Während der langen Heimfahrt aus dem Südtirol hatte ich viel Zeit, um mir Gedanken zu machen über den weiteren Verlauf meiner Via Alpina. Ursprünglich wollte ich direkt nach der Impfung zurück ins Südtirol, und in Welsberg weiterwandern. Doch dort führt die Via Alpina gleich wieder auf 2800 Meter hoch und ich habe keine Lust mehr auf weitere Ausweichmanöver im Tal, ich bin schon so viele Berge umgangen wegen dem blöden Schnee. Diese Woche steigen die Temperaturen deutlich, dennoch wird es noch weit bis in den Juli dauern, bis die hohen Bergpässe gut begehbar sind. Doch die Via Alpina geht ja auch praktisch vor meiner Haustüre vorbei: durch Liechtenstein und die Allgäuer Alpen. Hier führt die Via Alpina nur selten über 2000 Meter, entsprechend liegt auch nicht mehr so viel Schnee. Die Entscheidung, meine Wanderung eine Weile in umgekehrter Richtung zu gehen, fällt mir nicht schwer, vorallem nach dem ich von einer anderen Via-Alpina-Wandererin, mit der ich bereits online in Kontakt war, höre, wie sie im slowenischen Hochgebirge beim Versuch, ein Schneefeld zu umgehen, abgestürzt ist und mit mehreren Knochenbrüchen mit dem Heli ausgeflogen werden musste. Meine Gesundheit ist mir definitiv wichtiger als eine durchgehende schöne Track-Linie auf meiner Polarsteps-Karte, darum wird mein Via-Alpina-Abenteuer nun ein “Flip flop hike”. So nennt man das im Hiker-Slang, wenn man einige Etappen “rückwärts” läuft. Und nein, man wandert nicht in Flip-Flops und man läuft auch nicht wirklich rückwärts :-)
Am Montag nehme ich also meine erste Etappe in Liechtenstein in Angriff - mit angenehm leichtem Tagesrucksack, da ich abends wieder nachhause fahre. Ich stehe mit den Hühnern auf, um früh auf der Gaflei zu starten, doch der sonst so zuverlässige Schweizer ÖV lässt mich im Stich - Stellwerkstörung im Rheintal. Ich verpasse den Wanderbus und fahre daher nach Steg bei Malbun, doch dort komme ich erst um halb elf an. Ziemlich spät für eine lange Tour, insbesondere da es auch schon sehr heiss ist. Doch zunächst komme ich gut voran, ich steige rasch auf zum Gasthaus Sücka und weiter auf den ersten Gipfel. Der Weg führt immer dem Grat entlang, wunderschön luftig und mit fantastischen Tiefblicken ins Rheintal und in den Alpstein.
Doch es geht dauernd auf und ab, der Schweiss rinnt in Strömen und die Sonne brutzelt mir fast das Hirn weg. Auch überrascht mich auf der Nordseite bei den zahlreichen Zwischen-Abstiegen der Schnee, der mich ausbremst, denn die steilen Flanken kraxle ich nur langsam und vorsichtig herunter.
Endlich, es ist bereits Nachmittag, erreiche ich den Kuhgrat auf 2122 Metern, mein bisher höchster Punkt auf der Via Alpina. Doch ich habe kaum Zeit zu Verweilen, denn nach einem weiteren zittrigen Abstieg durch steile Schneefelder wartet schon der nächste Gipfel, der Garsellakopf. Eine fast vertikale “Treppe von Mordor” führt hinauf. Glücklicherweise ist das Wetter besser als in Mordor, und es hat auch ein paar Stahlseile und Tritte, um sich hochzuhieven. Bin ich froh, dass ich keinen schweren Rucksack hier hochbuckeln muss! Endlich oben angelangt, blicke ich in die Runde. Die Aussicht belohnt den luftigen und teilweise doch recht anspruchsvollen Aufstieg. Der Abstieg in den nächsten Sattel ist zum Glück einfach.
Ich könnte jetzt noch weiter über den Drei Schwestern Steig, doch diese Tour habe ich schon früher gemacht, und ausserdem kriege ich einen Schreck, als ich auf den Wegweiser schaue: noch 4 Stunden bis Feldkirch, und es ist bereits nach vier Uhr! Da habe ich mich aber beim Planen der Etappe übelst verkalkuliert. Doch es hilft nichts: ich habe nur noch einen Powerriegel und sonst nicht viel dabei, ich muss ins Tal (und von dort noch nachhause fahren).
