertag nur noch "Bier! Heisse Quellen!" und nimmt die letzte Möglichkeit von Proviant-Nachschub für die nächste Woche nicht mehr wahr - ich kaufe nur ein Dosenbier und mache mich auf die Suche nach den heissen Quellen. Die Beschreibung des Hotelchefs war zwar vage, aber der Faule-Eier-Gestank lotst mich zuverlässig zu drei mickrigen Heisswasser-Pools unterhalb der ehemaligen Therme. Leider sind diese natürlichen Hotpots sowohl bei Einheimischen und Touristen bekannt, denn als ich ankomme, sind alle besetzt. Im ersten Pool sitzen ein paar junge, rauchende Machos, welche die Asche ihrer Zigaretten in die heissen Quellen fallen lassen, der zweite ist besetzt von zwei Vanlife-Hippies mit mehreren wilden, kläffenden Hunden, die zwischen den Badenden hin- und herrennen und bellen wie die Berserker. Im dritten Pool sitzt ein verliebtes Instagram-Pärchen, welches ich bei einer Massage- und Selfie-Session störe. Argh! Ich stecke etwas passiv-aggressiv meine nackten, stinkenden Hiker-Füsse in den Pool des knutschenden Pärchens und mache mein erstes Bier auf. Das wirkt, das Pärchen verlässt den Pool fluchtartig, um sich zu den Machos zu gesellen, die dann innerhalb weniger Minuten zurück zu ihren getunten Autos verschwinden. Ich entspanne bei meinem lauwarmen Moretti im lauwarmen Pool, der nach faulen Eiern stinkt und nicht sehr sauber wirkt, aber sehr schön entspannt und mir definitiv ein paar ungeliebte Dehnübungen erspart.



Auf dem Foto sieht das Wasser eigentlich recht schön blau aus...

Eine Stunde später, frisch geduscht, geniesse ich im Hotel ein unvergessliches Abendessen, welches so viel Gemüse enthält, dass ich den Koch hätte knutschen können. 


Mit vollem Bauch gleite ich sanft ins Land der Träume, mit der Aussicht, am nächsten Tag ausschlafen zu können, da es am Vormittag regnen soll und mir eigentlich nur eine kurze Etappe bevorsteht. Ausserdem hat meine Mutter Geburtstag, und ich verbringe den Morgen mit einem langen Telefonat, während ich darauf warte, dass es aufhört zu regnen. Irgendwann findet der Wetterbericht, dass es heute den ganzen Tag regnet, also ziehe ich in der Regenmontur und dichtem Nebel los. Leider verschlechtert sich die Wetterprognose weiter, nun hagelt, stürmt und gewittert es. Kurz vor dem Passo di Bravaria stehe ich eine Stunde unter den letzten, kümmerlichen Lärchen und zähle die Sekunden zwischen Blitz und Donner - diese variieren wild zwischen drei und zehn Sekunden, und ich getraue mich nicht, weiter zu wandern, denn danach führt die Via Alpina viele Stunden einem Höhenweg entlang. 




Nach einer Stunde warten in Kälte und Sturm...




Endlich zieht das Gewitter weiter, und ich eile tropfnass über den Pass. Langsam lässt der Regen nach. In der Ferne erkenne ich das Kloster Santa Anna di Vinadio, einen berühmten Pilgerort und das nächste Posto Tappa. Doch eine Stunde später folgt die Ernüchterung: tutto chiuso. Das ganze Kloster inklusive zahlreicher Pilgerunterkünfte ist bis Mai 2022 geschlossen. Grmpf! Das heisst, weiterwandern und biwakieren.









Glücklicherweise kommt am Abend die Sonne wieder raus. Plötzlich ist alles voller Gemsen, die ich seit Monaten nicht mehr gesehen hatte - wunderschön! Trotzdem ist es eisig kalt auf dem Bergrücken, dem ich im Abendlicht folge. Ich wandere genau auf der Grenze zu Italien und Frankreich, und kurz vor Sonnenuntergang finde ich ein windgeschütztes Plätzchen zwischen den Grenzsteinen. Es stellt sich im Nachhinein als sehr unbequemes Plätzchen heraus, doch ich bemerke den lästigen Grasbuckel unter meinem Rücken erst, als die Sonne bereits in Frankreich versunken und der Mond über Italien aufgegangen ist. Es wird eine kalte, aber trockene Nacht. Irgendwann nach Sonnenuntergang hört der eisige Wind auf, zu blasen, und nochmals etwa eine Stunde später ist mir auch langsam wieder warm in meinem Quilt. Es ist eine der vielen Lektionen, die mir die Via Alpina erteilt: 
1) der Wind hört meistens auf, sobald es dunkel wird 
2) Geduld, du wirst schon wieder warm, auch wenn dir bei Sonnenuntergang die Zähne klappern.












Die Nacht ist wunderbar still, und trotz lästigem Grasbüschel im Rücken schlafe ich gut, wenn auch in Bananenform. Am Morgen brauche ich drei Tassen Nescafé, bevor ich in die Gänge komme. Dann jedoch geht es eine Weile von allein. Bereits im Morgengrauen sehe ich die ersten Gemsen, und bald stehe ich auf dem Col de Lombarde, einem Strassenpass. Kurz folgt die Via Alpina der Passstrasse, doch dann steigt sie steil auf den Passo d´Orgials auf und bringt mich ordentlich zum Keuchen. Ein paar Gämsen und ein neugieriger Wanderer leisten mir eine Weile Gesellschaft - in den letzten Tagen habe ich nicht mehr viele Wanderer gesehen. 




Gemsen am frühen Morgen

Grenzstein Italien-Frankreich





Doch der junge Mann biegt bald ab und klettert auf irgendwelche felsigen Gipfel, ich steige steil und steinig ab zum Rifugio Malinvern, welches gemäss Webseite geöffnet sein müsste. Zwar werde ich die ikonische Hütte mit Glasturm viel zu früh am Nachmittag erreichen, dennoch beschliesse ich im Abstieg, dass eine Nacht im Warmen, ein leckeres Abendessen und ein halber Tag Pause gar nicht so übel wären. Doch die Hütte ist verlassen. Zwar sind die Fenster noch nicht verriegelt, und der Generator läuft, doch alle Türen sind geschlossen, kein Mensch ist da, und auch kein Fahrzeug zu sehen (es führt eine Schotterpiste hierher). Daraus schliesse ich, dass die Hütte vermutlich nur noch am Wochenende bedient ist, und da ich seit Bagni di Vinadio kein Netz mehr hatte, kann ich nicht mal anrufen, um zu fragen, ob abends noch jemand auftaucht. Also laufe ich schweren Herzens weiter und steige auf zum dritten Pass des Tages.




