Wanderlust 2021, Woche 28:
Nach einem faulen Sonntag daheim brechen Sven und ich am Montag gemeinsam auf. Er wird mich ein paar Tage auf der Via Alpina begleiten. Diesmal klappt alles mit dem ÖV, wir erreichen Steg im Liechtenstein kurz vor Mittag. Ab hier bin ich Mitte Juni "rückwärts" gelaufen, zurück ins Südtirol. Nun geht es endlich wieder in die "richtige" Richtung, nach Monaco. Die Via Alpina windet sich zwar vorerst wieder nach Osten, doch rein mental ist es viel einfacher, auf ein Ziel hin zu wandern, als davon weg.
Beim schönsten Wetter steigen wir auf zur Sücka. Das Gasthaus ist geschlossen, aber wir gönnen uns eine frische Molke aus dem Hofladen der genossenschaftlich organisierten Alpen von Triesenberg. Danach folgen wir einem schönen Höhenweg in Richtung Pfälzerhütte. Prächtige Blumenwiesen verwöhnen das Auge, seltene Feuerlilien und Türkenbund wachsen überall.
Weiter hinten im Tal treffen wir zwei Wegbauer der Gemeinde, die uns erklären, wie man mit Ziegen die Verbuschung der Alpwiesen stoppt. Die Ziegen fressen die Knospen und Blätter, die Büsche sterben ab, und der Schnee im Winter erledigt den Rest. Das ganze dauert jedoch mehrere Jahre. Wir können den Fortschritt der Ziegen gut beobachten. Die letzten Höhenmeter zur Pfälzerhütte ziehen sich in die Länge, ein paar Murmeltiere verkürzen die Zeit.
Oben angekommen, gönnen wir uns ahnungslos zwei Panache und starren dann verdattert auf die Rechnung: 18 Franken für zwei Gösser! Wahnsinn! Die Liechtensteiner Hütten sind also nochmals einiges teurer als die Schweizer. Während wir unser vergoldetes Panache geniessen, warnt uns der Hüttenwart vor extremen Föhnwinden, erzählt von andern Zelt-Wanderern, die mitten in der Nacht zurück zur Hütte gelaufen sind, und empfiehlt uns zu bleiben. Uns ist aber nach Biwakieren, darum laufen wir noch weiter und versuchen unser Glück. Wir verlassen Liechtenstein, Land Nr. 3 von acht Via-Alpina-Ländern abgeschlossen. Obwohl es heftig windet, geniessen wir die Höhenwanderung hinüber ins Rätikon sehr. Wir sehen einen Steinbock, und die roten Felsbänder in der hochalpinen Landschaft erinnern uns an Norwegen.
Nachts flattert das Zelt zwar ein bisschen im Wind, und es regnet auch eine Weile, dennoch schlafen wir gut. Am Morgen geniessen wir beim Frühstück (die Bialetti ist mit dabei, welcher Luxus) noch die Aussicht aufs Wolkenmeer, doch bevor die Sonne unseren Zeltplatz erreicht, kommt der Nebel wie eine Walze über das Salarueljoch, unter dem wir biwakieren. Innert Kürze sind wir total eingenebelt und alles wird feucht. Wir packen in Rekordtempo und ziehen im totalen "Whiteout" los.
Am Freitagmorgen breche ich also wieder auf von Niederteufen. Auch Sven bricht auf - allerdings diesmal auf dem Fahrrad, auf eine lange Deutschland-Tour, um endlich mal wieder Familie und Freunde abzuklappern, die er wegen Corona fast ein Jahr nicht mehr gesehen hat, und auf dem Weg dorthin ein paar coole Gravelpisten zu fahren. Er macht ebenfalls eine schöne Polarsteps-Karte seiner Rundreise. Wir werden uns also erst im Herbst wieder sehen. Bevor wir uns mal wieder für lange Zeit verabschieden, decken wir uns noch bei unserem Nachbar und Lieblingsbäcker ein. Es fängt schon wieder an zu regnen, als ich in den Zug steige, und ich beneide Sven nicht, denn der Regen klatscht heftig gegen die Zugfenster, bis ich in Landquart umsteige. Es geht wieder mit dem Mini-Postauto den steilen Berg hoch nach Schuders.
Um es kurz zu machen: es regnet praktisch nonstop den ganzen Tag, manchmal sträzt es, dann wieder nieselt es nur, doch jedes Mal, wenn ich denke, "also jetzt hat es aufgehört, ich kann den Schirm wegpacken", geht es gleich wieder los. Ich sehe praktisch nichts und stapfe einfach nur 1000 Höhenmeter im Nebel zwischen Alpenrosen und Kühen den Berg hoch. Irgendwann realisiere ich, dass die Kühe meinen rosa Regenschirm nicht so mögen und versuche, ihn einzuklappen, doch meine eiskalten Finger sind so steif, dass mir der Schirm aus der Hand gleitet und mit einem schönen "Platsch" in einem saftigen, frischen Kuhfladen landet. Mein Zetern hat man sicher im ganzen Tal gehört. Endlich erreiche ich das St. Antönier Joch.
