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Chodar Hafes, Iran!

 
 

 
Wir sehen auf unserer Iran-Karte eine kleine Nebenstraße, die durchs Zagrosgebirge von Isfahan nach Shiraz führt. Wir freuen uns auf ein paar ruhige Tage in den Bergen, vielleicht ein paar Nächte im Zelt, auf wenig Verkehr und vielleicht sogar ein bisschen grüne Natur. Tja, wer so hoch pokert, landet natürlich hart auf dem Boden:-)
Aber der Reihe nach. Unsere Reise beginnt schon abenteuerlich, als wir den Busbahnhof suchen, um mit einem lokalen Bus aus der Millionenstadt Isfahan zu entfliehen. Wir irren fast 20 km durch die Stadt, von Terminal zu Terminal, nur um rauszufinden, dass "unserer" zuoberst am Berg liegt und wir nur über eine Schnellstraße dorthin gelangen. Hilfe! Wir sind schon klatschnass geschwitzt und genervt, als wir dort ankommen. Zum Glück sitzen wir bald darauf im Bus Richtung "raus aufs Land". Dort angekommen, will der Busfahrer plötzlich einen exorbitanten Preis für unsere Fahrräder und erst nach hartem Verhandeln können wir unsere Räder wieder aus dem Bus befreien. Kurz darauf taucht ein angeblicher Polizist (in Zivil) auf und will unsere Pässe sehen. Ich habe langsam die Nase voll von den Schikanen und will nur noch weg von hier. Auf der Straße herrscht viel Verkehr, der Gegenwind bläst uns fast um und ein schweigsamer, starrender Motorradfahrer folgt uns im Schleichtempo, sehr unangenehm. Es ist fast Abend, als wir endlich das nächste Dorf erreichen. Dort sitzt eine Gruppe Frauen in einem Pickup und raucht Wasserpfeife. Sie winken mich heran und geben mir Tee und Weintrauben. Zwar sprechen sie kaum englisch, aber ich fühle mich herzlich aufgenommen, eine Wohltat nach dem anstrengenden Tag.
Ihre Ehemänner tauchen auf und laden uns ein, bei ihnen zu übernachten. Wir nehmen dankend an, da wir sonst irgendwo am Straßenrand zelten müssten. Flugs werden wir und die Velos in den Pickup verfrachtet und in rasanter Fahrt zu ihrem Hof gefahren. Sie wohnen in einem winzigen Dorf mit Apfelbäumen und Ziegenherden, in einem kleinen Haus mit 2 Zimmern, die sich eine Großfamilie von 12 Personen teilt. Draussen schnattern ein paar Enten, von denen es bald eine weniger hat - es gibt Grillspiesschen zum Znacht:-)
Wir sitzen ums Feuer, während das Fleisch brutzelt und trinken Tee. Die junge Generation kann ein bisschen englisch und macht sich einen Spass daraus, uns immer wieder die Namen der Familie wiederholen zu lassen, die wir uns kaum merken können. Der Vollmond geht auf, eine wunderbare Stimmung herrscht. Später sitzen wir im Wohnzimmer und singen ein paar Lieder auf der Gitarre und Mundharmonika. Dabei werden wir mit sämtlichen Handys gefilmt - "Alpenrose" und "Dr Sidi Abdel Assa vo el Hama" sind wahrscheinlich der Hit auf YouTube im Iran:-)
Mit der Zeit werden die Jungs aber ein bisschen zu anstrengend für mich, und ich mag auch nicht mehr mit jedem Kumpel und Cousin, der zwei Worte englisch kann, am Telefon sprechen. Also ziehe ich mich in die Küche zu den Frauen zurück, denn hier wird fleissig Wasserpfeife geraucht, Tee getrunken und über die Männer getratscht (so vermute ich jedenfalls - ich habe nichts verstanden). Wir schlafen in getrennten Zimmern, Sven bei den Männern, ich bei den Frauen. Am nächsten Morgen, nach einem kräftigen Frühstück, werden wir herzlich verabschiedet, und machen uns, mit einem Kilo Äpfel beladen, auf den Weg.
Die Strasse windet sich zwischen den Bergrücken hindurch, ein paar kräftige Anstiege und ein ebenso kräftiger Gegenwind machen das Radeln sehr anstrengend. Die Gegend ist karg, doch die Wüste kann auch schön sein, vielfarbige Steine und Felswände, tiefe Canyons und Sandverwehungen.
Ein kleiner Pass beschäftigt uns den ganzen Nachmittag. Zwar zehrt der heisse Wüstenwind  an unseren Kräften und unsere Kehlen sind andauernd trocken, doch um die Verpflegung brauchen wir uns keine Sorgen zu machen. Viele Autofahrer halten an und schenken uns Früchte, Brot, Süßigkeiten und Datteln. Endlich haben wir die Passhöhe erreicht und genießen eine lange Abfahrt. Unterwegs sehen wir Nomaden, die hier ihre Zelte aufgeschlagen haben. In dieser Gegend gibt es noch viele Nomaden.