Das geschlossene Rifugio Malinvern





Am Lago Malinvern ist es wunderschön, doch irgendwie hat es nicht viele flache Stellen zum Biwakieren, und eigentlich ist es immer noch zu früh zum Anhalten. Der Aufstieg zur Colleta di Valscura ist dann recht anstrengend und steil. Endlich stehe ich in der Felsenlücke und schaue hinunter auf den Lago di Valscura. Eine gut erhaltener, alter Militärweg führt in vielen Serpentinen hinunter, was den Abstieg zwar lang, aber einfach gestaltet. Ein paar freche Murmeltiere beobachten mich aus nächster Nähe - sollten die nicht langsam schlafen gehen? 








Irgendwie herrscht schon den ganzen Tag ein graues, milchiges, schwaches Licht, so dass mir nie richtig warm wird, obwohl am Abend nochmals richtig die Sonne raus kommt. Daher beschliesse ich, noch bis zum Rifugio Questa zu gehen und dort im Winterraum zu schlafen. Ein Fehler! Ich erreiche das Rifugio kurz vor Sonnenuntergang, mit leeren Wasserflaschen und vollem Darm, nur um festzustellen, dass es hier weder Wasser noch Toiletten gibt (alle Wasserhähne sind abgestellt, das Plumpsklo abgesperrt), der "Winterraum" ist einfach die Stube der Hütte, alle Fenster sind mit Eisenläden zugesperrt, und es ist bereits zapfenduster da drin. Entweder müsste ich auf dem staubigen Boden unter den Tischen meine Matte ausrollen, oder über eine senkrechte Leiter in den rabenschwarzen, muffigen, engen Dachboden steigen. Nein danke. Ich mag es nicht, wenn es stockdunkel und stickig ist. Ausserdem müsste ich wirklich dringend aufs Klo, doch rund um die Hütte ist nur noch Fels - keine Chance, ein Loch zu buddeln. Das nächste Trinkwasser wäre ein steiler Abstieg zu einem See tief unter der Hütte. 




Wunderschön... wäre ich doch gleich hiergeblieben.



Rifugio Questa - lohnt den Umweg nicht!


Also wandere ich zurück zum wunderschönen Lago di Claus, wo ich vor einer halben Stunde noch stand und dachte, wie schön ist es hier... Hätte ich doch gleich dort mein Zelt aufgestellt, dann könnte ich nun das Alpenglühen in Ruhe geniessen, statt im letzten Tageslicht über ein Kilometer und viele Höhenmeter zurückzurennen, mein Zelt im Halbdunkeln aufzustellen, im Dunkeln Wasser zu filtern und im Schein der Stirnlampe weit weg vom See ein Loch zu buddeln. Tja, Murphys Law. 






Dafür wird es eine ruhige, sternenklare Nacht, und am nächsten Morgen geniesse ich die ersten Sonnenstrahlen am spiegelglatten See in aller Ruhe - heute sind es nur wenige Kilometer bis Terme di Valdieri. Ich lasse mir also Zeit beim Abstieg auf der alten Militärstrasse, die nach ein paar Kilometern recht mühsam wird für die Fuss- und Kniegelenke - es ist ein anstrengendes Gehen auf den unregelmässigen Steinplatten. Mancherorts sind die Steinplatten auch runde Böllersteine, gross wie Fussbälle, und ich bin fassungslos, wie viele Mountainbiker ihre Füdlis und Bikes über diese Holperpiste quälen. Dafür ist das Valasco-Tal sehr schön. Aber auch beliebt, denn sobald ich in Parkplatz-Nähe komme, wimmelt es von Tageswanderern. Es hat sogar einer ganzen Kameracrew sowie eine Gruppe unverschwitzter, männlicher Models, mit brandneuen Kleidern und jungfräulichen Rucksäcken, die vermutlich Outdoor-Aufnahmen für eine italienischen Sportmarke machen. Ich fürchte, ich fotobombe ein paar Aufnahmen, als ich versehentlich mit staubigen Rucksack, fettigen Haaren und unrasierten Beinen durch eine "wir stehen breitbeinig rum und starren in die Ferne"-Szene wandere. Upsi.
 








Unten angekommen, freue ich mich aufs letzte Posto Tappa meiner Tour - es soll sehr speziell sein, denn es gehört zu einem alten, edlen Thermalbad-Hotel, welches gemäss den Via-Alpina-Kommentaren an "Tod in Venedig" erinnert, und wo man abends im grossen Saal mit den betuchten Hotelgästen sein Dinner einnehmen darf (auch in Stinkeklamotten und Wanderschuhen). Doch leider ist das Hotel und Posto Tappa bereits geschlossen. Glücklicherweise hat es noch ein normales Hotel, das Albergo Turismo, wo ich sehr freundlich begrüsst werde, und das Essen schmeckt auch überaus lecker. Ausserdem habe ich ein eigenes Zimmer mit Balkon, wo im lauen Nachmittagswind meine Handwäsche trocknet. 
 

 




Es wird die letzte Nacht in der "Zivilisation" - ab hier verläuft die Via Alpina nur noch im Hochgebirge, und zumindest auf italienischer Seite sind alle Hütten geschlossen. Auch Handy-Netz werde ich kaum haben. Das Wetter bleibt für die nächsten paar Tage noch sonnig und trocken, danach ist Regen und Schnee angesagt, und zwar heftig. Schaffe ich es in vier Tagen durch die Alpe Maritimi und den Mercantour? Einen Versuch ist es wert, und viel mehr Essensvorräte habe ich sowieso nicht mehr. Daher wandere ich am nächsten Morgen mit viel Elan los, zunächst in langen Serpentinen auf einem wunderschönen Maultierpfad zum Colle del Chiapous auf 2526m. Es wird der letzte, richtig lange Pass-Aufstieg dieser Tour (1200 Höhenmeter), und ich brauche natürlich den halben Tag dafür. 
 
