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Über alle Berge




Hoi mitenand,

vorgestern Abend konnte ich dann endlich meinen Polizeirapport abholen (nicht ohne dass sie mich noch eine Stunde auf eine blöde Unterschrift warten liessen, aber immerhin...), und meiner gestrigen Reise nach Huancayo stand also nichts mehr im Wege. Eigentlich hätte die Busfahrt 8 Stunden dauern sollen, gemäss Reiseführer. Denkste... Erst mal fuhren wir mit einer Stunde Verspätung los, weil jemand seinen ganzen Hausrat mit unserem Bus zügelte, und es eine Weile dauerte, bis die Matratze und das Bettgestell auf dem Dach verstaut waren. Ich weigerte mich standhaft, meinen Rucksack aufs Dach zu binden, weil es am Morgen (nach 3 Tagen Hitze) in Strömen zu regnen begonnen hatte und wuchtete ihn mit aller Kraft unter meinen Sitz, wo er natürlich keinen Platz hatte. So verbrachte ich eine ziemlich unbequeme Busreise mit meinem riesigen Rucksack zwischen den Knien. Und natürlich ging es wieder über abenteuerliche Strassen, durch ein enges Tal, an dessen steilen Hängen die Strasse wie angeklebt aussah. Feldweg oder Schotterpiste wären wohl treffendere Bezeichnungen als Strasse, und eigentlich war ich mit der Zeit ganz froh, dass ich auf der falschen Seite (die gegen den Berg und somit ohne Aussicht) sass, denn so konnte ich den Abgrund, und die wenigen Zentimeter, die uns davon trennten, nicht sehen. Durch den Regen verwandelte sich die Strasse innert kürzester Zeit in eine Schlammpiste, so dass wir immer wieder anhalten mussten: einmal fiel hinten ein Teil des Buses ab, dann wieder lag Steinschlag auf der Strasse, der erst weggeschaufelt werden musste, dann wieder floss ein reissender Strom über die Strasse (Brücke? hier offensichtlich ein Fremdwort) und der Chauffeur musste 3 Anläufe wagen, bis wir durch waren. Dasselbe in jeder Haarnadelkurve, unser Bus (immerhin die Grösse eines Reisecars) brauchte jeweils 4-5 Anläufe, bis er mühselig um die Kurven gezirkelt war. Und dann kam doch auch noch ein Lastwagen im Gegenverkehr entgegen! Jetzt wurde es spannend: die Chauffeure stiegen beide aus und fingen an zu diskutieren, wer denn nun zurückfahren müsse. Natürlich wollte das bei den Strassenbedingungen keiner, und jeder lief in die Herkunftsrichtung des andern Fahrzeugs davon, um dem andern zu beweisen, dass es dort eine prima Ausweichstelle gäbe. Nun fingen auch die Passagiere an, auszusteigen und mitzudiskutieren. Man würde meinen, der Bus hätte das Argument gewonnen, mit mehr Leuten, aber der Lastwagen hatte das im wahrsten Sinne des Wortes gewichtigere Argument, eine Zementladung, und unser Chauffeur gab klein bei. Angesichts der Tatsache, dass es ein mir unmöglich erscheinendes Kreuzungsmanöver geben würde, auf einer bereits vom Regen ausgehöhlten Bergstrasse, stieg ich dann doch lieber aus und betrachtete das ganze aus sicherer Distanz. Ehrlich gesagt sah ich den Bus samt meinem eingeklemmten Rucksack bereits auf dem Dach auf dem Talboden in Rauch aufgehen, aber es ging dann doch gut (obwohl niemand der Passagiere dies offensichtlich glaubte, alle waren zuvor ausgestiegen...).
