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Der lange Ritt zum Bosporus

Hoş geldiniz!
Wir sind in der Türkei angekommen, der Stempel ist im Pass, das obligatorische Grenzfoto geknipst.



 Kaum haben wir die Grenze überquert, werden wir bereits beschenkt: eine Gemüseverkäuferin weigert sich partout, Geld für Tomaten anzunehmen und schenkt uns noch zwei superscharfe Chilis obendrein. Und wir wissen noch nicht mal das türkische Wort für "Danke". Als wir ins erste Dorf kommen, sind wir sofort von einem halben dutzend Jungen, alle auf Fahrrädern, umringt. Wir werden ausgefragt und es gibt gleich eine spontane Fotosession.



Zwei der Jungs, Armaghan und Emircan, begleiten uns bis ins Stadtzentrum von Edirne und helfen uns bei der Hotelsuche. Wir sind mächtig froh darüber in zweifacher Hinsicht: ohne die beiden hätten wir das Zentrum lange gesucht, und ausserdem stellt sich heraus, dass Edirne eine richtig schöne Altstadt, zwei antike Brücken und eine der bekanntesten Moscheen des Landes besitzt. Auch an einem uralten Trinkwasserbrunnen kommen wir vorbei - solche werden wir noch viele sehen in der Türkei. 





Abends machen wir einen Stadtbummel. Wir fühlen uns schon fast wie auf einem andern Kontinent. Überall gibt es Dönerbuden und leckere Süßspeisen. Wir kommen an einer Karawanserei vorbei - wir sind definitiv auf der Seidenstrasse! Auch herrscht auf den Strassen schon ein ziemlich orientalisches Gewusel. Verkehrsregeln werden kreativer interpretiert als bei uns. Viele Frauen tragen Kopftuch, wieder andere Minirock. Alte Holzhäuser und schmale Gassen prägen das Zentrum Edirnes. Wir besichtigen die Selimiye Moschee und sind beeindruckt von der mächtigen Kuppel. Als Frau finde ich es sehr interessant, dass hier nicht mal in der Moschee Kopftuchzwang herrscht - zumindest nicht in dieser hier.






Wir schlendern über den Basar und setzen uns zum Nachtessen in ein Kebabrestaurant, umringt von nach Deutschland ausgewanderten Türken, die auf Heimaturlaub sind. Auf dem Rückweg ins Hotel stellen wir fest, dass viele Restaurants die Tische grade erst decken mit Brot, Ayran (einem Joghurtdrink), Suppen, etc. und viele Einheimische mit Kind und Kegel um die Tische sitzen und warten. Niemand rührt das Essen an. Denn es ist Ramadan, der islamische Fastenmonat, und man wartet auf den Ruf des Muezzin zum Sonnenuntergang vor dem gemeinschaftlichen Fastenbrechen. Mit einem lauten Böllerschuss und dem Gesang des Muezzins von einem Dutzend Minaretten geht das grosse Spachteln dann los ;-)

Am nächsten Morgen brechen wir in aller Frühe auf, um der gröbsten Hitze zu entgehen. Wir fahren auf Landstrassen nach Istanbul, denn die Autobahn mögen wir nicht so sehr. Anfangs rollt es noch recht gut, wenn auch hügelig. Auf und ab geht die Piste, ohne Unterlass. Um ca. 10 Uhr morgens fängt auch der Gegenwind an zu blasen und wird immer heftiger. Endlose Sonnenblumenfelder, ein silbriges Strassenband und schattenlose Hügel vor uns. Am frühen Nachmittag streichen wir die Segel und bleiben in Kirklareli. Wir setzen uns in ein Cafe (obwohl eigentlich eher Tee getrunken wird). Das Cafe ist gut besetzt mit ausschliesslich Männern, doch niemand trinkt, geschweige denn isst. Wir kommen uns ein bisschen blöd vor, doch ist es uns ja nicht verboten. Wir werden auch anstandslos bedient. Auch hier füllen sich die Restaurants kurz vor Sonnenuntergang, und alles wartet gespannt auf den Muezzin (wir sind bereits am Schnausen). Das türkische Essen ist super lecker! Wir sind grosse Fans von Ayran, einem prima Durstlöscher, und Kebabs in allen Arten. Auch Lahmacun, Pide, leckere Salate (die Tomaten hier schmecken himmlisch), klebsüsse Desserts... mjam! Und es gibt wieder richtig gutes Brot.





Auch am nächsten Tag geht die endlose Hügelei weiter, es werden immer mehr, und die Rampen immer steiler. Dazu kommt noch der Wind und die zunehmend schlechtere Strasse - uns scheint der Weg nach Istanbul endlos. Die Strasse löst sich spätestens um 11.00 Uhr durch die Hitze auf und wird zur klebrigen Masse (als würde man durch Kaugummi fahren). Hin und wieder behebt man diesen Mangel, indem man frischen Kies draufschüttet, der dann mit der ganzen Kaugummimasse prima an den Reifen kleben bleibt. Krtsch, krtsch, krtsch...




Dafür entdecken wir am nächsten Tag eine tolle Raststätte in einem alten Eichenwäldchen, schattig und recht ruhig, wo wir eine prima Siesta verbringen.



Am nächsten Tag, als wir um 11 Uhr schon total geschafft und frustriert sind (seit morgens um 7.30 Uhr sind wir auf der Piste und es wellt einfach gnadelos weiter), holt uns ein Einheimischer auf dem Rennrad ein. Er stellt sich als Erhan vor, ist Student in Istanbul, zur Zeit aber grad bei seiner Grossmutter im nächsten Dorf in den Ferien. Er lädt uns ein, mit ihnen zu Mittag zu essen. Wir nehmen dankend an. Offenbar nehmen es nicht alle so genau mit dem Fasten ;-)
Seine Omi kocht uns eine leckere Gemüsepfanne, wir bestaunen ihren riesigen Garten und bekommen zum Abschied noch eine Melone geschenkt. Erhans Omi pflückt auch noch einen Blumenstrauss für mein Fahrrad - Freddy platzt fast vor Stolz, so hübsch verziert war er noch nie!





