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България, oder: Reise durch ein warmherziges, gastfreundliches und unleserliches Land

Wir setzen mit der Fähre über die Donau in ein neues Land, das siebte auf dieser Reise: Bulgarien. Wir sind gespannt, was uns erwartet: die Rumänen haben uns vor ihren südlichen Nachbarn gewarnt... aber da erfahrungsgemäss die meisten Länder vor ihren südlichen Nachbarn warnen, nehmen wir es gelassen. Der Fährmann lässt es jedenfalls gemütlich angehen, erst müssen noch ein paar Fische gefangen werden, bevor er den Motor anwirft. Wir brüten unterdessen in der Hitze.


Dann gehts aber doch noch los, und drüben angekommen stellen wir bald fest: tolle Strassen, kaum Verkehr, weniger Dörfer und riesige Felder (die mit riesigen Maschinen bearbeitet bzw. geerntet werden). Der krasse Gegensatz zu Rumänien! Wir freuen uns direkt, als wir doch noch ein Pferdegespann sehen (yeah, wir sind nicht die Langsamsten auf der Strasse!). Am Strassenrand sehen wir auch allerlei interessantes Kraut wachsen, welches bei uns schon lange von der Polizei gerupft worden wäre. Bulgarien scheint es da recht entspannt zu nehmen.


Recht kaputt erreichen wir Pleven, die Hitze und die Mörderetappe vom Tag zuvor haben uns ziemlich geschafft. Dank Svens Russischkenntnissen finden wir trotz kirillischem Alphabet das Stadtzentrum, doch wir haben kaum die Touri-Info ausfindig gemacht, da steht schon ein einheimischer Radler vor uns. Wo wir herkommen, wo wir hinwollen, die üblichen Fragen. Sven fragt ihn nach einem Laden, um sein Rad zu zentrieren. Kein Problem, meint er, er baut selber Fahrräder (inkl. abenteuerliche Elektroräder Marke Eigenbau) zusammen, wir sollen zu ihm nachhause kommen. Wir wollen aber erst ins Hotel, doch nix da: "Ihr könnt bei mir schlafen, ist doch klar. Ihr wollt doch nicht etwa ins Hotel???".


Ceci heisst er, und im Nu stehen wir in seiner Wohnung, werden der Familie vorgestellt, dürfen duschen und ein Nickerchen halten. So nett! Wir freuen uns riesig über diese schöne Erfahrung in einem neuen Land. Doch wir haben nicht mit Cecis endloser Energie gerechnet. So wird "ein kleines Abendrundfährtchen im Park, ein paar Freunde treffen" zur sportlichen 25-km-Radtour in einen der Stadt angrenzenden Naturpark. Unsere Füdlis sind doch schon wund... Aber es ist wunderschön dort, eine grüne Oase in der Stadt, mit tollen Kletterfelsen, autofreien Strassen und schönen Seen. Und natürlich jede Menge Biergärten, wo wir Cecis Freunde treffen, auch alles Radler, die schon beim zweiten oder dritten Bier sitzen. Ein schöner Ausklang des ersten Tages in Bulgarien!


Zwei Tage später starten wir Richtung zentrales Balkangebirge - es steht mal wieder eine Passüberquerung bevor. Wir fahren unseren 3000. Kilometer, doch das Bier muss bis am Abend warten...


Im Städtchen Troyan, am Fuss der Berge, grad verzweifelt auf der Suche nach einem bezahlbaren Hotel (es hat Mineralquellen hier, doch diese sind nur gutbetuchten Touristen im *****-Hotelpool vorbehalten, wie es scheint), stossen wir auf zwei andere Reiseradler, Elspeth und Mart, aus Wales. Die Freude ist gross, denn wir haben seit Wochen keine andern Radler mehr gesehen. Die beiden wollen in zwei Jahren um die Welt radeln haben eine ähnliche Route wie wir bis nach Asien. Vielleicht werden sich unsere Wege ja nochmals kreuzen, wer weiss?


Am nächsten Morgen beginnen wir früh mit dem Aufstieg auf den Pass. Zum Glück hat es Wald und wir können den Grossteil im Schatten fahren. Hier gibt es eine alte Römerstrasse, die Via Trojana, die über die Berge nach Augusta Trajana (heute Stara Zagora) führt. Wir sind recht froh, haben sie diese mittlerweile geteert. Pünktlich zum Mittagessen kommen wir zu einem netten Strassenbeizli mit toller Aussichtsplattform und noch tollerem Hotchbotch, einer traditionellen bulgarischen Speise im Tontopf gekocht. Mjam! Da mögen die Beine gleich nochmals ein paar Serpentinen strampeln bis auf die Passhöhe.