Blick zurück nach Terme di Valdieri



Kunst am Weg

Blick zum Pass hoch





Ausblick auf den nächsten Pass

Nun werde ich für die nächsten Tage nur noch knapp unter die 2000-Meter-Grenze absteigen. Der erste Abstieg zum Chiotas-Stausee zieht sich trotzdem in die Länge, und ich habe kein Wasser mehr. Die wenigen Bäche, die von den felsigen Gipfeln über mir fliessen, versickern alle, bevor sie den Wanderweg kreuzen, und auch bei der Staumauer finde ich keinen Brunnen, nur ein Rinnsal, welches über die Felsen rinnt. Na gut, dann mache ich eine Pause, während meine Flaschen sich sehr langsam füllen. 
 




Frisch ausgeruht geht es am späten Nachmittag noch hoch zum Colle delle Fenestrelle. Erstmals seit Tagen muss ich wieder auf meine Füsse achten, denn der Weg ist schmal, steil und teilweise sehr luftig. Kurz vor dem Pass finde ich noch eine Abkürzung, um einen mühsamen Gegenstieg zu vermeiden, der jedoch abrupt sehr felsig wird, ich muss die Hände zu Hilfe nehmen. Dafür steht urplötzlich ein riesiger Steinbock vor mir und guckt mich verdutzt an, etwas überrascht ob der Zweibeinerin in seinem Terrain. Da ich nicht so leicht ausweichen kann (ich befinde mich auf einem schmalen Felsband), beschwatze ich den Steinbock, dass er doch bitte ein paar Meter unter mir vorbeiziehen mag, was er nach ein paar Schnaubern auch tut. Kurz danach sehe ich noch ein Wiesel über die steilen Hänge flitzen. Auf dem Pass hält ein junger Steinbock Wache, und mehrere ältere Steinböcke mit mächtigen Hörnern belagern den Wanderweg unter mir. Hunderte von Gemsen weiden auf den Wiesen im Abstieg und fliehen vor mir (denn natürlich verpennt es der wachhabende Steinbock, die Gemsen zu warnen). Die Steinböcke sind hingegen gar nicht scheu und bewegen sich nur widerwillig aus dem Weg (ich würde ja einen anderen Weg wählen, wenn ich könnte, doch es ist viel zu steil). Was für ein Zoo hier oben! 
 



















Ich kann mich gar nicht satt sehen ob den vielen Tieren, es ist wunderschön! Nur leider auch schon sehr spät, und ich muss noch weit absteigen, um einen flachen Schlafplatz zu finden. Bereits von weitem erkenne ich die Ellena Soria Hütte, die geschlossen ist, aber etwas unterhalb der Hütte gibt es ein Winterbiwak. Daneben hat es - zumindest scheint es von oben so - eine grüne, flache Wiese, perfekt für mein Zelt. Doch als ich um halb acht Uhr dort ankomme, stellt sich heraus, dass die "Wiese" von Unkraut überwuchert ist, darunter alles voller Kuhfladen, Steine - und Toilettenpapier von Wanderern, die ihr Geschäft direkt neben dem Winterbiwak erledigt und ihr Scheisspapier einfach liegengelassen haben (teilweise so frisch, dass man die Bremsspuren noch gut erkennt). Gruusig! Solchen unzivilisierten Säuniggel könnte ich echt an die Gurgel. Es ist doch keine Kunst, wenigstens ein paar Meter weit weg von der Hütte zu kacken, und auch nicht schwer, davor noch ein Loch zu buddeln, oder wenigstens ein paar schwere Steine darüber zu hieven (hat ja genug davon). In diese WC-Wiese will ich mein Zelt nicht reinstellen, also schaue ich mir das Biwak an, obwohl ich gehört habe, es soll "creepy" sein. Der Vorraum ist wirklich nicht einladend, ein feuchtes dunkles Loch mit gestampftem Erdboden und altem, kaputtem Mobiliar, doch der Innenraum mit Tisch und Betten ist mit Holz ausgekleidet und eigentlich ganz gemütlich. Zwar riecht es ein bisschen nach muffigen Wolldecken, doch die Matratzen sind sauber. Es hat ein Fenster, ich kann die Türe noch ein wenig offen lassen und finde sogar einen Raumspray gegen den schlimmsten Mief. Bald köcheln meine Nudeln mit Tomatensauce und Parmesan, ein Kerzlein leuchtet den Raum heimelig aus. Falls ich wieder mal so eine Tour mache, werde ich in der Herbstsaison auf jeden Fall Kerzen mitschleppen - das Licht ist einfach heimeliger als die Taschenlampe. Ich studiere das Hüttenbuch und stelle fest, dass hier nur wenige Wanderer übernachten - nur eine Seite vor mir finde ich den Namen von Christina Ragettli, die letztes Jahr die Via Alpina gewandert ist und ebenfalls spät im Herbst hier war (sie hat übrigens einen tollen Blog geschrieben!). Als es bereits richtig dunkel ist, gehe ich nochmals nach draussen zum Zähneputzen und Sterne fotografieren - da sehe ich plötzlich zwei leuchtende Augen im Schein der Stirnlampe aufblitzen. Erst kriege ich einen Riesenschreck (ein Wolf!), doch dann realisiere ich, dass es ein kleineres Tier ist - welches nichtsdestotrotz direkt auf mich zukommt, ohne Furcht. Bald erkenne ich, dass es ein Füchslein ist. Wenige Meter vor mir hält er an und schnuppert neugierig. Offenbar realisiert er, dass ich keine Essensreste vor die Hütte schütte, also macht er sich über das Toilettenpapier her, welches er genüsslich zerkaut, dann scharrt er unter den Steinen, wo sich vermutlich weitere Häufchen verbergen. Wäkipfui - gut, habe ich schon gegessen.... Er tut mir mega leid, aber ich will ihn auch nicht füttern - erstens habe ich selber zu wenig, und zweitens enden solche Aktionen meist im Fiasko für das Tier - spätestens, wenn er dann anfängt, aggressiv zu betteln. Der Fuchs ist eh schon an Menschen gewöhnt, so furchtlos wie er sich in meine Nähe wagt. Jedenfalls schliesse ich die Türe zum Biwak gut, bevor ich mich in meinen Schlafsack kuschle. 
 
Das Winterbiwak der Ellena-Soria-Hütte

Hüttenbuch

Nicht doch, das ist Gaggi!

Schau mich nicht so traurig an...