Auf dem Pass gibt es eine alte Zollhütte, denn es ist eine berühmt-berüchtigte ehemalige Schmugglergegend, ich betrete wieder Österreich. Die Zollhütte dient heute den Wanderern als Wetterschutz, und ich freue mich bereits, darin einen Kaffee zu kochen. Leider ist eine französische Männertruppe vor mir da und hat den ganzen Unterstand belegt mit ihren Rucksäcken und sich selbst. Es wird gerade eine Flasche Wein geköpft und ein gewaltiges Picknick ausgebreitet, und keiner macht Anstalten, mir etwas Platz zu machen. Ich überlege kurz, ob ich mir mittels Ellbogen und Darmgasen Respekt und Platz verschaffen soll, aber schlussendlich scheint mir die Option, mich zu einem knappen Dutzend verschwitzter Franzosen in einen feuchtnassen Unterstand zu quetschen, weniger begehrenswert als die eineinhalb Stunden Abstieg nach Gargellen so rasch wie möglich hinter mir zu bringen. Der Nieselregen hat mich mittlerweile ordentlich durchnässt und ich buche im Gehen bauf dem Handy eine Pension in Gargellen. Nix mit "noch ein Pass heute, dann biwakieren". Bereits um drei Uhr bin ich in der Pension und lasse mich von der heissen Dusche wieder aufwärmen, bevor ich mich durch ein viergängiges Hotel-Menü schlemme, denn bei dem Wetter will ich gar nicht mehr raus und ein Restaurant suchen. Diese Via-Alpina-Tour wird um ein Mehrfaches teurer als geplant, weil ich so oft vor dem schlechten Wetter kapituliere. Ich vermute, es liegt einfach daran, dass die Via Alpina eben keine Wildnistour ist - man kommt andauernd an heissen Duschen, kuscheligen Betten und viergängigen Abendmenüs für 25 Euro vorbei. Wäre ich irgendwo in der Wildnis von Skandinavien oder Kanada, und hätte keine andere Option, wäre es gar nicht so schlimm, ich würde einfach meine Fertignudeln kochen und feucht, aber zufrieden, in den Schlafsack steigen. Aber an der verheißungsvollen Hütte/Pension vorbeilaufen, nur um dann auf der sumpfigen Kuhweide oder auf dem neblig-eisigen Pass zu zelten, ist irgendwie bireweich, es sei denn, frau ist pleite (und davon bin ich zum Glück noch weit entfernt).
Am Sonntag soll es aber endlich besser werden, sagt der Wetterbericht. Die Hotelbesitzerin rät mir, bis neun Uhr zu warten, und gemütlich zu frühstücken. Danach soll es aufhören zu regnen. Da alle meine Wetter-Apps mit ihr einig sind, lasse ich mir Zeit am Buffet.
Leider verschiebt sich der Regenstopp kontinuerlich nach hinten, erst wird es zehn Uhr, dann 14 Uhr. Egal, ich laufe um neun los, im Regen, und hoffe auf baldige Besserung. Es wird ein praktisch identischer Tag wie der Samstag. Es herrscht entweder dichter oder weniger dichter Nebel, es nieselt mal weniger, mal mehr, oder es regnet tatsächlich richtig fest. Auch an diesem Tag steige ich 1000 Meter auf, ohne etwas zu sehen, und langsam könnte ich heulen. Highlights heute sind ein einsamer Mungg, der ebenso deprimiert im Regen sitzt wie ich, ein paar schöne, tropfnasse Blumen und verwunschene, riesige Boulder im Nebel. |
Auf dem Vergalder Joch sehe ich nichts, aber aufgrund der Ketten und Stahlseile im Abstieg erahne ich eine gewisse Dramatik.
Am Sonntag hört der Regen weder um zehn noch um vierzehn Uhr auf. Um halb vier erreiche ich die Tübinger Hütte, es schüttet, man sieht keine fünf Meter weit, kurz vor der Hütte habe ich einen knietiefen, eisigen Bach durchwatet. Ich bin seichnass und hässig. Auf der Hütte hat man zwar keinen Empfang und auch kein WLAN, aber das Barometer verspricht nichts Gutes. "Morgen wird es besser!", beteuert man mir. Den Satz höre ich gefühlt schon seit drei Tagen, und kann es nicht mehr glauben. Obwohl ich noch weiter wollte, frage ich, ob ein Bett frei ist, und als man bejaht, bleibe ich. Es hat warmes Wasser, einen Trockenraum und eine gemütliche, trockene Stube, und dank Corona habe ich ein Zimmer für mich. Das ist alles, was ich heute brauche. Mittlerweile ist es abend, und keine Besserung in Sicht. Draußen regnet es immer heftiger.
Spoiler alert für Woche 26:
Aussicht aus meinem Fenster auf der Tübinger Hütte, morgens um drei Uhr:
THat's why it's much nicer to hike in Austria than in Canada: you always have the option of a good Schnitzel mit Spätzle at the end of the day :)
AntwortenLöschenLet the sun shine ♥️
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