Hier entdecke ich noch was viel tolleres: Heidelbeeren! Millionen von Heidelbeeren! Natürlich habe ich es nicht als erste entdeckt, da sind schon Hunderte (ich übertreibe nicht) von Sammlerinnen und Sammlern unterwegs, hauptsächlich Zigeunerinnen und Zigeuner, die mit Kämmen und riesigen Eimern ernten, dann die Beeren gleich am Strassenrand verkaufen. Wir begnügen uns mit einem kleinen Töpfchen selbstgesammelten Beeren fürs Zmorge ;-)


Oben auf dem Pass steht ein gigantisches Monument zu Ehren von Soldaten, die im russisch-türkischen Krieg hier über die Berge zogen. Man hat nicht gekleckert, sondern geklotzt. Wir wandern zu Fuss bis zum Gipfel hoch und geniessen die fantastische Aussicht über den Nationalpark Stara Planina und das Tal der Rosen, obwohl uns der Wind fast wegbläst.


Eigentlich wollten wir hier oben zelten, da das nächste Hotel noch weit weg ist, doch der Wind bläst gnadenlos, und es hat uns auch zu viele Beerensammler, um in Ruhe unser Zelt aufzustellen. Erst abends bei der Abfahrt finden wir dann doch noch ein lauschiges Plätzchen, eine verlassene Alphütte, bei der offenbar nur noch selten Hirten vorbeikommen. Daneben ein flaches Stück Rasen, was will man mehr. Wunderbare Abendstimmung in den Bergen, ein gigantischer Sternenhimmel, Ruhe und - eine kühle Nacht, juhui! Wir wussten ja gar nicht mehr, wie sich das anfühlt, wenn man plötzlich wieder froh um Pulli und Mütze ist!


Am nächsten Morgen sausen wir jauchzend ins Tal. So eine 20 km Abfahrt zu Beginn des Tages ist schon enorm motivierend!


Der Rest des Tages zieht sich dann eher zäh dahin, die Hitze drückt, ein auf der Karte nicht vermeldeter Pass stellt sich uns quer in den Weg und abends machen wir 10 km Umweg im grausigsten Gegenwind, weil der Abzweiger zum Camping nicht eingezeichnet ist. Dafür sehen und riechen wir Lavendel überall (nach den Orangentrucks in Belize müssen die Lavendeltransporter die wohlriechendsten Lastwagen sein). Tolle Ausblicke aufs Gebirge, wunderbare Sonnenblumenfelder, herzliche Menschen und zum Schluss sausen wir mit 40 km/h (wir drehen ab und haben Rückenwind!) an alten Thrakergräbern vorbei.


Nahe von Kazanlak hat es einen der wenigen Campings in Bulgarien (ist hier leider nicht mehr sehr verbreitet). Zwar kostet er teures Geld für das, was geboten wird, aber im angrenzenden Restaurant schlagen wir uns für knapp 20 Euro die Bäuche voller Gemüsepfannen, Fleischspiesse, Salate, frittiertes Eis (!) und ein "kleines" Schnäpschen.


Kann frau nicht meckern, vor allem, wenn es danach einen Ruhetag gibt. Unser Ruhetagsprogramm besteht darin, faul rumzuhängen und maximal einen Spaziergang ins nahegelegene Dorf Kran (zwecks Einkauf von Frühstück) zu unternehmen. Auf dem Heimweg sehen wir einen Kirschbaum, den offenbar niemand aberntet, und erbarmen uns der armen Früchte. Wir sind gerade dabei, eine Tüte für unser Frühstücksmüesli zu füllen, als uns plötzlich jemand herbeiwinkt, wir sollen doch bitte mitkommen. Wir, etwas perplex, gehen mit und fragen uns, ob wir jetzt Ärger kriegen wegen den Kirschen... aber Stephan, so heisst unser neuer Freund, will uns nicht schelten, sondern beschenken. Er führt uns in seinen Hinterhof und zeigt uns seine Schmiede, wo er im Nu ein Feuer entfacht und das Eisen zum Glühen bringt. Wir stehen fasziniert da und beobachten den Hobbyschmied bei der Arbeit. Innert weniger Minuten wird aus einem Stück Eisenstange unter Stephans geübten Händen und der Energie des Feuers ein wunderbares Rosenblatt-Anhängerli geschmiedet, und dann gleich noch ein zweites. "A Gift for you - ein Geschenk für euch!" strahlt er uns an. Einfach so! Wir sind baff.


