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Wenn wir erklimmen eisige Höhen

Hola Schweiz,

während ihr grad eure ersten Sommertemperaturen durchschwitzt, sind wir Schlaumeier in den Spätherbst geflogen und frieren jämmerlich in Argentinien. Wir hatten doch die Klimadiagramme so gut studiert und waren überzeugt, es müsste um diese Jahreszeit noch über 20 Grad sein! Nun ja, vielleicht im Windschatten, in der Sonne, unter 500 Höhenmeter...

Jedenfalls sind wir vor einer Woche in Santiago, Chile, gelandet, und haben mal als erstes unsere warmen Kleider hervorgesucht - Mütze, Handschuhe, Faserpelz... oh weh! Doch wir liessen uns nicht so schnell beirren, wir wollten den Paso de Libertadores, 3200m, überqueren und nach Argentinien gelangen. So fuhren wir am Montag, nach 2 Tagen Akklimatisieren in Santiago (mit viel feinem chilenischem Wein), im dicken Morgennebel los nach Los Andes, von wo sich die Passstrasse die Anden hochschlängelt. Leider fing ich mir in Los Andes einen Magendarmkäfer ein, so dass wir am ersten Tag nur 600 von den 2400 Höhenmetern schafften. Dafür kamen wir bald aus dem Nebel und fuhren in ein schönes Bergtal hinein. Unten leuchteten die Bäume noch in tollen Herbstfarben, doch bald wurde die Landschaft trocken und alpin, es gab nur noch ein paar Sträucher und Kakteen. In Rio Blanco fanden wir ein einfaches, aber gemütliches Zimmer für die Nacht mit warmen Daunendecken, wenn auch ohne Heizung. Dann halt mit Mütze schlafen... Myrta, unsere Herbergsmutter, servierte uns noch ein stärkendes Znacht und zeigte uns Fotos von Rio Blanco im Juli, tief im Schnee begraben. Wir hofften sehr, dass uns dieser Anblick live erspart bleiben würde, denn es war Schnee angesagt für die nächsten Tage. So fuhren wir am nächsten Morgen zeitig los, immer weiter ins Tal hinein und immer höher hinauf. Trotz grosser Kälte kamen wir ins Schwitzen, doch die vielen Lastwagenfahrer, die uns im Schleichtempo vom Pass entgegenkamen (und eine Welle von Gestank nach Bremsflüssigkeit hinter sich herzogen), winkten uns so enthusiastisch zu, dass wir uns zeitweise wie Rockstars fühlten. Das motiviert natürlich ordentlich, auch wenn sich die Beine schon wie Gummi anfühlten.

Der Paso de Libertadores ist die Hauptverbindungsachse nach Argentinien, sozusagen der Gotthard und Brenner der Anden. Lastwagen aus Chile, Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay und Bolivien quälen sich über den Pass, dazu eine Unmenge von internationalen Reisebussen, welche von Santiago nach Buenos Aires, Rio de Janeiro oder gar Lima fahren. Zum Glück gab es einen Seitenstreifen und der Verkehr war in argentinischer Richtung nicht so stark. Das "Herzstück" des Paso de Libertadores sind die "Caracoles", die 32 Haarnadelkurven, welche sich kurz vor der Grenze von 2200 auf 3000 Meter schrauben. Netterweise hat jede Kurve eine Tafel: Curva 0, Curva 1, Curva 2 - so weiss man immer gleich, wieviel Elend man noch vor sich hat! Dennoch war es irgendwie befriedigend, die bereits gemeisterten Serpentinen unter sich zu sehen, und von einem ganzen Reisebus frenetisch fotografiert und angefeuert zu werden, während man mit hochrotem Kopf in Curva 14 verschnaufte. Bei Kurve 16 nahm uns dann ein Strassenbauarbeiter mit seinem Pickup mit hoch zum chilenischen Zoll, da er meinte, es käme bald schneien, und es wäre besser, wenn wir am gleichen Tag noch über den Pass kämen. Ohne seine Hilfe hätten wir dies sicher nicht geschafft! Am Zoll wurden erst mal die Pässe inspiziert, dann ging es nochmals 200 Höhenmeter weiter hoch, die sich auf dieser Höhe brutal in die Länge zogen. Dann endlich, abends um 5 Uhr, nach "nur" 20 km, standen wir vor dem Tunneleingang, der nach Argentinien führt (die alte Passtrasse geht noch bis 3800m hoch, war aber wegen Schnee bereits gesperrt). Wir wurden von der Polizei durch den Tunnel gefahren, und schon standen wir auf argentinischer Seite - wow!

