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Von heldenhaften Schlachten und Langfingern




Sniff, schluchz, heul... meine liebe, gute Kamera, die schon so viel erlitten hat auf diesem Trip, die bereits einmal kaputt war, in Cusco von einem 17-jährigen, langhaarigen, hardrockhörenden Kameraflicker in 1000 Teile zerlegt und erfolgreich wieder zusammengesetzt wurde, ist weg, auf Nimmerwiedersehen.

Aber der Reihe nach...
Vorgestern Nacht bin ich also mit einem ziemlich unluxuriösen "Hühnerbus" nach Ayacucho gefahren, wo wir bei Morgengrauen eintrafen. So konnte ich einen tollen Blick auf die ruhige, leere Stadt im rosaroten Licht der ersten Sonnenstrahlen um 5 Uhr morgens geniessen, bevor alles zum Leben erwachte und das alltägliche, peruanische Chaos und Hupkonzert losgeht.
Ayacucho ist sehr anders als das, was ich bisher gesehen habe, es ist nämlich überhaupt nicht touristisch. Das hat Vorteile (niemand will einem irgendwelche Stoffpuppen o.ä. verkaufen), aber auch Nachteile: man wird konstant angestarrt (es hat hier kaum Ausländer), und es wurde mir auch schon ein paar Mal (mehr oder weniger freundlich) "Gringa!" nachgerufen. Dennoch gefällt es mir hier sehr gut, es ist ein gemütliches Städtchen, das Wetter ist angenehm warm, aber nicht heiss, die Berge rundum sind wieder etwas grüner. Viel zu sehen gibt es hier nicht, ausser vielen Kirchen. Zu meinem Glück (oder Pech, wie man's nimmt) landete ich jedoch direkt in einer lokalen Fiesta zu Ehren der Schlacht von Ayacucho, die ca. 1820 (weiss nicht mehr genau) hier stattfand und für die Geschichte Südamerikas sehr wichtig war: hier wurden die spanischen Truppen als letztes geschlagen und sicherten Ayacucho und somit dem letzten Rest von Peru die Unabhängigkeit. Das wird hier mit einem grossen Volksfest gefeiert, gestern fand ein Marathon statt (nicht ohne, auf fast 3000m Höhe), ein Kinderturnfest, abends gabs Feuerwerk und ein Konzert auf der Plaza Mayor. Das Grösste war jedoch heute Sonntag das Nachstellen der Schlacht in der Pampa de Ayacucho, also dem ehemaligen Schlachtfeld, ca. 40 km von hier. Das ist hier etwa wie die Rütlifeier, alle pilgern dahin. Ich habe mit Mühe und Not eine Agentur gefunden, die eine Busfahrt dahin anbot, mit Führerin, die uns das alles erklären würde. Bis auf eine vegetarische, holländische Mutter mit Tochter waren in unserer Reisegruppe nur Peruaner, und das alleine war die Reise schon wert. In unserer Gruppe waren 4 rüstige Rentner/innen aus Lima, die unserer Führerin immer davonrannten (in alle Himmelsrichtungen), 7 junge Leute aus Lima und Trujillo, die ständig Witze machten und kicherten, sowie eine Kleinfamilie (Mutter, Tochter, Grossmutter), ebenfalls aus Lima, die eigentlich den ganzen Tag hauptsächlich ihre 4jährige Tochter fotografierten. Es war sehr amüsant! Noch amüsanter war die Busfahrt zum Schlachtfeld: alle, aber auch alle wollten dahin. Die Strasse sah etwa so aus wie der Gotthard an Ostern, nur dass sich hier nicht BMWs und Mercedes stauten, sondern alles was rollt- und alles quoll über vor Leuten, die Pickups hatten hinten so viele Leute drauf, dass diese regelrecht über die Ränder quollen, die Taxis hatten Leute im Kofferraum, einige kamen mit dem Töff (mit mind. 4 Passagieren drauf), andere mit dem Velo, andere mit dem Traktor... und da es eine kräftige Steigung hat zum Schlachtfeld, blieben