Als kleine Gegenleistung bieten wir die Flasche Bier an, die wir grad gekauft haben (es würd ja eh nur warm werden auf dem Heimweg). Wir trinken es zusammen mit Stephan in seinem schönen Garten unter Weintrauben, umschmeichelt von vielen herzigen Büsis und Hunden. Stephan erzählt von seinem ungewöhnlichen Hobby und zeigt seine Arbeiten, er ist der letzte Schmied im Dorf und macht z.B. hübsche Türklingen mit Pferdeköpfen für einen Nachbarn. Wir erzählen von unserer Reise, und Stephan singt einen alten, orthodoxen Segensspruch für Reisende für uns. Danach füllt er unsere Taschen mit Gemüse aus seinem Garten und Früchten von seinem Pflaumenbaum. Wir können kaum alles tragen und wissen gar nicht, wie wir uns noch bedanken sollen. So viel Herzlichkeit, für zwei wildfremde Streuner, die er beim Kirschenklauen erwischt hat. Wir sind total gerührt.

Am nächsten Tag erreichen wir Stara Zagora, eine alte Stadt, die bereits von den Römern erbaut wurde. Es ist mal wieder Zeit für etwas Kultur (und einen klimatisierten Raum für ein paar Stunden), also statten wir dem ausgezeichneten historischen Museum einen Besuch ab. Im Untergeschoss hat man ein originales Stück Römerstrasse mit fantastischen Mosaiken ausgegraben und quasi das Museum drumherum gebaut. Wir ziehen unsere Schuhe aus, kühlen unsere Fusssohlen auf den alten Steinen und spüren Geschichte. Auch hier sind wir froh, dass wir diese Strasse nicht mit dem Rad befahren müssen, schon mit Kutschen muss es brutal gewesen sein. Leider dürfen wir im Museum nicht fotografieren, aber draussen stehen auch noch ein paar alte Römersäulen herum.


Wir steigen in einem Hotel ab, das von aussen aussieht, als herrsche noch tiefster Sozialismus, doch von innen kommt uns hier mehr Herzlichkeit entgegen als im kleinen "Boutique Hotel", wo man uns zuerst hingeschickt hat. Wir haben nämlich ein Anliegen: wir wollen einen Abstecher nach Sofia machen, jedoch mit dem Zug und ohne Gepäck, nur für eine Nacht. Nach unseren unschönen Erfahrung in Prag wollen wir aber die Velos sicher verwahrt wissen. Das ist hier kein Problem, und so stehen wir am nächsten Morgen um 6 Uhr früh am Bahnhof und besteigen den Zug nach Sofia. Oh, wie schön ist Zugfahren! Zwar geht es langsam voran, die Klimaanlage funktioniert nicht und irgendjemand hat schlimme Emmentalerfüsse im Abteil. Aber unsere Füdlis findens toll!
Sofia ist schön am Fuss der Berge gelegen und hat dank heisser Mineralquellen angeblich die beste Trinkwasserqualität einer europäischen Hauptstadt. Trotz der Hitze füllen wir unsere Trinkflaschen mit dem 46 Grad heissen Wasser und finden auch, es schmeckt lecker. Vor allem, wenn es denn mal es bitzeli abgekühlt ist.
Wir sind vor allem der riesigen Alexander Nevski Kathedrale wegen hergekommen, aber auch die Synagoge und die Moschee (die erste von vielen auf dieser Reise, bestimmt!) sind interessant. Die alte Markthalle ist eher eine Touristenattraktion, wir geniessen dafür den Schatten in einem der vielen Parks und das kunterbunte Stadtvolk. In Sofia wird seit einigen Wochen gegen die Regierung demonstriert, mit Fahrraddemos, Fahnenschwingen, Trillerpfeifen, und Zeltbelagerung vor dem Regierungsgebäude. Wir verstehen leider nicht alles, aber scheinbar geht es um Korruption in der Regierung. Die Regierung antwortet mit einer gigantischen Polizeipräsenz, welche den Platz rund um die Kathedrale abriegelt, so dass wir eine grosse Runde drehen, bis wir den Eingang finden.