Trotz vielen Hindernissen und holpriger Fahrt (mein armer Hintern ist ja gut gepolstert, aber dennoch...) hatte die Fahrt viele Lichtblicke: die Landschaft wechselte ständig, da wir bis in den Bergregenwald hinunterfuhren und dann wieder hoch ins Altiplano, eine Weile wurden wir sogar von der Polizei eskortiert, da diese Strasse auch Zufahrt zur Selva (Dschungel) ist, und in dieser Region noch die letzten Überreste von Sendero Luminoso ("Shining Path") aktiv sind (mittlerweile jedoch v.a. als Privatarmee der Drogenkartelle denn als Terrorkommando) und das Essen, welches von den fliegenden Händlerinnen verkauft wurde, war etwas vom Besten, was ich bisher in Peru gegessen habe (gut, ich war auch am Verhungern): Gefüllte Kartoffelbällchen mit Fleisch, Zwiebeln und feiner Sosse (etwas schwierig zum Essen im Bus), dazu frische Pfirsiche, Mangos, Avocados und kleine, süsse Äpfel, feine Empanadas und zum Dessert Zuckerbrötli mit Kürbismusfüllung (oder so ähnlich). Da ich, wenn's ums Essen geht, von Natur aus neugierig bin und alles ausprobieren muss, was mir unter die Nase kommt, macht mein Magen natürlich hier einiges mit, in Ayacucho habe ich schon einen Tag lang Durchfall gehabt und heute plagte mich "Montezumas Rache" auch wieder, aber meist ist es nach ein paar Stunden vorbei.
Nachdem wir schlussendlich nach 11 Stunden in Huancayo ankamen, war ich ziemlich fertig und daher hocherfreut, als ich in meinem Hostel ankam: La Casa de la Abuela, ein richtiges "home away from home", ganz herzig, in einem alten Kolonialhaus mit Garten, vielen bequemen Knautschsesseln, einem bunten Christbäumli und ganz netten Besitzern. Hier werde ich es mir ein paar Tage gutgehen lassen (ausser einem Kanadier bin ich die einzige Touristin hier). Gestern Abend wollte ich im Hinterhof noch kurz die frische Nachtluft geniessen vor dem ins Bett gehen, da höre ich plötzlich, wie jemand "hola!" ruft. Ich drehe mich um: niemand da. Hab mich wohl verhört doch dann tönt es wieder "hola!", gleich hinter mir, aber da ist definitiv niemand. "Holaaaaa!" Es tönt wie eine Kinderstimme, und ich bin mir nun ziemlich sicher, dass die freche Rotznase, der Sohn der Besitzerin, mich zum Narren hält und sich irgendwo versteckt. Ich beschliesse, ihn zu ignorieren, doch da pfeift er mir machomässig hinterher. Was zu viel ist, ist zu viel! Erbost beginne ich, die Büsche abzusuchen nach dem Übeltäter. "Hahahahaa!" ertönt nun ein fröhliches Gekicher. Diesmal kommt es deutlich von oben, ich blicke auf und kann fast nicht mehr vor Lachen: da sitzt ein knallgrüner Papagei, der mich ordentlich verarscht hat. Mehr als "hola", pfeifen und kichern kann er tatsächlich nicht (aber es reicht für einen guten ersten Eindruck). Jedenfalls ein weiterer, amüsanter Bonus dieses Hauses.
Heute bin ich in den Bergen gleich hinter der Stadt Huancayo gewandert (wir sind hier wieder auf 3300m, also ging ich es gemütlich an und machte viele Päuseli in der schönen Landschaft) und habe ein paar coole Felsformationen bestaunt (siehe Fotos). Danach wanderte ich durch Felder und an Lehmhäusern mit aggressiven Hunden und staunenden Kindern (als käme ich vom Mond) vorbei zurück in die Stadt, wo ich einen netten Park besuchte, der mich an den Gaudi-Park in Barcelona erinnerte, und heute Abend werde ich im Restaurant gegenüber was leckeres essen und eine Folkloreshow geniessen. Morgen mache ich noch eine Wanderung ins Valle de la Abuela (Tal der Grossmutter).

liebe Grüsse aus Huancayo, wo gerade ein Sommergewitter aufs Dach prasselt, Kathrin



Fotoalbum Huancayo

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