Direkt zum Hauptbereich

Visa-Tour nach Trabzon: auf 6 Rädern durch Ostanatolien

 

 


 

Nach langem Hin und Her in Göreme haben wir uns entschlossen, unsere Reise nach Osten fortzusetzen, jedoch mit Zug und Bus abzukürzen, damit wir noch diesen Herbst in den Himalaya kommen. Direkt von der Türkei nach Indien fliegen wollen wir nicht, da uns das Überland-Reisen gut gefällt. Das langsame Ändern der Landschaft und Kultur macht einen grossen Teil des Reizes dieser Ost-Reise aus. Alles mit dem Fahrrad zu radeln hatten wir bereits von Vornherein ausgeschlossen, denn Pakistan erscheint uns im Moment als zu gefährliches Reiseland, ausserdem bekommt man auch kaum ein Visum, wenn man über Land einreist. Der Iran selbst ist aber auch ein riesiges Land, sehr bergig, viel Wüste (und somit Hitze), und für mich als Frau schwer zu bereisen, v.a. mit dem Fahrrad: die Kleidervorschriften für Frauen sind nicht gerade radlerinnenfreundlich (Kopftuch und bis über die Hüfte reichende lockere Kleidung, lange Ärmel und Hosenbeine). Ausserdem hätten wir bis zur iranischen Grenze bestimmt noch 3-4 Wochen gebraucht, so bergig ist der Osten Anatoliens. Lange Rede, kurzer Sinn: wir haben uns nach andern Transportmitteln umgeschaut. Es gibt einmal wöchentlich einen Zug von Ankara nach Teheran, den Transasia-Express. Er hält auch quasi vor unserer "Haustür", in Kayseri, nur 70 km von Göreme entfernt. Im Iran gibt es dann ein recht gutes Zugsnetz, mit dem wir das riesige Land entdecken können, und die Räder kann man offenbar gut mitnehmen. Einige schöne Etappen wollen wir dann auch radfahren.
Nachdem wir die Entscheidung gefällt haben, planen wir als Nächstes dessen Durchführbarkeit. Es ist ja bekannt, dass die Iraner nicht jeden ins Land lassen, und ohne Visa schon gar nicht. Man liest echte Horrorstories von Visageschichten im Internet, doch in der Osttürkei gibt es ein kleines Iran-Konsulat, dass zwar keine offizielle Webseite hat, dessen lockere Handhabung von Visa-Ausgaben aber unter Travellern ein offenes Geheimnis ist. Hier soll man ein Iranvisum in sage und schreibe einem Tag, ohne Empfehlungsschreiben, Registrierungsnummer, etc. bekommen. Leider liegt Trabzon fast an der georgischen Grenze oben, ca. 2000 km von Göreme hin und zurück. Und ausserdem würden wir einige Sehenswürdigkeiten im Osten der Türkei verpassen, wenn wir hier in den Zug steigen. Sven möchte gerne noch etwas radeln, doch mir ist das Pedalen vorerst verleidet. Also machen wir es wie in Argentinien beim Abra del Acay: wir mieten uns ein Auto für 10 Tage, fahren damit nach Trabzon, und auf dem Rückweg machen wir ein bisschen Auto-Velo-Sightseeing: ich fahre, Sven radelt die schönen Strecken, den Rest verladen wir Mononoke in den Kofferraum (und Freddy gönnt sich ein paar Tage Pause in der Garage des Autovermieters :-).