 
 
Am nächsten Morgen erwache ich, weil irgendetwas auf dem Dach rumpoltert - als ich mich aufraffe und zur Tür rausschaue, sehe ich noch eine Herde Gemsen fliehen. Kein schlechter Wecker! Es ist zwar kalt und im Schatten noch sehr frostig, als ich aufsteige zum Col de Fenestre, doch der Himmel strahlt wieder blau. Ich finde es herrlich, dass ich die letzten, anstrengenden, aber so wunderschönen Alpen-Etappen bei herrlichem Herbstwetter gehen darf, nach dem vielen Regen und Nebel diesen Sommer. Meine persönliche Belohnung für all das grässliche Wetter. Wieder führt ein schöner alter Militärweg auf den Pass, so dass das Wandern einfach und wenig anstrengend ist. Ich sehe viele Gemsen. Kurz vor dem Pass steht eine verfallene Kaserne, aus dessen Fenstern mich ein Steinbock neugierig anguckt, die Kaserne ist offenbar sein Zuhause. Auf dem Col de Fenestre hat es eine Gedenktafel für die rund 800 Juden, die sich im September 1943 über diesen Pass vor den Nazis im besetzten Frankreich nach Italien in Sicherheit brachten (teilweise vergeblich - denn die Nazis besetzten kurz darauf auch Norditalien und viele der Flüchtlinge wurden dennoch deportiert). Es ist keine schöne Geschichte, keine heroische Flucht in die Freiheit, und es erscheint mir fast frevelhaft, dass ich heute freiwillig und zum Spass hier drüber wandern kann. Wobei "Spass" natürlich Ansichtssache ist. Der Mountainbiker, der mir entgegenkommt, und sein Velo bergab schiebt, scheint sich zumindest über den Spassfaktor auch ernsthafte Gedanken zu machen. 


















 
Auf dem Col de Fenestre verlasse ich Italien das letzte Mal auf der Via Alpina und beginne den letzten Abschnitt in Frankreich. Ciao, bella Italia, es war eine wunderbare Zeit - egal ob Friaul, Südtirol, Piemont oder Aostatal. An einem schönen Bergsee mache ich Mittagspause in der Sonne, bevor ich über einen fast unsichtbaren Weg direkt zum GR52 wechsle und den Aufstieg zum Pas du Mont-Colomb in Angriff nehme. Eigentlich dachte ich, dass dies eine kurze Sache werden würde, und ich bereits am frühen Nachmittag im Refuge de Nice beim Apero in der Sonne sitzen könnte. Doch weit gefehlt. Der GR52 ist holprig, steil, felsig, anstrengend, mühsam, und erwischt mich eiskalt. Ein paar ältere Wanderer sitzen mitten auf dem Weg und machen erschöpft ein Picknick, sie warnen mich vor den endlosen, verblockten Passagen. Nach Tagen des einfachen Wanderns auf breiten, fast gepflasterten alten Militärwegen, geht es nun auf einem schwer auffindbaren Wanderweg hoch zum Pass. Ich gehe langsam, um die Markierungen in den riesigen Felsbrocken nicht aus den Augen zu verlieren. Von hinten überholt mich ein junger Wanderer mit einem ULA-Rucksack, daran erkenne ich sofort, dass es sich um einen Ultraleicht-Thruhiker handelt. Er schaut mich einen Moment an, dann fragt er, ob wir uns kennen. Vielleicht von der Via-Alpina-Facebookgruppe? Tatsächlich! Es ist Renou, ein Franko-Kanadier, der in Berlin lebt und diesen Sommer ebenfalls die Alpen der durchquert, mehr oder weniger auf der Via Alpina. Er kommt gerade vom GR5 und ist auch etwas düpiert über den abrupten Qualitätsabfall des Wanderwegs. Wir unterhalten uns eine Weile im Aufstieg, wobei es bald klar wird, dass ich nicht mithalten kann mit seinem Tempo - Renou will heute noch zum Refuge des Merveilles, meinem Ziel für morgen, und dann direkt nach Sospel, weil er kein Essen mehr hat. Ich lasse ihn ziehen und keuche die letzten, steilen Kehren zum Pass alleine hoch. Und was für ein Pass! Eigentlich ist es nur eine Kerbe in einer Felswand. 
 
Hinter der Gemse oben links liegt der Pas de Mont Colomb


Hier sind Hände und Füsse gefragt


Renou eilt mir davon



Der Pass ist eigentlich nur eine Kerbe in der Felswand

 
Auf der Südseite geht es sehr steil hinunter, und auf dieser Seite des Pas de Mont Colomb herrscht plötzlich dichter Nebel. Ich rutsche vorsichtig den sandigen Hang zwischen den Felsen hinunter. Meine Schuhe sind total hinüber, haben Löcher und kaum mehr Profil, doch die paar Tage müssen sie jetzt noch durchhalten. Endlich bin ich unten am Stausee und bald darauf beim Refuge de Nice - eine der ganz wenigen Hütten, die so spät in der Saison noch geöffnet sind. Ich werde sehr freundlich begrüsst und bekomme ein Bett im grössten, aber fast leeren Schlafsaal, der hübsch unterteilt ist. Heute gönne ich mir auch eine warme Dusche vor dem Abendessen. Leider freue ich mich zu früh über eine ruhige Nacht, denn es trifft noch eine grosse, sehr laute Wandergruppe ein, die natürlich - wie sollte es anders sein - in meinem Schlafsaal untergebracht ist. Das Abendessen ist nichts Besonderes, es gibt genau dasselbe wie im Refuge Maljassets, der einzigen, anderen französischen Alpenclub-Hütte, auf der ich bisher war, und ich frage mich schon, ob das ein Standard-Menü ist: eine etwas fade Suppe, Nudeln und eine Art Gulasch aus faserigem Fleisch. Nur das Dessert ist anders, schmeckt auch sehr lecker. Ausserdem treffe ich es gut mit meinen Tischnachbarn (wie bei den SAC-Hütten wird man hier seinem Tisch zugeteilt), wir unterhalten uns prima. Später holt jemand eine Gitarre hervor und die laute Gruppe beginnt, sehr schöne korsische Lieder zu singen, was mich dann wieder versöhnt mit ihnen (obwohl sie später schnarchen, dass die Wände zittern). Ich gönne mir noch einen Génépi, um das zähe Fleisch zu verdauen, und schlafe recht gut. 


