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Transalpina - Überquerung der Karpaten

Montagabend, 1. Juli
Wir sitzen in Obarsia Lotrului. Das ist eine Wetterstation in den Karpaten auf 1350 m. Ein Ursus, das beste rumänische Bier, steht vor uns. Es ist die zweite Bergetappe auf unserer Karpaten-Überquerung.  Bisher haben wir schon über 2000 Höhenmeter in den Beinen. Morgen stehen noch 1000 weitere Höhenmeter und zwei Pässe an, u.a. über den Urdele-Pass, auf über 2100 m, dann folgt die hoffentlich lange Abfahrt in die Walachei. Nein, das ist keine Redewendung, ich meine die richtige Walachei.
Gestern haben wir in einem Bergdorf namens Jina übernachtet. Ein typisches rumänisches Dorf, mit Pferdewagen, Autos ohne Auspuff, einem eigenartigen Heimatmuseum und einer einzigen Pension. Die resolute Dame, die das Unternehmen führt, spricht kein Wort englisch. Mit ihr ist nicht zu spassen, das merken wir gleich. Ungefähr so wie mit dem riesigen Wachhund im Hinterhof. Zum Nachtessen gibts Suppe, das verstehen wir noch. Und "Visli" mit Senf und Brot. Im Idealfall handelt es sich dabei um Würstchen, es könnte aber auch sein, dass wir ein (hoffentlich gebratenes) Wiesel vorgesetzt bekommen, vielleicht auch eine "Wiese" - die vegetarische Variante? Wir müssen erst einen gewaltigen Topf Suppe auslöffeln, bevor die Hausherrin die Visli rausrückt. Und ja, es sind Würstchen:-)

Heute sind wir 50 km bergauf gefahren, eine stolze Leistung. Bogdan und Daniel, zwei Rumänen, welche auch hier in den Cabanas bei der Wetterstation hausen, finden das ebenfalls und spendieren uns gleich zwei Palinkas (ein 60% Pflaumenschnaps). Innert wenigen Minuten sind wir Blutsbrüder (sprich: betrunken) und schon steht der nächste Schnaps auf dem Tisch. Die beiden sind in Québec aufgewachsen, sprechen daher fliessend französisch und englisch. So konversieren wir dreisprachig und immer mehr beduselt über Gott und die Welt. Zwischen weiteren Palinkas und Tuicas (dem selbstgebrannten Likör) schaffen wir es so knapp, noch ein paar Krautrouladen zu vertilgen, bevor uns die beiden zu einer "Party" abschleppen wollen (hier oben? Auf dem Camping oder was?)  Tatsächlich brennt irgendwo ein Lagerfeuer und die Jugend schmust zu Zigeunerrhythmen. Wir setzen uns dazu, der Palinka zirkuliert in der PET- Flasche. Ein paar streunende Hunde gieren um Leckerbissen. Wir diskutieren über die EU, über Osteuropa und über Oltimer-Motorräder (na gut, hier halt ich mich raus). Wir liegen im Gras auf einer Wildblumenwiese, ein paar Sterne funkeln durch die Wolken. Es ist fast wie früher im Pfadilager.    
Irgendwie ist dieser Abend typisch für Rumänien, auch wenn er bisher einzigartig ist. Es ist die Herzlichkeit der Rumänen, die heute wieder einmal hervorsticht. Diese haben wir in den letzten Wochen oft erfahren. Zwar sind wir müde und kaputt, aber trotzdem energiegeladen von diesem Land.

Dienstagmorgen, 2. Juli
Der Schädel brummt, die Beine rebellieren. Doch die Sonne strahlt vom Himmel, keine Wolken weit und breit. Hatten wir nicht genau deshalb unten im Tal vier Tage im Regen ausgeharrt, in der Hoffnung, die Berge bei so herrlichem Wetter überqueren zu können? Also satteln wir unsere Drahtesel und schleichen im Schneckentempo die Serpentinen hoch. Bald schon vergeht uns das Kopfweh ob der herrlichen Aussicht. Die Transalpina ist eine herrliche Hochgebirge-Überquerung, die wirtschaftlich keinen Sinn macht, da es nur ca 30 km weiter östlich einen natürlichen Einschnitt in den Karpaten gibt, wo der ganze Schwerverkehr durchgeführt wird. Nochmals etwas weiter östlich liess Ceausescu in den Siebzigern die Transfagarasch bauen, ein gigantisches Strassenbauprojekt auf über 2000m Höhe, mit Tunnel und allem. Es brauchte also wahrlich keine weitere geteerte Route über die Karpaten, und bis vor ein paar Jahren war die Transalpina nichts mehr als ein Feldweg, erstellt im ersten Weltkrieg von Soldaten und abgesehen von ein paar Schafhirten nur dem eint oder andern Töff- oder Veloabenteurer bekannt. Dann trat Rumänien der EU bei, es gab Geld für Strassenbau und man wollte offenbar ein Exempel statuieren. Also wurde die 150km-Piste über drei Pässe geteert, mit EU-genormten XXL-Strassengräben versehen und letztes Jahr für den Verkehr freigegeben. Immer noch ein Traum für Motorräder, kommen nun auch die Ausflügler aus Bukarest und ganz Rumänien, in alten Dacias und neuen Jeeps. Die staunen dann ob den zwei verrückten Radfahrern, die mit Sack und Pack über den Berg rollen. Sie hupen, winken und fotografieren enthusiastisch, was manchmal nervt, manchmal fühlt man sich aber auch wie ein Rockstar. Viele Schafe mit ihren Hirten sowie ein paar zutrauliche Esel säumen die Strasse. Kurz nach dem Mittag erreichen wir den ersten der beiden Pässe, auf 2100m. Zum Glück verkauft hier einer leckeren Käse und selbstgeschlachtete Wurst - er macht vermutlich seinen Tagesumsatz mit uns. Dann wird es nochmals hart, wir sausen runter uns dann gleich wieder hoch auf den zweiten Pass, qualvoll steile Kurven lassen uns fluchen (und teilweise schieben). Dann endlich stehen wir auf dem Urdele-Pass, 2145m, vor uns in der Tiefe breitet sich die Wallachei aus, und malerisch gelegen das Bergdorf Ranca. Hier wird leider gebaut, was das Zeug hält, ohne Plan und Rücksicht auf Kultur und Natur. Aber am nächsten Tag genießen wir einfach die endlose Abfahrt durch tolle Alpweiden und alte Buchenwälder. Beim Kloster Horezu erholen wir uns von den Strapazen. Davon aber ein andermal!

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