Frühmorgens fahren wir los, als erstes an den Bahnhof nach Kayseri, die Bahntickets reservieren. Leider ist in der Türkei, wie in vielen Ländern, der Zugverkehr stark auf dem absteigenden Ast, es fahren fast nur noch Busse. Daher ist der Bahnhof kaum ausgeschildert und wir suchen lange. Das Autofahren in türkischen Städten ist ein Albtraum. Das Radeln in Städten macht ja auch keinen Spass, aber als Seltenautofahrerin kriege ich fast Zustände ob den halsbrecherischen Manövern, die die Türken in ihren Blechkisten vollbringen. Mögen sie ja sonst ein so offenes, gastfreundliches, liebenswürdiges Volk sein, wie wir es noch selten erlebt haben: wenn der Türke in ein Auto steigt, ist es vorbei damit. Dann werden sie zu egozentrischen Idioten, da wird gnadenlos gedrängelt, rechts überholt, gegen die Einbahnen und über Rotlichter gefahren, dass es ein Graus ist. Wir sind megafroh, als wir die Stadt wieder heil verlassen haben. In unseren verschwitzten Händen halten wir zwei Bahntickets im Schlafwagen nach Täbriz, für den 11. September. Zwei Nächte, ein Tag soll die Reise dauern (Verspätungen nicht inbegriffen), die Räder dürfen mit. Teil eins unseres Plans ist organisiert, uff!

Nun fahren wir auf einer gut ausgebauten Strasse nach Sivas, wo wir eine Pause machen und uns die historische Altstadt anschauen. Das schiefe Minarett der alten Moschee ist kurios, doch innen ist die Moschee ebenfalls sehr speziell: keine hohen Kuppeln und reichen Verzierungen wie in Istanbul, sondern ein flaches, tiefes Dach und viele wuchtige Steinbogen-Säulen. Die Moschee, der dazugehörige Hammam, die Karawanserei und die Medrese (Koranschule) wurden von den Seldschuken gebaut, den Vorgängern der Osmanen, daher haben sie einen ganz andern Stil. Wir besichtigen die Medrese, die noch etwas verfallen ist, aber offensichtlich wieder aufgebaut und in ein Museum verwandelt werden soll. Die Mauer rundherum und das Kassenhäuschen steht jedenfalls schon. Wir können aber noch hindurchschlüpfen und uns das baufällige, aber schöne Innere der Schule anschauen. Schöne blau verzierte Kuppeln aus Ziegeln begeistern uns. Wir wagen uns sogar auf die enge, dunkle Turmtreppe, die voll von Taubendreck ist, doch wo sonst kann man endlich mal auf ein Minarett steigen? Als wir oben auf dem luftigen Winz-Rundgang stehen, wird uns dann doch etwas mulmig. Schnell ein Foto geschossen und wieder runter, bevor uns der Wind wegweht! Der Abstieg ist so steil, dass wir eher auf dem Hosenboden rutschen als gehen, doch lieber durch Taubenkaka robben als tief abstürzen, sagen wir uns :-).

Am nächsten Morgen ist das Wetter zum ersten Mal seit Wochen trüb, es regnet sogar zeitweise. Wir haben uns auf der Karte eine schöne, malerische Bergstrecke rausgesucht (wir haben ja ein Auto!). Tatsächlich geht es ordentlich zur Sache, auf über 2000 Meter. Oben auf dem Pass stecken wir in den Wolken fest. Die Landschaft, in ganz Zentralanatolien ziemlich trocken und kahl, wird etwas grüner, doch bereits im nächsten Tal ist wieder alles braun. Aber plötzlich verändert sich die Landschaft von Neuem, Felsen leuchten in allen Farben auf: rot, gelb, lila, orange, graugrün... wie ein Malkasten! Die Strasse kämpft sich über zahllose Bergketten, und um jede Ecke wird es fantastischer. Schliesslich zwängt sich die Strasse durch eine enge Schlucht und kurvt in zahlreichen Serpentinen einen Pass hoch, diesmal auf 2200 Meter. Wieder hängen wir in den Wolken, es beginnt zu regnen. Doch kaum sind wir über den Pass, ist alles grün. Was für ein Klimawechsel! Sattgrüne Alpwiesen, dann ein waldiges Tal mit Wasserfällen. Die Bäume färben sich bereits herbstlich gelb, die Luft ist feucht und neblig. Wir sind eindeutig wieder an der Schwarzmeerküste, die Gegend wirkt fast tropisch nach dem kargen Anatolien.

