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Letzte Tage in Slowenien





Wanderlust 2021, Woche 21: 
Missmutig sitze ich unter dem Vordach der Rezeption des Campings in Tolmin. Der Wetterbericht hatte eigentlich am Vormittag ein paar Stunden Regenpause angesagt. Mittlerweile ist es schon fast 11 Uhr und keine Regenpause in Sicht. Irgendwann füge ich mich in mein Schicksal und marschiere los. Es regnet in Strömen und wird den ganzen Tag nicht aufhören. Es wird ein harter Tag, denn abgesehen vom Wetter kenne ich die Strecke bereits - Sven und ich sind sie vor vier Jahren in unseren Slowenien-Fahrradferien gefahren. Es gibt keinen anderen Wanderweg im Tal ausser dieser Nebenstrasse. Ich finde kaum einen Unterstand, um mal ordentlich Pause zu machen, ausser ein stinkender Ziegenstall, und marschiere daher fast ununterbrochen durch bis Kobarid. Dort habe ich ein Bett in einem Hostel gebucht, welches sich als totaler Hit entpuppt: ich habe mein eigenes Zimmer, und bin obendrein der einzige Gast. Daher nutze ich die Küche und koche mir ein leckeres Abendessen mit viel Gemüse, während die Heizung (welch Luxus!) wohlige Wärme verströmt und meine Sachen trocknen.








Am nächsten Tag regnet es immer noch, doch mittlerweile ist es mir egal - ich werde einfach am Abend wieder etwas Geheiztes finden, koste es was es wolle. Wenn ich weiss, dass ich abends wohlig warm und trocken bin, kann ich den Regen und Matsch stundenlang aushalten. Zunächst führt der Weg über die Napoleonbrücke, dann folge ich dem Soca-Trail, welcher direkt dem Soca-Fluss folgt. Ich bin etwas geschockt, als ich die Soca sehe - was für ein wildes Monster! Sie ist milchig weiss, wie ein Gletscherfluss, und reissend hohe Wellen wälzen sich talwärts. 






Kein Wunder, so viel wie es geregnet hat in letzter Zeit. Leider führt die Soca mittlerweile so viel Wasser, dass ich bald vor einem überfluteten Trail stehe. Hier ist kein Durchkommen, ein Nebenfluss, der in die Soca fliesst, hat ebenfalls Hochwasser und durch die hohen Wellen und Strömung würde ich nie durchwaten. Zum Glück habe ich ja Ausweichmöglichkeiten, auch wenn diese weniger toll sind - nämlich zurück auf die Strasse. Ein paar Kilometer talaufwärts versuche ich mein Glück erneut, überquere zaghaft die Monster-Soca auf einer wackeligen Hängebrücke, und finde auf der anderen Seite den Soca-Trail wieder. Er ist zwar immer wieder überflutet, doch diese Stellen kann ich entweder umgehen oder durchwaten. Trockene Füsse? Das war wohl in einem anderen Leben!







Endlich hört es mal ein paar Stunden auf zu regnen, ich sehe sogar ein Stück blauen Himmel. Was für eine Wohltat! Damit ich mich nicht zu sehr entspanne, findet der Weg neue Formen, mir Adrenalinschübe zu verleihen und versteckt ein paar gut getarnte Schlangen in den Pfützen auf dem Weg. Auf die erste bin ich fast draufgetreten. Natürlich ist sie winzig, pfützenbraun und wahrscheinlich total harmlos, aber ich kriege trotzdem fast ein Herzchriesi. Wenig später sehe ich gleich noch eine. Na, dankeschön!







Endlich macht das Tal eine Biegung, und ich sehe die breit mäandernde Soca vor mir, die hohen Berge im Hintergrund, so wie ich sie in Erinnerung habe - oder eben doch nicht, denn heute sind alle Farben anders. 






