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Durch Deutschlands “Happy End”



Wanderlust 2021, Woche 25:

Der Montag beginnt in aller Herrgottsfrühe: ich habe mir den Wecker auf halb sechs gestellt, damit ich das Zelt weggepackt habe, bevor die ersten Waldarbeiter oder Bergbauern auftauchen. Das Wildzelten ist ja nicht ganz legal in Österreich. Nach einem Kaffee und Müsliriegel geht es talwärts. Der Wald dampft in den frühen Sonnenstrahlen, auf dem Schotterweg tummeln sich Hunderte von Molchen. Ihre schwarze Farbe macht sie auf dem feuchten Schotter praktisch unsichtbar, und ich muss konzentriert auf die Füsse schauen, damit ich keinen zertrete.





Bald erreiche ich Schröcken und genehmige mir einen zweiten Kaffee im kleinen Supermarkt. Danach steigt die Via Alpina über ein paar Almen auf zum Körbersee. “Schönster Platz Österreichs”, hat das ORF 2017 erkoren, und somit garantiert, dass plötzlich überall Wanderer auftauchen, als wären sie aus Erdlöchern geschlüpft (realistischerweise kommen sie jedoch eher von den riesigen Parkplätzen in der Nähe). 





Trotz der vielen Wanderer findet eine Ziege, dass ich gerade ich ihr besonders sympatisch bin, und folgt mir über mehrere Kilometer. Anfangs finde ich es noch herzig und verständlich, ich rieche ja sicher sehr interessant, und in meinem riesigen Rucksack hat es ein paar Leckerbissen. Doch sie nervt mich nach kurzer Zeit, denn ihre Glocke bimmelt sehr schrill, ich kriege fast einen Tinnitus. 



Sie lässt sich nicht verscheuchen, je mehr ich mit ihr schimpfe, ihr drohe, ja sogar mit den Wanderstöcken eins fitze, desto anhänglicher wird sie. Was tun? Sie kann mir ja nicht ewig nachlaufen, oder? Endlich erreiche ich den berühmten See, doch ich habe keinen Musse für den Instagram-Hotspot, ich muss dieses Viech loswerden. 



Daher stürme ich auf die Terrasse des dortigen Berghotels und bestelle einen superteuren Kaffee, nur damit ich Ruhe vor der Geiss kriege. Die will natürlich auch auf die Terrasse, doch sie ist weder geimpft noch getestet und wird daher mit Wasserkübeln und dem Besen von der Köchin traktiert. Die Ziege gibt nicht auf und kommt immer wieder, obwohl sie mittlerweile wie ein begossener Pudel aussieht. Nun tut sie mir doch leid, und glücklicherweise bietet eine Wandergruppe an, sie nachher mitzunehmen und zu ihrer Alm zurückzubringen. Uff! Ich schleiche mich durch den Hinterausgang und laufe wieder solo weiter. Bald erreiche ich den Hochtannbergpass und steige auf zur Widdersteinhütte auf 2000 m. Trotz der Hitze ist es hier oben merklich kühler und sehr angenehm zu wandern. Auf der Hütte gibt es einen grossen Möhl-Saft und eine wohlverdiente Pause. Die Aussicht aufs Lechquellengebirge rund um den Arlberg ist spektakulär, und die Munggen pfeifen. 




Am Nachmittag führt mich ein wunderschöner Höhenweg über die Allgäuer Alpen zum Koblat-Pass. Ich überschreite die Grenze und betrete Land Nummer Fünf auf dieser Tour: Deutschland. Ich bin sehr gespannt - die deutschen Alpen kenne ich überhaupt nicht. 




Es geht jedenfalls gleich anspruchsvoll los, die Via Alpina steigt auf einen Sattel auf fast 2200 m, bevor sie steil auf der anderen Seite abfällt - über gigantische Schneefelder. Ich bin mittlerweile recht erschöpft, habe schon 20 km und über 1000 Höhenmeter in den Beinen, und so steige ich sehr langsam und vorsichtig ab. Ich traue mich nicht zu rutschen, da ich unter dem Schnee Bäche rauschen höre. Glücklicherweise bin ich nicht die erste, die hier durchstapft, es hat grosse Tritte, auf denen ich absteigen kann. Und auch kleine Krallenspuren hat es überall, sie sind auch ganz frisch. Wenige Minuten später sehe ich das Murmeltier vor mir übers Schneefeld sausen. Wenn ich doch auch so flink die steilen Flanken runterkäme, ohne mir den Hals zu brechen! 