Abends kommen wir in Trabzon an, einer geschäftigen Stadt am Schwarzen Meer. Hier war die letzte Bastion des byzantinischen Reiches, doch auch Russen, Mongolen und andere zentralasiatische Mächte haben hier zeitweise geherrscht, was sich bis heute in einer sehr multikulturellen Stadt wiederspiegelt. Doch wir sind hauptsächlich wegen dem Iran-Visum hier, das Sightseeing hat zweite Priorität. Früh am nächsten Morgen machen wir uns auf den Weg, zunächst zum Fotografen. Ich brauche Passfotos mit Kopftuch. Der Fotograf weiss gleich Bescheid, als ich "Iran-Visum" sage, und holt zwei seiner Assistentinnen, die mir minutenlang (unter den schweisstreibenden Fotografenlampen) das Kopftuch zurechtrücken, welches ich mir hastig übers Haar geknüpft hatte. Natürlich habe ich es ganz falsch gemacht :-). Im Hintergrund ist Sven am Feixen, während der Fotograf mich zur Ernsthaftigkeit zu mahnen versucht: "no laughing, no laughing allowed in Iran!". Natürlich fällt es mir jetzt nicht leichter, nicht zu grinsen...

Schliesslich können wir unsere Fotos abholen und stehen kurz danach vor der Botschaft. Dort werden wir gleich als erstes wieder weggeschickt, wir sollen in einer Stunde wiederkommen. Offensichtlich fängt man hier am Montag auch nicht allzu früh an... also Tee trinken und abwarten. Zwei Stunden später lässt man uns dann ein, zusammen mit andern Reisenden aus aller Welt. Wir füllen die Visa-Formulare aus, geben die Fotos und Pässe ab. Dann lässt man uns erneut warten. Ab und zu verschwindet mal einer der Angestellten hinter einer Tür, um zu telefonieren oder was auch immer, aber meist sitzen sie am Computer und sind offenbar auf Facebook am surfen. Irgendwann bekommen wir einen Zettel mit dem Namen einer Bank und einer Kontonr., wir sollen dort bitte die Visumgebühr einzahlen. Wir laufen los, doch bis wir die richtige Bank gefunden haben, macht man dort Mittagspause... Gut, dann machen wir das eben auch, und versuchen es am Nachmittag nochmals. Die Schlange in der Bank ist riesig, die Nummern rücken nur langsam voran. Wenigstens können wir nach einer halben Stunde Sitzplätze ergattern und haben beide etwas zu Lesen bzw. Schreiben dabei. Zwei Stunden später können wir endlich unsere Zahlung tätigen und mit der Bestätigung wieder zur Botschaft marschieren. Dort warten wir nochmals fast eine Stunde vor der Tür (zusammen mit andern, nervösen Reisenden, fast alles Backpackers). Endlich dürfen wir rein. Da liegt ein Stapel Pässe zur Abholung bereit, doch ich sehe gleich mit wachsender Beunruhigung, dass in dem Stapel kein knallroter Schweizerpass dabeiliegt. Einer nach dem andern wird aufgerufen, darf sein Visum abholen. Am Schluss sitzen noch ein Neuseeländer und ich alleine da, Sven ist auch schon draussen. Schliesslich winkt mich der Beamte heran, er hätte meinen Beruf nicht verstanden. "Librarian", sage ich, in der Annahme, dass meine unleserliche Klaue der Grund für das Rätsel ist. "Librarian?" wiederholt er stirnrunzelnd. "What is librarian?" Ähh... "I work in a library!" Stirnrunzeln, misstrauscher Blick. "A Place with many books." "Books?" Ich suche fieberhaft nach einer Erklärung (obwohl, so kompliziert kann das doch nicht sein?), schliesslich kommt mir das türkische Wort für Bibliothek in den Sinn: "Kütüphane. I work in a kütüphane." Das scheint den Mann enorm zu beruhigen, er verschwindet, und nach einer weiteren Viertelstunde Warterei sehe ich endlich meinen Pass - Juhui! Visum ist drin! Auch Bibliothekarinnen wird die Einreise in den Iran gewährt, Freude herrscht! Sven und ich beschliessen, dies mit einer Wasserpfeife zu feiern. Ein junger Chinese, der in Deutschland studiert, und ebenfalls erfolgreich sein Visum erhielt, hat bereits eine Shishabar ausfindig gemacht, und wir schliessen uns ihm an. Wir verbringen einen schönen Abend in einer Teestube bei einer Nargile und tauschen Reisestories aus.