von diesen alten "Chläpf" natürlich jeder Dritte liegen (ich übertreibe nicht!). Alle paar 100 Meter sah man wieder einen stehen, mit offener Kühlhaube, aus der es qualmte, und dabei ein fluchender Peruaner, der mit der Wasserflasche am Löschen ist. Dahinter stand ein Bus, unter dem mindestens 4 "Monteure" hämmerten und flickten, während das Öl auslief. Und da diese alle natürlich mitten auf der Strasse stehen blieben, könnt ihr euch das Chaos und das Gehupe ja vorstellen. Schliesslich kamen wir an auf der Pampa, auf der es aussah wie im Sittertobel zu Openairszeiten, ca. 3x grösser und flach. Die Scharen wurden von Militär und Polizei in Schach gehalten, damit sie nicht aufs Schlachtfeld traten, wo sich die "Roten" (also die spanische Armee) und die "Blauen" (die Revolutionäre unter General Sucre) gegenüberstanden (hunderte von Schauspielern in Uniform). Dann ging das grosse Warten los. Als ich mich dann irgendwann mal getraute zu fragen, auf was man den warte, hiess es: auf den Präsidenten, natürlich! Und tatsächlich, ein paar Minuten später landete ein Helikopter auf dem Feld, in dem Alan Garcia sass, der Präsident Perus! Dann wurde es wirklich komisch: vom Helikopter bis zu den Sitzen der Würdenträger waren es vielleicht 100 Meter, aber es kam eine Wagenkolonne angebraust, mit Limo, und vielen schwarzen SUV's. Wie im Film, echt! Dann wurde der Herr Garcia übers Schlachtfeld zu seinem schattigen Sitz gebracht (wir andern brüteten in der Hitze, die Schirm- und Glacéverkäufer machten ein Riesengeschäft), hielt dort eine inbrünstige, patriotische Rede, und dann ging die Schlacht los, und bald bekam ich nix mehr mit, ausser dass sich Rot und Blau vermischte. Zwar kommentierte der Speaker alles, aber die Militärs drängten uns immer wieder zurück, so dass man gar nicht viel sehen konnte. Angesichts der Tatsache, dass diese bis zu den Zähnen bewaffnet waren (einer trug sogar so eine Rakete auf den Rücken, ich glaub die heissen Widowmaker??), leistete ich keinen grossen Widerstand. Da ich hier sowieso zu den Grössten gehöre mit meinen 1.65m, geniesse ich es für einmal, auch in der hintersten Reihe noch etwas zu sehen (was aber nicht zum Verständnis beitrug 😉).
Nach ca. 2 Stunden war es dann soweit, die Spanier waren geschlagen, der Vizekönig gefangengenommen und die "Roten" lagen "tot" am Boden, übers Schlachtfeld verstreut. Unsere Führerin setzte uns auf die oberste Treppenstufe des 40m hohen Monuments zu Ehren der Schlacht und ging mal wieder auf die Suche nach unseren flüchtigen Rentnern. Da muss es passiert sein, denn ich hatte dort die Kamera noch in der Hand, um die schweissgebadeten Schauspieler zu fötelen. Dann muss ich eine Moment meine Wachsamkeit verloren haben (wohl eingelullt von dem Gefühl, wenn da einer mit einem Maschinengewehr hinter mir stehe, werde mir wohl nix passieren...). Kaum stand ich auf, fehlte mir das Gewicht der Kamera, aber da wars schon zu spät, und niemand hatte was gesehen. Seufz... Naja, mit Verlusten habe ich gerechnet, aber es schmerzt dennoch. Dafür habe ich jetzt intime Kenntnisse vom Innern einer Polizeistation, und es wundert mich nicht, dass es 3 Tage dauert, bis der Bericht fertig ist... Also sitze ich bis Dienstag hier in Ayacucho fest und versuche, den Ärger zu verdauen und morgen wieder was Schönes, Lustiges zu erleben.
Machets guet, schöne Obig, Kathrin


