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The kindness of strangers

 


 

Liebe Leute, es wird Zeit, dass ich mal wieder was über die Amis schreibe. Meine pathetischen Landschaftsbeschreibungen habt ihr wohl alle satt, abgesehen davon könnt ihr euch ja von den Fotos selber ein Bild machen und neidisch werden :-) Da auf meinen Fotos selten Menschen zu sehen sind (abgesehen von den mickrigen Selbstportraits, welche ich immer mal wieder versuche), müsst ihr wohl denken, dass es in diesem Land abgesehen von Streifenhörnchen und Eidechsen keine Lebewesen gibt... stimmt nicht ganz! :-) Ich kann nun bestätigen, dass es definitiv Schlängelviecher gibt (ich nenne sie liebenswert Ohnebeiner). Allerdings war diejenige, welche mir begegnet ist, schon fast tot (sprich, ein Auto hatte sie kurz vor Freddy's und meiner Passage überfahren, und sie zappelte noch im Todeskampf - ein echt hübscher Anblick...). Aber davon wollte ich eigentlich nicht schreiben, ihr sollt ja euer Abendessen noch geniessen können (mir jedenfalls war danach der Appetit vergangen)! Ne, heute will ich von den Zweibeinern, welche dieses Land besiedeln, berichten :-) Ich habe ja schon in meinem ersten USA-Eintrag von der Freundlichkeit der Amis geschwärmt. Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt und werde auch schon ziemlich amerikanisch, frage ich doch mittlerweile auch Hinz und Kunz zuerst mal, wie's ihnen geht und ob sie einen netten Tag hatten :-) Die Herzlichkeit der Leute hier geht aber weit über nettes Geplänkel hinaus. Schon mehrfach haben Leute am Strassenrand angehalten, um mit mir zu plaudern, und sie sind immer neugierig und meist positiv eingestellt gegenüber meinem eher ungewöhnlichen Fortbewegungsmittel im Land der Autos. Zwar gibt es in der Tat wenige Radfahrer hier (bisher ca. ein halbes Dutzend getroffen), doch die meisten Autofahrer sind sehr zuvorkommend, wenn es ums Überholen auf der Strasse geht. Nur ganz selten muss ich zu Fluchwörtern greifen, wenn mich einer fast in den Strassengraben fegt (das ist keine lustige Sache, denn der Strassengraben liegt meist einen halben Meter weiter unten und ist eine Müll- und/oder Geröllhalde). Viele winken mir fröhlich oder rufen mir ermunternde Worte aus dem geöffneten Autofenster zu. Die vielen Harleyfahrer, welche mir begegnen, geben mir jedes Mal ein "thumbs up", und mittlerweile habe ich begriffen, dass es keine Aggression ist, wenn die Truckfahrer schon von Weitem hupen - sie tun mir einen Gefallen, damit ich nicht erschrecke, wenn sie an mir vorbeidonnern, denn egal, wie weit sie ausholen, der Luftzug weht mich fast vom Sattel. Die meisten winken auch immer. Wenn ich am Strassenrand anhalte, um mal wieder Luft zu holen, halten viele an, und fragen, ob alles ok ist, bieten mir Wasser, Bananen, etc. an. Auch auf dem Campingplatz werde ich oft angesprochen, die Ranger geben mir meist den schönsten Platz nahe der Toiletten und/oder mit Schatten. Einmal kam ich von einer Wanderung zurück und fand ein Kilo der saftigsten Äpfel vor meinem Zelt mit einem Zettel dabei: "These Apples are from Capitol Reef, Chris". Leider weiss ich bis heute nicht genau, wer der gute Chris ist, vermutlich ein Rentner, den ich auf dem Camping im Capitol Reef getroffen hatte, und dem ich vorgejammert hatte, wie schade es sei, dass ich nicht mehr von den Selbstpflück-Obstbäumen dort mitnehmen könne, wegen des Gewichts (im Capitol Reef gibt es überall solch wunderbare Obstgärten, wo man fuer 1$ das Kilo soviele Früchte pflücken kann, wie man will- Äpfel, Birnen, Pflaumen, Pfirsiche, was das Herz begehrt...). Er muss mein Fahrrad im Bryce Canyon wiedererkannt haben und mir die Äpfel dagelassen haben. Schade, dass ich ihm nicht danken konnte, ich hab den Camping abgegrast, ihn aber nicht gefunden. In Escalante wurde ich von einer Mormonen-Grossfamilie zu Pizza, Salat und Kuchen (gibt's eine bessere Radlerdiät?) eingeladen, einfach so, und es war - trotz einem Dutzend Kleinkinder - ein sehr netter Abend voller interessanter Diskussionen, ganz ohne Bekehrungsversuche. Ein anderes Mal fragte ich in einer Tankstelle nach einem günstigen Motel (ich war grad unfreiwillig von oben geduscht worden und