Es ist noch nicht allzu spät, als ich die Mindelheimer Hütte erreiche, dennoch beschliesse ich, zu bleiben, ich bin fix und fertig. Die Hütte preist sich an, dass sie an Deutschlands “Happy End” steht, und es hat noch freie Schlafplätze - perfekt. Das Bier und die Kässpatzen schmecken hervorragend. Wahrlich ein “Happy End” für den längsten Tag des Jahres. Zu später Stunde geht wieder ein heftiges Gewitter über den Bergen nieder, ich bin froh, nicht im Zelt zu sitzen - zumindest bis ich in meinem Schlafsaal liege. Denn das Geschnarche ist ohrenbetäubend, und die Ohrstöpsel machtlos dagegen. Ich schlafe ziemlich schlecht und bin gerädert am nächsten Morgen. 




Tags darauf folge ich mehrere Stunden dem Krumbacher Höhenweg. Eigentlich ein toller Weg, doch Höhenwege können gemein sein, denn sie sind meist nicht so flach, wie es den Anschein hat. Dieser hier ist ein Prachtsexemplar eines Höhenweg-Fieslings, es geht immer 50 m hoch, dann wieder runter, dann wieder hoch…. stundenlang. Vermutlich liegt es am Schlafmangel, aber irgendwann bin ich so genervt über den welligen Weg, dass ich laut rausbrülle “Also würkli, gohts no?”. Die zwei Wanderer ein paar hundert Meter vor mir drehen sich ganz verdattert um. Vermutlich bin ich ein bisschen überdramatisch.




Endlich, nach einem enttäuschend schlammigen Bergsee, folgt der steile Abstieg ins Stillachtal. 




Hier liegt Deutschlands südlichste Gemeinde mit dem ominösen Namen “Einödsbach”. Das interessiert mich aktuell aber wenig, ich will talauswärts nach Oberstdorf. Da sich bereits wieder schwarze Gewitterwolken über mir zusammenbrauen, buche ich im Gehen doch noch ein Hotel statt auf der Campingwiese zu versumpfen. Dann zünde ich den Turbo und wandere fast im Laufschritt, um vor dem grossen Nass anzukommen. 




Kurz vor dem Dorfkern von Oberstdorf jogge ich fast über einen Hügel ins benachbarte Trettbachtal und erreiche das Hotel Gruben mit den ersten schweren Tropfen. Score! Das dazugehörige Cafe schliesst gerade, doch der Inhaber ist eine coole Socke und bastelt mir noch schnell einen “Schweizer Wurst-Salat”, den ich mir zum Abendessen mitnehmen kann aufs Zimmer. Das ist übrigens ein Wurstsalat mit Käse, falls ihr das nicht wusstet (Reisen bildet ☺️). 



In Oberstdorf kommen drei der fünf Via-Alpina-Routen zusammen: die gelbe und violette Route enden hier, die rot Route, auf der ich laufe, durchquert das Dorf und geht weiter nach Osten. Ich habe nun das nördliche Ende der Alpen und somit auch den nördlichsten Teil der roten Via Alpina erreicht. Vom Krumbacher Höhenweg konnte man bereits gut ins bayrische “Flachland” raus schauen, und dieser Anblick wird sich in den nächsten Tagen noch ein paarmal wiederholen.




Am Mittwochmorgen wandere ich ins Oytal, einem u-förmigen Gletschertal. Zunächst geht es einige Kilometer auf dem Talboden, bevor der Schotterweg in steilen Serpentinen zur Käseralpe ansteigt.




Mittlerweile ist es später Vormittag, und die E-Biker sind auch schon wach. Bereits gestern flitzten mir Hunderte von E-Bikern im Stillachtal um die Ohren, und heute ist es ähnlich. Irgendwo hier muss es ein Nest von E-Bikern haben. Sie haben heute alle dasselbe Ziel, die Käseralpe. 




Dort gibt es - nomen est omen - leckere Käsespezialitäten. Ich ergattere mir ein Stück Käsekuchen und ein Sitzplatz unter dem Sonnenschirm. Leider setze ich mich versehentlich neben einen Querdenker-E-Biker, der mir mit seinem ungefragten Corona-Gequatsche den feinen Kuchen etwas vergällt. Ich überlege, ob ich ihm sagen soll, dass mein neuer Impf-Mikrochip alles, was er da so labert, live zum BND und zur NSA streamt, aber ich lasse es und ignoriere ihn einfach. Das wirkt irgendwann auch, er wird immer leiser, und irgendwann brabbelt er nur noch einzelne, sinnfreie Empörungs-Wörter und wird dann still. Ich verabschiede mich bald und steige weiter den Berg hinauf. Hier gehört die Via Alpina wieder den Wanderern, ich bin alleine. Mittlerweile ist es Mittag, und pünktlich wie jeden Tag zieht es schlagartig zu in den Gipfeln, so dass auch ich mich in den Wolken befinde. Es ist eine feuchtwarme Waschküche, auch die Schneefelder dampfen. 






