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Musikalische Müllabfuhr und Raubkopien


hallo miteinander,

heute habe ich mir, nach gestrigem gemütlichem Kulturprogramm (berühmtes, 400jähriges Katharinenkloster, Museum mit gefrorener Mumie eines 12-jährigen, von den Inkas geopferten Mädchens "Juanita" auf dem Gipfel des 6300m hohen Ampato-Vulkans), einen Lesetag einrichten wollen - nicht ganz so einfach. Zuerst fingen sie im Hostel an, die Treppe zu flicken und mit Presslufthammer aufzureissen - Dachterrasse fiel also aus. Zudem kämpfe ich momentan etwas mit meiner spanischen Lektüre, da mir das Niveau eine Spur zu hoch ist. Ich klapperte also ein paar Buchhandlungen ab (wobei die meisten hier eher Papeterien sind), bis ich eine fand, die auch wirklich Literatur anbot. Gleich stach mir natürlich das Potter-Regal ins Auge, und ich fragte die Verkäuferin, ob denn der neuste Harry schon in spanisch erschienen sei. Ne, der kommt erst im Januar, meint sie. Wann genau, weiss sie nicht und wundert sie, dass ich sie völlig verstört anschaue. Das muss man doch wissen! Egal, Januar ist noch lange hin. Ich bummle also um die Ecke und denke, ich könnte mir ja ein saftiges Klatschheftli kaufen und mein Vokabular etwas erweitern. Am Zeitungsstand an der Ecke staune ich dann nicht schlecht - da hängt, neben ein paar andern verstaubten Taschenbüchern, doch tatsächlich der neuste Harry auf Spanisch von der Decke! Wie viel der kostet, will ich wissen - ganze 6 Fr. Das kann nicht sein, normalerweise sind hier die Bücher ziemlich teuer. Ich merke dann auch schnell, dass es eine Raubkopie ist, wie ich sie schon in Chile gesehen habe: da der spanische Verlag mehr als ein halbes Jahr für die Übersetzung braucht, tun sich ein paar Englisch-Studenten zusammen, übersetzen jeder ein paar Kapitel, drucken das ganze auf billigstem Papier und bringen es für den halben, immer noch stolzen Preis für peruanische Verhältnisse, auf den Markt innerhalb von ein paar Wochen. Die Kopie, welche ich in Chile sah (Bd. 5), war lausig, es fehlten Kapitel, andere Seiten standen auf dem Kopf, gewisse Seiten waren doppelt oder falsch eingebunden. Diese Kopie hier war wirklich gut gemacht, gut übersetzt, sogar mit farbigen Bildli aus den Filmen dazwischen. Mein Bibliothekaren-Gewissen machte kurz einen Zwergenaufstand von wegen Copyright und so, aber verlor natürlich spektakulär gegen das Teufelchen, welches meinte, solch gute Übersetzungsarbeit mit Liebe zum Detail müsse honoriert werden, und schon warf ich die 15 Soles auf den Tresen, schnappte mir das Buch und - nun in bester Stimmung - begab mich auf die Suche nach einem geeigneten Lesecafé. Gar nicht so einfach, obwohl es genügend hübsche hat in Arequipa. Viele sind auf dem Dach, wunderschöne Aussicht, aber dort zieht es, und nach 15 min. hat man ziemlich kalt. Die andern sind düster und haben keine hübschen Hinterhöfe, wo man sich hinsetzen kann. Als ich endlich mein Traumcafé finde, mit nettem Patio, Sesseln und frisch gepresstem Erdbeersaft, mich endlich ins erste Kapitel stürze, kommt natürlich prompt so ein Anden-Flötler und will mich mit seiner Panflöte unterhalten, natürlich in der Hoffnung, dass ich ihm dann ein Trinkgeld gebe. Ich beisse die Zähne zusammen, aber es kommt nicht gut - die Andenmusik im Hintergrund passt einfach nicht zu Harry Potter, Voldemort, Todessern und so. Ich gebe also auf, schlurfe zurück ins Hotel, und oh Wunder- die Handwerker sind bereits am Zementieren, was weniger Krach macht, also setze ich mich auf die hauseigene Dachterrasse, in den Windschatten, und lese weiter. Keine 5 Min. geht's, bis ich wieder rüde aus der Zauberwelt gerissen werde: da hupt doch einer konstant vor unserem Hostal und fährt einfach nicht weg. Was man dazu wissen muss: hier kann jeder hupen, wie er will, also gibt es die unmöglichsten Huptöne. Besonders beliebt bei den Taxi- und Collectivofahrern sind Hupen, die wie Polizeisirenen tönen, wieder andere hupen die neusten Salsa-Hits (so wie Handy-Klingeltöne, nur viel lauter, in den schrillsten Tönen und äusserst penetrant). Wer eine normale Hupe hat, ist ein Langweiler. Derjenige in der Strasse unter mir hupt "Für Elise", und zwar pausenlos. Nach 5 Minuten tapferen Ertragens erwäge ich, mein Bierchen zu opfern und es ihm aufs Autodach zu pfeffern. Ich beuge mich also entnervt übers Terrassengeländer um den Übeltäter zu verscheuchen, als ich die Güselabfuhr erblicke - und jawohl, richtig geraten, die haben eine mächtige Hupe auf dem Dach, aus der kontinuierlich "Für Elise" jault. Da sie sich nur im Schritttempo bewegen, dauert es natürlich auch seine Weile, bis sie um die Ecke sind. Die Hupe wirkt wohl als eine Art "Gassenruf", denn die Leute kommen fortlaufend aus den Häusern und bringen ihren Abfall raus. Es scheint hier keinen regelmässigen Güseltag zu geben. Nach einer halben Stunde ist die Müllabfuhr dann endlich so weit weg, dass mich Elise nicht mehr plagt, und ich komme tatsächlich ein paar Kapitel vorwärts - der Himmel auf Erden!
Morgen gehe ich wieder auf eine Wandertour für 3 Tage in den Colca-Canyon, einer der tiefsten Canyons der Welt (tiefer als Gran Canyon), wo man mit etwas Glück Kondoren sehen kann und durch traditionelle Dörfer wandert.
bis bald, schöne Obig, K.

Fotoalbum Arequipa, Peru

Kommentare

  1. Hoi Kathrin
    Ist ja witzig die Harry Potter-Uebersetzungsstory...! :-)
    Du erlebst enorm viel und ich finde Deine Storys total spannend und die Fotos sind so schön, dass ich gerne das eine oder anderen vergrössern und aufhängen möchte - aber das klären wir wenn Du wieder hier bist.
    Diese Blog-Seite ist echt cool, gute Sache...
    Weiterhin viele nette Bekanntschaften und schöne Erlebnisse (aber die hast Du ja sowieso), Esther

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  2. hoi Esther,

    danke fuer die Blumen - die auswahl der fotos, die ich hochladen will, ist jedesmal eine qualvolle Arbeit, denn am liebsten wuerde ich euch natuerlich alle zeigen, aber dann wuerde ich wohl nur noch in internetcafes sitzen und daeumchen drehen, waehrend die fotos sich langsam hochladen, und ihr waert nur noch am fotos durchklicken. so gibt es halt immer nur ein "best-of". liebe gruesse kathrin

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