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La Gomera-Umrundung, Teil II

Wanderlust 2021, Woche 5: Es ist Sonntag, der 31. Januar, ich starte im Valle Gran Rey auf die zweite Hälfte meiner Inselumrundung. Noch liegt das enge Tal im Schatten und ist angenehm kühl. Hier treffe ich erstmals auch auf andere Wanderer und unterhalte mich die ersten paar Kilometer mit einer Deutschen, die sich ebenfalls eine Auszeit nimmt und diese wandernd auf den kanarischen Inseln verbringt. Bald zweigt mein Pfad ab und es geht steil im Zickzack die fast senkrechte Talwand hoch.



 Ich erreiche den Bergrücken und steige gleich ins nächste Baranco ab, doch glücklicherweise kann ich dort einer alten Wasserleitung folgen und somit sanft und fast ohne Anstrengung nach Chipude, meinem Tagesziel, aufsteigen. Hier stehen die Mandelbäume in voller Blüte, und trotz vieler alter Terrassen und Wasserleitungen scheint dieses wunderschöne Tal völlig verlassen. Nur zwei eingestürzte Hütten zeugen davon, dass hier mal jemand versucht hat, dieses Paradies zu bewohnen.



 In Chipude, einem beschaulichen Bergdorf auf 1100 Meter, geniesse ich den Abend auf meiner sonnigen Hotelterrasse mit Ausblick auf La Fortaleza, einen ikonische Lavaformation, bevor ich mir im Restaurant einen deftigen Teller Albondigas (spanische Fleischbällchen) gönne.



Der Montag wird wieder eine kürzere Etappe, ich wandere durch ein paar Bergdörfer und zur Abwechslung hoch über den Barrancos, anstatt sie zu durchqueren, bis nach Imada.



Das Dorf Imada liegt abgelegen mitten in einem tiefen Canyon, sehr malerisch, es wirkt jedoch wie ausgestorben. Es gibt nur eine winzige Bar, die Sandwiches und eine Suppe anbieten. Doch zur Bar gehört eine verfressene und liebesbedürftige Katze, welche mich vom mageren Angebot ablenkt und mein Abendessen mit mir teilt. Sobald die Sonne hinter dem Berg verschwunden ist, trifft sich die Dorfjugend auf dem winzigen, abschüssigen Platz vor der Bar zum Fussballspielen - das will gekonnt sein, denn der Ball rollt gnadenlos talwärts. Währenddessen füllt sich die Bar mit den Einheimischen für den abendlichen Schwatz und Schnaps.



Auch das Hotel ist verlassen, ich erhalte den Schlüssel über einen Schliessfach-Code, den mir die Besitzerin am Telefon mitteilt. Dies ist nicht der einzige Ort in diesem Urlaub, an welchen ich die Besitzer nie sehe. Die Corona-Pandemie erfordert so einiges an Kreativität der Hotel- und Apartment-Besitzer, um möglichst wenig Kontakt zu haben. In der Regel klappt das auch ganz ausgezeichnet, so auch heute. 





Am nächsten Tag nehme ich es gemütlich, denn auch die heutige Etappe ist kurz, dafür ausserordentlich spektakulär. Der Weg führt mitten durch den Canyon, oft abenteuerlich in die steilen Felswände gehauen.



 Die letzten Kilometer sind zur Abwechslung flach, dafür auf der Strasse bis nach Playa S. Domingo. Hier erhoffte ich mir ein letztes Bad im Meer, doch der Ortsname ist ein Witz - der "Strand" besteht wieder aus groben Kieseln und ist eher schmuddelig. Zum Baden sollte man wirklich nicht nach La Gomera reisen. Dafür geniesse ich ein tolles Meeresfrüchte-Gericht und höre die ganze Nacht die Wellen rauschen. 





Die letzte Wander-Etappe nach San Sebastian nehme ich früh in Angriff, denn sie  ist lang und es gibt gemäss Karte keine Zivilisation dazwischen. 




Der Wanderweg führt durch zahlreiche Barrancos und bis zum Mittag habe ich bereits unzählige Höhenmeter absolviert, jedoch erst ein Drittel des Weges geschafft. Das nächste Barranco ist zu felsig, um es zu queren,  also führt der Weg drum herum - das bedeutet, weit ins Landesinnere bergauf laufen, dann auf der anderen Seite wieder runter. Irgendwo treffe ich ein paar andere Wanderer, die offensichtlich auch mit schwererem Gepäck unterwegs sind. Sie sehen nudelfertig aus, und als ich vorsichtig frage, wie lange sie von San Sebastian gebraucht hätten, meinen sie nur, dass sie da gestern aufgebrochen wären... So langsam fürchte ich, ich werde erst um Mitternacht ankommen, denn auch ich bin bereits recht erschöpft, und ich habe gerade erst die Hälfte des Weges geschafft. Plötzlich stehe ich vor einem Abgrund: vor mir liegt ein Barranco, so tief wie der Gran Canyon scheint er mir. Verzweifelt erkenne ich, dass der Weg ganz nach unten und auf der andern Seite ebenso steil wieder hoch klettert. Das sind mindestens 500 Höhenmeter! 