Am nächsten Morgen treten wir den langen Rückweg nach Göreme an. Zunächst fahren wir in ein enges Seitental hoch, um das berühmte Sumela Kloster zu besichtigen. Wie ein Schwalbennest klebt das ehemalige griechisch-orthodoxe Kloster hoch über dem Tal an einer Felswand. Obwohl wir früh losgefahren sind, parken bereits Dutzende von Reisecars auf dem Parkplatz. Auf dem steilen Wanderweg nach oben treffen wir jedoch niemanden und geniessen den Bergwald, aus dem der Nebel aufsteigt. Riesige Wurzeln überziehen den Wanderweg. Oben angekommen, stecken wir dann mitten drin in der Masse (es gab offenbar noch einem Parkplatz am oberen Eingang!) und steigen im Gänsemarsch zwischen Hunderten von hauptsächlich kanadischen Senioren die letzten Stufen bis zum Klostereingang hoch. Offenbar ist grad ein "kleines" Kreuzschiff (nur 300 Passagiere) in Trabzon vor Anker und macht grad einen Landausflug, wie wir von einem älteren Herrn erfahren, der vor uns in der Reihe steht. Auch mit einer türkischen Grossfamilie machen wir Bekanntschaft, die grade ihren ältesten Sohn zum Uni-Start begleitet und dabei noch etwas die Gegend erkundet. Die Klosterräumlichkeiten und die schönen Ikonenmalereien in den Kapellen sind beeindruckend, doch vor allem die luftige Lage des Klosters macht den Charme aus. Wir versuchen, uns vorzustellen, wie mühsam wohl der Weg hierhin vor hundert Jahren war, als das Kloster noch bewohnt war. Auf dem Abstieg finden wir noch einen andern, etwas abenteuerlicheren Weg und geniessen einen tollen Blick auf das Tal und das Kloster.

Sven steigt nun aufs Fahrrad und fährt über den ersten von vielen Pässen hoch. Anfangs ist noch viel Verkehr, doch bald finden wir zum Glück eine Nebenstrasse, welche durch kleine Dörfer mit neugierigen Kindern führt. Ich fahre voraus, koche Kaffee, lese ein Buch und schnause wilde Birnen am Strassenrand. Leider beginnt es oben zu regnen, ausserdem kommt auch noch ein Tunnel, so dass ich Sven einlade und wir im Auto durch den Tunnel fahren. Auf der andern Seite strahlt die Sonne, es ist fast wie im Tessin! Sven saust den Berg hinunter, überholt sogar Lastwagen. Unten im Tal entdecken wir eine Süssigkeitenfabrik, welche leckere Nuss-Zuckerwaren herstellt. Die Unterkunftssuche in Gümüşhane gestaltet sich schwierig, die Hotels sind zu teuer, im Zentrum des Orts herrscht Chaos und ich kriege in den zwei Minuten, in denen wir das Auto stehen lassen, um nach einem Hotelpreis zu fragen, eine Parkbusse. Frustriert ziehen wir weiter. Schliesslich können wir bei einer Tankstelle zelten, der nette Junge vom Shop schenkt uns sogar einen Pfirsichsaft.

Am nächsten Morgen bricht Sven früh auf, gleich über den nächsten Pass. Der Aufstieg ist steil, doch oben hat es wieder schönen Kiefernwald. Ich warte auf dem Pass, koche Kaffee und geniesse die herrliche Ruhe. In der Türkei geht es oft ziemlich laut zu und her, v.a. der viele Strassenverkehr macht mir langsam zu schaffen. Am Nachmittag hängen wir gleich noch einen zweiten Pass an, doch nun herrscht Gegenwind, und das Wetter wird auch wieder etwas schlechter. Abends kommen wir erst im Dunkeln in Erzincan an und finden zum Glück bald ein Hotel, wenn auch ein teures. Doch den Luxus gönnen wir uns nach der letzten, eher lauten Nacht. Mittlerweile kühlt es ordentlich ab nachts, und am nächsten Morgen sehen wir frischen Schnee auf den Bergen ringsum. Zwar sind es hohe Berge (über 3000 Meter), dennoch ein deutliches Zeichen, dass auch in der Türkei der Herbst Einzug hält. Tagsüber ist das Radeln wieder angenehmer, abends braucht man einen Pulli.