Steiler Abstieg vom Pas de Mont-Colomb










Refuge de Nice



Am nächsten Morgen breche ich früh auf, denn es ist angeblich der letzte schöne Tag, bevor der Regen kommt. Mit etwas Glück sehe ich heute das Meer, dazu muss ich es jedoch über drei Pässe schaffen. Als erstes steht die Baisse de Basto an, mit 2693m nochmals ein richtig hoher Pass zum Abschied aus den Alpen. Der Aufstieg liegt noch im Schatten und führt steil und unwegsam durch verblocktes Gelände. Mehrfach muss ich die Hände zu Hilfe nehmen. Es ist eisig kalt, und auf vielen der Felsbrocken, über die der Weg führt, liegt eine dünne Eisschicht. Das macht das Wandern nicht einfacher. Jeder Hopser von Stein zu Stein wird zum Schlitter-Roulette. Ich würde sagen, die Baisse du Basto schafft es definitiv in die Top Fünf der anspruchsvollen Pässe auf der Via Alpina. Zum Glück ist mein Rucksack mittlerweile sehr leicht geworden, obwohl ich mir heute - als einziges Mal auf dieser Tour - ein Lunchpaket gekauft habe, da ich nicht sicher war, wie lange ich noch bis Sospel und dem nächsten Laden brauche. Ein gekochtes Ei und ein Becher Apfelmus sind eine nette Abwechslung nach vielen Tagen der "trockenes-Brot-und-harter-Käse"-Diät, und ich geniesse diese Leckereien bereits um zehn Uhr, als ich die Baisse du Basto und damit die Sonne erreiche. Dahinter erblicke ich bereits den nächsten Pass - und dazwischen einen Blick in die Ferne.... aufs Nebelmeer. Fast so schön wie das Mittelmeer! Aber nur fast.


Steiler, eisiger Aufstieg






Der letzte, richtig hohe Pass auf der Via Alpina

Da hinten, hinter dem Nebelmeer... da ist das Ziel!


 
Der Abstieg ist genauso anstrengend wie der Aufstieg, es geht über viele Felsbrocken langsam ins Tal. Endlich bin ich am Abzweiger zur Baisse de Valmasque, ab nun geht ein einfacher, breiter Weg hinauf zum zweiten Pass des Tages auf 2549m, dessen Aufstieg ich kaum wahrnehme, schon bin ich oben. Dahinter liegt das Vallée des Merveilles, ein im wahrsten Sinn des Wortes wunderbares Tal, von vielen kleinen Seen durchsetzt. Dazwischen verbergen sich auch noch ein paar Tausend Petroglyphen (Felsgravuren) aus der Bronzezeit. Einige davon liegen direkt am Wanderweg und man kann sie betrachten: Gesichter, menschliche und tierische Figuren, Hörner, Keile, seltsame geometrische Formen - niemand weiss genau, was sie bedeuten. Nicht schwer zu erkennen ist die Bedeutung der zahlreichen neueren Graffitis, welche teilweise die seltenen Felsbilder verunstalten. Die meisten davon stammen aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert von Hirten, Händlern und Reisenden, die durchs Vallée des Merveilles kamen und sich offenbar dringend neben ihren Urahnen verewigen mussten. Einige Graffitis gehen sogar aufs Mittelalter und die Römerzeit zurück. Heute sind die wertvollen Felsbilder geschützt oder im Museum (es steht dann ein Faksimile da), und die Leute kritzeln ihre Namen nur noch auf Felsen, die keine tausende Jahre alten Kunstwerke zeigen. 
 
 







Blick zurück auf die Baisse de Valmasque

Aussicht ins Vallée des Merveilles
 
Am Nachmittag stehe ich oberhalb des Refuge de Merveilles und bin hin- und hergerissen. Soll ich hier anhalten und noch ein letztes Mal zwischen den vielen kleinen Seen biwakieren, und in der Hütte mein Nachtessen geniessen? Oder ziehe ich es noch durch, solange es trocken bleibt, und bringe den letzten hohen Pass hinter mich? Der Himmel zieht sich bereits zu. Falls es morgen schifft, dann hier oben wohl in Form von Schnee oder Eisregen. Ausserdem bin ich noch fit. Also wandere ich weiter, geniesse den letzten, alpinen Aufstieg in vollen Zügen. Gemsen und Murmeltiere begleiten mich bis zum Pas du Diable auf 2430m. Hier stehe ich nun definitiv am Rande der Alpen, unter mir liegen zwar noch viele Hügelketten, doch keiner mehr höher als 2000m. Ein paar Bergketten weiter hinten hört es plötzlich auf, und ich weiss, das muss das Meer sein, auch wenn man es im Dunst nicht wirklich erkennen kann. Wow, was für ein Gefühl! Ich habe es wirklich fast geschafft. 
 





Auf dem Pas de Diable


Da hinten liegt das Meer!

Die letzte Gemse der Tour?

 
Ganz langsam steige ich ab, denn mein Rucksack ist plötzlich wieder megaschwer - mit 4 Litern Wasser gefüllt, das für heute und morgen reichen muss, denn soweit ich sehe, verläuft der Weg immer auf dem Kamm und führt an keiner Wasserquelle mehr vorbei. Nochmals flitzt ein Murmeltier vor mir über den Weg und ein paar Gemsen stieben davon - dann bin ich wieder auf Alpweiden und höre die Schafherden in der Ferne. Endlos zieht sich der GR52 über die Gräte hinunter, mit ein paar Gegenstiegen. Endlich stehe ich auf dem Authion, dem letzten 2000er vor dem Meer. Von hier aus kann man es nun wirklich mit blossem Auge erkennen, auch wenn das Abendlicht die Grenze zwischen Meer und Himmel verwischt, und ich ewig brauche, bis ich mir sicher bin, das Meer zu erkennen. Etwas weiter unten finde ich an einem Wandererparkplatz ein paar Picknickbänke und eine flache Stelle für mein Zelt - perfekt. Die letzte Biwaknacht habe ich eine wunderschöne Aussicht hinauf in die Berge des Mercantour-Nationalparks und hinab aufs Meer. Ein letzter Sonnenuntergang, und dann wird es dunkel - unten an der Küste gehen die Lichter einer Grossstadt an, vermutlich Nizza (Monaco ist noch nicht zu sehen). Überglücklich kuschle ich mich in meinen Schlafsack. 
 