Abends im Hostel treffen wir erneut auf andere Reiseradler, diesmal zwei junge Spanier, die zwei Jahre in China studiert haben, und dann einen Teil der Heimreise per Rad vornehmen wollen. Sie flitzen in 30 Tagen von Istanbul nach Barcelona. Ok, die sind noch jung... und sehnen sich nach Hause, wie wir aus dem Gespräch heraushörten. Wir nehmen es gemütlicher, aber wir sind ja auch Ü30. Am nächsten Tag wandern wir vom Stadtrand direkt in die Berge, zum Boyana-Wasserfall, der eigentlich eine Serie von tollen Wasserfällen ist, und geniessen einen herrlichen Blick über die Stadt.


Sofia können wir für einen Städtetrip nur empfehlen, es gibt viel zu sehen, und die Natur (tolle Wanderwege, 2000m hohe Berge vor den Toren der Stadt!) ist auch nicht weit. Das Zentrum ist nicht so riesig, und sonst gibts noch das Tram. Da darf mans einfach nicht zuuu eilig haben... es bimmelt und bummelt fröhlich vor sich hin, manchmal auch nicht dahin, wo es auf dem Stadtplan eingezeichnet ist. Touristen wie wir merken das dann relativ spät, v.a. wenn sie auf den Zug müssen, ist das blöd. Und stressig. Sowas sind wir uns ja gar nicht mehr gewohnt. Aber das Taxifahren ist zum Glück erschwinglich! So bringt uns der Zug (der auf der Rückfahrt auch kräftig bummelt und uns erst lang nach Sonnenuntergang absetzt) zurück nach Stara Zagora, wo wir im Casinorestaurant in unserem Stalin-Palast zum Glück noch was zu Essen kriegen. Und natürlich freut sich auch hier wieder ein Büsi über ein bisschen Schinken mit, wie fast überall in Bulgarien.


Der "Endspurt" nach Istanbul entpuppt sich dann leider nicht als die grandios flache, leicht abfallende, mit Rückenwind gesegnete, gut ausgebaute Piste zum Bosporus. Irgendwie hat es auf der Karte so ausgesehen, als kämen jetzt keine Berge mehr. Und wenn man nach Süden ans Meer fährt, sollte es doch irgendwie immer bergab gehen. Haha... es fängt gut an, wird aber immer hügeliger. Insbesondere, da wir noch ein Hügelgrab der Thraker anschauen wollen, und das liegt natürlich - ihr ahnt es bereits - zuoberst auf einem Hügel. Dafür hat man hier (mithilfe japanischer Fördergelder) ein schmuckes, klimatisiertes Museum gebaut, mit einer Originalkopie des Grabes, das man begehen kann (und fotografieren darf). Und ausserdem gibts hier ganz leckere Brombeeren, die süssesten, die ich je gegessen habe. Da fällt einem der Aufstieg nur halb so schwer.


Abends finden wir einen Zeltplatz mit Swimmingpool, in dem sich zwar die halbe Stadt von Harmanli tummelt, doch wir freuen uns sehr über die "Abkühlung" - siehe untenstehendes Foto der Wassertemperaturen. Der Eigentümer spricht tiptop deutsch und lädt uns auch gleich zum Nachtessen und kühlem Radler ein. Da sagen wir nicht nein :-)


Mit dieser freundlichen Geste verabschiedet sich Bulgarien vor uns. Schon zu Mittag stehen wir an der Grenze. Wir treffen zwei andere Reiseradler kurz hintereinander, einen türkischen Physikprofessor, der durch Bulgarien tourt und uns gute Tipps für die Strecke bis Istanbul gibt, und Dave aus Winterthur, auf dem "Heimweg". Er ist (mit politisch bedingten Unterbrechungen per Flugi und Schiff) fast ums Mittelmeer gefahren und hat kurz zuvor seinen 8888. Kilometer gefahren. Um der Autobahn auszuweichen, fahren wir 30 km über griechischen Boden, die einsam, hart und gegenwindig sind. Es scheint eine Piste nur für Trucks zu sein, alle Dörfer werden umfahren, kein Schatten, keine Beizli, kein Wasser, nix...


Endlich stehen wir an der türkischen Grenze. Zum ersten Mal auf dieser Reise werden unsere Pässe genauer inspiziert und wir kriegen endlich mal einen Stempel reingedrückt. чао България, Беше ми приятно, Merci! Hosgeldiniz Türkiye!






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