Erst als ich das Himmeleck erreiche, reissen die Wolken etwas auf und ich habe ein bisschen Aussicht ins neue Tal und die wuchtigen Allgäuer Hochalpen mit so dramatischen Namen wie “Grosser Wilder”.



Der Abstieg vom Pass ist von wunderschönen Bergblumen übersäht, ich kann mich kaum sattsehen. Allerdings hat es auch ein paar steile Schneefelder. Weiter unten jedoch kann meine Sitzmatte endlich ihre Multifunktionalität als Schlitten beweisen und ich rodle juchzend ein langes Schneefeld runter. 


Unten wartet bereits die nächste Attraktion, eine Murmelifamilie frisst, sonnt, balgt und fetzt sich auf einem kleinen Hügel in Sichtweite. Leider etwas zu weit weg für schöne Fotos und Videos, ausserdem sind sie im noch braunen Gras extrem gut getarnt. 









Obwohl sich der Himmel bereits wieder verdunkelt, nehme ich mir die Zeit und schaue ihnen eine Weile zu, sie sind sehr herzig. Schweren Herzens reisse ich mich los und suche einen guten Weg über die zahlreichen Schneefelder. Denn hier unten sind viele von Bächen unterhöhlt, teilweise sieht man bereits grosse Löcher und eingestürzte Schneebrücken. Ich möchte keinesfalls einbrechen und bis zur Hüfte oder tiefer im eisigen Wasser stehen, daher kraxle ich um einige Schneefelder herum und wate durch den schneefreien Bergbach. Das frisst viel Zeit und Energie, eigentlich sollte ich schon auf der Hütte sein.
Kurz darauf trete ich fast auf ein Murmeltier, welches vor mir vom Wanderweg schiesst und sich unter einem Stein, keine zwei Meter von mir, versteckt. Dort güxelt es jedoch schon nach wenigen Sekunden hervor und guckt mich neugierig an. Wow, wie schön! Das Tier ist gar nicht scheu, und wir beäugen uns beide vorsichtig, ich natürlich mega aufgeregt und voller “Jööö!”. Das Murmeli lässt sich ausführlichst fotografieren und filmen, bevor es beschliesst, dass nun andere Dinge spannender sind. So ein schöner Moment! Da stört es mich nicht mal, dass ich wenige hundert Meter vor der Prinz-Luitpold-Hütte dann doch noch ordentlich nass werde. 



Auf der Hütte werde ich freundlich begrüsst und bekomme sogar einen Schlafsaal für mich alleine (es sind nur etwa 5 Gäste da, und es ist eine riesige Hütte). Doch hier wird ein Schnelltest verlangt (kein Problem, schliesslich trage ich ein halbes Dutzend seit Wochen über die Alpen), und man bittet mich auch, meinen Hüttenschlafsack in der Mikrowelle 30 Sekunden zu “reinigen” (nicht wegen Corona, sondern um allfällige mitgewanderte Bettwanzen abzutöten). Auch kein Problem - denke ich. Während mein Schnelltest einwirkt, haue ich meinen Seidenschlafsack in die Mikrowelle, drehe den Schalter auf 30 und wende mich dann wieder meinem Rucksack zu. Erst nach einer Weile wird mir klar, dass da schon lange ein “Ping” hätte ertönen sollen, und dass ich Mikrowellen-Banause das Ding auf 30 Minuten statt Sekunden gedreht habe. Der Seidenschlafsack war vielleicht ein, zwei Minuten in der Mikrowelle, doch das Unglück ist geschehen: das Waschanleitungs- und Marken-Schildli war aus Plastik, ist geschmolzen und hat sich durch den ganzen, zusammengeknüllten Seidenschlafsack gebrannt. Nein, wie doof ist das denn! Der Gestank ist furchtbar. Ich renne mit dem stinkigen, verbrannten Teil vor die Hütte, bevor drinnen auch noch ein Feueralarm ausgelöst wird. Draussen stehe ich dann im Regen wie ein begossener Vollidiot, mein ruinierter Hüttenschlafsack ist ein Sieb, und ich weiss nicht ob ich lachen oder schreien soll. In der Hütte nimmt man es glücklicherweise gelassen, obwohl es noch Stunden später stinkt. Ich bekomme einen Hüttenschlafsack geliehen, kann eine Rückforderung bei der Gepäckversicherung des DAV machen und vertage das Problem erst mal auf später. In dieser Nacht schlafe ich gut, da schnarchfrei. 




