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Zu Fuss durch den slowenischen Karst



Wanderlust 2021, Woche 18: 
Ich bin auf der Via Alpina! Endlich hat mein grosses Abenteuer begonnen. Ich kann es noch gar nicht richtig fassen, obwohl ich jetzt bereits eine Woche unterwegs bin. Jeden Tag freue ich mich aufs Neue, auch wenn nicht immer alles rosig ist. 


 



Am Samstag, 1. Mai fahre ich mit der Bahn von Ljubliana nach Koper (Capodistria) an der slowenischen Adriaküste. Es ist ein Feiertag in Slowenien, und der Zug ist voll, alle wollen offenbar ein Picknick am Meer machen. Die Stimmung ist ausgelassen, und in Koper angekommen, laufe ich erst mal durch die Altstadt, die mich an Venedig erinnert, und auch so riecht (irgendwie romantisch, aber heruntergekommen, modrig und nach Taubendreck). Überall gibt es Gelati und Pizza. Am winzigen Strand tummeln sich die slowenischen Familien, ein paar mutige Kinder sind sogar im Wasser. Mir ist es zu dreckig zum Schwimmen, aber eine Fusstaufe gibt es dann doch. Nach einem leckeren Espresso wende ich dem Meer den Rücken zu und mache die ersten Schritte auf dem Weg nach Monaco - oder wo auch immer diese Wanderung endet. Diese Schritte sind nicht gerade episch, erst geht es vorbei an riesigen Shopping-Malls und Fastfood-Tempeln, dann um die enorme Hafen- und Güterbahnanlage herum. Erst nach einer Stunde lasse ich die Stadt hinter mir und stapfe über Felder, durch Olivenhaine und Weinberge. Es ist warm, ja sogar richtig schwül, und ich bin froh, dass ich nicht weit zu wandern habe - für den ersten Abend habe ich mir ein Hostel gebucht. Majda checkt mich ein, ich bin der einzige Gast. Danach treibe ich in einer (vermutlich nicht ganz coronakonformen) Dorfkneipe ein paar Bier zum Mitnehmen auf, setze mich in den schönen Hostelgarten und geniesse meinen ersten Abend auf der grossen Tour, bevor ein heftiges Gewitter mich nach drinnen treibt. 





Am nächsten Tag folge ich zunächst einem selbst zusammengesuchten Weg, denn ich werde erst gegen Abend auf die eigentliche Via Alpina stossen, die ja in Triest, nur wenige Kilometer von Koper, startet. Ich laufe also den ganzen Tag mehr oder weniger in Grenznähe zu Italien. Das Küstengebirge erhebt sich gleich hinter den beiden Städten und so geht es erst mal ordentlich bergauf. In Tinian stosse ich auf einen ersten offiziellen Wanderwegweiser in Slowenien und geniesse einen schönen Ausblick aufs Meer und meinen Startpunkt. 




Tinian liegt zuoberst auf dem "Berg", als nächstes geht es gleich ins erste Tal und ännet wieder hoch - ein Phänomen, welches sich in den nächsten Stunden noch ein paarmal wiederholen wird. Das Wetter wechselt fleissig ab mit Regenschauern und Sonnenschein, doch es ist warm, daher stören mich die gelegentlichen Tropfen nicht. Ich steige ab ins Kletterparadies Osp und gleich wieder auf nach Socerb. Es geht stundenlang durch den Wald, welcher so herrlich quietschgrün ist, wie es nur in den ersten Tagen, nachdem das Laub spriesst, sein kann. Eine Wohltat fürs Auge und Gemüt. 








In Socerb steht eine eindrückliche Burg, in der sich auch ein Restaurant befindet. Da ich dringend eine Pause benötige und coronabedingt ja sowieso einen grossen Nachholbedarf an Restaurantbesuchen habe, setze ich mich auf die windgeschützte Terrasse und geniesse eine kleine, aber feine Portion Ravioli mit Limetten und Muscheln aus der Adria. 





Gut gesättigt laufe ich weiter. Ich bin nun auf dem Karstplateau, welches erst mal schön flach ist, nur durchsetzt von ein paar Karstlöchern und einer interessanten Höhlenkirche. Ich befinde mich im Partisanenland, wovon auch zahlreiche Denkmäler berichten. Einige Karstlöcher haben auch eine traurige Vergangenheit, denn sie dienten im zweiten Weltkrieg als Massengrab (wer hier wen versenkt hat, habe ich nicht verstanden). Die nächsten paar Stunden geniesse ich die Einsamkeit und die wilde, rauhe Landschaft.