Von Erzincan aus folgen wir einem Fluss nach Süden durch eine enge Schlucht. Es ist eine fantastische Strecke, die Felsen leuchten in vielen Farben, der Fluss windet sich wie ein glitzerndes Band durch das Tal, und es gibt viel Grün. Sven hat leider den ganzen Tag Gegenwind, aber ich geniesse es in vollen Zügen. Später erkennen wir, dass wir den ganzen Tag dem Euphrat gefolgt sind, jenem Fluss, der zusammen mit dem Tigris (der nicht weit von hier ebenfalls entspringt) das mystische Mesopotamien einschliesst (heute Irak). Schon ein eindrücklicher Gedanke, sich vorzustellen, dass dieses Wasser viele tausend Kilometer weiter in den Persischen Golf fliesst! Dort wollen wir ja auch hin, doch wir sind noch sooo weit davon weg!

Abends suchen wir kurz vor Divrigi einen Platz zum Zelten, denn wir sehnen uns danach, wieder einmal in freier Natur zu übernachten. Endlich finden wir eine - wie wir denken - einsame Ecke. Es ist bereits dunkel, wir kochen eine leckere Pasta auf dem Campingkocher. Ich verziehe mich kurz in die Büsche, da leuchten plötzlich zwei Augen im Dunkeln und eine Bestie knurrt mich an. Mir rutscht das Herz in die Hose, letztere ziehe ich mir eilig über den Pops, denn das Vieh ist mindestens so gross wie eine Kuh. Dann sind es plötzlich zwei, drei, vier riesige Hunde, die um mich herumschnüffeln. "Sven, Hilfe", wimmere ich, zur Salzsäule erstarrt. Die Bestien schnuppern ein bisschen an mir, ziehen dann weiter zu Sven. Dann tauchen aus der Dunkelheit zum Glück zwei Männer auf, zu denen die Hunde offensichtlich gehören, mit den Schrotflinten auf dem Rücken. Sie sind freundlich, aber sie möchten nicht, dass wir hier bleiben, soviel verstehen wir. Der Grund dafür geht wie so oft mit unserer Sprachunkenntnis verloren, wir vermuten irgend eine Gefährdung - reell oder imaginär - für uns. Wie dem auch sei, wir können schlecht argumentieren und packen danach leider bald zusammen. Zum Glück finden wir in der nächsten Stadt noch eine günstige Pension. Mit dem Auto ist es ja nicht so schlimm, im Dunkeln umherzufahren. Ausserdem hat es in der Pension einen süssen jungen, rabenschwarzen Kater, der stundenlang vor unserer Zimmertüre schnurrt, bis wir ihn bemerken und streicheln. Am nächsten Morgen sitzt er immer noch da und schnurrt, ungeschickterweise genau auf dem rabenschwarzen Türvorleger. Was dann passiert, wenn ein schlaftrunkener Radfahrer aus dem Zimmer kommt, könnt ihr euch ja vorstellen (es involviert Fauchen, Krallen und Schmerzensschreie).

In Divrigi besuchen wir ein Spital aus dem 13. Jahrhundert, von den Seldschuken erbaut, zusammen mit einer beeindruckenden Moschee. Sie gleicht der von Sivas, ist aber viel höher und luftiger. Besonders beeindruckend sind die gewaltigen Eingangstore, herrlich verziert mit geometrischen Motiven. Das Spital wurde von einer Frau (der Ehefrau eines Sultans) geplant, von einer Frau entworfen und von Frauen geführt - sehr fortschrittlich für die damalige Zeit. Am Eingangstor erkennt man daher auch die Symbolik von Sonne und Mond, Adler und Taube für die Gleichstellung von Mann und Frau.