Nun hiess es alles anziehen, was wir hatten, denn auf 3200m war es brutal kalt, und es kam die langersehnte Abfahrt. Diese genossen wir denn auch, obwohl uns vor Kälte fast die Nasen und Ohren abfroren. Das Wetter wurde auch immer schlechter, dennoch durften wir nach einigen Kilometern Schussfahrt noch einen gigantischen Anblick geniessen: dort erblickten wir in einem Seitental auf einmal einen weissen Giganten - mayestätisch erhob sich im letzten Sonnenlicht der Aconcagua vor uns, 6962m hoch, der höchste Berg von Südamerika. Was für eine tolle Belohnung nach dem anstrengenden Tag! Schnell ein paar Fotos geschossen, dann weiter zur argentinischen Immigration. Hier erlebten wir südamerikanische Bürokratie vom Feinsten: zwar hatten die Chilenen und Argentinier sich zusammengerauft, um die Grenzabfertigung gemeinsam abzuwickeln, aber irgendwie war es noch nicht sehr effizient. Zum einen konnte die argentinische Mitarbeiterin nichts machen, solange ihr chilenischer Kollege noch in der Rauchpause war, und sass nur passiv da, trank ein bisschen Mate und wartete. Als der Kollege dann kam, wurden wir erst mal weggeschickt, einen "Paxabici" oder was auch immer, fürs Fahrrad zu holen. Stellte sich heraus, es handelt sich dabei um einen Stempel auf einem Fetzen Altpapier, den man dann 15 km weiter unten an der nächsten Polizeistation abliefern muss... Arbeitsbeschaffung pur!! Aber es ging dann doch was, wir bekamen unsere Stempel in die Pässe und flitzten weiter nach Puente del Inca, wo wir uns in der Hosteria einquartierten und erst mal eine Stunde schlotternd vor die winzige Elektroheizung setzten. Nach einer heissen Dusche und einem üppigen Mahl (so üppig, dass ich fast platzte) tauten wir langsam wieder auf.

Am nächsten Morgen besichtigten wir die "Inkabrücke", eine natürliche Steinbrücke, welche von den Ablagerungen heisser Quellen bunt gefärbt ist - gelb, weiss, orange, grün, braun. Leider kann man das Naturwunder nur noch aus der Ferne beobachten, da die Brücke durch jahrelanges Begehen von Touristen und Einheimischen brüchig geworden ist. Trotzdem schön!
Danach packten wir uns wieder warm ein und freuten uns auf eine lange Abfahrt nach Mendoza, 2000 Höhenmeter weiter unten. Die Sonne schien noch, obwohl uns die Schneewolken antrieben, und zunächst ging es flott voran. Ein herziger Hund aus Puente del Inca folgte mir über 15 km lang, freudig hechelte er Freddy und mir hinterher. Mehrmals versuchte ich ihn, zur Umkehr zu bewegen, und dachte, ich hätte ihn verloren, doch dann war er wieder da und strahlte mich freudig an, obwohl ihm bald der Schaum aus dem Mund triefte vor Anstrengung - es ging schliesslich bergab und Freddy und ich hatten ordentlich Schuss. Ich fand mich schon fast damit ab, ihn adoptieren zu müssen (naja, so schlimm wär das nicht gewesen, er war wirklich knuddelig), als es ihm dann doch zu anstrengend wurde, und er beschloss, wieder nachhause zu wandern.

Dann war es auch mit der schönen Abfahrt vorbei, die Strasse flachte ab und über 70 km ging es mit viel Auf und Ab weiter bis Uspallata, wo wir erschöpft eintrafen und nicht das Gefühl hatten, den Berg runter gefahren zu sein. Mittlerweile war mein Magen mangels Vitaminen (die Chilenen und Argentinier mögen Gemüse und Früchte nicht so sehr und sind ziemlich Brot- und Fleisch-fixiert) in einem desolaten Zustand, so legten wir einen Pausentag ein und kochten uns selber feine Müesli und Gemüsesuppen. Gestern brachen wir dann auf nach Mendoza, eigentlich immer noch auf der Abfahrt, jedoch nun mit so viel Gegenwind (eiskalt!), dass man weiterhin nicht wirklich das Gefühl bekam, man würde bergab fahren. Zudem musste ich in regelmässigen Abständen anhalten und hinter die Büsche verschwinden - der Magendarmkäfer war immer noch voll am Rumoren. In Potrerillos fanden wir zwar ein nettes Cabana zum Schlafen, jedoch wurden wir dort auch zum ersten Mal auf diesem Trip beklaut: Sven, der jeweils etwas schneller radelt als ich, hatte seinen Velohelm und seine leuchtgelbe Trinkflasche auf der Strassenkreuzung bei der Abzweigung zum Dorf deponiert als Signal für mich, dass er dort abgebogen war - Helm und Flasche verschwanden auf Nimmerwiedersehn. Welcher Depp klaut schon einem Radfahrer den Helm und die Trinkflasche? Trotz intensiver Suche und Befragung des halben Dorfes tauchten die Utensilien nicht mehr auf, dafür genossen wir abends einen tollen Blick auf die frisch verschneiten Anden.

Heute morgen lag Rauhreif vor unserem Cabana und die Kälte liess Sven beim Morgenyoga fast am Boden anfrieren (ich Weichei kochte inzwischen Kaffee). Dafür rollte es dann, nach einem letzten Gegenanstieg, endlich nur noch bergab in die Pampa hinein, raus aus den Bergen und rein in die Weinberge rund um Mendoza. Wir sind mitten im Weinbaugebiet von Argentinien. Die Trauben schmecken auf jeden Fall lecker, sehr süss! (Natürlich umso süsser, weil sie direkt vom Weinberg geklaut sind ;-) Aber auch der Wein schmeckt super hier, und heute haben wir auch ein leckeres argentinisches Steak probiert. Auch wenn sie hier das Gemüse nicht so mögen, von Fleisch verstehen sie was - nach den guatemaltekischen Gummiadlern mit über hundert Flugstunden ist hier jedes Fleischstück ein wahres Festessen.

Hier unten im Tal herrscht auch ein etwas milderes Klima, so dass wir hoffentlich nicht mehr so frieren müssen auf den nächsten Radeletappen und vielleicht sogar mal das Zelt aufstellen. Wir lenken nun die Räder nach Norden, in Richtung San Juan und weiter zu den Nationalpärken Ischigualasto und Talampaya.
Bis dann, herzliche Grüsse aus Argentinien!

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