Es wird langsam Abend, und ich suche mir auf der Karte einen möglichen Biwakplatz, denn in dieser Gegend gibt es weder Hotel noch Zeltplatz. Schnell werde ich fündig, fülle meinen Wassersack im letzten Dorf und marschiere weiter. Doch der Weg, der auf meiner Karte (und meinem Garmin) klar und deutlich eingezeichnet ist, verläuft sich bald und existiert nicht mehr. Mit einem Auge aufs Navi gerichtet, stapfe ich etwas verloren durch den Wald. Hier wäre mein Biwakplatz, eigentlich super, denn wer kommt hier vorbei, wenn der Weg total zugewuchert ist? Trotzdem ist mir nicht mehr ganz wohl. Dann entdecke ich etwas, was mir schon im Wald vor Socerb aufgefallen ist, damals aber noch kein Grund zur Sorge bereitete: Abgelegte Kleider, zurückgelassene Taschen, Mülltüten und leere Wasserflaschen. Es sind, wie ich von anderen Wanderern gelesen habe, die Hinterlassenschaften von Flüchtlingen auf dem Weg nach Italien. Warum sie ihre Sachen zurücklassen, und ob freiwillig oder nicht, entzieht sich meiner Kenntnis. Der Anblick macht jedenfalls traurig, betroffen, und ja, ich gebe es zu, auch etwas Angst - wenn dies eine Flüchtlingsroute ist, möchte ich hier nicht im Wald zelten. Ich schlage mich daher eilig durch die Büsche, wate durch einen Bach, bis ich an eine Strasse komme und den Wanderweg wieder finde. Nun muss ich leider noch einige Kilometer zusätzlich marschieren, denn ich befinde mich nun in der Nähe eines Grenzübergangs, der zu dicht besiedelt ist zum wildcampen. 




Endlich erreiche ich die offizielle Via Alpina! Sie führt direkt auf den nächsten Berg, wo ich sicher bin, dass sich hier keiner freiwillig abends verirrt, weder Flüchtlinge noch Einheimische, und stelle auf dem Monte Goli erstmals mein Zelt auf. Ich geniesse noch eine wunderschöne Abendstimmung bei einem Bier, welche ich von der Tanke an der Grenze mitgebuckelt habe, und meine selbstgebastelte Trekkingmahlzeit, Pilznudeln, die definitiv noch Optimierungspotenzial hat. 






In der Nacht beginnt es zu regnen und es gibt einen Temperatursturz - während ich abends noch gemütlich draussen sass, friere ich morgens um fünf erbärmlich in meinem Schlafsack. Weil es auch schon fast hell ist, fackle ich nicht lange, packe meine nassen Sachen ein und marschiere los, das gibt warm. Der Wind ist ein Sauhund heute, er pfeift mir eisig um die Ohren. Ich habe die vage Hoffnung, bei der nächsten Berghütte vielleicht einen Kaffee zu bekommen, doch diese ist verlassen. Viele slowenische Hütten sind nur am Wochenende bedient und in einigen kann man gar nicht übernachten. Dies ist so eine. Etwas verschnupft koche ich mir unter dem Vordach der Hütte mein armseliges  Frühstück (Porridge und türkischer Kaffee) und hoffe auf  baldige Wetterbesserung. Als es beim Abstieg ins Tal endlich aufklart, sehe ich, dass es tief hinunter geschneit hat - ich bin dem Schnee nur knapp entkommen. 




Im Tal finde ich endlich einen offenen Supermarkt und kann mir Brot, Käse und den feinen Karstschinken kaufen. Sehr lecker! Am Nachmittag scheint auch die Sonne wieder. Ich erreiche Skocjan, eine Art Freilichtmuseum zur über- und unterirdischen Karstlandschaft. Hier gibt es einen Einbruch in der Karstoberfläche, und man kann die unterirdischen Gänge, die das Wasser nimmt, durchwandern - normalerweise. Denn es herrscht ja immer noch Pandemie und alles ist geschlossen. Nur der oberirdische Rundweg ist offen, der ein Teil der Via Alpina ist. So komme ich immerhin in den Genuss dieses phantastischen Anblicks. 







Auf einer Infotafel steht, dass der Karsteinbruch so tief ist, dass man locker die ganze Cheops-Pyramide reinstellen könnte. Imposant! 
Für heute abend habe ich mir ein Hotel gebucht, nach der anstrengenden Etappe gestern möchte ich mir etwas Gutes tun. Abends geniesse ich ein fantastisches Mahl im Hotelrestaurant, und man offeriert mir den besten Grappa meines Lebens (wobei ich da keine Kennerin bin). Er kommt offenbar aus Istrien - mehr habe ich nicht verstanden. 