 











 
Doch aus der letzten ruhigen Nacht vor der Zivilisation wird nichts - erst mal kommen abends noch Autos, parkieren auf dem Wanderparkplatz und veranstalten eine Art Kinderparty im Schein von Taschenlampen. Viel Gekreische, Autotüren schlagen, lautes Geschwatz , es wird gegessen und getrunken. Endlich, gegen Mitternacht, kehrt Ruhe ein. Doch nun, da die Menschen keinen Lärm mehr machen, geben die Tiere ihr Bestes, mir den Schlaf zu rauben. Irgend eine Tierart blökt und brüllt die ganze Nacht, ich kann es aber nicht einordnen - es sind keine Kühe, keine Schafe, und ich bin mir sicher, dass Wölfe anders tönen. Da ich endlich wieder Netz habe, google ich meine Umgebung. Etwas weiter unten hat es einen Alpaca-Streichelzoo. Ob die so ein Theater machen? Kann ich mir irgendwie auch nicht vorstellen. Ausserdem kommt das Geblöke von allen Seiten. Irgendwann falle ich in einen unruhigen Schlaf. Am nächsten Morgen starte ich in der Sonne, die hier auf der Krete bereits früh scheint. Das schlechte Wetter hat sich um fast zwei Tage verschoben, so dass ich heute nochmals bestes Wetter habe, und vermutlich bei Regen in Monaco einlaufen werde (irgendwie passend nach diesem Sommer). Nach ein paar Kilometern sehe ich ein paar Fotographen in Jagdmontur und frage sie, auf was sie da lauern. "Hirsche", meinen sie - und jetzt ist auch klar, was ich nachts gehört habe. Es sind röhrende Hirsche, und es ist Jagdsaison. Die beiden, mit denen ich rede, sind angeblich nur zum Fotografieren gekommen. Doch die Hirsche sind bereits wieder weg, ich sehe keine mehr - aber ich höre sie den ganzen Tag röhren. Der Wanderweg ist wunderschön geführt, immer auf der Krete einem Hügelzug folgend, manchmal umrundet man einen Gipfel etwas rechts oder links davon und hat so beste Aussichten in die Täler der Roya tief unten. Auch Herdenschutzhunden begegne ich ein letztes Mal, doch die beiden sind völlig verpennt und reagieren überhaupt nicht auf mich. Die Sonne scheint, der Wind bläst und meine Wasservorräte schwinden dahin, es wird immer wärmer. Dennoch bin ich guten Mutes, denn jetzt geht es nur noch bergab bis Sospel. Die Vegetation wird immer mediterraner, Lavendel und Rosmarin säumen den Weg, es duftet herrlich. 
 







 
 
Im letzten Abstieg tauche ich in einen trockenen Kiefernwald ein, der mich an Mallorca erinnert. Plötzlich rieche ich Feuer und sehe Rauch - und das ist kein Grillfeuer, hier brennt richtig viel Holz. Panik! Was, wenn der Wald brennt? Es ist alles so knochentrocken hier, wundern würde es mich nicht. Ich habe seit Stunden keine Wanderer mehr gesehen. Zwar habe ich wieder Handynetz, doch was tun? Soll ich die Feuerwehr anrufen? Oder einfach die Beine in die Hand nehmen und die letzten 500 Höhenmeter so rasch wie möglich bergab rennen ins Dorf? Ich entscheide mich vorerst fürs stramme Marschieren, solange ich mir nicht sicher bin, wo das Feuer ist. Endlich lasse ich den Kiefernwald hinter mir und tauche in den etwas lichteren Eichenwald ein. Zwischendurch öffnet sich endlich mal eine Lücke, und ich erkenne unter mir ein Haus mit einem kleinen Feld dahinter, auf dem ein Bauer irgendwelche Hecken und Äste verbrennt, eine riesige Rauchwolke zieht übers ganze Tal. Uff! Glück gehabt. Nun bin ich fast angekommen, noch ein paar Schritte, und ich stehe in der herzigen Altstadt von Sospel, einem pastellfarbigen, mediterranen Städtchen mit Kopfsteinpflaster auf nur noch 350 m über Meer. Was für ein Kontrast nach den vielen Tagen in der Wildnis der Seealpen und des Mercantour! Verzückt nehme ich meine Kamera hervor und beginne zu filmen - und trete prompt in einen Hundehaufen, dem Alptraum jedes französischen Städtchens. Das ist mir bereits in Guillestre passiert. Eklig! Etwas ernüchtert suche ich einen Brunnen, um meine Schuhe abzuwaschen, bevor ich ins Hotel gehe. Doch im Hotel ist noch niemand, obwohl es bereits fünf Uhr ist. Nun gut, ich gehe erst mal in die nächste Bar und gönne mir ein grosses Bier. Es sind noch immer etwa 25 Grad hier unten, richtig sommerlich. Trotz Hundekacke-Empfang ist mir Sospel sehr sympatisch, da wird gelebt, die Bars und Cafés sind gut besucht. Für die letzte Wanderetappe kaufe ich mir ein paar Leckereien im Quartierladen und freue mich darüber, dass die beiden Bäckereien bereits sehr früh öffnen - denn morgen will ich in einem Rutsch nach Monaco kommen, dies sind über 30 km. Daher werde ich wohl aufs Frühstück verzichten, denn kaum ein Hotel offeriert dies vor halb acht. Apropos Hotel, dort ist immer noch keiner daheim, und am Telefon geht auch keiner ran. Nun würde ich doch langsam gerne meinen Rucksack abstellen. Als ich noch etwas ratlos vor dem Hoteleingang stehe, fragt mich eine Frau, die gerade einen Hauseingang weiter ins Haus will, ob ich ins Hotel wolle. Der Eingang sei nämlich dort bei ihr (eine völlig unmarkierte Tür im Nebengebäude). OK... darauf muss man erst mal kommen. Ich trete ein, und da ist auch schon die Besitzerin, die mich bereits ungeduldig erwartet. Als ich erkläre, dass niemand da war und ans Telefon ging, meint sie nur, sie wäre halt im Keller gewesen, da hätte sie keinen Empfang und höre nichts 🤦‍♀️. Abends geniesse ich einen super Burger im Gartenrestaurant am Fluss bei lauschigen Temperaturen - etwas, das seit Wochen nicht mehr möglich war, meist wurde es eisig kalt, sobald die Sonne weg war. 
 
