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Isfahan, nesf-e jahan - die halbe Welt


 


 

In Isfahan angekommen stellen wir fest, dass es südlicher im Iran nicht weniger Verkehr hat als in Täbris, und gefahren wird auch hier nach dem Motto: der Stärkere zuerst. Die Verkehrspolizei sitzt zwar in ihrem Kabäuschen an der riesigen Kreuzung gleich bei unserem Hotel, aber ausser Tee trinken und uns freundlich zuwinken tun sie nicht viel. Die zahllosen Motorräder, oft mit ganzen Familien (natürlich alle ohne Helm) besetzt, die Autos ohne Licht und Blinker und die Lastwagen mit soviel Lichtli und Hupen, dass sie aussehen wie Christbäume, rumpeln ungeschoren vor den Augen der Polizei bei Rotlicht über die Kreuzung. Wir lernen schnell dazu und tun es ihnen gleich. Ganz gemäss dem Tipp in unserem Reiseführer: überquere die Strasse immer zusammen mit einem Einheimischen, aber sorg dafür, dass der Einheimische zwischen dir und dem Verkehr ist ;-).
Isfahan ist die grösste Touristenattraktion im Iran (obwohl wir manchmal das Gefühl haben, allein durch unsere Gegenwart den fantastischen Moscheen und Palästen die Show zu stehlen, so sehr werden wir angestarrt, frenetisch begrüsst und abgeknipst). Die meisten Touristen kommen aus dem Iran selber, nur wenige Ausländer sind zu sehen. Das ist das Schöne am Reisen im Iran: es gibt hier so fantastische Bauwerke und kulturelle, historische Highlights, dennoch ist es nicht von Touristen überlaufen (in jedem anderen Land würde man stundenlang anstehen, um solche Paläste und Moscheen zu besuchen).

Isfahan war mir seit meiner Teenager-Zeit ein Begriff, als ich den “Medicus” von Noah Gordon verschlang. Die fantastische Reise des jungen Baderchirurgen Rob aus London bis ins ferne Persien, um bei dem berühmten Ibn Sina in Isfahan Medizin zu studieren, hatte bei mir damals einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Natürlich hat sich seither viel verändert in Isfahan, dennoch bietet die Stadt viele schöne Orte, die einem zurück in eine mittelalterliche Welt transportieren. Auch hier gibt es einen riesigen Basar, in dem man am besten mit Kompass navigiert (oder auf gut Glück spaziert und irgendwann erleichtert wieder “ausgespuckt” wird). Es gibt die üblichen Teppiche und Kunsthandwerke zu kaufen, aber auch ganz alltägliche Dinge wie Klamotten, Schuhe, Nahrungsmittel. Wir haben Glück und treffen auf Anhieb den “richtigen” Ausgang, nämlich auf den Königsplatz (seit der iranischen Revolution auch Imam Square genannt), den zweitgrössten Platz der Welt - nur der Tiananmen-Square in Peking ist grösser. Er ist von unzähligen Arkaden und wunderschönen Toren umgeben. Durch eines der schönsten sind wir gerade gekommen, das Eingangstor zum Basar.


Am andern Ende des Platzes, über 500 Meter entfernt, erhebt sich die Imam-Moschee mit ihren blauen Kuppeln und Minaretten. Tausende von blau bemalten Kacheln verzieren das Eingangstor, die Kuppeln und Iwans (seitliche Bögen). Wir schlucken unsern Ärger über die exorbitanten Eintrittspreise für Ausländer (fast das Zehnfache dessen, was die Einheimischen zahlen) schnell runter, denn im Innern ist die Moschee noch viel schöner als von aussen. Ausserdem kriegen wir ja auch zehn statt nur ein Ticket ausgehändigt, es geht ja alles mit rechten Dingen zu hier ;-). Zwar ist die Hälfte der Kuppel eingerüstet (wie wohl so jedes schöne Bauwerk dieser Welt), aber eindrücklich ist es trotzdem. Unter der grossen Kuppel ist am Boden ein schwarzer Stein eingelegt. Wenn man sich darauf stellt, und auch nur das kleinste Geräusch macht, kann man das Echo 7-fach hören, so komplex ist die Kuppel gebaut. Faszinierend! Wissenschaftler behaupten, das Echo könne bis zu 49mal gehört werden, jedoch nicht mehr vom menschlichen Ohr. Wie dem auch sei, wir kommen in den spontanen Genuss eines wunderschönen Muezzingesangs eines der Wärter, der sich auf den Stein unter der Kuppel stellt und singt. Die Gebetshallen sind ebenfalls fantastisch, jede Kuppel ist anders “geplättelt”. Ich lege mich auf den Boden und betrachte die fantastische Decke, da ist man im wahrsten Sinne platt!