Leider ist es schon wieder spät und wir können den nächsten Ort nicht mehr erreichen, also versuchen wir, einen Pickup anzuhalten. Die Jungs, die uns mitnehmen, sind aber ein bisschen komisch drauf, also lassen wir uns wieder abladen und warten auf eine andere Mitfahrgelegenheit. Nach ein paar vergeblichen Versuchen, einen Bus anzuhalten, nimmt uns schließlich Mohammed, ein Busfahrer einer iranischen Wandergruppe, mit zurück nach Isfahan. Wir sind erst etwas frustriert, weil unser schöner Plan, nach Shiraz zu radeln, nicht aufgeht - zelten mögen wir hier nicht, da wir uns nicht sicher genug fühlen, und das nächste Hotel mit der lang ersehnten Dusche können wir aus eigener Kraft nicht erreichen. Aber die lustige, junge Wandergruppe lässt uns nicht Trübsal blasen: sobald der Bus ins Rollen kommt, wird Mohammed zum DJ und es wird im Gang zwischen den Sitzen getanzt. Und dies, obwohl der Bus nun wieder zurück über den kurvigen Pass eiert! In voller Lautstärke dröhnen die neuesten persischen Hits aus den Boxen, Sven und ich werden ebenfalls zum Tanzen aufgefordert. Bald werden die Vorhänge zugezogen, und die Kopftücher der Mädels fliegen in die Ecke, Jungs tanzen mit Mädchen, voll cool! Wir hüpfen fleissig mit, Sven lässt die Haare fliegen :-)
Am folgenden Tag nehmen wir den Bus nach Shiraz. Doch gleich geht der Ärger mit den Fahrrädern wieder los, wir sollen ein wahres Lösegeld zahlen, und später - wir sind bereits unterwegs - will nochmals einer Geld, behauptet, wir hätten zuwenig bezahlt! Ich bin nun richtig genervt, will mir von diesem blöden Gockel das nicht bieten lassen, doch er versteht kaum englisch. Eine junge Iranerin mischt sich ein und übersetzt für uns, bzw. setzt sich für uns ein. Sie heisst Maryam, ist zwanzig und studiert Sportwissenschaften. Während einer Rast unterhalten wir uns, sie wettert über die knausrigen Isfahani und erzählt viel über Shiraz, wo sie herkommt. Natürlich sind die Shirazi viel netter als der Rest vom Iran, meint sie (dieses Klischee bestätigt auch der "Einsame Planet"). Na dann :-)
Wir verabreden uns mit Maryam für den nächsten Abend zu einem Spaziergang zum Hafez Grab. Hafez https://de.wikipedia.org/wiki/Hafis ist einer der bekanntesten persischen Dichter und hat sogar Goethe inspiriert. Sein Grabmal ist ein richtiger Pilgerort, wo die Iraner herkommen, Hafez-Gedichte rezitieren und ihn wie einen Nationalhelden verehren.
Tags darauf besuchen wir die anderen Sehenswürdigkeiten von Shiraz: die Nasir-e-Molk-Moschee mit ihren bunten Glasfenstern und geblümten Kacheln sowie den Schrein von Schah Cherah, einem Märtyrer. Im Innern der Pilgerstätte ist alles mit winzigen Spiegeln verkleidet, es wirkt wie eine Disco. Ich muss einen Tschador tragen und einen separaten Fraueneingang benutzen. Außerdem gucken mich ein paar ältere Pilgerinnen ziemlich grimmig an, vermutlich hab ichs mit dem Tschador falsch gemacht... Ist nicht so mein Ding und ich bin bald wieder draussen.
Am nächsten Tag besuchen wir die Familie von Maryam, ihre Mutter kocht uns ein typisches Gericht aus Shiraz und am Nachmittag besuchen wir die Gärten von Eram mit ihrem Cousin Vahid.
Abends kommt die ganze Familie zusammen, denn es ist auch noch der Geburtstag von Maryams Bruder - es gibt Kuchen und wir singen "happy birthday".
Am nächsten Morgen brechen wir mit Maryam, Vahid und seinem Kumpel Daniel auf nach Persepolis. Es war die Hauptstadt des antiken persischen Reiches, bis es 320 v.Chr. von Alexander dem Großen niedergebrannt wurde. https://de.wikipedia.org/wiki/Persepolis
Zwar ist von den Palästen nicht mehr  viel übrig, doch die fantastischen, in Stein gehauenen Reliefs sind sehr gut erhalten und zeigen viel von der damaligen Zeit am Hof, von den persischen Herrschern bis zu den Bediensteten und Tieren. Viele Löwen muss es damals noch gehabt haben! Sogar Maryam, ein bekennender Geschichtsmuffel, ist fasziniert.