 








 
Am nächsten Morgen stehe ich bereits um halb sieben in der Bäckerei zum Frühstück. Es ist noch dunkel, als ich loslaufe, und durch die dunklen Gassen von Sospel und die ersten paar Kilometer brauche ich noch die Stirnlampe, obwohl sich der Himmel bereits rötet. Mittlerweile wird es erst um halb acht so richtig hell. Die heutige Etappe ist nochmals richtig hügelig. Um zehn Uhr stehe ich endlich auf dem ersten Winz-Pass und geniesse mein Znüni. Soeben bin ich an mehreren Jägern vorbeigelaufen, und am Abzweiger um Wanderweg steht ein grosses, rotes Schild "Chasse en course". Ab und zu höre ich es auch knallen in der Ferne. Ob es wohl schlau ist, hier zu wandern? Wie doof wäre das denn, 30 km vor Monaco noch abgeknallt zu werden? Schlussendlich lege ich meine orange Windjacke an, obwohl ich darunter schwitze, in der Hoffnung, dass dies leuchtfarbig genug ist. Der Weg führt nun nämlich ziemlich durchs Gebüsch in ein Tal hinunter. Weiter oben steht ein Jäger, und ich mache viel Lärm, pfeife und singe, damit mich keiner mit einer Wildsau verwechselt. Endlich quere ich eine Strasse und der Weg wird etwas breiter. Er führt zwar immer noch durch die Macchia, doch ich komme an vielen Privatgrundstücken vorbei und gehe davon aus, dass ich aus der Jagdzone raus bin. Nun führt der Weg wieder bergauf, es tröpfelt leicht. Leider ist die Aussicht nicht besonders heute, meist bin ich im Wald oder Gebüsch, nur ab und zu erhasche ich einen Blick in die Ferne. Doch das Meer zeigt sich nicht, Wolken verhüllen die Aussicht. 
 














 
 
Auf dem nächsten Pass geniesse ich mein leckeres, französisches Picknick, Frischkäse, Brot, Oliven und ein Gläschen Rotwein zur Feier des Tages. Währenddessen studiere ich die Karte und die Wegbeschreibung auf der Via Alpina Webseite. Die Leute empören sich da reihenweise über die komplizierte Wegführung nach dem nächsten Dorf, ausserdem hat es da noch einiges an unnötigem Auf-und-Ab dabei. Bereits die letzten paar Stunden wäre ich ohne Navi ziemlich aufgeschmissen gewesen, die Wege sind schlecht ausgeschildert. Ich habe keine Lust mehr darauf und beschliesse, ab Peille der Strasse zu folgen bis La Turbie. Diese führt fast geradeaus hoch über dem Tal entlang und garantiert sowohl Aussicht als auch rasches Vorankommen. Ausserdem sehe ich die Strasse bereits von oben und stelle fest, dass kaum Verkehr herrscht. Perfekt! Natürlich geht der Verkehr erst los, als ich auf die Strasse abgebogen bin, doch es ist nicht allzu schlimm. Die enge Strasse klebt an den Felsen und führt durch ein paar malerische Tunnels rund um das hübsche Dorf Peille herum. Es würde mich nicht wundern, wenn James Bond in seinem Aston Martin um die Ecke gebraust käme. Tut er nicht, aber ein paar andere versuchen sich zumindest an seinem Fahrstil. Leider ist es mit der Aussicht bald vorbei, denn nun beginnt es ernsthaft zu regnen, und alles ist in den Wolken. Während es ein paar Kübel Wasser über mir ablässt, marschiere ich die nächsten 12 km unterm Regenschirm bis La Turbie. Irgendwie passend, dass ich am letzten Tag nochmals richtig nass werde. In La Turbie hört es endlich auf zu regnen, und ich komme unter die dichte Nebelbank. Nun liegt das Meer und Monaco tatsächlich vor mir, zum Greifen nah! Wie surreal! Weil es noch so früh ist, gönne ich mir einen Milchkaffee auf dem Dorfplatz, bis ich wieder einigermassen trocken bin. 
 
Die Strasse von Peille nach La Turbie









 

 
Dann breche ich auf zum allerletzten Abstieg, den allerletzten Kilometern. Kurz hinter la Turbie wandere ich durch einen Stadtpark am Fort "Tete de chien" vorbei, wieder ist alles in Wolken gehüllt. Doch dann offenbart sich endlich der perfekte Ausblick auf den Felsen von Monaco und die Bucht von Monte-Carlo, und ich finde sogar einen guten Standort für mein Stativ, so dass es doch noch ein paar schöne Zieleinlauf-Fotos gibt. 
 
 













 
Danach kraxle ich beschwingt den letzten steilen Hügel hinunter in Richtung Monaco. Um 18.51 kommt Svens Zug an, und mein Timing ist perfekt, um ihn abzuholen. Die letzten paar Meter bis zum Meer und zum offiziellen Ende der Via Alpina beim Place du Palais spare ich mir für morgen. Kurz vor dem Ziel erreiche ich auch einen weiteren grossartigen Meilenstein, meinen 2500sten Kilometer. Ich versuche eine Weile, mit dem Herbstlaub neben dem Wanderweg etwas zu basteln, doch dabei grabe ich so viel Hundescheisse unter dem Laub aus, dass es mir ablöscht, und ich beschliesse, dass der Strand morgen eh ein viel besseres Bild abgibt. Die letzte Landesgrenze nach Monaco ist leider unsichtbar, kein Grenzstein, kein Schild weist darauf hin - irgendwann überquere ich eine Strasse und plötzlich sind die Strassenschilder anders, die Autokennzeichen sehen lustig aus und es hat viele teure Karren und Stadtvillen. Ausserdem riecht es richtig fest nach Tropen, überall wachsen exotische Blumen und Blüten, es ist schwül und es hat Mücken. Beim Jardin Exotique lasse ich die Via Alpina links liegen und gehe direkt zum Bahnhof. Eine Viertelstunde später rollt Svens Zug aus Ventimiglia ein, und wir fallen uns in die Arme. Was für eine Wiedersehensfreude! Noch knapp zwei Kilometer weiter muss ich heute gehen, bis zu unserem Airbnb in Beausoleil, bereits wieder in Frankreich. 33km werden es insgesamt, mein längster Tag auf der Via Alpina. Dann endlich kann ich den Rucksack abstellen. Wenige Meter die Strasse runter finden wir ein portugiesisches Restaurant mit sympathischem Menü und ebenso sympathischen Preisen. Endlich sitzen und endlich das langersehnte Zielbier geniessen! Mein Fisch schmeckt dann auch sehr lecker, enthält aber so viele Gräte, dass mir die Freude am Essen etwas vergeht. 
 