Am nächsten Morgen herrscht wieder eitel Sonnenschein und blauer Himmel, wie immer frühmorgens. So geniesse ich doch noch die phänomenal dramatische Lage des Prinz-Luitpold-Hauses, rundherum ragen die Felswände der Allgäuer Hochalpen hoch in den Himmel. Der Aufstieg zur Bockkarscharte ist kurz, aber knackig.



Oben ist die Landesgrenze, ich wandere wieder zu den Österreichern für ein paar Tage. Auch ein grosses Steindenkmal von 1936 mit einer alten Inschrift für einen tödlich verunfallten Deutschen des Nachrichtendienstes hat es hier - inklusive Reichsadler und Hakenkreuz, welches glücklicherweise irgendjemand mal mit Hammer und Meissel unkenntlich gemacht hat. Die vielen Anti-Faschismus-Graffiti auf der alten Tafel lassen mich hoffen, dass noch nicht Hopfen und Malz verloren ist mit der Menschheit. 





Der Abstieg von der Scharte macht extrem viel Spass, denn es hat ein einziges, langes Schneefeld, welches unten sanft ausebnet und nicht in einem reissenden Bergbach endet. Ein klarer Fall, die Sitzmatte kommt raus, Füdli drauf und los geht die Schneerutsche ins Lechtal.






Ein paar Kilometer muss ich dann doch noch zu Fuss gehen, und der Schotterweg durchs Schwarzwassertal zieht sich in die Länge.



 Endlich erreiche ich die Lech, doch meine Pension in Weissenbach ist immer noch 2 Stunden Fussmarsch talabwärts. Es wird ein endloser Tag, den ich mir mit ein paar Podcasts verkürze. 




Kurz vor dem Ziel holt mich wieder der Regen ein, erst tröpfelt es nur, doch etwa 1 km vor dem Hotel kommt der Wolkenbruch und ein Hagelsturm, der innert kürzester Zeit die Strasse mit Eis bedeckt. Ich kann mich zum Glück bei der Feuerwehr unterstellen und fluche leise vor mich - ich bin innert Sekunden klatschnass geworden, so kurz vor dem Ziel.




 Zum Glück ist der Sturm bald vorbei, und ich mache es mir in meinem rustikalen Zimmer voller Reh- und Hirschgeweihe gemütlich. Das passt prima, denn so lassen sich die nassen Sachen super aufhängen. Ich hänge alle Geweihe voll mit nassen Socken, Unterhosen und BH, es ist ein Bild für die Götter (leider habe ich vergessen, ein Foto zu machen). 


Am nächsten Morgen schlafe ich aus und reize das Zimmer aus bis zur letzten Minute vor Checkout, denn die laute Hotelbar liess mich bis in die Morgenstunden nicht schlafen. Aber auch nach drei Kaffee komme ich nicht wirklich in die Gänge und mache mich lustlos auf die Suche nach einer neuen Sonnencreme im hiesigen Supermarkt. Erst gegen 11 Uhr breche ich auf. Es ist ein grauer, kühler Tag, die Wolken hängen tief, es regnet immer wieder leicht. Auf dem Wanderweg finde ich am Mittag noch die Hagelkörner vom letzten Abend, teilweise sind sie immer noch Pingpong-Ball-gross.


Blätter und Blüten liegen am Boden, die Blumenwiesen sind zerstört, die jungen Bäume regelrecht zerfetzt. Doch der Hagel war wohl sehr lokal, weiter oben ist nichts mehr davon zu sehen. 



Am frühen Nachmittag erreiche ich Berwang. Eigentlich wollte ich heute noch weiter und irgendwo in den Bergen zelten, doch die Motivation ist heute nicht da. Ausserdem habe ich keine Lust mehr auf Regen. Daher mache ich mich auf die Suche nach einer günstigen Frühstückspension. In Berwang gibt es zahlreiche, doch viele sind verlassen - keiner da, wenn man klingelt, und die paar wenigen, die ich anrufe, sind “gerade nicht zuhause” oder es geht gar keiner ran. Schlussendlich lande ich doch wieder in einem Über-50-Euro-Zimmer. Die Pension heisst Zugspitzenblick, doch von der Zugspitze ist nichts zu sehen. Immerhin schmeckt das Cordonbleu, ich schlafe herrlich und das Frühstück ist top. 