Sven hat beim Eintritt der Moschee seine Schuhe ausgezogen, nicht weil man es hier müsste – es ist hauptsächlich ein Museum – sondern, weil die Steinplatten so schön kühl sind. Ein paar Religionsstudenten, die aussehen wie Mullahs, mit wallenden Gewändern und Turbanen, fragen ihn ganz interessiert, wieso er dies tue, und laden uns zum Tee ein. Ich bin ein bisschen skeptisch und befürchte eine Bekehrungs-Session im Hinterhof, aber die beiden wollen sich einfach nur unterhalten. Es wird Tee aufgetischt, geplaudert und am Schluss zücken die beiden ihre Handys, um uns zu fotografieren. Wir ziehen natürlich gleich nach! Zum Abschied kriegen wir dann doch noch eine Broschüre über den schiitischen Islam in die Hand gedrückt, doch das ist ok – wir sind froh, haben sie ein paar unserer Fragen zum Thema Schiiten und Sunniten, Imam-Schreine und iranische Heiligtümer beantwortet.


Zum Sonnenuntergang fahren wir zum Fluss, dem Zayanderud, der zwar im Sommer ausgetrocknet ist, die zahlreichen Pedaloboote, die am Ufer Staub fangen, lassen aber darauf schliessen, dass doch ab und zu noch Wasser fliesst. Wir kommen aber nicht wegen einer staubigen Pedalo-Ente, sondern um die vielen, uralten Brücken zu sehen, die den Fluss überspannen und autofrei sind. Besonders die 33-Bogenbrücke ist sehr malerisch.


Am Flussufer sitzen die jungen Leute im Gras, trinken Tee, rauchen Wasserpfeife und flirten miteinander. Auch unter den zahlreichen Bögen der Brücken sehen wir Pärchen, die scheu Händchen halten. Früher gab es unter den Brückenbögen zahlreiche Teestuben, die bei Jungen und Mädchen beliebt war, denn hier konnte man sich mit dem andern Geschlecht treffen und zusammensitzen. Heute sind alle geschlossen, angeblich “schaden sie den historischen Monumenten”, aber dahinter steckt die strenge Sittenpolizei, die in der Ära Ahmedinejad, dem letzten iranischen Präsidenten, viel konservativer geworden ist. Viele junge Frauen klagen mir ihr Leid dieser Tage, wie streng die Regeln seien: zu viel Haar sichtbar unter dem Kopftuch, zu viel Schminke, zu hohe Absätze, zu offene Schuhe, Sonnenbrille aufgesetzt, zu enge Hosen, zu kurze Mäntel... und natürlich die Tatsache, dass sich keine Frau im Iran mit einem Mann blicken lassen kann, der nicht ihr Verwandter oder Ehemann ist. Einen “boyfriend” können die Mädels nur heimlich sehen, oft ohne Wissen der Eltern und nur in einigen Parks, wo die Polizei bekannterweise nicht hingeht. Wenn die Polizei sie erwischt, werden sie getrennt und müssen von den Eltern abgeholt werden (oh, wie peinlich!). Und wehe dem, sie tanzen, das geht ja gar nicht! Mir tun die Mädels hier leid, andrerseits bewundere ich sie auch für ihren Mut, sich nicht einschränken zu lassen. Zwar stellen wir im Verlauf unseres Iranbesuchs fest, dass die meisten Familien (auch Brüder und Väter) die Verschleierung der Frauen gar nicht gut finden, und die meisten laufen zuhause ganz normal rum, in T-Shirts und ohne Kopftuch, auch wenn fremde Männer (z.B. Sven) zu Besuch sind. Sobald sie das Haus verlassen, müssen sie sich aber bedecken, dies gilt auch in Schulen und Universitäten (die geschlechtergetrennt sind) oder beim Sport. Dennoch treffen wir täglich Frauen, jung oder alt, die dem Schleierzwang und der Benachteiligung zum Trotz eine erfolgreiche Unikarriere absolvieren (noch selten habe ich innert kurzer Zeit so viele weibliche PhDs in Naturwissenschaften getroffen!), die Sportkarrieren hinlegen, dass ich mir wie der schlimmste Couchpotato vorkomme (wir treffen ein iranisches Frauenfussballteam am Busbahnhof und übernachten bei einer nationalen Karatemeisterin) und die mit Kopftuch und Mantel durch die Pampa wandern und grinsend mit schlammbespritzen Hosenbeinen zurückkehren.


Wir kehren zurück zum Königsplatz, der nun im Dunkeln so richtig auflebt. Familien picknicken auf jedem freien Flecken, Pferdekutschen galoppieren (!) mit Touristen um den Platz und wir schlendern mittendurch und geniessen die schön beleuchteten Arkaden. Wir kommen nur langsam voran, denn alle paar Meter werden wir angehalten: “Hello, whats your name? Where are you from? Do you like Iran? Can I take your picture? I need to talk to you, I want to practise my English!” Obwohl die Gespräche manchmal anstrengend sind (oft hat sich das Vokabular nach obigen Fragen bereits erschöpft) und wir immer dasselbe wiederholen müssen, ergeben sich doch ein paar nette Gespräche. Man braucht eine gehörige Portion Geduld und Humor im Iran! Erst spät am Abend schaffen wir es noch, eine Fastfoodpizza zu inhalieren und todmüde ins Hotelzimmer zurückzukehren.