Ausserdem ist der Weg noch immer anspruchsvoll, erst eine Stunde später komme ich auf einen Alpweg, und beginne leicht bergab zu joggen. Doch es sind noch 1000 Höhenmeter Abstieg, das mit dem Joggen lasse ich bald sein, meinen Knien zuliebe. Also Ohrstöpsel rein, Musik an und marschieren. Nach drei Stunden erreiche ich auf dem Zahnfleisch den Bahnhof Frastanz (das war etwas näher als Feldkirch) und bin um kurz nach neun Uhr daheim. Wow, was für ein langer Tag!
Mein Plan, am Dienstag gleich noch die nächste Etappe anzuhängen, lasse ich fallen und lege einen Ruhetag ein, um den Muskelkater zu kurieren.
Meine neuen Schuhe kommen heute endlich mit der Post, und den Nachmittag verbringe ich mal wieder im Transa beim Stöbern. Neue Schuhe brauchen schliesslich auch neue Socken und eine wohlriechende Bioseife, damit sie nicht gleich wieder so bestialisch stinken wie die alten. Die müssen dann nämlich glaubs in den Sondermüll…
Am Mittwoch erhalte ich meine zweite Impfung und treffe mich abends mit Freundinnen zum Essen in Winterthur. Eine Freundin berichtet von ihren üblen Nebenwirkungen nach der zweiten Impfung, obwohl sie sonst gar kein Mimöschen ist. Ich denke mir nicht viel dabei, schliesslich habe ich das erste Mal kaum etwas gespürt, und abends fühle ich nur etwas Schmerz an der Einstichstelle. Doch mitten in der Nacht geht es los: ich fühle mich elend, als wäre eine Dampfwalze über meine Knochen gefahren. Alles tut weh, ich weiss nicht mehr, wie liegen. Am nächsten Tag fühle ich mich wie verkatert, ohne die Kopfschmerzen. Glücklicherweise geht es mir abends bereits besser, denn ich bin wieder verabredet, heute mit meinen ehemaligen Arbeitskollegen. Es wird eine gemütliche Runde, und danach geniesse ich mit Sven eine Pizza im Alten Zoll. Wie schön, endlich wieder im Restaurant zu sitzen und die Pizza nicht aus der Pappe zu essen!
Da es mir am Freitag zwar recht gut geht, ich aber immer noch skeptisch bin, ob es das jetzt war mit den Nebenwirkungen, mache ich die nächste Etappe durchs Grosse Walsertal nochmals als Tagestour mit leichtem Gepäck.
Diesmal klappt es mit dem ÖV, doch die Anreise dauert trotzdem drei Stunden. Ich wollte diese Etappe vom hinteren Ende des Tals runter nach Frastanz laufen, da es erneut sehr heiss ist, und ich so mehr bergab als bergauf laufen kann. Der Weg führt zunächst auf dem Walserweg, doch dieser scheint hier kaum begangen zu sein. Der schmale Pfad verschwindet regelmässig, und ich stapfe suchend über die Wiesen und durch den Wald. Die Zecken und Bremsen lieben mich, und die blühenden Gräser lassen meine Augen tränen. Der Walserweg zappelt munter auf und ab, wie eine Fieberkurve, und schon nach einer halben Stunde bin ich fix und fertig.
Daher verlasse ich bei der nächsten Gelegenheit den Weg und laufe auf der Faschinastrasse. Das ist zwar hart für die Füsse und sehr, sehr warm, da praktisch schattenfrei, aber immerhin komme ich voran, geniesse Aussicht und gelegentlich sogar eine frische Brise. Der Weg ist wenig spektakulär, aber die Aussicht aufs Walsertal genügt mir, ab und zu durchquere ich ein altes Walserdorf und stecke den Kopf in den Dorfbrunnen. Es mangelt auch nicht an Versorgung mit Glace und eiskalten Getränken - hat man ja sonst nicht unbedingt so regelmässig am Weg auf der Via Alpina. Ich geniesse die Annehmlichkeiten.