Trotzdem ein schöner Moment, den ich sogar ein paar Minuten geniessen kann, dann öffnet der Himmel wieder alle Schleusen. Nun beginnt es auch noch zu stürmen, der Wind dreht mir auf den letzten Metern noch den Schirm, und so komme ich ziemlich entnervt und total durchnässt und verfroren im Camp Liza an, wo ich weiss, dass es Glampinghütten hat. Diese hier sind wohl die Teuersten des bisherigen Trips, doch wirklich lauschig und eben geheizt. Ich verlasse die Hütte erst spät am Abend wieder, als der Regen endlich vorbei ist, und die Abendsonne die frisch verschneiten Berge anleuchtet.







Am nächsten Morgen scheint endlich die Sonne. Es wird ein perfekter Tag, denn nun führt der Wanderweg sehr schön der Soca entlang, und ich muss nicht mehr auf Teerstrassen laufen. Mal links, mal rechts vom Fluss geht es talaufwärts, immer wieder führen wackelige aber schöne Hängebrücken über den tosenden Fluss. Die Soca hat sich etwas beruhigt und ist auch schon wieder recht türkis. 










Nach ein paar Stunden erreiche ich die Soca-Schlucht, wo sich das Wasser zwischen den engen Felswänden durchzwängt, nur ein, zwei Meter breit. Von oben kann man direkt vom Wanderweg aus reingucken in die tosende Schlucht, an manchen Stellen könnte man einfach rüberhüpfen, wenn man noch etwas Adrenalin ausschütten möchte.







Ich geniesse den Tag in vollen Zügen. Gegen Abend erreiche ich Trenta am Ende des Soca-Tals. Hier wirkt das Tal schon so wild, als wäre man in Kanada. Ich bin nun im Triglav Nationalpark. Die Via Alpina kommt hier aus den Triglav-Bergen herunter - ich bin wieder auf “meinem” Trail.










Ich wandere noch etwas weiter zum Kamp Trenta, einem Campingplatz etwas über dem Dorf, den ich von unserer Fahrradtour von 2017 kenne und damals sehr schätzte. Doch als ich dort eintreffe, ist alles verlassen und leer - oh nein! Im Nationalpark darf man nicht wild zelten, und ich möchte keinesfalls ein paar Kilometer zurücklaufen zur letzten Unterkunft. Doch glücklicherweise ist der Campingwart gerade am Rasen mähen und hat Erbarmen mit mir. Obwohl eigentlich noch geschlossen, öffnet er die Dusche und WC für mich und lässt mich auf der Wiese mein Zelt aufstellen. Wunderbar! Obwohl ich nun bereits wieder in den Bergen bin, wird es ein lauer Abend, ich friere überhaupt nicht.




Am nächsten Morgen versuche ich, früh loszuwandern (jedes Mal wieder ein Challenge, bis der Kaffee und Frühstücksbrei gekocht und alles zusammengepackt ist, dauert es bei mir einfach mindestens eineinhalb Stunden). Es ist nämlich Regen angesagt für den Mittag, und bis dahin will ich auf dem Vrsic sein, dem höchsten Strassenpass von Slowenien. 







Der Weg führt wunderschön durch den Wald entlang einem wilden Bach den Berg hoch. Es hat angenehme Serpentinen und ist nicht zu steil, ausserdem hört man die Autostrasse kaum, obwohl sie nie weit weg ist. Mir gefällt der Weg super, und am frühen Nachmittag stehe ich auf dem Pass und freue mich riesig. Der Weg war auf dem Aufstieg praktisch schneefrei, und auf dem Pass herrscht kein Trubel, ganz ungewohnt. Als wir mit den Fahrrädern im Juli hier waren, gab es kein Durchkommen. Nur auf dem Stilfser Joch war bisher das Halligalli noch grösser, soweit ich mich erinnern kann. Doch heute ist auf dem Vrsic alles ruhig, nur eine Familie macht aufgeregt Fotos von den hohen Schneewänden. Denn ja, kaum habe ich das Passschild erreicht und es geht hinten runter, liegt der Schnee meterhoch. 