Nach so viel Sightseeing bin ich ziemlich erschlagen, und von der Ruinenbesichtigung in der prallen Sonne habe ich einen halben Sonnenstich. Den Nachmittag verbringen wir bei Vahid, der uns seine Flamenco-Gitarrenkünste vorführt und Enrique Iglesias Songs zum Besten gibt.
Abends, zurück im Hotel, stehen wir vor einer Entscheidung: wohin soll es weitergehen? Zwar gäbe es noch viel zu sehen im Iran, die Wüstenstadt Yazd zum Beispiel, oder die Küste an der Strasse von Hormuz, etc. Doch eines ist klar: das Radeln im Iran ist hart, mir macht es keinen Spass. Zwar kommt man mit dem ÖV gut überall hin, doch mit unserem Gepäck und den Rädern kostet es extrem viele Nerven. Eigentlich wollten wir noch bis in den Süden nach Bandar Abbas, von dort mit der Fähre nach Dubai. Doch dazu müssten wir nochmals eine lange Busfahrt über uns ergehen lassen, es ist unklar, an welchen Tagen die Fähre geht und wir wissen, dass Dubai extrem teuer ist. Da wir als nächstes ein Indienvisum brauchen, dessen Bearbeitung mindestens eine Woche dauert, gehen wir nochmals über die Bücher, sprich, das Internet. Wir stellen fest, dass wir dieses im weiter südlich liegenden Oman ebenso gut beantragen können, dort aber wesentlich weniger Geld verpuffen und mehr unternehmen können, während wir auf den Stempel im Pass warten. Wir buchen also einen Flug nach Muscat, Oman. Zwei Tage später sitzen wir im Flugzeug und winken dem Iran "chodar hafez", bye bye.
Kaum schliesst sich die Flugzeugtüre, reisse ich mir das Kopftuch runter. Oh, welche Wohltat! Ich muss zugeben, es war mühsamer, als ich es mir vorgestellt hatte, und erforderte mehr Konzentration, als ich dachte, das blöde Ding jeden Moment, den man nicht im Hotelzimmer verbringt, aufzusetzen. Auch die konstante Aufmerksamkeit, die man im Iran als Tourist erregt, sowie der haarsträubende Verkehr können einem ganz schön zusetzen. Es war sicherlich bisher das anstrengendste Reiseland aus meiner Sicht, auch wenn wir kaum 150 km geradelt sind. Andrerseits haben wir hier so viel Gastfreundschaft und Interesse erfahren, dass dies viele Mühen wett gemacht hat. Gerade die Tatsache, dass hier auch Frauen sehr unbeschwert auf uns zu gingen, war für mich sehr erfrischend. Seit Rumänien hatte ich das Gefühl, mehr und mehr in den Hintergrund zu geraten, nicht als gleichwertige Person wahrgenommen zu werden. Im Iran sahen mir die Menschen wieder in die Augen, viele, auch Männer, behandelten mich, wie ich es von zuhause gewohnt bin. Natürlich gab es Ausnahmen, auch unangenehme - der Zand-Boulevard in Shiraz heißt auf meiner persönlichen Landkarte nur "Grabscher-Highway". Und ich werde nie mehr einer Gruppe Jugendlicher auf dem Land mein iPhone zum "Spielen" geben - die zahlreichen "I love you" SMS und Scherzanrufe morgens um 7.00 sind erst jetzt im Nachhinein komisch:-)
Ich hoffe sehr, dass sich die politische Situation im Iran noch mit dieser Generation entspannt und die Sanktionen aufgehoben werden. Das Bild, welches uns im "Westen" in den Medien vermittelt wird, zeigt den Iran, wie ihn sich ein paar alte Männer mit religiösem Übereifer und Kontrollwahn oben in Teheran ausgemalt haben. Wir haben niemanden getroffen, der ein Freund der iranischen Regierung oder überhaupt des politischen Systems ist, sondern nur Kritik über den grossen Revolutionsführer gehört. Von Atombomben halten die meisten Iraner genauso wenig wie wir, Terroristen verachten sie, und mit den Arabern verwechselt oder in denselben Topf geworden zu werden, provoziert etwa die gleichen Emotionen wenn man einen Schotten mit einem Engländer oder einen Basler mit einem Zürcher verwechselt. (Falls ihr dem Fettnäpfchen ausweichen wollt: Iraner sind Perser oder Arier - die Araber sind ännet dem persischen Golf). Wer weiss, vielleicht kehren wir irgendwann zurück - hoffentlich nächstes Mal ohne Kopftuch, und ziemlich sicher ohne Velos :-)
Muchakerah, Iranis, chodar hafes, thanks for the kindness!

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