hatte keine Lust auf Zelten), und landete schliesslich zu einem supergünstigen Preis (mit Empfehlung der Dame von Texaco) in einem netten Motel. Auf einer geführten Wanderung zu den Slot Canyons schenkte mir der Guide ein Halstuch, welches mit einem kühlenden Gel gefüllt ist, und das man sich nass um den Hals bindet - es kühlt stundenlang! So was können nur die Amis erfinden... aber es ist super, wenn man durch die Wüste radelt, und weit und breit kein Wasser in Sicht ist! Vorgestern ging mal wieder meine Sonnenbrille kaputt (das ist ja Tradition bei mir, ehrlich gesagt, hat diese Sonnenbrille bisher länger gehalten, als alle andern zuvor). Da grad nur ein winziger Tante-Emma-Laden in der Gegend war, der keine neuen Sonnenbrillen anbot, fragte ich nach Superglue und bekam prompt eine Tube geschenkt. Noch besser kam es aber am Abend, als ich mich zum Campground durchfragte: Ein netter Herr von der nahen Fischer- und Hunting-Lodge (ausserhalb meiner Preisklasse als Übernachtungsmöglichkeit) bot mir an, dort gratis in den Unterkünften des Personals zu nächtigen, da diese wegen Saisonende fast leer standen. Warme Dusche, kuscheliges Bett - keine Frage, das Zelt blieb im Packsack! Ausserdem wurde ich von den Lodge-Angestellten zu einem Glas Wein eingeladen, und am Morgen gabs feine Pancakes dazu, alles gratis. Ich war unendlich dankbar, nicht wegen dem "gratis", sondern einfach, weil die Leute so herzlich waren, und es draussen eiskalt und regnerisch war (ja, ich hab die Hitzewelle hinter mir gelassen, in den Bergen ist es wirklich kalt hier!). Gestern musste ich mich über den höchsten der bisherigen Berge quälen auf über 3150m Höhe. Unterwegs wurde ich von einem Radrennen überholt, die Truppe fuhr von Salt Lake City nach Las Vegas. Wenn es bergauf geht, bin ich normalerweise ziemlich mühsam als Verkehrsteilnehmerin, denn ich bin so langsam, dass ich meist Schlangenlinien fahren muss auf der Strasse, um nicht umzukippen. Da es hier kaum Verkehr hat, ist das kein Problem, wenn ein Auto kommt, höre ich es von weitem und halte mich ganz rechts. Die Velorennfahrer mussten mich aber mühsam überholen, weil ich sie nicht kommen hörte, und ich erwartete schon die übelsten Verwünschungen. Marianne und ich hatten in Österreich ja solche Erfahrungen gemacht, dort wurden wir mal übelst zusammengesch... von einem Rennradfahrer, weil wir mitten auf dem Radweg (wohlgemerkt, nicht auf der Strasse!) anhielten, um die Karte zu konsultieren, und er abbremsen und einen Bogen um uns fahren musste. Nicht die Bohne hier: alle gratulierten mir zu meiner Courage, den Berg mit Gepäck zu bewältigen, riefen mir "good job", "safe trip", und was weiss ich für gute Wünsche zu, während sie mich mit einem Lächeln überholten. Sie hatten natürlich ein Support Vehicle dabei, welches sie regelmässig mit Wasser und Snacks versorgte, und die beiden Support-Guys unterhielten sich eine Znünipause lang mit mir, während ich ihre Bananen verzehrte :-) Als ich endlich oben auf dem Berg ankam (die Rennradler sassen da wahrscheinlich schon alle unten im Tal in der Badewanne), war ich so durchnässt und verfroren, dass ich meine Finger kaum mehr fühlte (es hatte gewittert, geregnet und zuletzt sogar geschneit, dazu ein eiskalter Wind - not nice!). Grad kurz bevor ich meinem Iphone mein Testament diktieren wollte, weil ich sicher war, dass ich diesen Berg nicht überleben würde, tauchte im Nebelschwaden vor mir eine Ranger Station auf, und die hatten ein Kaminfeuer... da durfte ich über eine Stunde lang mein Hinterteil auftauen und meine Finger wiederbeleben. Es hat gewirkt, wie ihr seht, kann ich wieder tippen wie eine Wilde :-)
