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"Welcome to Iran!" oder: das Kreuz mit dem Kopftuch

 


 

Kayseri, Kappadokien: wir stehen voller Erwartung am Bahnhof und warten auf den Transasien-Express, der uns in den Iran bringen soll. Uns wird bald klar, dass die meisten Mitreisenden Iraner sind, kaum Türken und Touristen. Viele Frauen tragen modische Kleider, hautenge kurze Röcke, Blusen mit Ausschnitt, keine trägt ein Kopftuch ausser ein paar Omis. Die Haare und Fingernägel sind bunt gefärbt, die Schuhe haben Absätze, dass es einem schwindlig wird. Keine Frage, die Iranerinnen genießen die modischen Freiheiten in der Türkei! Ich bin gespannt, wie sie sich dann alle verwandeln werden an der Grenze.
Die Gepäckaufgabe verläuft ziemlich chaotisch: erst kriegen unsere Räder ein Nümmerli und werden auf unsern Tickets vermerkt, verladen müssen wir es dann aber doch selber in den Gepäckwagen. Als der Zug eintrifft, geht das Chaos los: Dutzende Männer stürmen den Gepäckwagen und hieven die gigantischen Koffer und Tüten ihrer Angehörigen hinein. Drin liegt alles drunter und drüber, gleich am Eingang stapeln sich die Taschen schulterhoch, während hinten noch alles frei ist. Dort sollen unsere Velos hin, na toll! Ich kletterte mal rein, Sven hievt die Velos in den Zug. Ich nehme sie entgegen und zerre sie irgendwie über hunderte von Taschen ganz nach hinten und zurre sie dort fest. Hinter mir werden fleissig weiter Taschen gestapelt. Als ich mich wieder raus kämpfe, lachen alle, doch helfende Hände ziehen mich nach draussen. Schweissgebadet und total mit Karrenschmiere eingesaut, finden wir unser Abteil, welches für die nächsten 24 Stunden unser zuhause sein wird. Wir teilen das Abteil mit Ismael. Er kommt aus Shiraz und kann zum Glück etwas türkisch, da er als Schneider in Istanbul arbeitet. So klappt die Verständigung einigermaßen und wir lernen die ersten Worte auf Farsi, der Landessprache des Iran.
Im Speisewagen genießen wir, zusammen mit andern Touristen, das letzte Bier für lange Zeit, bevor wir uns schlafen legen. Am nächsten morgen befinden wir uns bereits in Ostanatolien, der Zug windet sich gemächlich durch die bergige Landschaft. Die Bezeichnung "Express" wird hier eher im weitesten Sinne verwendet. Wir nutzen die Zeit, weiter Farsi zu lernen und mit Reza zu plaudern, der gut englisch kann. Von ihm erfahren wir viel über den Iran. Er lädt uns auch gleich in sein Abteil zum Tee trinken ein.
Abends treffen wir in Tatvan ein. Hier endet die türkische Bahnlinie, wir steigen in die Fähre über den Vansee. Fünf Stunden tuckern wir über den riesigen See. Die meisten Iraner machen es sich auf Decken auf dem Oberdeck bequem und tun das, was Iraner offenbar am liebsten tun: sie picknicken. Wir sind eine kleine Attraktion, denn irgendwie hat sich schon herumgesprochen, dass wir die zwei verrückten Suisi-Almans mit den Velos sind. Alle wollen mit uns plaudern, auch viele Frauen sprechen uns an. Ich freue mich riesig, sie sind viel direkter als in der Türkei. Eine junge Iranerin namens Parisa übersetzt die Fragen ihrer ganzen Familie. Sie sind neugierig, wieso wir in den Iran wollen, wohl wissend um das schlechte Image, das ihr Land in der westlichen Welt hat. Viele sind auch sehr kritisch ihrer eigenen Regierung gegenüber, bemängeln die Isolation, der das iranische Volk dadurch ausgesetzt ist. Iraner können z.b. nur in die Türkei visumsfrei einreisen.
Als die Sonne über dem Vansee untergeht, wird auf dem Schiff gesungen und getanzt, es ist wie ein Festival.
Nachts um 10 Uhr kommen wir auf der andern Seite an, doch es dauert noch 4 Stunden, bis der Zug eintrifft, der uns in den Iran bringt. Obwohl die Grenze noch einige Stunden entfernt ist, sind wir nun quasi im Iran: iranischer Zug, iranischer Koch im Speisewagen (leider...), iranische Währung. Auch die Frauen tragen nach und nach immer mehr. Mäntel und  lange Blusen oder gar gleich der wehende schwarze Tschador werden über Minirock und Tanktop gezogen. Nur die Kopftücher werden bis zum bitteren Ende (den iranischen Grenzern) aufgespart.
Wir "geniessen" unser erstes iranisches Nachtessen, Reis mit Hühnchen (seufz), und legen uns um 2 Uhr endlich aufs Ohr. Doch es wird eine fast schlaflose Nacht: um vier Uhr wollen die Türken unsern Pass sehen, um 5 Uhr die Iraner (ich fabble im schlaftrunkenen Zustand mit einem Kopftuch herum) und um 6 Uhr wollen die Zöllner unser ganzes Gepäck durchsuchen. Stundenlang stehen wir in der Schlange, nur um am Schluss ohne einen Blick auf die Taschen durchgewunken zu werden. Grrrr....