Die Via Alpina hat einige solcher “Verbindungsetappen” zwischen den Gebirgen, die über Strassen durch die Täler führen, das gehört einfach dazu, und ich mache heute das Beste daraus. Etwas früher als am Montag erreiche ich den Bahnhof Frastanz und freue mich auf das eiskalte Bier aus dem Kühlschrank daheim.
Doch die Hitze hat mich recht fertig gemacht, und da erst für den Sonntag eine Abkühlung in Sicht ist, lasse ich den Samstag nochmals Ruhetag daheim sein, bevor ich wieder losziehe.
Am Sonntag ist es dann endlich soweit, ich setze wieder meinen grossen Rucksack auf und sage zum dritten Mal auf dieser Tour “Adieu mein Schatz”. Diesmal hoffentlich nicht für lange… Sven hat auch bald Sommerferien und will mich mit dem Velo besuchen. Ich bin gespannt, wo wir uns sehen werden!
Nach erneut drei Stunden ÖV stehe ich wieder in Garsella und laufe diesmal talaufwärts, Richtung Schadonapass. Zunächst führt der Weg am Talboden entlang, es ist heiss und schwül, der Himmel diesig vom Saharastaub.
Bei Buchboden steigt es erst gemächlich, dann abrupt steil an. Ich schwitze eine Unmenge während dem Aufstieg, es tropft mir der Schweiss von Nase und Stirn, alles ist klatschnass. Die Luft ist extrem drückend. Leider komme ich nur im Schneckentempo voran, was die Bremsen ganz toll finden, denn ich bin leichte Beute. Endlich erreiche ich die ersten Almen. Die Blumenwiesen sind eine Pracht, eine unglaubliche Vielfalt an Farben, sowohl bei den Blüten als auch bei den Schmetterlingen. Man merkt, dass dies ein besonderer Ort ist, das Natura 2000-Reservat Gross Walsertal ist auch sehr stolz auf seine Biodiversität.
Mit der Schneeschmelze kommen natürlich auch die Kühe, und hier sind sie bereits bis auf 1700 Meter auf der Weide. Meine potenziellen Zeltplätze schwinden… Doch noch ist es zu früh, ich will auf jeden Fall bis zum Schadonapass laufen. Bald lasse ich die blühenden Alpwiesen hinter mir und quere die ersten Schneefelder.
Der Weg verliert sich mehrmals, und es scheint, als sei ich wieder die erste hier, ich sehe keine Spuren im Schnee. Nun fängt es auch an zu tropfen, und ich ziehe mir seufzend die Regenausrüstung an - und kurz danach wieder aus. Die letzten Meter vor dem Pass ist der Weg fast weggespült, vom Regen oder Winterlawinen, wer weiss. Jedenfalls braucht es volle Konzentration. Endlich erreiche ich den Pass, da geht es wieder los mit dem Regen. Jetzt aber richtig, es giesst wie aus Kübeln, der Wind treibt den Regen unter meinen Rock und durchnässt mich in Kürze.
Die Biberacher Hütte ist noch geschlossen, doch der Abstieg vom Schadonapass ist glücklicherweise leicht - ein breiter Fahrweg führt ins Tal. Trotz Gewittersturm komme ich gut voran und steige rasch ab - hier oben auf den ungeschützten Wiesen will ich in dem Wind kein Zelt aufstellen.
Endlich erreiche ich den schützenden Wald, doch jetzt ist es schon spät, bald wird es dunkel. Bis Schröcken ist es noch ein Stück, und die dortigen Unterkünfte unverschämt teuer. Wie eine Fata Morgana erscheint plötzlich ein winziges Blockhäuschen, auf einer Seite offen, mit einer Bank und Tischchen drin - ein Unterstand für Wanderer wie mich, die vom Regen fliehen. Keine Frage, hier bleibe ich, koche mein Dinner im Trockenen und stelle dann hinter dem Unterstand mein Zelt auf. Ich hätte diagonal vermutlich auch im Unterstand liegen können, doch der Boden ist mir dann doch zu gruusig zum Schlafen - Zigistummel und leere Schnapsflaschen lassen grüssen. Was für ein Start in die neue Etappe!
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