Am nächsten Morgen muss ich zunächst wieder zurück auf die Via Alpina finden und dabei eine Überquerung der Autobahn suchen - gar nicht so einfach für Fussgänger, und auch nicht sehr malerisch. Doch dabei stolpere ich über diese fantastische Wildblumenwiese, eine schöne Belohnung für einen sonst eher lästigen Start in den Wandertag.




Dieser Wandertag ist eigentlich ganz unspektakulär, er führt mehr oder weniger einer Stromleitung entlang durch die Wälder, oft ist die Autobahn in Hörweite. Trotzdem finde ich ein paar Schönheiten am Wegrand, und der quietschgrüne Maiwald ist wunderschön. Da es ziemlich flach ist, komme ich auch gut voran. Bei der Znünipause erblicke ich bereits den Nanos, der erste Berg über 1000 Meter auf der Via Alpina. 



Mein Ziel ist ein Campingplatz am Fuss des Nanos. Doch er liegt genau neben der Autobahn, und ich kann mir nicht vorstellen, wie man hier schlafen soll im Zelt. Daher bin ich im ersten Moment gar nicht traurig, als ich feststelle, dass der Zeltplatz noch geschlossen ist. An einer Quelle fasse ich Wasser und marschiere zackig weiter, nur weg von dem Lärm. Die Via Alpina würde hier auf den Nanos steigen, dann aber auf der gleichen Talseite wieder herunterkommen. Also Höhenmeter völlig umsonst, und den ganzen Aufstieg direkt über der Autobahn? Nein, danke. Es wird noch genug Berge geben auf dieser Tour. Ich wähle die direkte Route nach Norden und will mich abends irgendwo im Wald in meinem Zelt niederlassen. Schon eine Stunde später ist der Strassenlärm kaum mehr zu hören. Ich durchquere ein paar verschlafene Weiler, in welchen jeweils ein Radau aus Hundegebell ausbricht, sobald ich auftauche - auch wenn ich keine Menschen sehe, so hat sicher jeder mitbekommen, dass ich (bzw. ein Wandermensch) vorbeistiefle. 





Ich tauche in den Wald ein, den ich mir auf der Karte als Biwakplatz ausgesucht habe. Doch wieder läuft es nicht nach Plan. Erstens entdecke ich am Waldeingang ein Schild, welches mir gleich Kopfkino bereitet:



Falls nicht erkennbar, da ist ein verblichenes Bärchen und ein Velo drauf. Ich wusste natürlich, dass es in Slowenien Bären gibt, aber ich hatte das bis zu dem Moment erfolgreich verdrängt. Danke für die Erinnerung... Ich versuche, ruhig zu bleiben. Schliesslich ist ein Velo abgebildet, kein Wanderer. Das heisst logischerweise, dass die Bären nur Biker fressen, oder? Irgendwie gelingt es mir nicht, mich zu beruhigen. Nun wird der Wald auch noch dunkel und bedrohlich, er ist völlig zugewuchert. Gleich kommt ein White Walker oder ein Dementor zwischen den Bäumen hervor. 




Die menschliche Psyche ist ein Wunderding. Ich liebe es, wild zu zelten, bis es Nacht wird - dann fürchte ich mich bei jedem Ameisenfurz. Auf einer Reise brauche ich (immer wieder) mehrere Nächte im Zelt, bis ich mich an die Geräusche der Nacht gewöhnt habe. An diesem Abend laufe ich weiter, bis der Weg den Wald verlässt und finde am Waldrand ein lauschiges Plätzchen für mein Zelt. Nachts wache ich jedoch mehrfach auf, weil ich die Hunde im nahen Dorf bellen höre - jedes Mal bilde ich mir ein, das Gebell käme immer näher, obwohl ich natürlich weiss, dass das Unsinn ist. Irgendwann stopfe ich mir Oropax rein. Kaum wird es hell, entspanne ich mich, und könnte jetzt natürlich herrlich schlafen. 









Es bricht ein herrlicher Morgen an, ein bisschen Nebel liegt noch über den Feldern im Tal. Ich geniesse den Sonnenaufgang bei einer Tasse Kaffee, bevor ich alles zusammenpacke und losmarschiere. Mein erstes Ziel ist die Höhlenburg in Predjama. Leider ist auch hier alles geschlossen, doch der Anblick ist auch von aussen toll. Vor dem Eingang koche ich mir mein zweites Frühstück und geniesse die Aussicht. 