 
Am nächsten Morgen machen wir uns, nach ausgiebigem "Käffele" mit der mitgebrachten Bialetti und einem Zwischenstop bei einer leckeren Boulangerie auf zu den allerletzten Kilometern. Von Beausoleil wandern wir über einen schönen Strassenmarkt zurück nach Monaco und zum ersten Highlight des Tages, der Touri-Info, auf der man gemäss Internet einen "Via-Alpina"-Aufnäher für den Rucksack bekommt. Leider hat keine der Damen in der Touri-Info je davon gehört (ich bin mir nicht mal sicher, ob sie die Via Alpina kennen), aber ich bekommen einen Monaco-Pass mit einem hübschen Stempel drin. Durch schön exotische Parkanlagen gehen wir weiter zum Casino, wo wir ein paar lustige Fotos zwischen all dem Prunk und den Luxusautos machen. Danach suchen wir verzweifelt einen Gehweg oder Treppe hinunter ans Meer, doch das ist gar nicht so einfach - in Monaco kommt man fast überallhin mit einem Lift oder einer Rolltreppe, aber wehe, man will zu Fuss gehen... Doch ich bin 2500 km lang jeden Schritt aus eigener Kraft gegangen, ohne Bähnli, ohne Trotti, ohne Sessellift - da will ich jetzt nicht auf den letzten paar Meter mit einer Rolltreppe bescheissen! Schliesslich finden wir einen Umweg zum Hafen, und ich stehe am Wasser (das Baden wird auf später verschoben, weil es hier im edlen Jachthafen von Monte-Carlo doch etwas unpassend wäre, in den Unterhosen reinzuhüpfen). 
 





Durchschnitts-Karre von Monaco

Casino Monte-Carlo





im edlen Jachthafen

am Meer angekommen...


 
 
Dann wandern wir auf einem schönen Klippenweg rund um den Felsen von Monaco, bis wir beim prächtigen Musée Oceanographique in die Altstadt aufsteigen. Durch einen herrlichen Park mit exotischen Tropenpflanzen (unter anderem Drachenbäume, die wir im Januar auf La Palma gesehen haben), geht es dem Place du Palais entgegen. Wir machen noch einen kurzen Abstecher in die schöne Kathedrale, wo wir in einer Menschenmasse die Grabplatte von Grace Kelly umrunden, bevor ich die letzten, "offiziellen" Meter dieses Abenteuers gehe, und die Tafel zur Einweihung der Via-Alpina auf der Place du Palais berühre. Sven überreicht mir feierlich eine sehr herzige, selbstgebastelte Medaille mit Via-Alpina-Logo, Murmeltieren, Steinböcken und Edelweiss drauf. Ich dachte eigentlich, ich würde heulen, wenn ich hier ankomme, aber ich bin einfach nur überglücklich, da zu sein, strahle wie die Biene Maia und bin sehr, sehr stolz auf meinen Körper, der das alles geschafft hat: auf meinen harten Grind, meine kurzen Beine, meinen unsportlichen Couchpotato-Arsch, die mich alle gesund und (meistens) munter über die Tausenden von Berge getragen haben bis hierher. OK, ein bisschen pathetisch werde ich vielleicht doch, aber glücklicherweise lenkt mich ein Schweizer Pärchen ab, welches unsere Fotosession vor der unscheinbaren Tafel beobachtet und neugierig nachfragt, was wir da feiern. Bisher war ich eigentlich immer bescheiden über mein Vorhaben, doch nun ist es geschafft - heute darf ich ein bisschen prahlen und auch gleich auf der Karte auf der Tafel zeigen, wie weit ich tatsächlich gelaufen bin. Mein Ego bläst sich natürlich auf wie ein Heissluftballon ob der Bewunderung der beiden Touristen. Dann verziehen wir uns zurück in den Tropen-Park, bevor uns die monegassische Polizei verscheucht, weil ich die Maske zum Fotografieren ausgezogen habe (in ganz Monaco herrscht ziemlich strikte Maskenpflicht, auch im Freien, und es wird auch durchgesetzt). Im hübschen Park voller subtropischer Pflanzen, hoch über den Klippen von Monaco, finden wir eine abgeschiedene Bank hinter ein paar exotischen Bäumen, und dort stossen wir mit richtigem Champagner an (natürlich aus unseren Campingbechern), während unter uns das Meer rauscht. Es ist für mich der schönste Moment dieses Ankommens - ein wunderbarer Fleck Natur in diesem seltsamen Stadtstaat, und mein Liebster da bei mir, der diesen Moment mit mir teilt, der weiss, wie viel mir diese Wanderung bedeutet hat. Fünf Monate und 2500 km war ich fast ausschliesslich alleine unterwegs, und es hat mich nie gestört, doch heute bin ich überglücklich, diesen Moment teilen zu können. Der Champagner aus dem Plastikbecher schmeckt ausgezeichnet. 
 













Am Nachmittag wollten wir noch an den Strand zum Schwimmen und ein 2500-km-Bild machen, doch nun prasselt der Regen, der sich seit Tagen vor mir hergeschoben hat, vom Himmel, und so lassen wir das - wir verziehen uns zurück in unsere Ferienwohnung, ich wasche all meine Sachen, und abends kochen wir uns ein leckeres Gemüsecurry. Nachts ziehen heftige Regenfälle links und rechts von uns vorbei, es gibt Überschwemmungen in Ventimiglia und bei Marseille, doch wir kommen glimpflich davon. Am nächsten Tag scheint auch wieder die Sonne, so wandern wir der Küste entlang an einen hübschen Strand mit glattgeschliffenen Steinen, wo wir endlich schwimmen (und nachher realisieren, dass Le Corbusier hier gelebt hat und am selben Strand ertrunken ist), dann weiter übers windige, schöne Cap Martin ins hübsche Menton, wo ich mir ein paar neue Wanderschuhe kaufe (was sonst?), denn die alten sind wirklich durch (und in Monaco gibt es keine schlauen Läden). Abends gehen wir lecker indisch essen in Beausoleil, bevor wir am nächsten Tag Monaco verlassen. Ich denke, ohne die Via Alpina wäre ich hier nie hingekommen, und sicher ist es nicht meine Lieblings-Feriendestination, aber die Altstadt auf dem Felsen hat schon was, und natürlich wird Monaco für mich immer das unvergessliche Ende einer langen, wunderbaren Wanderung sein. Nun machen wir aber noch ein paar Tage Ferien in der Provence! 
 




















 
Natürlich braucht man am Ende einer so langen Wanderung neue Schuhe!




 

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