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Abstecher zum Grand Canyon


 

 

Ich hatte ja in meinem letzten Eintrag grosskotzig behauptet, nun noch zum Grand Canyon zu fahren, also musste ich ja wohl hin :-). Der Wetterbericht sah leider gar nicht rosig aus, aber irgendwie konnte ich mir Schnee in einer Landschaft, in welcher ich vor kurzem noch bei 40 Grad Hitze geschwitzt hatte, nicht so recht vorstellen. Also kaufte ich mir ein Zugticket und fuhr los. An der Bushaltestelle in Santa Monica fragte mich ein Einheimischer, wo ich denn mit dem ganzen Gepäck hinwolle (Freddy war natürlich auch dabei). Ich, voller Vorfreude: "Zum Grand Canyon!". "Ach was. Ist im Fall nur ein grosses Loch, nichts besonderes. Ich war mal da. Nothing but a big hole in the ground!" Dass die Amis Banausen sind, ist nichts Neues, und deshalb liess ich mich davon nicht stark beeindrucken. Haette ich doch nur auf den guten Mann gehoert... Die Pannen fingen schon im Stadtbus an, der hatte nämlich nach 500m einen Motorenschaden, und wir mussten alle aussteigen und auf den nächsten warten. Der kam erst eine halbe Stunde später, so dass ich etwas ins Schwitzen kam, um meinen Zug nicht zu verpassen. Und dieser Zug fuhr ausnahmsweise mal pünktlich ab, könnt ihr euch das vorstellen? Fast wollten sie meinen Freddy nicht mitnehmen, aber mit ein bisschen Hin und Her fand er dann doch einen Platz im Gepäckwagen. Ich hatte mir ehrlich gesagt insgeheim eine Verspätung gewünscht für diesen Zug, denn gemäss Fahrplan kam ich morgens um 5 Uhr in Williams, Arizona, an, wo ich auf einen Shuttle umsteigen musste, und danach 4 Stunden in einem winzigen Nest auf die Abfahrt der Grand Canyon Railway warten sollte. Aber nix da. Wir kamen eine Stunde zu früh an, nämlich um 4 Uhr morgens. Das schafft auch nur Amtrak... Weil an diesem Wochenende landesweit auf Winterzeit umgestellt wurde, hatten sie die glorreiche Idee, eine Stunde früher als an andern Tagen am Samstag in Los Angeles abzufahren, um dann ab Sonntagmorgen wieder fahrplanmässig weiterzufahren (der Zug ging nach Chicago und war 3 Tage unterwegs). Das macht ja noch halbwegs Sinn. Dumm nur für die Leute, welche in Arizona aussteigen müssen (wie z.B. ich). Denn Arizona macht bei der ganzen Zeitumstellung (Winter/Sommerzeit) nicht mit und behält das ganze Jahr über diesselbe Zeit. Eigenbrötler... jedenfalls hatte der Shuttle-Fahrer, der mich am Bhf. abholen sollte, nicht im Sinn, eine Stunde früher aufzustehen (verständlich). Und deshalb brannte auf dem winzigen Bahnhof von Williams kein Licht (das muss der Shuttlefahrer einstellen, damit der Lokführer sieht, dass der Shuttle da ist). Wenn der Bahnhof im Dunkeln liegt, darf der Zug die Leute nicht aussteigen lassen. Das sei zu gefährlich, meinte der Zugbegleiter, es gebe Berglöwen hier, die hätten schon Leute gefressen. Super! Also durfte ich nicht aussteigen und musste weiterfahren bis Flagstaff. So etwa, als wolle man nach Lausanne, und müsste nach Genf fahren, weil man in Lausanne nicht aussteigen darf wegen der Berglöwen, die im Bahnhof rumtigern...
In Flagstaff wurde ich dann aus dem Zug gelassen, und versuchte herauszufinden, ob von hier aus auch ein Shuttle fuhr, doch hier herrschte totales Chaos. Der Shuttlefahrer hatte sich in der Zeitumstellung und/oder Zeitzone vertan und seine Passagiere eine Stunde zu spät zum Zug gebracht, und die standen nun alle hier und keiften. Und ein anderer Shuttlefahrer musste die Leute nun per Taxi zum nächsten Bahnhof fahren, und dabei noch versuchen, den Zug zu überholen... Und die Zugabfahrtszeiten waren um eine Stunde falsch notiert worden auf dem Anschlagbrett am Bahnhof, also war ein heilloses Durcheinander. Schliesslich fuhr mich dann ein Taxifahrer zurück nach Lausanne, pardon, Williams (kommt ihr noch draus?) und belehrte mich die ganze halbstündige Fahrt über die Gefährlichkeit der Berglöwen (auch bekannt als Pumas), und wieviele Menschen die schon gefressen hätten. Er war wohl etwas paranoid, denn er warnte mich auch vor den Restaurants im Grand Canyon, das Essen sei so schlecht, da wären schon viele mit Lebensmittelvergiftung im Spital gelandet. Und ich im Halbschlaf (wie gesagt, 4 Uhr morgens) nur: "mhm..."
In Williams bekam ich dann zum Gluckse ein warmes Frühstück und es wurde langsam hell. Da erfasste ich langsam die ganze Tragödie: Es hatte verdammt viel Schnee hier! So richtig Skigebiet-mässig Schnee. Ich klammerte mich noch an die Hoffnung, dass es am Grand Canyon, immerhin noch 2 Stunden weiter, nicht ganz so schlimm sei... und etwas wärmer, bitte...