Leider gibt es hier kein Wasser, und nun geht es in die Hügel, für eine Weile ist keine Zivilisation in Sicht. Ausserdem zieht es urplötzlich zu, der Himmel wird bleigrau und die Temperaturen sacken ab. Das hat den Vorteil, dass ich kaum schwitze, denn ich steige nun langsam aber stetig auf den Javornik auf 1100m auf, dadurch brauche ich kaum Wasser. Doch der Weg ist weit, die Füsse tun mir weh, aber pausieren ist irgendwie ungemütlich. Der Wind wird immer kälter. Ich hoffe, das Wetter hält bis zur Javornik-Hütte. Auch diese Hütte ist verlassen, doch ich hatte auf einen Unterstand zum Biwakieren oder eine Art Winterraum gehofft, wie es sie bei unseren SAC-Hütten gibt, denn es ist starker Regen angesagt für die Nacht. Doch nichts dergleichen ist zu sehen. 



Der Wind ist mittlerweile so eisig, dass ich vom kurzen Anhalten schon fast einfriere. Daher ziehe ich schweren Herzens weiter, obwohl ich schon hundemüde bin. Glücklicherweise komme ich gleich hinter der Hütte in den Windschatten des Bergs Javornik, und die Temperaturen werden erträglich. Auf glühenden Füssen und schweren Beinen erreiche ich das Dorf Crni Vrh. Hier soll es angeblich zwei Unterkünfte geben, doch beide sind "ZAPRTO" - geschlossen. Ein Wort in meinem mickrigen Slowenisch-Wortschatz, welches mir leider oft begegnet. Was tun? Ich wärme mich kurz im Supermarkt auf, setze mich dann mit einem Bier auf den Dorfplatz und bedaure mich selbst. Ich komme mir vor wie ein Penner, und auch ein bisschen ein Weichei. Mir war ja sehr wohl bewusst, dass es noch früh in der Saison ist, es nicht immer super Wetter sein wird, und ich auch bei Regen zelten kann - meine Ausrüstung ist dafür ausgelegt. Es macht halt nicht so wahnsinnig viel Spass.




Schweren Herzens stapfe ich weiter, bevor der Regen kommt, will ich einen Zeltplatz haben. Nur etwa ein Kilometer hinter dem Dorf erblicke ich ein schönes Plätzchen, sichtgeschützt und dennoch nicht im tiefsten Dickicht. Rasch steht das Zelt, und ich schaffe es sogar noch, meine selbstgebastelte Trekkingmahlzeit (Couscous mit getrockneten Tomaten, Knoblauch, Zwiebeln, Oregano, Parmesan und Olivenöl - definitiv meine Lieblingsmahlzeit bisher!) zu kochen, bevor es anfängt zu tröpfeln. Dann öffnet der Himmel alle Schleusen, es bricht ein Gewitter los, dass mir die Ohren wackeln. Die ganze Nacht giesst es in Strömen, und als der Morgen graut, beginnt es zu graupeln. Glücklicherweise hält mein Zelt dicht, doch es spritzt von unten hoch und feuchtet alles ein. 



Graupel vor dem Zelt am Morgen


Das Einpacken wird definitiv zum logistischen Kunststück, wenn das Wetter alles gibt. Zwar kann ich recht viel im Zelt einpacken, inklusive (mit etwas Verrenkungen) mich selbst in alle Regensachen hüllen, doch das Zelt selbst muss im tropfnassen, mit einer Eis-Graupelschicht bedeckten, Zustand eingepackt werden - mir frieren schon die Finger ab, bevor ich losmarschiert bin. Es ist zum Glück eine recht kurze Etappe bis nach Idrija, wo es Unterkünfte gibt, die offen haben. Doch die Wege sind überschwemmt, schlammig und rutschig, und so wird die eigentlich kurze Wanderung doch noch anstrengend. 




Endlich erreiche ich Idrija, trotz Goretex, Dyneema und was weiss ich für wetterfeste Materialien, völlig verfroren und ziemlich nass. Kaum bin ich da, hört es auf zu regnen - typisch. Doch nicht lange, geht es wieder los. In den Bergen schneit es bestimmt, die Temperatur ist noch etwa 4 Grad. Ich freue mich über meine geheizte Ferienwohnung und beschliesse spontan, einen Ruhetag einzulegen. Eine weise Entscheidung, denn auch heute giesst es den ganzen Tag in Strömen. So sitze ich warm und kuschelig in meinem Apartment, kann mir was Leckeres brutzeln, auf der Couch fläzen und in der einen Stunde, in der es nicht regnet, kurz durch Idrija spazieren. Meine Sachen sind wieder trocken, meine Vorräte sind aufgestockt, morgen kommt die Sonne wieder - es kann weitergehen in die Berge!








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