Ich könnte noch viele solche Geschichten erzählen. Ich hatte ja viele Vorurteile gegen die Amis, von wegen oberflächlich und so, und ein Körnchen Wahrheit ist schon dabei, aber es muss auch mal gesagt sein, dass Gastfreundschaft hier nach wie vor gross geschrieben wird. Von Misstrauen gegenüber Fremden merke ich nicht viel (gut, meine Haut ist weiss, und ich bringe Geld ins Land, ist ja klar...). Es ist schon so, dass einem das Land besser gefällt, wenn man seine Vorurteile, linken Gedanken und ökologischen Prinzipien mal ausser Acht lässt. Natürlich ist es eine Katastrophe, wie viel Abfall man hier produziert, ob man will oder nicht (ihr denkt, zuhause herrscht Verpackungswahn? Na, dann geht hier mal einen Kaffee trinken und ein Sandwich essen - im Restaurant wohlgemerkt, nicht als Take-out! Der Berg von Pappbecher, -teller, 20 Servietten pro Person, etc. ist umwerfend...), und wie viel von eben diesem Abfall im Strassengraben landet, ist eine Tragödie (ich kann davon ein Liedchen singen... ich könnte mir einen ganzen Hausrat zusammenstellen von dem, was am Strassenrand liegt).
Und es ist wahr, dass man als Fussgängerin v.a. in den grösseren Orten regelrecht verzweifelt, wenn man von A nach B will. Entweder liegt B nur auf der andern Strassenseite, aber man muss dazu eine 4-spurige Strasse überqueren, was entweder in einer Kamikaze-Übung oder einem Umweg von einer Meile zum nächsten Fussgangerstreifen (wo man minutenlang wartet, bis es grün wird) endet. Oder aber B liegt "nur 12 Blocks weiter unten, gar nicht weit, 1 Minute Fahrt". Ja super, und ohne Auto? Meist hab ich abends keine Lust mehr, mit dem Velo durch die Stadt zu gurken, und geh zu Fuss, aber oft bin ich nach 10 Minuten herumirren so genervt, dass ich doch zurück gehe und den Drahtesel hole :-)
Über Politik versuche ich nicht zu diskutieren, ausser wenn ich mit Amtrak (Zug) reise, da sind nur die Grünen unterwegs, da ist es sicher, dass man keine Kugel abbekommt :-). Apropos Kugel: die durchschossenen Verkehrsschilder sind ja schon beunruhigend, aber heute wollte ich in einem "Sporting goods" shop, also ein Sportgeschäft, ein paar Dinge einkaufen, aber ich bin ab der Auswahl der Kanonen, die dort an der Wand hingen, so erschrocken, dass ich gleich wieder raus ging. Und das Fernsehprogramm der letzten Tage war, wie ihr euch vorstellen könnt, zum Schreien patriotisch (in den meisten Motels muss man für Privatsender zahlen und erhält nur die öffentlichen Stationen). Ich find ja auch, dass 9/11 schlimm war, und dass man 10 Jahre danach daran gedenkt, ist total ok. Aber du liebe Zeit, kann man daraus ein Trara machen, da wird einem fast schlecht...
Aber eben. Die eigenen Prinzipien und Vorstellungen sind nicht immer das Ein und Alles. Ich unterhalte mich gern mit den Amis, und es ist auch gar nicht schwierig, über andere Themen als Politik und Religion (auch so ein heisses Eisen, aber lassen wir das jetzt...) zu schwatzen. Seit ich erfahren habe, dass die Durchschnitts-Serviertochter hier 2.50$ pro Stunde verdient, gebe ich auch gerne meine 15%-20% Trinkgeld (hab mich langsam dran gewöhnt, die Tips und Taxes immer in allen Preisen einzukalkulieren, um mich nicht jedesmal über den Endpreis zu nerven...). Und dass hier andere Vorstellungen von Sauberkeit und Ordnung herrschen als zuhause, ist mittlerweile auch ok. Schliesslich kämpfen hier die meisten nur darum, ihren Job und/oder ihr Haus behalten zu können. Es ist schon schlimm, wenn man plötzlich mit Leuten spricht, denen dies passiert (ist), und es nicht nur in der Zeitung liest.
Andrerseits bin ich überrascht, wie viele Leute damit positiv umgehen - zum Beispiel der IT-Guy, welcher seinen Job verlor, und nun mit seiner Freundin mit Auto und Zelt durch den Südwesten reist, seine ersten Ferien seit Jahren. Sorgen machen könne er sich noch lange genug, meinte er. Ganz meine Meinung :-) So, nun hab ich auch mal wieder meine Moral gepredigt - morgen geht es ab in die Wüste Nevadas, die noch trockener und schattenloser als die in Utah sein soll (are they kidding?). Jedenfalls wünschen mir alle viel Glück, denen ich davon erzähle, und raten mir immer, viiiiieeel Wasser mitzunehmen. Na, wenn sogar die Auto-Amis das meinen, dann muss es wohl stimmen :-) Ihr fragt euch jetzt, wieso ich dennoch so guter Dinge bin? Ganz einfach: weil ich weiss, dass ich mich nur an den Strassenrand stellen und winken muss, wenn ich nicht mehr weiterkomme - ein Fremder hilft hier immer, wenn jemand in Not ist.
Nächstes Ziel ist Reno - die kleine Schwester von Las Vegas sollte für meine Gambling-Ambitionen reichen :-) Bis dann, herzliche Grüsse, have a nice day!

 

 

Fotoalbum Escalante - Cedar City

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