Fotos: José, einer der Jungs aus Lima, die ich auf dem Ausflug getroffen habe, hat mir noch seine Fotos von der Schlacht von Ayacucho geschickt, so dass ihr euch an den farbigen Getümmel ebenfalls erfreuen könnt. (danke!)


Fotoalbum Ayacucho

Kommentare

  1. liebe kathrin

    das ist natürlich traurig, dass das mit der kamera passiert ist, haben wir uns doch regelmässigst an deinen schönen bildern an fernen gefilden erfreut! das brachte ein wenig wärme in die nicht grade prickelnde wettersituation hier! anyhow, hauptsache, dir gehts gut, und du wirst uns ja auch textmässig weiterhin an deinen erlebnissen teilhaben lassen, das ist auch schon eine wahre freude. dein bericht von diesem fest tönte ja wirklich so, als wenn es direkt aus einem film wäre, ich wünsche weiterhin schöne abenteuer, viele bunte eindrücke und keep on bloggin!
    christian

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  2. hola christian,

    ja, mittlerweile habe ich den aerger etwas verdaut und versuche mich mit zen - das hilft hier enorm im alltag. beispiel heute: unsere tagestour-gruppe geht in ein restaurant, jeder bestellt was aus dem tagesmenue (ca. 3 zur auswahl), die kellnerin macht eine schoene strichliliste und wir sollen in einer halben stunde essen kommen. gesagt getan, doch dann faengt es an: wer hat den fisch bestellt? niemand? aber ich habe hier 3 strichli fuer fisch... und was?? 5 von euch wollen huehnchen? aber ich habe nur fuer 2. Warum sie das denn nicht gleich bei der bestellung gesagt habe, fragen wir. sie wirft einen verwirrten blick auf die bestellung und verschwindet in der kueche. schliesslich bin ich eine der 2, die sich noch ein huehnchen-menue ergattern koennen. das huehnchen habe ich vergebens gesucht, aber ich fand ein knoechelchen so gross wie mein kleiner fingernagel. ob wir suppe wollten, fragt sie dann. ja klar, gehoert doch zum menue, oder? die kellnerin verdreht wieder die augen und schletzt die kuechentuer zu. schlussendlich bekommen wir (gestaffelt, versteht sich, so auf eine Stunde verteilt), die suppe zum dessert und einige haben ihr menue bis heute nicht gesehen. in der schweiz wuerden sich jetzt alle mega aufregen, aber hier stresst das niemand, dann nimmt man halt was anderes, und wenns gar nix gibt, kauft man sich im laden gegenueber ein paar chips, die man dann frischfroehlich im restaurant verzehrt. Wieso soll man sich auch aufregen? zeit ist hier relativ, und die meisten haben viel davon- obwohl ich in den ferien bin, muss ich mich staendig "entschleunigen" um mit dem gemuetlichen tempo schrittzuhalten. ach, und das mit dem retourgeld ist auch so eine sache, das hat naemlich nie jemand. Stattdessen will man einem fuers retourgeld stets noch ein paar karamels verkaufen oder so. Was ich hier schon suesses geschluckt habe, weil es den leuten an ein paar soles fehlt.
    ich versuch es easy zu nehmen und wuensche meinem kameradieb viel spass (und freue mich diebisch, dass der akku zum zeitpunkt des diebstahls fast leer war, und das ladegeraet bei mir im rucksack liegt, wo es mir zwar jetz nix mehr nuetzt, aber dem ladron wenigstens auch nicht...). schliesslich gibts hier auch kameras zu kaufen, und wenn ich glueck hab, krieg ich sogar eine, die guenstiger ist als die 200.- selbstbehalt der versicherung.
    na dann, schicke dir viel sonne und den dazugehoerenden sonnenbrand und fast-hitzeschlag dazu, lg kathrin

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  3. lach ich könnte dir, liebe kathrin, jetzt den link für den neuen digitalkamera prospekt von mediamarkt schicken, aber ich denke, das wäre dann doch ein wenig verfehlt grins

    und entschleunigung würde auch hier allseits sicher wunder wirken, adventszeit in der schweiz ... ich habe mir letzten samstag vorgenommen, für maximal 12 minuten in der innenstadt zu verbringen, schaffte es auch nach 11 minuten 30 sekunden dem gedränge und geschubse zu entkommen, und hab dann erstmal ein schönes langes heisses entspannungsbad genommen, als ich in der wohnung angekommen bin ...

    entschleunige weiterhin schön, und halte dich an den alten lateinischen grundsatz: wenn in peru, tue wie die peruaner, eben, wenn die sich nicht stressen, warum solltest du? :o)) du hast zeit, die musse, und noch vieles buntes aufzuzeichnen, beneidenswert!

    cheerio
    christian

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  4. ;-)))
    muchas gracias, christian. deine comments haben mich wieder aufgestellt, merci vielmal. lg und viel spass im advent... kathrin

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