Die Via Alpina würde nun noch etwas höher über einen weiteren Sattel ins nächste Seitental führen, das lasse ich bleiben. Ich steige auf der Strasse ab bis zur Erjavčeva koča, die ich ebenfalls bereits kenne. Schon auf unserer Fahrradtour haben wir hier spontan übernachtet, obwohl es noch früh war, denn die Hütte ist einfach hammergeil gelegen, der mächtige Felsklotz Prisank direkt vor der Nase, und man hat tolle Aussicht auf die “weinende Frau”, ein Felsbild in der Wand des Prisank. Auch heute mache ich früh Feierabend, denn der Regen wird bald kommen. So gönne ich mir einen halben Ruhetag auf der Hütte. Weil ich der einzige Gast bin, darf ich auch drinnen sitzen ohne Maske. Abends gönne ich mir ein leckeres Znacht, Krofije (Schreibweise unsicher, eine Art Tortelloni) mit Tartufi-Sauce, und als Nachspeise ein Schoggimousse. Spät abends kommen noch drei weitere Wanderer, doch ich bleibe in meinem Schlafsaal alleine, mit Heizung, und schlafe super. Draussen trommelt der Regen an die Scheibe.







Am nächsten Morgen herrscht wieder eitel Sonnenschein, und ich steige auf dem Alpe-Adria-Trail ab nach Kranjska Gora. Anfangs folge ich der Autostrasse wegen dem vielen Schnee, doch bald ist wieder alles grün. Mitten im Wald stosse ich auf eine russische Kapelle, ein Kuriosum aus Kriegstagen (keine schöne Geschichte, wie ihr euch denken könnt - es involviert russische Kriegsgefangene, die hier im Akkord die Passstrasse zur Isonzofront bauen mussten, und eine schreckliche Lawine mit vielen toten Russen). Hier treffe ich eine slowenische Familie, die auch ein Foto von mir machen, und mir die Geschichte der Kapelle erzählen. Sie komplimentieren meine Slowenisch-Kenntnisse, worauf ich am liebsten im Boden versinken würde - mein einziger, ganzer Satz, den ich sagen kann, ist “Oprostite, ne govorim slovensko. Govorite anglesko?” Das lasse ich euch jetzt selber entziffern. Ansonsten habe ich es in drei Wochen nicht über die Worte Danke, Bitte, Guten Tag, Käse, Wurst, Trinkwasser, geschafft. Ich halte mich sonst eigentlich für sprachbegabt, aber offensichtlich gilt das nur für romanische Sprachen. Trotzdem ist es eine schöne Begegnung, denn ich hatte nicht viel Kontakt mit Slowenen. Ich freue mich sehr, bald in Länder zu kommen, in denen ich der Sprache zumindest radebrechend (Ciao Italia!) mächtig bin.





Eigentlich habe ich auf dieser Etappe keine grossen Hindernisse erwartet, und dies in meinem Kopf bereits als “zweiter, halber Ruhetag” verbucht. Blindlings folge ich dem Alpe-Adria-Trail bis ganz unten im Tal, wo eine Brücke über den Fluss führen soll. Ich sehe das weite Flussbett schon von weitem, doch bin kurz abgelenkt - es hat Enzian auf der Wiese, das muss ordentlich dokumentiert werden. Auch der Blick zurück auf die julischen Alpen um den Prisank verzücken mich. Dann stehe ich am Fluss, der von oben wie ein herziges Bächlein im Kiesbett aussah, und stelle fest, dass die Brücke entweder weggespült, oder über Winter ab- und noch nicht wieder aufgebaut wurde. Oder der reissende, tiefe Fluss ist normalerweise ein plätscherndes Bächlein, durch welches man einfach durchstapft. Hans wie Heiri, ich komme nicht drüber, obwohl ich eine Ewigkeit am Ufer rauf- und runterlaufe, auf der Suche nach einer guten Watstelle. Schlussendlich sage ich mir, dass ich hier nix beweisen muss, und einfach zurück den Berg hochlaufen kann, auf die gute, alte Autostrasse. Natürlich suche ich eine Abkürzung, und lande in einem supersteilen Wald, die Forststrasse längst verschollen, die Autostrasse gefühlte 50 Höhenmeter vertikal über mir. Es wird eine anstrengende Kletterei, und ich verfluche mich selber und den Alpe Adria Trail.