Im Frühstücksfernsehen läuft die Webcam aus verschiedenen Skigebieten der österreichischen Alpen, und ich freue mich, mittlerweile doch einige davon zu erkennen. In Nassfeld, wo ich vor wenigen Wochen noch im Schnee rumgesumpft bin, ist jetzt fast alles grün! Nach einer netten Plauderei mit der Inhaberin breche ich mal wieder spät auf, es ist bereits heiss und ich komme rasch ins Schwitzen. 




Ich bin gespannt, denn heute werde ich unterwegs den ersten, mir bekannten, Via-Alpina-Wanderer kreuzen, den ich jedoch nur von Instagram kenne - “Atlantis_hikes” ist einen Monat nach mir in Triest gestartet, wandert jedoch mit Warp-Speed und müsste mir heute über den Weg laufen. Und tatsächlich, gegen Mittag erkenne ich den typischen Weitwanderer schon von Weitem: grosser Rucksack, Trekkingstöcke, und eine Art zu Wandern, wie es eben nur Leute tun, die nicht bloss für ein paar Stunden oder ein Wochenende in den Bergen sind. Wir grüssen uns freudig -  es ist für uns beide das erste Mal, dass wir jemanden treffen, den wir bisher nur online kannten. “Atlantis” heisst im echten Leben Fabian (Atlantis ist sein Thruhiker-Trailname in Amerika, da er bereits mehrere der langen Fernwanderwege in den USA gegangen ist, und so ein Spitzname dort Tradition ist). Wir verbringen eine Viertelstunde plaudernd über dies und jenes, die Via Alpina, die Hütten, unser Zelt und seine Macken (wir haben dasselbe Modell), und auch ein bisschen über den PCT und CDT, ein lang gehegter Wunschtraum von mir. Dann ziehen wir weiter in entgegengesetzter Richtung, wir werden uns vermutlich nicht wiedersehen auf der Via Alpina, da Fabian viel schneller wandert als ich. Es ist irgendwie eine absurde Begegnung, aber auch sehr schön - ich bin nicht die einzige Verrückte da draussen! Beschwingt wandere ich weiter und erreiche bald das Sommerbergjöchle. Von dort erblicke ich erstmals den Wetterstein und die Zugspitze. Schon bald werde ich dort wandern! 



Vorher muss ich aber nochmals runter, dann wieder rauf über ein weiteres Joch, und dann endlich auf den langen Abstieg nach Biberwier.




 Natürlich beginnt es wieder zu gewittern und regnen, während ich noch absteige, und so wird aus dem wunderschönen Waldweg schnell eine glitschige Schmierseifenrutsche, ich knalle ein paarmal der Länge nach hin. Glücklicherweise fängt mein Rucksack den Fall auf, aber ich sehe vermutlich aus, als hätte ich mich im Dreck gesuhlt. 



Die Dame im Supermarkt von Biberwier hat jedenfalls Mitleid mit mir und lässt mich auch zwei Minuten nach sechs noch rein, rasch etwas Proviant kaufen für die nächste Woche. Erschöpft und ziemlich nass erreiche ich den Campingplatz, auf dem zum Glück wenig Betrieb herrscht, so dass ich mein Nachtessen auf dem Pingpongtisch unter Dach kochen kann und bald danach erschöpft ins Zelt falle.



Am Sonntag beschliesse ich spontan, direkt zur Knorrhütte im Wetterstein zu laufen, statt noch den “Umweg” über die Coburger Hütte zu nehmen, wie die Via Alpina es vorsieht. Dadurch hoffe ich, dass ich vor dem nächsten Wochenende sowohl durchs Wettersteingebirge als auch durch den Karwendel komme, beides sehr beliebte Wandergebiete, und damit hoffentlich noch Platz in den Hütten finde, bevor die grosse Sommersaison losgeht. In beiden Gebirgen ist das Zelten verboten und die Unterkünfte daher bereits gut ausgebucht. Für den Sonntagabend ist auf der beliebten Knorrhütte noch Platz frei, und ich komme sogar richtig früh los auf dem Campingplatz - der heftige Wind, der die ganze Nacht mein Zelt flattern liess, hat alles tiptop getrocknet. So keuche ich schon bald durch die Skigebiete rund um die Zugspitze, stapfe etwas frustriert unter der Ehrwalder Almbahn auf ebendiese Alm und weiter zur Hochfeldernalm.