Endlich, am späten Nachmittag (anstatt am morgen früh) treffen wir in Tabriz im Nordwesten des Irans ein. Als wir die Räder durch die Bahnhofshalle schieben, winkt uns erst mal die Polizei raus, doch sie sind nur neugierig, woher wir kommen. Am Bahnhofbuffet können wir zum Glück Geld wechseln, denn es ist Freitag (= Sonntag bei uns) und alle Wechselstuben sind geschlossen. Mit einem 50 Euro Schein wird man innert Sekunden zum Multimillionär (ca. 2 Mio Rial) und kriegt dafür so viele Geldscheine, dass man gleich einen neuen, grösseren Geldbeutel braucht.
Die ersten Radelkilometer im Iran hinterlassen einen bleibenden Eindruck. Obwohl es nicht mehr so heiss ist wie noch vor ein paar Wochen, läuft mir der Schweiß gleich runter. Mit Kopftuch unterm Helm, langen Hosen und langarmiger Bluse ist das Fahren kein Zuckerschlecken. Im Vergleich mit den Iraner sind die Türken die zahmsten Autofahrer der Welt. Hier werden Rotlichter konsequent überfahren, gegen die Spur und aufs Trottoir ausgewichen, ungebremst über die wildesten Kreisverkehre geschossen. Wir brauchen unsere ganze Konzentration, um heil ins Stadtzentrum zu kommen. Dabei sind wir selber natürlich wieder die Hauptattraktion auf der Strasse, alle bremsen ab, um uns durch die offenen Fenster "Welcome to Iran!" zu zurufen, oder wenn das englisch dafür nicht ausreicht, zumindest "Hello Mister!" (auch zu mir, wohlgemerkt) . Wir verursachen einen regelrechten Stau, und es ist ein Wunder, dass es nicht zu einer Massenkarambolage kommt. Ein einheimischer Radfahrer hilft uns, ein Hotel zu finden. Abends treffen wir Christian, einen ehemaligen Arbeitskollegen von Sven, der ebenfalls gerade im Iran unterwegs ist, sowie Babak, einen Iraner, der in Deutschland studiert und den Christian unterwegs kennengelernt hat. Christian schwärmt von seiner dreiwöchigen Reise durch den Iran und gibt uns viele Tips. Da er auf dem Sprung nach Hause ist, können wir ihm den Lonely Planet ab schwatzen - zum ersten Mal auf diesem Trip haben wir einen Reiseführer! Babak erzählt uns von einer strapaziösen, aber tollen Trekkingtour mit Christian in den iranischen Dschungel im Norden, er macht uns richtig den Mund wässrig, wie sie im Gebirge in einer Moschee gecampt haben. Wir gehen zusammen einen Milchshake trinken und fallen bald darauf komatös ins Bett.
Am nächsten Morgen machen wir uns auf zum Basar von Tabriz, der unter UNESCO Weltkulturerbe steht. Es ist mit 7 km² der grösste gedeckte Basar. Wir schrammen haarscharf an einem Teppichkauf vorbei, essen dafür ein paar Innereien mit winzigen Knöchelchen (nicht soooo lecker) und geniessen frische Fruchtsäfte und süsse Backwaren (seeeeehr lecker).
Mittlerweile können wir bereits fliessend "Hallo" und "Danke" sagen auf persisch (das wäre dann Salam und Merci, für den Fall). Alles andere ist ein bisschen schwieriger, aber wir treffen viele nette Menschen, die ihr Englisch ausprobieren wollen und sich fast gegenseitig schubsen, um uns helfen zu dürfen. Sven kann schon ein bisschen auf Farsi radebrechen, während ich noch mit dem Kopftuch kämpfe. Die einheimischen Frauen hier sind recht modebewusst und tragen diese mit viel Eleganz, lässig über die Schultern drapiert, während ich mich beim Versuch, es ihnen nachzutun, fast stranguliere. Immerhin wird hier das Kopftuch nicht so streng festgezurrt wie in der Türkei, nein, es wird so viel Haar gezeigt wie möglich, damit man auch die farbigen Strähnchen sieht. Dazu trägt die trendbewusste Iranerin einen Mega-Dutt (mithilfe eines riesigen Wuschelhaargummis zu Amy Winehouse Proportionen auftoupiert), und darüber dann ein Hauch von elegantem Tuch, welches leicht im Wind flattert.
Bereits am ersten Tag stelle ich fest, dass ich offenbar wieder mal eine krasse Mode-Sünde begangen habe, denn mein "Kopftuch" ist mein ehemaliger Seidenschlafsack, in Streifen geschnitten. Nachdem mehrere einheimische Girls kichernd und grinsend an mir vorbei gelaufen sind, kaufe ich mir halt ein richtiges Kopftuch, mit Strass-Steinchen und Bommelchen mit falschen Perlen besetzt. Zwar etwas schwerer und klimatisch nicht ganz so angenehm wie Seide, aber trotzdem praktisch: rutscht nicht bei jedem Windstoß vom Kopf (= weniger Panik) und kann zur Not auch als Waffe eingesetzt werden (schwungvoll über die Schulter werfen und einem lästigen Verehrer ein paar Zähne ausschlagen). Das mit dem Megadutt krieg ich mit meinen kurzen Haaren nicht hin, und Kichern tun die Girls immer noch, aber es wird schon.
Nachdem wir einen Tag länger als geplant in Tabriz bleiben müssen, weil alle Busse ausgebucht sind (hier gehen grad die Sommerferien zu Ende), beschliessen wir, die Hauptstadt Teheran auszulassen. Abends besteigen wir einen bequemen Nachtbus, der uns in 14 Stunden ca. 1000 km weiter südlich ins Zentrum des Iran und sein eigentliches Herz bringt. "Esfahan, nesf-e jahan", Isfahan ist die halbe Welt, heisst es schließlich schon seit dem 16. Jahrhundert. Dort erwarten uns weitere fantastische Sehenswürdigkeiten, doch davon ein andermal.

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