Der Anblick ist spektakulär, trotzdem treibt mir der Gedanke, dass ich hier durch muss, fast die Tränen in die Augen. So viele unnötige Höhenmeter! Doch die fantastischen Kakteen und Felsbänder in allen Farben lassen mich die Mühen bald vergessen. Unten angekommen, realisiere ich, dass der Weg, den ich gesehen habe, nicht meine Route ist, und ich wenigstens nicht alles wieder hochsteigen muss.




 Zwar folgen noch viele weitere Canyons, die ich durchqueren muss, doch langsam nähere ich mich meinem Ziel. 



An einem weiteren Kieselstrand, nun bereits in Spaziernähe zu San Sebastian, hat jemand einen Selbstbedienungs-Kaffeestand aufgestellt, der kommt wie gerufen. Was für eine tolle Idee! Während ich einen extrastarken Cafecito geniesse, beobachte ich ein riesiges Segelschiff draussen in der Bucht. 



Die letzten Wanderkilometer auf La Gomera vergehen wie im Flug, und plötzlich stehe ich wieder auf der Plaza de las Americas. Ein grosses Kachelwerk erklärt auch den Grund dafür: San Sebastian de La Gomera war der letzte Zwischenhalt  von Christoph Kolumbus und seinen Mannen, denn die Schiffe Pinta und Niña mussten repariert werden vor der Entdeckung Amerikas. Man trifft überall in San Sebastian auf seine Spuren - angeblich hatte er sogar eine heisse Affäre mit der Witwe des Inselkommandanten und kehrte daraufhin auf seinen weiteren Reisen immer wieder nach La Gomera zurück. 



Bevor ich nachhause fliege, geniesse ich noch einen regenreichen Ruhetag in San Sebastian, dann setze ich mit der frühen Fähre über nach Teneriffa, von wo aus ich heimfliege. Den letzten Ferientag geniesse ich in einem Cabana auf dem Campingplatz Montana Roja gleich neben dem Flughafen Tenerife Sur (dank Corona kein Problem, es gibt  nur  ganz wenige Flüge). Hier gibt es einen richtig schönen, einsamen Sandstrand und ich mache sogar noch eine kleine Wanderung auf die Montana Roja, den passend benannten roten Berg. Seine Felsen sind ganz rot und bieten einen schönen Kontrast zum schwarzen Sandstrand. Leider regnet es fast den ganzen Tag, doch dafür geniesse ich ein paar spektakuläre Wolkenbilder am Abend (und am nächsten Tag einen kurzen Blick auf den frisch eingeschneiten Teide vom Flieger aus). 






Obwohl sich der Camping keine 2 km vom Check-In befindet, liegen doch zahlreiche Zäune und vor allem die Landebahn dazwischen. Meine ursprüngliche Idee, zum Flughafen zu wandern, lasse ich daher fallen und lasse mich von einem Taxi chauffieren - und lande dabei im ersten Verkehrsstau in diesem Urlaub, was ich irgendwie recht amüsant finde. 

Während ich auf das Boarding warte, kommt eine Dame vom hiesigen Verkehrsbüro und fragt, ob ich ihr zwecks statistischen Gründen ein paar Fragen beantworten wolle. Klar, ich hab ja nix besseres vor. Leider stösst ihre Befragung schnell an Grenzen, als sie feststellt, dass ich viel länger als der Durchschnittstourist hier war, fast nur zu Fuss oder per Fahrrad gereist bin, und ohne Campervan auf dem Campingplatz war, dafür aber mit dem öffentlichen Bus fuhr. Entsprechende Auswahlmöglichkeiten gibt es auf ihrem Tablet gar nicht. Wir nehmen es beide mit Humor. Der Flug ist entspannt, obwohl eine "Masken-Expertin" einen ganz furchtbaren Terz macht, weil einige Passagiere ihre Maske nicht richtig angezogen haben, und sie keine zwei Kilometer Abstand zu ihnen halten kann. Ich bewundere mal wieder das diplomatische Geschick der Flugbegleiterinnen, die diese Situation super meistern, welche doch recht viel Eskalier-Potenzial hat. Ich geniesse jedenfalls meinen Fensterplatz und bestaune das Atlas-Gebirge sowie Ausläufer der Sahara (inklusive ganz viel Saharastaub) von oben im schönsten Abendlicht, dann einen fantastischen Sonnenuntergang über den Balearen, wo ich letztes Jahr gewandert bin. Kurz darauf landen wir in Zürich, und wenig später trudle ich daheim ein - ich freue mich bereits auf Sven und die Katze, welche mir in meiner Quarantäne gute Gesellschaft leisten wird auf der Couch.

 

 

 

 

 

 


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