 Endlich erreiche ich die Strasse, verschwitzt und mit Tannennadeln im Haar, und kurz darauf stehe ich in Kranjska Gora. Auch diesmal ist mir der Ort irgendwie unsympatisch, es ist so ein richtiger Touri-Ort, an dem ich nicht weiss, wo vorne und hinten ist. Die Touristeninformation ist wegen Corona geschlossen, Corona-Tests gibt es keine in dieser Stadt, obwohl ich hier so viele Touristen sehe, wie nirgends sonst in Slowenien, und zwei Landesgrenzen ganz in der Nähe sind. Touristen brauchen einen Test zum Ausreisen, warum das hier nicht möglich ist, ist mir schleierhaft. Ich beschliesse, es mit meiner Erstimpfung und einem Sack voller Schnelltests, die ich von daheim mitgeschleppt habe, zu versuchen, und wandere weiter nach Ratece, dem letzten Dorf in Slowenien, wo ich ein Studio gemietet habe. Den letzten Abend in Slowenien will ich geniessen (wobei ich erst mal meine ganze Dreckwäsche von Hand wasche, bevor ich mir mein letztes slowenisches Bier im Garten gönne).






Am nächsten Morgen steige ich erst auf einer Forststrasse, dann auf einem Wurzelweg steil auf, direkt auf die Dreiländerecke (Slowenien, Italien, Österreich). Je höher ich komme, desto besser werden die Aussichten auf die immer noch tief verschneiten julischen Alpen, insbesondere den Mangart, und direkt mir gegenüber das Tal von Planica, wo die riesigen Sprungschanzen sind. Oben angekommen, geniesse ich gefühlte 30 Sekunden die Aussicht ins Gailtal und Richtung Villach, bevor alles einnebelt und ein eisiger Wind über die Dreiländerecke fegt. Willkommen in Österreich!




Da man eh nix mehr sieht, steige ich ab. Der Weg führt aussichtslos durch den Wald, genau auf der Grenze zwischen Italien und Österreich. Nach wenigen Minuten beginnt es, heftig zu regnen. Ich seufze und ziehe mir - mittlerweile mit viel Übung - meine Regenausrüstung an und steige weiter ab. Es ist bereits Nachmittag, als es aufhört zu regnen, und ich Thörl-Maglern erreiche, ein Grenzort, etwas seelenlos an der Autobahn Villach-Tarvisio, und dementsprechend kein Ort zum Verweilen.





 Ich habe die Wahl, mit dem ÖV nach Villach oder in einen anderen, grösseren Ort zu fahren, oder weiterzuwandern und zu biwakieren. Am Wochenende fahren keine Busse, stelle ich fest, und es fährt nur abends um sechs ein Zug - in zwei Stunden. Bis dann bin ich auch den nächsten Berg hoch und kann mir oben ein schönes Plätzchen suchen, denke ich, und laufe weiter. Zwar tröpfelt es nochmals, doch während ich auf den Karnischen Höhenweg einbiege, der in den nächsten Wochen mein “Zuhause” sein wird, kommt schon wieder die Sonne. Steil führt der Weg den Berg hoch durch den tropfenden Wald. Bei einer Quelle soll es angeblich einen Picknickplatz geben, den ich eigentlich als Biwakplatz auserkoren hatte, doch er scheint nicht mehr zu existieren. Schlussendlich gebe ich mich mit einem etwas schiefen Zeltplatz auf einer gerodeten Lichtung zufrieden. Ich habe sogar Abendsonne und kann meine Sachen noch etwas trocknen. Nur ein Tier ist unglücklich über meine Platzwahl und schreit von irgendwo her, es ist ein Röhren, ein Kläffen, ein Bellen - ich kann es nicht definieren. Da ich noch nicht aus dem Bärengebiet raus bin, kriege ich einen Riesenschreck, bis das bellende Reh durch die jungen Tännchen bricht, und ich erleichtert aufseufze. Ich wusste, dass Rehe auch bellen, aber ich habe das noch nie so gehört. Was für ein unheimliches Geräusch! Danach bleibt die Nacht aber ruhig und ich schlafe auch irgendwann tief und fest. Mein Via-Alpina-Abenteuer geht jetzt in Österreich und Italien weiter, und für die nächsten Tage ist Sonne angesagt - ich freue mich sehr!








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