Hier lasse ich endlich die vielen Tageswanderer und E-Biker hinter mir, ab nun wird es einsamer. Einige Wanderer, offensichtlich auf dem Rückweg von einer langen Zugspitze-Tour übers Wochenende, kommen mir entgegen, doch am Nachmittag wird es still. 




Nur die Murmeltiere flitzen über die Wiesen, und auf den verbliebenen Schneefeldern liegen Dutzende von Gämsen und kühlen sich ab. 




Über eine kurze, drahtseilversicherte Passage erreiche ich das “Gatterl”, den Grenzzaun zwischen Deutschland und Österreich mitten im Hochgebirge, und mittendrin ein eisernes Tor, das “Gatterl” eben. 




Nun bin ich auf der Rückseite der Zugspitze, die von hinten weniger imposant aussieht. Ehrlich gesagt, wirkt sie wie der Säntis von hinten, wenn man von der Meglisalp hochwandert - nur halt ohne Masten oben. Doch der Gipfel ist ähnlich, bzw. schlimmer verbaut, und es hat zahlreiche Liftanlagen, die wohl im Winter die Skitouristen unterhalten.





 Die Knorrhütte ist nun in Sichtweite, und ich komme - hurra! - vor dem abendlichen Gewitter an. Trotz reduziertem Corona-Betrieb ist die Hütte ziemlich voll, in meinem Schlafsaal ist nur noch ein Bett frei. Doch diesmal schlafe ich gut, trotz Schnarcher - heute halten meine Oropaxe dicht, und auch der abgefackelte Seidenschlafsack lässt sich noch irgendwie zurechtbiegen, dass man mehr drin als draussen liegt. 





Am Montagmorgen bin ich die einzige Wandererin, die talwärts wandert, alle andern wollen natürlich auf die Zugspitze. So habe ich die erste halbe Stunde im frühen Morgenlicht den Berg für mich allein - doch dann kommt die Karawane von unten vom Reintal hoch, und jeder zweite fragt mich, wie weit es noch ist. Gut zu sehen, dass es noch andere Wanderer gibt, die mit hochroten Köpfen den Berg hoch schleichen.



Ich lache nicht über sie, denn nach ein paar Kilometern und 1000 Höhenmetern talabwärts blüht mir dasselbe Schicksal - ich muss wieder 1300 Höhenmeter aufsteigen zur Meilerhütte, am anderen Ende des Wettersteins. 




Der Nachmittag zieht sich wie Kaugummi in die Länge, und die Höhenmeter wollen hart erkämpft sein. Der Weg führt steil, oft luftig und drahtseilversichert, und manchmal über unmenschlich hohe Stufen bergauf. Dennoch ist es ein wunderschöner Weg, und ich habe ihn fast für mich alleine. Nach ein paar Stunden erreiche ich Schachen, wo früher der König sein Jagdschlösschen hatte.



 Ich fragte mich schon die ganze Zeit, wie der König diesen steilen Weg hochgekommen ist mit seiner ganzen Entourage, doch oben angekommen sehe ich, dass man auch auf einer Strasse hätte hochfahren können… 

Doch ab hier ist Schluss mit Autos und E-Bikes, der Wanderweg führt hoch in die wilde, felsige Bergwelt zum Wettersteingrat. Wie ein Adlerhorst thront die Meilerhütte auf einem engen Sattel des Grats, genau auf der Grenze zu Österreich. Obwohl ich die Hütte schon lange sehe, brauche ich noch eine weitere Stunde, bis ich die letzten Höhenmeter erklommen habe.



 Mittlerweile schreien die Beine “Schluss für heute, du Verrückte!”, und so bleibe ich hier - glücklicherweise sind kaum Gäste auf der Hütte, so dass reichlich Platz ist. Die Meilerhütte ist eine alte Hütte, mit gemütlicher Stube, Plumpsklo und einem Waschhäuschen unter den Felsen, wo man das eisige Schmelzwasser mit dem Eimer holen muss, wenn man sich waschen will. Die Aussicht ist fantastisch, nach Norden blicke ich nochmals zurück zur Zugspitze und runtern nach Garmisch-Partenkirchen und Bayern, nach Süden in die wilden Berge Tirols - viele davon werde ich in den nächsten Tagen überqueren.



 Morgen verlasse ich Deutschland endgültig. Es waren schöne Tage am “Happy End” des grossen Kantons!



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