An diesem Tag packen wir das Fahrrad gleich ins Auto und fahren noch über einen weiteren Pass, denn der Westwind bläst unerbittlich. Im Kleinstädtchen Kangal finden wir ein günstiges Hotelzimmer. Am nächsten Morgen fährt Sven früh los und lässt mich ausschlafen. Ich geniesse einen ruhigen Morgen im Hotelzimmer und mache mich am späten Vormittag auf, Sven einzuholen und Picknick mitzubringen. Also noch schnell einkaufen vor der Abfahrt, etwas Brot, etwas Süsses, ein paar Tomaten. Dazu muss man in der Türkei in drei verschiedene Läden gehen: zum Bäcker, zum Patisseur und zum Gemüsehändler. Normalerweise ist das schnell erledigt, doch heute wird die Einkaufstour zur Tortur: es scheint mir, es hat sich im ganzen Ort herumgesprochen, dass da eine Touristin alleine einkauft, und man weiss, der Mann ist frühmorgens schon mit dem Fahrrad aufgebrochen, also weit weg. Plötzlich wollen sie alle mit mir Tee trinken, mir Küsschen auf die Wange geben, und jeder hat schon das Handy in der Hand, um all seine Freunde auch noch zum Tee einzuladen. Nur mit Mühe kann ich mich losreissen (im wahrsten Sinn des Wortes), einer hat mich am Ärmel gepackt, während hastig telefoniert (wohl so in der Art: "Komm schnell, sonst reisst sie aus, du willst doch sicher auch mit dem Schweizermädel Tee trinken, oder? Bring Ahmed und Mehmet auch mit! Aber sag bloss nichts meiner Frau!"). Endlich sitze ich (etwas zerzaust) im Auto, doch leider kann ich nicht mit quietschenden Reifen losfahren, wie ich mir das vorstelle, denn ich bin komplett zuparkiert. Da stehen nun also die ganzen verschmähten Gemüse-, Brot- und Baklavaverkäufer auf dem Trottoir und grinsen, während ich schwitzend zwei Zentimeter vor, dann zwei Zentimeter zurückruckle, bis ich endlich das Gaspedal durchdrücken kann. Mögen die schwarzen Gummistreifen auf Kangals Strassen allen alleinreisenden Touristinnen eine Warnung sein! ;-)