Die Grand Canyon Railway stellte sich als eine Touristenbahn heraus, etwa so wie aufs Jungfraujoch, mit Vollunterhaltung, angepasst auf Senioren- und Kleinkindniveau. Zuerst gabs eine Cowboy-Show, wo sich alle abknallten, dann gings in den Zug, dort kam ein Countrysaenger vorbei, und unsere Zugbegleiterin quasselte 2 Stunden nonstop in einer quiekigen, hocherregten Stimme über den fantastischen Grand Canyon, und was es alles zu sehen gäbe ("unfortunately, with this snow, you cannot see this / do this"), welche Tiere man normalerweise beobachten koenne ("but unfortunately, it's too cold for the condors / mountain lions / etc., you will only see squirrels today"), und dann kam noch die Fotografin und machte personalisierte Fotos ("Smile, show that you are having a great time!"). Mittlerweile war ich, dank Schlafmanko, ziemlich genervt und froh, als wir endlich ankamen. Leider war der Himmel grau und Schneewolken-verhangen, es lag noch mehr Schnee hier als in Williams, und es war saukalt. Bibbernd schlug ich mein Zelt auf (die Lodge war leider viel zu teuer) und marschierte danach im Eiltempo zum Canyonrand, um mich warm zu halten. Ich erwartete nun eine atemberaubende Aussicht.
Nun ja. Es ist wahrlich ein grosser Canyon und ein erhebender Anblick, doch leider kann man ihn fast nicht geniessen, wenn man immer aufpassen muss, dass man auf dem Eis nicht ausrutscht und 1000m in die Tiefe stürzt, und nebenbei einfach nur vor Kälte schlottert. Da die Sonne fehlte, kamen leider die Farben, die Tiefe des Canyons und die ganze Pracht der Aussicht nicht sehr zur Geltung. Im Winter, bei grauem Himmel, ist es leider nicht viel mehr als ein grosses, tiefes Loch. Der gute Herr an der Bushaltestelle in Santa Monica hatte somit irgendwie recht gehabt. Natürlich hatte ich die grossartigen Bilder von meinem Bruder (heimlicher National-Geographic-Fotograf) im Hinterkopf, der vor ein paar Jahren im Sommer hier war, mit dramatischen Gewitterwolken und Regenbogen und von der Sonne rotgelb leuchtenden Felsen... Tja. Nach einer Stunde frieren verabschiedete ich mich vom Canyonrand und ging in der Lodge einen heissen Tee trinken, bevor ich todmüde in meinen Schlafsack kroch. Glücklicherweise hielt der, was er verspricht (komfortabel bis minus 15 Grad), und ich hatte es kuschelig warm, solange ich die Nase nicht zum Zelt rausstreckte, was ich bis am nächsten Mittag auch nicht tat, ausser kurz mal einen Kaffee vor dem Zelteingang zu kochen, und ihn dann gleich in den Schlafsack zu nehmen. Ich beschloss, so rasch wie möglich wieder in wärmere Gefielde zu kommen, stellte aber fest, dass ich für den nächsten Bus bis abends warten musste. Vom Grand Canyon rauszuradeln, was ursprünglich der Plan gewesen war, kam nicht in die Tüte. Abends, als ich endlich den Bus besteigen konnte, hatte ich so die Nase voll vom Schnee, von der Kälte und überhaupt, dass ich beschloss, mit dem erstbesten Zug zurück nach L.A. zu fahren, und nun umgehend nach Mexiko radeln würde. Ich hatte Glück, 2 Stunden nach meiner Ankunft in Flagstaff fuhr ein Zug nach L.A., es gab noch Tickets, der Zug war pünktlich und ich hatte noch Zeit für ein richtig feines Znacht in der lokalen Brewery. Byebye, Grand Canyon! Der Abstecher war nicht ganz das, was ich erhofft hatte, und es war ein völliger Blödsinn, den armen Freddy hierher mitzuschleppen, er hat sich nämlich nur viel Dreck und Rost und ein paar Dellen (danke, Amtrak!) eingefangen.
Ich glaube, dass ich alle Landschaften der westlichen USA (Wüste, Redrocks, Küste, Redwoods, Berge) zur Genüge gesehen habe, und obwohl Arizona und New Mexico sicher auch wunderschön wären, wäre es tendentiell auch in den niederen Lagen bald zu kalt zum Radeln. Ausserdem habe ich Lust auf ein neues Land. Und nun habe ich ja meinen Winter dieses Jahr erlebt (wären die Winter in der Schweiz alle so, könnte ich damit leben: 2 Tage kalt und viel Schnee, danach wieder eitel Sonnenschein und unter Palmen sitzen :-), und kann somit getrost sagen, dass ich reif bin für den Frühling, hihihi :-)
Morgen starte ich somit meine letzten Etappen in den USA, von L.A. bis San Diego, und werde früher als geplant in Mexiko sein. Juppie, ich freu mich schon!
Hier noch ein paar Fotos von meinem Winterabenteuer beim Grand Canyon:

Fotoalbum Gran Canyon

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