So nehmen wir die restlichen Hügel beschwingt in Angriff und bald haben wir endlich, endlich den höchsten Punkt erreicht. Vor uns öffnet sich eine Ebene und am Horizont sehen wir bereits die ersten Vororte und Hochhäuser Istanbuls. Wir wollen noch bis Catalca fahren, wo es ein Hotel geben soll, und am nächsten Tag ans Marmarameer und der Küstenstrasse entlang in die Stadt. Doch das einzige Hotel in einer doch recht grossen Stadt ist eine Bruchbude und wenig einladend. Wir fragen herum und werden zum Lehrerwohnheim verwiesen, doch auch dort will man einen recht horrenden Preis für wenig Schlaues. Wir debattieren und beschliessen, erst mal ein Bier zu trinken. Das kriegt man auch in der Türkei in der Literflasche, man muss nur wissen wo. So sitzen wir an der Tankstelle und debattieren. Eigentlich sind wir todmüde und es ist bereits spät, ausserdem knurren unsere Mägen. Also erst mal was essen. Eine kleine Kioskbude nebenan verkauft Toast, und während wir diese hungrig verschlingen, fotografieren sich die Verkäuferinnen gegenseitig mit ihren Handys vor dem hübsch verzierten Freddy. Dann stecken sie die Köpfe über Freddy zusammen, giggeln drauflos und gucken verschmitzt. Freddy hat soeben ein paar neue Blüemli erhalten (die von Erhans Omi waren schon es bitzeli welk), sowie ein schickes buntes Windrädli! Na, dann, jetzt kann ja nix mehr schiefgehen.





Beschwingt vom Bier und den netten Gesten radeln wir weiter, und stehen schliesslich, grad als die Sonne untergeht, am Marmarameer. Endlich, Meer, Palmen, Strand, nach über drei Monaten Radelei! Nachdem der Verkehr am Schluss doch recht hektisch wurde, und wir uns sehr über den Strand freuen, checken wir trotz des etwas überteuerten Preises ein und bummeln kurz darauf mit halb Istanbul, wie es scheint, über die Promenade von Büyükcekmece, einer "Beachtown", fast wie in Kalifornien. Vom Bikini zum Burkini gibts alles hier. Wir können es kaum erwarten, über den Sand zu laufen und ins Meer zu hüpfen. Doch das Wasser stinkt ziemlich nach Kloake, und giftgrüne Algen bedecken den Strand. So belassen wir es vorerst beim Fussbad und rauchen dafür zur Feier des Tages eine Wasserpfeife (Nargile).





Am nächsten Tag ist ausschlafen angesagt, denn es sind gemäss Karte nur noch 35 km bis ins Stadtzentrum. Ein ganzes Stück davon können wir entspannt auf Radwegen fahren, doch bald ist es vorbei mit der Beachparty, wir werden zurück auf die Hügel und Highways geleitet. So geht es auf und ab, später wieder runter ans Meer, wieder Strände, Parks, ruhige Radwege, die aber ebenso plötzlich wieder aufhören, und zwar meist mit einer Treppe. Fahrradfreundlich ist anders... man hat das Konzept von den Radwegen noch nicht ganz begriffen! Dennoch stehen wir am Nachmittag erschöpft an der Stadtmauer, rund um uns herum röhrt der Feierabendverkehr.





Noch ein paar Kilometer kämpfen wir uns durch den Grossstadtdschungel, noch eine letzte steile Rampe hoch, und wir haben es geschafft: wir stehen auf dem Sultanahmed Platz, zwischen der Blauen Moschee und der Ayasophia. In dem Moment ruft der Muezzin zum Abendgebet - ein wunderschöner Moment! Fast im Kanon tönt es ganz melodisch zwischen den Minaretten hin und her.




Wir machen ein paar Fotos, trinken einen vergoldeten, starken Kaffee und schwingen uns ein letztes Mal aufs Rad, um zu unserer gemieteten Wohnung zu kommen. Für eine Woche sind wir im Stadtteil Sisli bei Seref untergemietet. Wir holen Schwung auf die Galatabrücke übers Goldene Horn, doch müssen wir unverhofft mitten auf der Brücke bremsen, weil die Fischer alles zuparkiert haben. So was würde bei uns mit einer Megabusse enden, ist aber hier völlig normal. Wir stecken nun mitten im Feierabendverkehr, und da werden alle Register gezogen. Man hupt, man drängelt, man weicht auf die Bürgersteige aus... und wir mittendrin mit unserem Gelump, und es will nicht aufhören mit den steilen Hügeln.





Fix und fertig (und schiebend) treffen wir bei Seref ein. Eine kalte Dusche, welche Wohltat! Ein schmusiger Kater schnurrt uns um die Beine, und es ist eine lustige WG hier, sehr international: Seref, der Eigentümer der Wohnung, ist Musiker, Ness, eine Untermieterin aus Marokko, handelt mit Edelsteinen, Nora und Florian, ein ägyptisch-holländisches junges Pärchen bemüht sich um einen Trauschein, und wir zwei Radler klappen einfach nur auf dem Bett zusammen nach der Tortur der letzten paar Tage. Das Sightseeing kann warten - jetzt wird erst mal ausgeschlafen.




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