Sven hat unterdessen ordentlich Gas gegeben und ich hole ihn erst nach einer Stunde Fahrt ein. Die Landschaft ist karg und staubtrocken, der Wind weht unerbittlich aus Westen und die Sonne knallt vom Himmel. Schatten ist schwer zu finden (wir sitzen fürs Picknick im Auto). Wären wir diese Strecke mit den vollbepackten Velos geradelt, wäre das ziemlich hart geworden. Am Nachmittag erkämpft sich Sven einen weiteren Pass, dahinter erstreckt sich ein malerisches Tal mit einem Flüsschen und dem damit einhergehenden Grün (ein paar alte Weidenbäume, grüne statt braune Wiesen, sogar etwas Schilf). Wir wollen es nochmals mit Wild zelten versuchen, doch der einzige Rastplatz, den wir finden, ist eine totale Müllhalde. Dies ist schon ein echtes Ärgernis in der Türkei. Der Abfall wird ohne jegliches Umweltbewusstsein "entsorgt", indem man ihn einfach aus dem Autofenster schmeisst, oder in Haltebuchten ablädt. Tragischerweise sind dadurch gerade schöne Picknickplätze total zugemüllt. Die Türken picknicken ja fürs Leben gerne, doch offenbar schmeissen sie ihren Abfall auch gleich da weg, wo sie die Natur geniessen, nach dem Motto: nach mir die Sintflut... Wirklich schade und frustrierend. Es hätte nämlich genug Mülleimer in diesem Land! Wir haben jedenfalls keine Lust, in der Müllhalde zu zelten und fahren noch etwas weiter, doch eine günstige Zeltgelegenheit finden wir nicht mehr. Somit wenden wir uns im Dorf Yazyurdu an die Jandarma (die Strassenpolizei), ob wir bei ihnen auf der Wiese zelten dürfen. Dürfen wir, doch dazu müssen wir erst zwei Stunden mit dem Kommandanten Tee trinken, mit dem Kommandanten und seiner Frau und Tochter türkischen Kaffee trinken (sehr lecker!), mit dem Kommandanten und seinen zwei Kumpels noch mehr Tee trinken... keiner von Ihnen kann wirklich Englisch, wir unterhalten uns mit einem Wörterbuch (ihr könnt euch die Konversation ja vorstellen!). Dabei ziehen eineinhalb Stunden ins Land, es wird dunkel und wir langsam ungeduldig, aber wie kommunizieren? Es ist manchmal schwer, unsere Bedürfnisse zu erklären, wenn man die Sprache kaum kann. Endlich dürfen wir losziehen, Zelt aufstellen und kochen (im Dunkeln...). Wir spielen noch ein bisschen Gitarre, meine Laune ist aber recht auf dem Tiefpunkt. Die Nacht wird laut, denn alle halbe Minute rattert ein Lastwagen oder Bus vorbei. Ziemlich zermürbt wachen wir am nächsten Tag auf. Sven nimmt noch einen Pass (es sind einfach unzählige hier, die Türkei ist so ein bergiges Land!) in Angriff, ich warte oben und beobachte, wie Hunderte von Schafen ins Dorf getrieben werden. Irgendwie ist es eine malerische Szene, aber die Gegend ist so einsam und karg, der Wind bläst unerbittlich. Abends freue ich mich richtig, wieder Zivilisation zu erreichen, wenn damit auch das übliche Chaos losgeht (wo parken, gibts ein Hotel, wo können wir essen, etc.). In Develi treffen wir zwei weitere Radler, ein deutsches Seniorenpärchen, das drei Monate durch die Türkei und Georgien radelt. Die beiden haben auch schon einiges erlebt, und wir teilen ein paar Biere abends im Hotel. Am nächsten Morgen nehmen wir die letzte Etappe zurück nach Kappadokien in Angriff. Es geht durch eine riesige Ebene (flach, aber was für ein Gegenwind!), dann über den letzten Pass wieder zurück nach Göreme. Die malerischen Dörfer, die grünen Vadis, die tollen Felsformationen sind nach den kargen Landschaften der letzten Tage Balsam fürs Auge und die Seele. Es ist ein bisschen wie Heimkehren. Zum ersten Mal auf dieser Reise kehren wir an einen Ort zurück, an dem wir schon waren, Ahmet begrüsst uns auf dem Panorama Camping, die Katzen sind ganz wild vor Freude (wir haben natürlich wieder Katzenfutter mitgebracht). Eine deutsche Familie mit selbst umgebautem Bus steht ebenfalls auf dem Camping, sie sind von Dresden unterwegs nach Indien. Zwei Basler sind auch da mit dem Camper. Es wird ein lustiger Abend. Heute haben wir nochmals Elspeth und Mart getroffen, die beiden Engländer, die wir bereits in Bulgarien trafen, sie radeln nun ebenfalls weiter nach Osten. Am Nachmittag kommen Celine und Benoit, die französischen Radler vorbei, die nun weiterfahren nach Antalya. Es ist wie ein riesiges Karawanentreffen und für uns ein wunderschöner Abschied aus der Türkei. Heute abend geniessen wir noch eine Flasche türkischen Wein und sind wie wild am Aufräumen, Packen, Blog updaten. Morgen geht es los in den Iran, wir besteigen abends den Zug nach Tabriz.

Somit werde ich mich eine Weile "verabschieden", denn was ich gehört habe, funktioniert Blogger und Facebook im Iran nicht. Wir werden sehen, ob wir euch anderweitig (vielleicht mit Fotos über Picasa) auf dem Laufenden halten können, auf jeden Fall sollte Svens Webseite funktionieren (www.mastersong.de). Ansonsten gedenken wir, im Oktober in Dehli zu sein, bis dahin ist es ja nicht mehr so lange. Sofern wir in Teheran ein Visum für Indien bekommen, heisst das ;-)

Ganz herzliche Grüsse aus Kappadokien, bis bald aus dem Iran oder Indien!
PS. Fotos zu Kappadokien und unserer Visa-Tour findet ihr unter "Fotos".

Kommentare