Am nächsten Tag besuchen wir die Freitagsmoschee, die ebenfalls mit wunderbaren Plättli und tollem Mauerwerk beeindruckt. Wir treffen zwei neuseeländische Touristinnen, beides ältere Semester, die uns erzählen, wie sie als junge Frauen vor 40 Jahren bereits hier waren und damals das Land noch ohne Schleier bereisen konnten, zudem durch das damals unter Hippies beliebte Afghanistan und Pakistan reisten. Das waren noch Zeiten...


Bei unserem Besuch des “Palasts der 40 Säulen” (eigentlich sind es nur 20, aber der Pool davor spiegelt weitere 20) werden wir von einer Horde Schülerinnen überfallen, und die Lehrerin insistiert, dass jedes Mädchen seine vorbereiteten Fragen an uns stellt, um ihr Englisch zu praktizieren. Dieser Überfall, offensichtlich von langer Hand geplant, scheint eine beliebte Taktik der Englischlehrerin zu sein (so a la: “Also Mädels, heute gehen wir doch mal wieder in den Park und üben die gelernten Vokabeln an einem Lebendobjekt. Diejenige, welche die ersten Touristen fängt, kriegt keine Hausaufgaben!”). Es wird dann aber doch noch ganz lustig, vor allem, als die Girls zu schubsen anfangen, wenn es darum geht, mit Sven fotografiert zu werden.


Etwas zerzaust stehen wir endlich wieder alleine da und können die Besichtigung fortsetzen. Wir bestaunen die Säulenhalle, die mit Spiegeln verzierte Decke, die tollen Malereien im Innern (die von einer liberaleren Zeit, was die Frauenbekleidung und den Wein betrifft, erzählen). Am meisten aber geniessen wir den persischen Garten. So wenig Grün haben wir in letzter Zeit zu sehen bekommen, dass es ein richtiger Genuss ist, unter Bäumen zu sitzen! Im Teehaus des Museums treffen wir noch eine nette Familie aus Teheran und zwei Holländer mit afghanischen Wurzeln, die gerade einen Backpacker-Trip ins Heimatland gemacht haben, und nun durch den Iran reisen. Da sie fliessend Farsi sprechen, haben sie natürlich viele Vorteile, nicht nur bei den Einheimischenpreisen.


Am nächsten Morgen fahren wir mit den Velos raus aus der Stadt zu einem zoroastrischen Feuertempel. Der Zoroastrismus https://de.wikipedia.org/wiki/Zoroastrismus  ist eine monotheistische Religion, die viel älter ist als der Islam. Leider ist vom Feuertempel nicht mehr viel zu sehen, aber die Aussicht vom steilen Hügel über die Stadt entschädigt für die Mühen. Auf dem Rückweg sehen wir noch ein paar alte Taubentürme aus Lehm und treffen ein paar Jungs, die uns zum Wasserpfeifenrauchen einladen, uns stolz ihren Paykan vorführen (so was wie der iranische Trabbi https://de.wikipedia.org/wiki/Paykan) und mit Sven ausgelassen tanzen.


Den Nachmittag verbringen wir im armenischen Viertel, besichtigen eine Kathedrale, ein armenisches Kirchenmuseum und trinken endlich mal wieder guten Kaffee (die Iranis trinken lieber Tee...).


Nach den anfänglichen Tieffliegern entdecken wir auch ein paar kulinarische Highlights:
- echte persische Küche in "Grandmas Table", wo es keinen Fastfood, sondern nur tolle Hausmannskost gibt: Köfte, Auberginenmus, leckeren Karamboloreis (Reis mit Kraut und winzigen Fleischbällchen - tönt komisch, schmeckt aber gut!)
- die frischen Säfte hab ich bereits erwähnt, aber dass hier Rüeblisaft mit einer  Art Butter-Milch-Glace gemischt wird - der Himmel!
- zum Frühstück gibts Rüeblikonfi aufs Fladenbrot.
- feine Schoggi, eine Lindt-Kopie, die sich schon fast schweizerisch nennen darf
- leckere Muffins und Glaces
- Fereni, so etwas wie Milcheis, und Reisnudelglace mit Rosenwasser
- Sambusas (Samosas)
- Leberspiesschen mit Zwiebeln und Limetten, dazu Knoblauchjoghurt


Am nächsten Morgen brechen wir auf nach Shiraz, mit den Fahrrädern. Doch davon ein andermal!

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